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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 12./​13.1930/​31

DOI Heft:
1./2. Februarheft
DOI Artikel:
Kämmerer, Ludwig: Stilkritik und Museumspraxis
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https://doi.org/10.11588/diglit.26236#0173

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Herausgßber; AClOlpt 1 DonüHl

7ahrgang t93t

1./2 vGtjruarlrtGft

Stilkvitik und Jvlufeumspt’axts

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Ludtülg Kacmmet?ct? — Deffe Cobut?g

\\/er liest Brbliographien? Man schlägt sie eilig
* nach, um sich iiber ein einzelnes Werk, seinen
Autor und sein Hrscheinungsjahr zu vergewissern,
stellt sie meist ebenso schnell beiseite, wenn letzteres
weiter in die Kinderzeit der Wissenschaft zimickreicht,
aus der wir heute keine Belehrung mehr entgegen-
zunehmen geneigt sind. „Gesteht, was man von je ge-
wußt, es ist durchaus nicht wissenswürdig“.

Und doch läßt sich aus dem, was Andere lange vor
uns geforscht, aus ihrem Ziel, aucli an dem Weg, auf
dem sic es zu erreichen versucht, so mancherlei lernen,
was imtner wieder zur Bescheidenheit mahnt und
rnanche bereits getane Arbeit spart.

Solche und ähnliche Gedanken stiegen mir unlängst
auf, als ich Mela Escherichs Bibliographie über den
Maler Hans Baldung für einen bestimmten Zweck ge-
nauer durcharbeitetc. Zugleich entschleierten sicli mir
bei dieser an sicii nicht gerade geniißlichen Lektiire die
viel verschlnngenen Irrpfade, auf denen ganze Genera-
tionen ernster nnd angcsehener Forscher sich beweg-
ten, uiid diese Walirnehmung stimmte mich nachdenk-
lich-skeptisch gegen dic autoritativen Ansicliten nnd
Urteilc in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Je tiefer wir in die dunklen Schächte der Wissen-
schaft eindringen, desto mehr sind wir darauf angewie-
sen, iinser eigenes Liclit leuchten zu lassen. Unmittel-
bare Anschauung, iunerliches Lrleben gilt nicht erst
seit gestern und heute als das gelieimnisvolle, aber
sichere Gegenmittel gegen wissenschaftliche A'birrung.

Daß die Meßbarkeit einer Größe aber nicht nur von dem
methodischen Maßstab, sondern auch von dem Wesen
des Messenden bedingt ist, erkennen heute sogar her-
vorragende Vertrcter der exakten Naturwissenschaft
an. Wieviel mehr gilt solche Linschränkung aus-
schließlicher Wahrheit von der Qualitas, wenn schon
die Quantitas nur relativisch feststellbar crscheint?

Die viel berufene Stilkritik droht nicht nur bei
Außenstehenden in Verruf zu geraten, wenn wir dic
unter solchem Schlagwort in die Welt gesetzten, zalil-
losen apodiktischen, aber gleichwohl einander wider-
sprechenden Urteilc auf ihre Fehlbarkeit näher prüfen.
Trotzdem können wir sie als e i n e s d e r v i e 1 e n
h e u r i s t i s c hen I i i 1 f s m i 11 e 1 der Kunstwissen-
schaft niclit ausschalten, oline letztere zu einer kalilen,
rein deskriptiven Statistik herabzudrticken. Die einzig
mögliche Sicherung gegen das Ueberwuchern stil-
kritischer Lehlleistungen licgt in der schonungslosen
S e 1 b s t k r i t i k des Lorschers, die immer wieder und
vvieder nachdrticklich gefordert werden muß, die aber
eigentlich melir anf e t li i s c h e m als anf erkenntnis-
theoretischem Untergrunde rulit. Damit wird die Frage
allerdings auf cin Gleis geschoben, das bei der sitt-
liclien Krisis unserer Tagc ins Wesenlose zn führen
scheint.

Wenn wir — um bei dem Beispiel zu bleiben,
von dem unsere Betrachtung ausging im Verlauf von
kaum ftinfzig Jahren anerknnnte Kenner, wie Woltmann,
Thausing, E i s e n m a n n , Scheibler, Robert Vischer,

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