daß für alle vateiTeclitliclien Kulturen die repräsen-
tative Kunst die Malerei ist, für alle mutterreclitlichen
Kulturen liingegen die Plastik. Das Wesen der Plastik
muß aus der niutterrechtliclien Kultur erfaßbar sein.
In der mutterrechtlichen Kultur ist die Frau Mittel-
punkt, die Frau ist Herrscherin, und die Frau ist Prie-
sterin. Das wesentliche ist, daß die Basis der vater-
rechtlichen Kultur eine individualistisclie ist. Das
kulturelle Band der vaterrechtlichen Kultur ist die
Ärbeit. Es hat ein jeder Menscli der AlJgemeinheit
soviel an Arbeit zu leisten, als er an Arbeit von der
Allgemeinheit erhält. Die mutterrechtliche Kultur
baut sicli auf einer kollektivistischen Basis auf. Die
mutterrechtliche Sippe wird zusammengehalten durcli
das Zusammengehörigkeitsgefühl, durch die Liebe,
durcli die Hingabe an die gemeinsamen Zwecke und
Ziele. Die mutterrechtlichen Kulturen in iliren pri-
mitiven Stadien haben einen Ahnenkult. Es herrscht
die Yorstellung, daß die Ahnen schon bei Gott, aber
nocji bei den Menschen sind. Liebt man die Ahnen,
so bieten die Ahnen die ihnen entgegengebrachte Liebe
der Gottheit dar. Aus diesem Grunde stellt man
Ahnenbilder in die Fläuser. Durch diese Bilder wird
die Liebe zu den Ahnen gestärkt. Von den Siidsee-
inseln stammt eine Legende, in der erzählt wird, wie
einem Bildschnitzer, der einer vaterrechtlichen Kultur
angehörte uncl daher nur männliche Ahnen abbiklete,
eines Nachts im Traum die weiblichen Ahnen erschie-
nen und ihn verpriigelten, weil er sicli in seiner kiinst-
lerischen Tätigkeit auf die Darstellung männlicher
Ahnen beschränkt habe. Der Sinn dieser alten Legende
ist, daB die Menschheit ilire Höhen nur dadurch er-
reichen werde, daß sie vaterrechtliche und mutter-
rechtliche Kulturtendenzen miteinander in Einklang
bringe, wenn das Selbst-Sein-Wollen mit der Hingabe
an die Allgemeinheit verbunden werde. Die Bilder
der weiblichen Ahnen sind Plastiken, und daraus geht
hervor, daß diePIastik intensiver als eine andereKunst
die menschliche Seele zur Aufnahme iiberirdischer
Kräfte bereit mache. Wenn das mehr eine Schluß-
folgerung ist, so muß sicli dasselbe aus dem Wesen der
Plastik ergeben.
Alle Magie läßt sicli zurückführen auf einen Grund-
satz der Kaballah. Dort heißt es nämlich: Alles Ir-
dische offenbart das Göttliche, alles Äußere prägt ein
Inneres aus. Und im Buche Sohar: Alle äußeren Ab-
bilder drücken bloß einen inneren Gedanken aus.
Magier sind also die, welche die Fähigkeit haben, in
einem Äußeren einen inneren Gedanken auszudrücken.
Jene Magier aber, welche zn diesen Zwecken Ton,
Stein oder Metall verwenden, nennt man Plastiker.
