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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 12./​13.1930/​31

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Juniheft
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Paris urteilt über Kokoschka / Kunstausstellungen / Kunstauktionen / Romantische Malerei in Deutschland und Frankreich / Der Deutsche Künstlerbund / Aus der Kunstwelt / Ausstellung Nürnberger Malerei von 1350 bis 1450 / Internationale Buchkunst-Ausstellung in Paris 1931 / Zum 30. Todestag Toulous-Lautrecs / Londoner Kunstschau / Der Brand des Münchner Glaspalastes / Neue Kunstbücher / An die jungen Architenten!
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https://doi.org/10.11588/diglit.26236#0316

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Paris urteilt über Kokoschka

Das Urteil hat Frantz Clement (Paris) im „Tagebuch“ zu-
sammengefaßt: „So bekam Kokoschka eine im l)esten Sinne in-
ternationale Bewertung von den autoritativsten Kritikern; er
ist von nun au in dieser Stadt ganz ausgezeichnet situiert.“

Maximilian Gauthier: „Wir haben mit Ausnahme der Pascin-
Retrospektive in diesem Jahr nocli kcine bedeutnngsvollere, be-
wunderungswürdigere Schau gehabt als die K.-Ausstellung in
cier Galerie Georges Petit . . . Eine außerordentlich starke
scliöpferische Persönliclrkeit manifestiert sicli in aller Frei-
lieit ... Die seltsame l’atlietik seiner frühen Gestalten Jäßt an
Grünewald denken ... Er zeigt in dem Bildnis Ernst Blass ein
lialluziniertes, lialluzinierendes Bild, das eine der wesentliclisten
Darstellungen des Menschen von heute bleiben wird ... Fügen
wir liinzu eine feinfülilige Handsclirift voll Autorität, eiu weises
von Leidenscliaft l)debtes Malwerk (Matiere): Oskar Kokosclika
ist ein Meister.“

P. Berthelot in „Les Beaux Arts“: „Es ziemt sicli festzustellen,
daß Grosz, mit aller seiner Begabung, ein lokaler Künstler
bleibt, während K„ sich sowolif von der Wiener, wie von der
Berliner Scliule freimacliend, seinen Einzug in die große Kunst
liält, die keine Heimat liat.“

Paul Fierens in „Les Nouoelles Literaires“ (innerlialb einer für
die deutsclie Kunst im allgemeinen ungünstigen Kritik): „Wir
diirfen niclit Deutschland nacli Kokoschka l)eurteilen, sein Werk
ist außergewöhnlich, K. maclit uns Angst, es ist jemand! ...
Es ist jemand ziemlich Erschreckendes (formidable), und den
man sogar liassen kann, dessen Kraft, Wuclit, Inspiration, pro-
phetische Gabe, revolutionäre Beredsamkeit, herrschende Per-
sönliclikeit man nicht verkennen kann.“

In einer anderen Kritik von Fierens in den „Nouoelles Litte-
raires“: „Welclie zeitgenössischen Landschaften haben die Weite
der Ansichten von Lyon, Chamonix, London, Yenedig, wo die
Earbe Kokoschkas, ganz Feuer, ganz Flamme, prächtig aus eige-
ner Kraft Jebt.“

„Le Boulevardier“ (Van Dyke-Black): „Aber wenn alles ge-
sagt ist, ist der interessanteste Maler, der in ganz Paris zu selien
ist, nacli meiner bescheidenen Ansicht Oskar Kokosclika, der
unter der Erregung der Leute viel vorstellt, in dem großen Raum
bei Georges Petit.“

Andre Lliote in „Nouoelles Ftevue Frangaise“: „Der Pariser,
von der Welt abgeschlossen, durch eine etwas zu liolie Meinung
von seinem eigenen Wert, wird durch diese Ausstellung zur
Ordnung gerufen, die ihm zeigt, daß jenseits seiner Grenzen
eine Kunst geübt wird, die nicht ausschließlich ,barbarisch‘
ist... Am Tag der Yernissage fragten sicli die Leute, wie vom
Mond gefallen, aber trotzdem sympathisierend: ,Was denken
Sie dazu?‘ ...“ Lhote vergleicht K. mit van Gogli und kommen-
iiert: „Während die großen französischen Koloristen, die von
van Gogli beeinflußt sind, Matisse und Bonnard, ,von einer
ruliigen, bequemen — icli möchte sagen bourgeoisen — Haltung
nicht loskommen können', folgt der Deutsclie zugleich mit van
Goglx der heroischen Tradition seiner Ahnen Grünewald, Dürer,
Baldung Grien. ,Dieses liellseherische Delirium, das ich ein-
mal den coup de foudre genannt habe, hat herrliche Land-
schaften hervorgebracht, wie den Strand, Lyon, Yenedig, Rich-
mond-Terrace, die uns durch ihren dynamischen Aufbau, ihre
seltenen und intensiven Farben, vor allem durch eine jedesmal
erneute Harmonie in Yerwunderung setzen.“

Claude Lioger Marx im „Braoo“: „Mit Kokoscldca kommt
schneller eine Intimität zustande (das ist schneller als mit Grosz
und Beckmann) und die Ausstellnng enthüllt uns einen Maler
von Klasse. Der Lyrismns, der von diesen Bildern ausstrahlt,
rührt uns diesmal aus wahrhaft malerischen Gründen ... Wir
kannten von Kokoschka zarte zerquälte Porträts, die mit Blut
und Tränen gemalt zu sein schienen ... Das alles war sclion
das Werk eines außerordentlich inspirierten Maler-Dichters. Die
Jetzten Bilder, bei Georges Petit ausgestellt, beweisen ein Werk,
das nocli vollendeter an Reichtum ist ... Ein clisziplinierter

