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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 12./​13.1930/​31

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Maiheft
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Gronau, Georg: Über die Bellini-Forschung der letzten Jahrzehnte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26236#0268

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Über die Bellini-Forschung der letzten Jahrzehnte

von

Georg Gronau — San Domenico di Fiesole

lm zweiten Band seiner Lebenserinnernngen spricht
Wilhelm voji Bode iiber das Erscheinen seiner „Studien
zur Geschichte der holländischen Malerei“ und ver-
weilt besonders bei dem Rembrandt behandelnden
Abschnitt. „Das kritische Verzeichnis seiner Werke
zählte an echten Gemälden Rembrandts etwa das
Doppelte von dem auf, was Vosmaer nicht lange vor-
her als das Oeuvre des Meisters veröffentlicht hatte.
In meiner großen Publikation iiber Rembrandt und
deren Nachträgen, die auf dieser ersten Studie be-
rulit, habe ich diese erste Zahl wiecler beinah ver-
doppeln können. und heute könnte ich schon weitere
fiinfzig Bilder hinzufügen. ’ Priift man diese Angaben
an den beiden Werken selber nach, so ergibt sich, daß
das „Verzeichnis" in den Studien ~~>77 Bilder auff’iihrt,
das große achtbändige Rembrandtwerk 595: die seit-
herige Forschung, zum großen l eil nocli durch Bodes
eigene Entdeckertätigkeit beeinflußt, hat das Oeuvre
um weitere 115 Bilder vermehrt, und derjenige For-
scher, der im Sinne und Geist Bodes weiter arbeitend
am meisten zu dieser Bereicherung beigetragen hat,
W. R. Valentiner, deutet darauf liin, däß aucli die
jetzt erreichte Zahl von rund 700 Bildern nocli nicht
als definitiv anzusehen sei.

Es kommt hier nicht darauf an, daß in das so auf-
gestellte Oeuvre einige Werke Eingang gefunden
haben, deren Zugehörigkeit zu Rembrandt bestritten
wird: in der Hauptsache sind die Resultate der Beob-
aehtungen Bodes von der Wissenschaft angenommen,
und gerade, was er fiir die Rembrandt-Forschung ge-
leistet hat, eine Vermehrung der von diesem erhalte-
nen Bilder, die man seit Vosmaer auf das etwa Drei-
fache, seit dem Beginn seiner eigenen Arbeiten auf
das annähernd Doppelte schätzen darf, Iiat stets und
mit Recht als eine der vorziiglichsten Leistungen
dieses aufierordentlichen Mannes gegolten. Daß es
auch in seinem Falle nicht an Fachgenossen ge fehlt
Iiat, die, weil sie sachlieh nichts vorzubringen hatten,
zu dem iiblen Mittel persönlicher Verleumdung ge-
griffen; davon liat Bode an einer anderen Stelle seiner
Lebenserinnerungen (I, 147) erzählt.

Ich diirfte mich also dabei beruhigen, wenn cs mir
anläfilich des Erscheinens meines Bellini-Bandes in
der Serie der Klassiker der Kunst ähnlich ergangen
ist. Man hat mir geradezu einen Vorwurf daraus ge-
macht, dafi ich darin ein Oeuvre vorlege, welches sich
gegenüber dem etwas iiber zwei Jahrzehnte zuvor er-
schienenen Bande „Die Künstlerfamilie Bellini in
einem ähnlichen Zahlenverhältnis befindet1), als ob
nicht seither zahlreiche Arbeiten erschienen sind.
welche mit alten Fehlattributionen aufgeräumt und

i) Wie sachkundig einer meiner Kritiker ist, gelit daraus her-
vor, daß er den Band der Klassiker der Kunst als eine zweite
Auflage jener Monographie ansieht.

besonders die Friili- wie die Sjiätzeit dcs Meisters tie-
fer zu erfassen und richtiger zu verstehcn gelehrt
haben. \ on diesen Dingen scheint die Kenntnis nach
Deutschland nicht gedrungen zn sein. dem Lande, das
sonst die kunstgeschichtliche Forschung mit besonde-
rem Interesse und Verständnis begleitete; wobei ich
allerdings bemerken mufi, dafi, wer sicli vorwiegend
mit deutscher Plastik des Mittelalters oder mit dem
Schaffen der Gegenwart beschäftigt, nicht verpflichtet
ist, über einc so spezielle Angelegenheit wie die Bellini-
Forschung Bescheid zu wissen; nur sollte ein solcher
die Konsequenz daraus ziehen und nicht über Dinge
mitreden, von denen er nichts weifi und, im Hinblick
auf sein eigenes Arbeitsgebiet, nichts zu wissen
braucht.

Immerhin scheint es mir angebracht, kurz iiber die
Arbeit zu referieren, die in den letztcn Jahrzehnten
für Bellini getan worden ist; wobei man erkennen
wird, dafi die mir vorgeworfene Vermehrung nur zu
einem Teil auf mein eigenes Konto kommt, daß viel-
mehr eine Reihe von Fachgenossen miteinander im
Wettbewerb bestrebt gewesen sind, aus der grofien
Masse venezianischer Bilder, die erhalten und in der
ganzen Welt verstreut ist, das herauszuheben, was auf
das große Schulhaupt selbst zurückgeführt werden
darf.

Grundlage aller Eorschung bildet auch hier das
Werk von Crowe und Cavalcaselle, eine Leistung, die
man nie genug bewundern kann, wenn man der un-
endlich schwierigen Bedingungen sicli erinnert, unter
denen sie entstandcn ist. Ein besonderes Verdienst die-
ser kritischen Sichtung des Materials erblicke ich in
der Abgrenzung des bellinesken Frühstils gegen Man-
tegna, unter dessen Namen sich die wichtigsten dieser
Bilder verbargen. Dagegen wird die richtige Erkennt-
nis getrübt durch die AMrstellung, daß Marco Basaiti
ein wesentlicher Anteil an gewissen Werken Bellinis
gebührt, darunter einem Hauptwerk, wie dem großen
Altar in Murano; in dem Basaiti gewidmeten Kapiiel
ist dieser Gedanke noch weiter ausgesponnen. Daß
selbst einem Kenner wie Cavalcaselle ein Versehen
begegnen konnte, wie die Zuschreibung der Pietä mit
den vier Engeln in Rimini an den geringen Romagno-
len Zaganelli, sollte jeden nachdenklich stinunen und
vorsichtig im Urteil machen.

Es ist bekannt, mit wie scharfer Kritik gegen das
von Crowe und Cavalc-aselle aufgestellte Oeuvre Gio-
vanni Morelli vorgegangen ist (die Ilauptstellen in
dem Band über die Galerien Borghese und Doria).
Unter seiner Kritik sclunolz es auf eine ganz geringe
Zald anerkannter Bikler zusammen; was dem geist-
vollen Senator nicht in seine Vorstellung von Giovanni
Bellini paßte, wurde namentlich unter Rondinelli und
 
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