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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 12./​13.1930/​31

DOI Heft:
1./2. Dezemberheft
DOI Artikel:
Schmidt, Paul Ferdinand: Die Gedächtnis-Ausstellung der Brüder Olivier in Dessau
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https://doi.org/10.11588/diglit.26236#0124

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Dte QedäcbtmssAusffellung det? Btüdec Olintec tn Deflau.

Don paut p. Scbmidt

Im Jahre 1780 wurde der Neuphilologe Ferdinand v. Olivier
aus Lausanne als Sprachlehrer an das Basedowsche Philanthropin
in Dessau berufen. Dort vermählte er sich und bekam außer
andern Kindern drei Söhne, welche den Namen Olivier als Maler
berühmt gemacht liaben: Heinrich 1783, Ferdinand am 1. April
1785, und Friedrich am 23. April 1791 geboren. Ihr Schicksal ver-
schlug sie alle in späteren Jahren nacli Wien, München, Berlin; nur
Friedrich ist am Ende, 1850, wieder nacli Dessau zuriickgekehrt,
wo er 1859 starb.

Da wir die Vorstellung von der 01ivier‘schen Kunst vorzugs-
weise mit der nazarenischen Romantik der Wiener Lukasbrüder
verbinden, so ist Dessau als ihre Heimat und kiinstlerischer Mutter-
boden etwas in den Hintergrund getreten. Ihre Beziehungen und
die Rolle, die Dessau in der Kunst um 1800 gespiclt hat, unserm
Qedächtnis wieder einzuprägen, ist die Aufgabe der schönen Qe-
dächtnisausstellung, die Dr. Ludwig G r o t e als Landeskonser-
vator und Direktor des Anhaltischen Landesmuseums zusammen-
gebracht hat. Sie ist so umfassend und vollständig, wie das heute
noch möglich ist; alle aus Museen und Privatsammlungen erreich-
baren Gemälde, Zeichnungen, Aquarelle und graphischen Blätter
der drei Briider sind im Dessauer Museum beisammen; einige Re-
produktionen künden von verschollenen Qemälden Ferdinands und
Friedrichs. Es mag vielleicht noch hier und da etvvas Unbekanntes
im Lauf der Zeiten auftauchen: das Ciesamtvverk der Olivier liegt
geschlossen in Dessau vor.

Es ist nicht selir umfangreich. Rund 250 Ausstellungsnummern
von drei Künstlern, die zwischen 56 und 68 Jahren alt wurden, ein-
schließlich aller Zeichnungen und lithographischen Blätter, imponiert
nicht durch Masse. Es handelt sich hier aber um eine Kunst, deren
Wurzeln in religiöser Ueberzeugung ruhen und deren Art von so
eindringlicher und subtiler Sorgfalt der Durchbildung auch in der
geringsten Arbeit zeugt, daß wir in wahrsten Sinne von einem Sieg
der Qualität sprechen können.

Es ist das Signum dcr Romantikerzeit: sorgsamste und tech-
nisch feinziselierte Arbeit zu liefern, wie Albrecht Dürer und seine
Zeitgenossen, aus innerstcm Qefühl der Verantwortlichkeit von
Qott heraus; also aus Frömmigkeit. Denn wie alle Romantiker,
mögen sie norddeutsch-protestantischer oder süddeutsch-katho-
lischer Artung gewesen sein, haben die Olivicrs ilire rcligiöse Er-
weckung erlebt und damit aucli die eigentliche Qeburt ilirer Kunst.
Es bedeutet nicht viel, wenn z. B. Heinrich und Ferdinand Olivicr
vor dieser Erleuchtung große biblische Tafeln im Auftragc ihres
Landesfürsten schufen, „Taufe Christi“ und „Abendmahl“ 1808-09
m Paris entstanden, 1810 in Dessau vollendet, für die „gotische
Kirche“ in Wörlitz. Diese merkwürdigen Inkunabeln einer (Nb.
protestantischen) Nazarenerkunst verdanken ihren bewußt „alter-
tümlichen Stil“, der ohne kausalen Zusammenhang an Pforr und
Overbeck erinnert, ebenso sehr der ursprünglichen Empfindung der
beiden Maler wie dem ausdrücklichen Qebot ihres Auftraggebers.
Die Entstehungsart des Nazarenertums ist vielgestaltig; die Oliviers
liaben ihren selbständigen Anteil zur nämlichen Zeit in Paris bei-
getragen, während die Lukasbriider in Wien sich von der aka-
demischen Tradition befreiten: das und noch manches anderc er-
fährt inan in der äußerst instruktiven Dessauer Ausstellung. Man
erkennt dort auch die ferneren unterschiedlichen Wege der Drei:
wie H e i n r i c h , der Aelteste, zeitlebens im Bann seiner frühesten
Entwicklung verblieb, einer harten wörtlich aufgefaßten Gotisierung,
die den schwächeren Naturen jener Epoche überhaupt als Halt und
Stiitze diente. Man sieht auch den Lebensweg des Jiingsten,
Friedrich, im wesentlichen untcr nazarenischen Zeichen sich
vollenden, zugleich aber, daß er die künstlerische Kraft besaß, sich
an dem hohen Beispiel Ferdinands zu ciner Landschaftsmälerei zu
erheben, die jenetn bisweilen sehr nahe kommt; so nahe, daß es
der jetzigen umfassenden Gelegenheit bedurfte, um den strittigen
Anteil der Briider endlich auseinander zu bringen. Auch Friedrichs