Natürlich ist dabei eines klar, die Magie geht auf
einen einzigen Grundsatz zuriick. Kennt man diesen
Grundsatz, versteht man die Magie. Yon diesem Grund-
satz muß auch jede ernste Diskussion iiber Magie ein-
setzen. Diesen Grundsatz finden Sie bei den Neu-
platonikern und in der Kaballah, bei Paracelsus und
Giardano Bruno. Novalis hat ihn vielleicht am klarsten
herausgearbeitet. Dieser Grundsatz lautet: In allen
Lebenden wirkt sicli eine Grundkraft aus. Und diese
Grnndkraft können wir fassen. diese Grundkraft
können wir uns vorstellen, denn diese Grundkraft ist
das Treibende, das in jedem Wesen die Teile zu einem
Ganzen fügt. Ähtdich sind jene Erscheinungen, in
denen dasselbe Prinzip die Teile zu einern Ganzen
vereinigt. Das Wort „ähnlich“ geht alier auf das latei-
nische semel zurück, „ähnlich sein“ bedeutet daJier
eigentlich „einmal sein“. Der Magier verwendet das
Wort in der Grundbedeutüng. Wenn der Magier von
ähnlichen Erscheinungen spriclit, so bezeiclrnet er Er-
scheinungen, die, obwohl selbständig, docJi nur „ein-
mal“ sind: denn für ihn sind Erscheinungen äJmlich,
in denen die Teile nach dem gleichen Prinzip zu eineni
Ganzeil siclr fiigen. Weil in älmlichen Erscheinungen
das gleiche Prinzip wirksam ist, drängen ähnliche Er-
scheinungen zueinander. Die Kraft, mit dcr alles
Ahnliche sicli zu einigen sucht, nutzt der Magier aus.
Dalrei kornmt es lediglich auf das formale Prinzip an,
durch das die Teile zu einem Ganzen verJrunden wer-
den; die Materie, aus der die Teile jeweiJs bestehen,
ist belanglos. Aus diesern Grunde arbeitet der Magier
mit Ton, Linien oder Farbe, ebenso wie mit Wort,
Geste und Hauch. WiJJ der Magier aber auf einen
Menschen eine Wirkung ausiiben, so erzeugt er in ihm
Sinnesreizungen und fügt diese zu einem Ganzen.
Alle Kiinste in solcher Weise wirken auf Sinne des Men-
schen. Die Eigenart der Plastik JresteJit darin, daß sie
auf zwei geschiedene Sinnc zugleich sicli richtet, näm-
lich auf den Gesichtssinn und den Tastsinn. Wenn
man eine Plastik ansieht, muß man sie einerseits mii
den Augen fixieren, andererseits sie aber auch al>
tasten. Dieses Abtasten vollzielit sicli durch Bewegun-
gen des Augapfels, und aus dem Zusammenwirken
zwischen den Bewegungsempfindungen und den Ge-
sichtsempfindungen entsteht das künstlerisclie Erleb-
nis, al^er aucli der magische Zwang, den die Plastik
auf den Beschauer ausübt. Dieses Zusammenwirken
muß exakt sein. Die Lebendigkeit, mit der der Be-
scliauer die GanzJieit des Kunstwerks fiihlt, muß
ebenso intensiv sein 'svie die Deutlichkeit, mit der er
erfaßt, daß Teile zusammenwirken. Als Ganzes bildet
jedes Kunstwerk ein nach außen hin Geschlossenes.
Das Material der Plastik ist schwer. Darum wird die
Plastik nicht aus der Umwelt ausgelöst, sie wird aus
dieser herausgehoben. Sie sehen auf diesem Bild eine
Skulptur des ägyptischen Gottes Horu. I nd zwar
sitzend auf einer Lotosblume. In einer ägyptischen
Legende Jieißt es, daß die Lotosblume am Abend sic-li
in die Tiefe sinken läßt und am Morgen wieder empor-
taucht. Sicli sell)st emporhebend, trägt die Lotosblume
den jungen Gott der Sonne entgegen. Die Lotosblume
stellt das Grundprinzip des Sockels dar.
Sockel und Figur sind streng gegeneinander abge-
grenzt. Da ist z. B. der „Auferstehende“ von Milly
Steger. Durch diesen Sockel geht ein Stoß Jrinauf.
der die Falten des Gewandes steil aufrichtet und die
ganze Gestalt streckt. So stark ist dieser Stoß, daß er
nicht nur in die Figur hineingeht, auch die freiblei-
bende Stützfläclie ist kraftgeladen. In einem quadra-
tischen Prisnia steigt der Stoß hinauf und schafft einen
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tative Kunst die Malerei ist, für alle mutterreclitlichen
Kulturen liingegen die Plastik. Das Wesen der Plastik
muß aus der niutterrechtliclien Kultur erfaßbar sein.