Lyrismus, von einer einzigartigen Intensität J)eherrsclit die Orga-
nisation der Rhythmen und Farben... Die Fantasie erneut un-
aufhörlich für die Augen das ,Eest‘, das nach Delacroix das
größte Yerdienst eines Bildes ist. Wer Delacroix, Odilon Redon,
James Ensor, Rouault liebt, wird von dem Romantismus Ko-
koschkas nicht unberührt blciben können. Yon dieser bleiben-
den Yereinigung der Poesie, die sich an die Sinne wendet, und
der, die aus der Seele kommt. Die Schönheit der Zeichnungen
bestätigt nocli die Sicherheit, die wir haben, nns in Gegenwart
eines Mannes in vollem Aufstieg zu befinden, und der, nocli
jung, kaum 45 Jahre alt, zu den universellen Künstlern zählt.“ —
Ahnlich äußert sich Claude Roger Marx in „LEurope Nouoelle“.

„Le Quoiidien“: „Unter dem mittelmäßigen Durchschnitt der
augenblicklichen deutschen Malkunst liebt sicli Mr. Kokoschka
lierans durch schöne Eigenschaften des Schaffens und durcli
seine Persönlichkeit als Landschaftsmaler.“

Louis Vauxcelles in „Carnet de 1a Semaine“: „Das ist ein selir
großer Künstler. Icli rate unseren Malern und unseren Ama-
teuren, unverzüglich in die Galerie Georges Petit zu gehen, ihn
zu studieren. Ein so bedeutendes Ensemble von Landschaften
und Figuren von Oskar KolcoscJika mnßte hier ein Ereignis, fast
eine Offenbarung sein ... Eine gut organisierte Ausstellung die-
ses wirklich bedeutsamen Malers, der nichts der Ecole de Paris
verdankt (mehrere Mitglieder dieser Gruppe sind ihm, im Gegen-
teil, tributpflichtig), ist für uns ein neues Schauspiel vom reich-
sten Interesse... Kokoschka ist ein merkwürdig aufregender
Porträtist... Betrachtet bei Georges Petit einige Ausschnitte
der Natur, Wälder und Wasserfälle, die prächtige Ansicht von
I.yon, Ihr werdet neben erschreckenden Kraßheiten, neben kolo-
ristischen Wagnissen Beziehungen von einer Delikatesse, von
einem harmonischen Raffinement ä Ja Bonnard sehen, die zeigen,
daß dieser außerordentliche Maler über ein sehr weites Register
verfügt... Das Baudelairehafte Auf'flammen gewisser Ansichten
ist unvergeßlich. Die Kokoschka-Ausstellung war das Ereignis
der Woche.“

Louis Vauxcelles in einem anderen Aufsatz des „Carnet de
1a Semaine“: „Tcli halte Kokoschka für einen sehr großen Künst-
ler. lch habe liier in bezug auf ilin die leidenscliaftlichsten Kon-
troversen und die sicli widersprechendsten Meinungen geliört.
Meiner Ansiclit nacli war man niclit immer gerecht gegen Ko-
kosclika, man Jiat ilirn vorgeworfen, sicli von seinen französi-
schen Kollegen, nnter anderem Matisse, Dufy, Dufresnes zu in-
spirieren. Nichts ist weniger zutreffend. Die Persönlichkeit von
Kokoschka ist tief, und ich sehe niemanden außer van Gogh,
dem er verpflichtet ist.“

„L’Oeuvre“ (als Schlußsatz einer ungünstigen Kritik): „Aber
so wenig geklärt sie nocli sein mag, ist docli die Persönliclikeit
eines solchen Malers nichtsdestoweniger eine Kraft, über die
man sicli Rechenscliaft ablegen muß.“

„Paris-Midi“ (G. J. Gros): „Oskar Kokosclika ist die bedeut-
samste Persönlichkeit der deutschen Künstler seiner Generation.“

„Chantecler“: „Oskar Kokoschka stellt ein sehr anziehendes
Ensemble aus, das man selien muß. Der Vater des deutschen
Expressionismus ist ein schöner Maler, der uns weit überlegen,
weit verständiger, weit menschliclier sclieint als Raoul Dufy.
Kokoschka ist ein geborener Kolorist. Er ist oft lieftig, aber
nocli öfters ansgewogen im besten Sinne des Wortes.“

„Journai des Debats“: „Wir liatten großes Unreclit, einen Ko-
loristen von dieser Macht, einen Lyriker von dieser Glnt zu
ignorieren. Es gibt bei Kokoschka eine instinktive Leidenschaft,
eine psychologisclie Unruhe, die sicli in den Porträts aus-
drückt... Was die späten Landschaften anbetrifft, so sind sie
mit einer Meisterscliaft, einexn Sinn für Gesamteffekte und einem
Reichtum der Mittel behandelt, denen man huldigen nxuß ...
Es sind Werke würdig der Museen, (lie sie bewalxren: Ivokoschka
ist ein Inspirierter. Er ist auch ein Techniker ersten Ranges. Er
lxat seine Yision, seine Palette, seine Persönlichkeit.“

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