religiöse Szenen sind, wie die Ferdinands, von hölierer Art als
Heinrichs, ernsthaft und lieblic-h, an Veith und nocli mehr an
Scheffer v. Leonhardshof erinnernd in ihrer süßen Innigkeit; und
seinc figurenbelebten Landschaften sehen ebenfalls denen seines
größeren Bruders und Lehrmeisters ähnlich, daß manche nicht ohne
Berechtigung Ferdinand bisher zugeschrieben waren. Zu erinnern
ist ebenso an die herrliche „Landschaft mit dem Reiter“ in Leipzig,
wie an idyllische Visionen der Spätzeit in denen er der Entwicklung
Ferdinands nach 1830 treulich folgt.

Unbestritten aber geht aus dieser Vergleichsmöglichkeit als
ihr wertvollstes Resultat die Bestätigung älterer Erkenntnis hervor
(die ich z. B. in meiner „Deutschen Landschaftsmalerei“ (1922)
feststellte), daß als dcr überragende und führende Qeist Ferdinand
v. ölivier zu gelten hat, und das nicht nur seinen Briidern
gegeniiber, sondern aucli fiir die ganze Wiener Schule. Wie weit
er schon auf die Begründer des Lukasbundes, auf Pforr und Over-
beck, und dann auf Voith, Scheffer v. Leonhardshof u. a. gewirkt
l.aben kann, ist wohl noch ausfiihrlicher Untersuchung zu über-
lassen. Qanz sicher steht sein Einfluß auf Julius Schnorr v. Carols-
feld, auf die Briider Reinhold, August Heinrich und Erhard fest, und
wohl auch noch auf Klinkowström und Ludwig Richter; so wie er
andererseits von J. A. Koch, der 1812—15 in Wien lebte, be-
stimmende Eindriicke vom plastischen Bau der Landschaft er-
halten hat. Schließlich ist dies das Wesentliche: daß Ferdinand
Olivier zwar seiner religiösen Qesinnung nach zu den Nazarenern
gehörte, wie er ja auch 1816 Mitglied des Lukasbundes wurde, und
daß er eine Reilie sehr empfundener und vollgültiger religiöser
Szenen gemalt hat, wie den Hl. Hubertus, der Passavants gleich-
artige Darstellung beeinflußt hat, die Flucht nach Aegypten, Abra-
ham und Isaac auf dem Weg zur Opferstätte und andere um 1816
entstandene Bilder — daß aber seine wahre Bedeutung in der
Schöpfung einer Landschaftskunst liegt, die den Qeist des Na-
zarenertums ganz ohne Beziehung auf biblische Themen objetiviert.

Eine genau fixierte Landschaft hat ihm künstlerisch die Zunge
gclöst. 1815 besuchte er mit J. A. Koch das Salzburger Land, 1817
wiederholte er die Reise in Gesellschaft von Friedrich Schnorr und
seinem Bruder Friedrich. Die Eindriicke dieser großen Natur be-
stimmten fortan sein Schaffen. Er hat sie in Qemälden wie in un-
beschreiblich feinen und schönen Zeichnungen und in Lithographen
niedergelegt. So vorbildtreu diese Bilder sein inögen — man wird
noch heute genau scinen Standort feststellen und die Qegenden
aufs Qenaueste wiedcrcrkennen können — so unwesentlich ist das
l'opographische an ihnen. Seincr Hingebung an die Natur ent-
sprang dem gleichen religiösen üefühl wie seine biblischen Bilder.
Es ist die Andacht vor dem Qotteswerk, die keine Abweichung vou
der Wirklichkeit in der kiinstlerischen Wiedergabe erlaubt, und die
Olivier in der Tat als einen Qeistesverwandten der van Ryck und
Dürer erscheinen läßt. Was an seinen Arbeiten hart erscheint, ist
natiirliche Folge dieser gotisierenden Genauigkeit. Er hat es ge-
mcinsam mit den Anfängen von Pforr, Cornelius, Fohr, Runge,
Schnorr, es ist geradezu ein Stilmerkmal der jungen Romantik.
Bci Olivier verbindet sicli dies Eiement einer Befangenheit gegen-
iiber dem menschlichen Modell mit einer außerordentlichen Ein-
fühlungsfähigkeit in den Qeist der Landschaft und einer Feinheit
des Farbenempfindens, dic seinen Gemälden ihre köstliche Ton-
schönheit verleiht. Das Samtartige der wenigen, mit sublimstem
Qeschmack nüancierten Tonfolgen seiner Oelgemälde verleiht ihnen
das Süße und Klingende der romantischen Stimmung. Die Figuren
in ihrer oft befangen lieblichen Haltung, wohlverteilt im Raum,
sind mehr als Entfernungsmesser, sind auch Träger einer be-
sonderen seelischen Haltung, die man in ilirer mimosenhaften Stille
beinahe buddhistisch nennen möchte. All das gehorcht nur dem
Qesetz der bestimmtesten und plastisch wirksamsten Formen-
schärfe, es ist alles bis ins Minutiöseste durchgebildet, ein grenzen-
loser Reichtum an Detailschönheit ist iiber seine Bilder und Zeich-
nungen gebreitet. Die wesentlichste Voraussetzung romantischer

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