In der mutterrechtlichen Kultur ist die Frau Mittel-
punkt, die Frau ist Herrscherin, und die Frau ist Prie-
sterin. Das wesentliche ist, daß die Basis der vater-
rechtlichen Kultur eine individualistisclie ist. Das
kulturelle Band der vaterrechtlichen Kultur ist die
Ärbeit. Es hat ein jeder Menscli der AlJgemeinheit
soviel an Arbeit zu leisten, als er an Arbeit von der
Allgemeinheit erhält. Die mutterrechtliche Kultur
baut sicli auf einer kollektivistischen Basis auf. Die
mutterrechtliche Sippe wird zusammengehalten durcli
das Zusammengehörigkeitsgefühl, durch die Liebe,
durcli die Hingabe an die gemeinsamen Zwecke und
Ziele. Die mutterrechtlichen Kulturen in iliren pri-
mitiven Stadien haben einen Ahnenkult. Es herrscht
die Yorstellung, daß die Ahnen schon bei Gott, aber
nocji bei den Menschen sind. Liebt man die Ahnen,
so bieten die Ahnen die ihnen entgegengebrachte Liebe
der Gottheit dar. Aus diesem Grunde stellt man
Ahnenbilder in die Fläuser. Durch diese Bilder wird
die Liebe zu den Ahnen gestärkt. Von den Siidsee-
inseln stammt eine Legende, in der erzählt wird, wie
einem Bildschnitzer, der einer vaterrechtlichen Kultur
angehörte uncl daher nur männliche Ahnen abbiklete,
eines Nachts im Traum die weiblichen Ahnen erschie-
nen und ihn verpriigelten, weil er sicli in seiner kiinst-
lerischen Tätigkeit auf die Darstellung männlicher
Ahnen beschränkt habe. Der Sinn dieser alten Legende
ist, daB die Menschheit ilire Höhen nur dadurch er-
reichen werde, daß sie vaterrechtliche und mutter-
rechtliche Kulturtendenzen miteinander in Einklang
bringe, wenn das Selbst-Sein-Wollen mit der Hingabe
an die Allgemeinheit verbunden werde. Die Bilder
der weiblichen Ahnen sind Plastiken, und daraus geht
hervor, daß diePIastik intensiver als eine andereKunst
die menschliche Seele zur Aufnahme iiberirdischer
Kräfte bereit mache. Wenn das mehr eine Schluß-
folgerung ist, so muß sicli dasselbe aus dem Wesen der
Plastik ergeben.
Alle Magie läßt sicli zurückführen auf einen Grund-
satz der Kaballah. Dort heißt es nämlich: Alles Ir-
dische offenbart das Göttliche, alles Äußere prägt ein
Inneres aus. Und im Buche Sohar: Alle äußeren Ab-
bilder drücken bloß einen inneren Gedanken aus.
Magier sind also die, welche die Fähigkeit haben, in
einem Äußeren einen inneren Gedanken auszudrücken.
Jene Magier aber, welche zn diesen Zwecken Ton,
Stein oder Metall verwenden, nennt man Plastiker.
Natürlich ist dabei eines klar, die Magie geht auf
einen einzigen Grundsatz zuriick. Kennt man diesen
Grundsatz, versteht man die Magie. Yon diesem Grund-
satz muß auch jede ernste Diskussion iiber Magie ein-
setzen. Diesen Grundsatz finden Sie bei den Neu-
platonikern und in der Kaballah, bei Paracelsus und
Giardano Bruno. Novalis hat ihn vielleicht am klarsten
herausgearbeitet. Dieser Grundsatz lautet: In allen
Lebenden wirkt sicli eine Grundkraft aus. Und diese
Grnndkraft können wir fassen. diese Grundkraft
können wir uns vorstellen, denn diese Grundkraft ist
das Treibende, das in jedem Wesen die Teile zu einem
Ganzen fügt. Ähtdich sind jene Erscheinungen, in
denen dasselbe Prinzip die Teile zu einern Ganzen
vereinigt. Das Wort „ähnlich“ geht alier auf das latei-
nische semel zurück, „ähnlich sein“ bedeutet daJier
eigentlich „einmal sein“. Der Magier verwendet das
Wort in der Grundbedeutüng. Wenn der Magier von
ähnlichen Erscheinungen spriclit, so bezeiclrnet er Er-
scheinungen, die, obwohl selbständig, docJi nur „ein-
mal“ sind: denn für ihn sind Erscheinungen äJmlich,
in denen die Teile nach dem gleichen Prinzip zu eineni
Ganzeil siclr fiigen. Weil in älmlichen Erscheinungen
das gleiche Prinzip wirksam ist, drängen ähnliche Er-
scheinungen zueinander. Die Kraft, mit dcr alles
Ahnliche sicli zu einigen sucht, nutzt der Magier aus.
Dalrei kornmt es lediglich auf das formale Prinzip an,
durch das die Teile zu einem Ganzen verJrunden wer-
den; die Materie, aus der die Teile jeweiJs bestehen,
ist belanglos. Aus diesern Grunde arbeitet der Magier
mit Ton, Linien oder Farbe, ebenso wie mit Wort,
Geste und Hauch. WiJJ der Magier aber auf einen
Menschen eine Wirkung ausiiben, so erzeugt er in ihm
Sinnesreizungen und fügt diese zu einem Ganzen.
Alle Kiinste in solcher Weise wirken auf Sinne des Men-
schen. Die Eigenart der Plastik JresteJit darin, daß sie
auf zwei geschiedene Sinnc zugleich sicli richtet, näm-
lich auf den Gesichtssinn und den Tastsinn. Wenn
man eine Plastik ansieht, muß man sie einerseits mii
den Augen fixieren, andererseits sie aber auch al>
tasten. Dieses Abtasten vollzielit sicli durch Bewegun-
gen des Augapfels, und aus dem Zusammenwirken
zwischen den Bewegungsempfindungen und den Ge-
sichtsempfindungen entsteht das künstlerisclie Erleb-
nis, al^er aucli der magische Zwang, den die Plastik
auf den Beschauer ausübt. Dieses Zusammenwirken
muß exakt sein. Die Lebendigkeit, mit der der Be-
scliauer die GanzJieit des Kunstwerks fiihlt, muß
ebenso intensiv sein 'svie die Deutlichkeit, mit der er
erfaßt, daß Teile zusammenwirken. Als Ganzes bildet
jedes Kunstwerk ein nach außen hin Geschlossenes.
Das Material der Plastik ist schwer. Darum wird die
Plastik nicht aus der Umwelt ausgelöst, sie wird aus
dieser herausgehoben. Sie sehen auf diesem Bild eine
Skulptur des ägyptischen Gottes Horu. I nd zwar
sitzend auf einer Lotosblume. In einer ägyptischen
Legende Jieißt es, daß die Lotosblume am Abend sic-li
in die Tiefe sinken läßt und am Morgen wieder empor-
taucht. Sicli sell)st emporhebend, trägt die Lotosblume
den jungen Gott der Sonne entgegen. Die Lotosblume
stellt das Grundprinzip des Sockels dar.
Sockel und Figur sind streng gegeneinander abge-
grenzt. Da ist z. B. der „Auferstehende“ von Milly
Steger. Durch diesen Sockel geht ein Stoß Jrinauf.
der die Falten des Gewandes steil aufrichtet und die
ganze Gestalt streckt. So stark ist dieser Stoß, daß er
nicht nur in die Figur hineingeht, auch die freiblei-
bende Stützfläclie ist kraftgeladen. In einem quadra-
tischen Prisnia steigt der Stoß hinauf und schafft einen
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