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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 12./​13.1930/​31

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1./2. Aprilheft
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Wolbe, Eugen: Was war in dem Paket?: ein Beitrag zur Psychologie des wissenschaftlichen Autographensammelns
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https://doi.org/10.11588/diglit.26236#0249

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6in Beitt?ag sut? pfycbotogie des un(Ten{cbaftUcben Autogt?apbenfammetns

Don

6ugen LDotbe

W/ em es glückt, seiner Autographen-Sammlung
’ ’ eigenhändige Manuskripte bedeutender Litera-
tur-Erzeugnisse einzuverleiben, für den ist es ein Leich-
tes, an das kostbare Objekt die Sonde wissenschaft-
licher Forschung anzulcgen. Diese eröffnet dem gelehr-
ten Sammler eihen Einblick in das Leben und Weben
poetischen Schaffens, indem sie enthüllt, wie der Dich-
ter mit der Form gerungen, wie er aus der granitenen
Wucht kerniger Darstellung die letzten Feinheiten wohl-
lautender Stilistik herausmeißelte und den Teppich sei-
nes Ideenreichtums mit den Goldfäden sprühender Ge-
danken durchwob.

Welch ein Abstand trennt die Urhandschrift von der
Ausgabe letzter Hand! Welch eine lange Wanderung
beschwerlicher Gedankenarbeit hat der Autor da durch-
messen! In der Feststellung dieser Unterschiede er-
blickt der Forscher eine ihn befriedigende Aufgabe, auch
wenn ilnn nicht immer die erforderliche wissenschaft-
liche Schulung eignet noch aucli das Rtistzeug zur Ver-
fügung steht, um aus seinen Untersuchungen die letzten
Folgerungen zu ziehen.

Aber nicht bloß ein umfangreiches Manuskript, nicht
bioß ein briefliches Selbstbekenntnis, sondern auch ein
einfaches Privatschreiben, ja sogar ein Billet von kaum
drei Zeilen kann zu wissenschaftlicher Betrachtuug und
lohnender literarischer Ausbeute An'laß geben, wenn
sich der Autographensammler die Mühe uicht verdrießen
läßt, dem Woher und Wohin seines Objekts nach-
zusinnen.

Erwarb ich da auf einer Versteigerung ein — un-
gedrucktes — Blatt von Goethes Hand:

Unterzeichneter erbittet sich das heute an Herrn
von Holtei in Berlin aufgegebene Paket von Föbl.
Postamt wieder zurück.

Weimar, d. 28. Juni 1828.

J. W. v. Goethe.

Sogleich drängte ich mir die Frage auf: Was war
in dem Paket?

Zur Entschleierung dicses Geheimnisses galt es zu-
nächst, die Beziehungen zwischen Goethe und Karl von
Holtei festzustellen.

Holtei war ein Autographensammler. Vermutlich
um ein eigenhändiges Schreiben des Altmeisters ein-
zuheimsen, hatte Holtei unterm 20. September 1824 an
Goethe eine Epistel in Versen gerichtet und zwei Büh-
nenmanuskripte „Die Sterne“ und „Die Farben“ ein-
gereicht. Für die ungünstige äußere Verfassung, in der
sich die beiden Stücke befanden, bittet Holtei um Ent-
schuldigung:

Es sind die letzten dürftigen Exemplare,

Die ich besaß . . . , schlecht an Band und Druck,
Unzierlich, wie du immer wohl empfingst
Gedruckte Spenden heiliger Verehrung.

Seine Gattin F u i s e geb. Rogee, „Thalias heitere
Tochter“ — schreibt Holtei —, welche wiederholt Arnine
in der „Faune des Verliebten“, Marianne in den „Ge-
schwistern“ und Klärclien im „Egmont“ „in Andacht
nachgebildet“, vereinige sich mit ilirn in dem Wunsche,
dem Dichter, dessen Bild „bekränzt wie Altarbilder“,
ihr stilles Heiin sclnnückt, die „teure Meisterhand zu
klissen“.

Aber statt des erhofften eigenhändigen Briefes tra-
fen bei Holtei nur ein paar von Goethes Sekretär Wolff
aufgesetzte „majestätisch-huldvolle Floskeln“ ein. Die-
sem Sekretär gegenüber liatte Goetlre über die ihm vor-
gelegten Proben Holteischer Dichtkunst, von denen er
freilich nur „Die Farben“ las, geurteilt: „Dieser Menscli
ist so eine Art Improvisator auf dem Papier; es scheint
ilnn sehr leicht zu werden, aber er sollte sich’s nicht so
leicht machen“.

Bald danach war Goethe dem Namen Holtei öfter
in den Zeitungsberichten riber das literarische Leben in
Berlin begegnet. Während Luise am Königlichen
Schauspielhause gute Erfolge erzielte, hatte ihr Mann
Theaterkritiken für die „Vossische Zeitung“ geschrie-
ben, Rezitationen Shakespearescher Dramen veranstal-
tet und schließlich eiue Stelle als Theatersekretär und
Dramaturg an denr neugegründeten Königstädter
Theater angenommen, bis ihn nach Fuisens frühem
l ode die Wanderlust uach Paris führte. Ein sonder-
barcr Zufall hatte ihn auf der Rückreise von dort veran-
laßt, in Weimar Aufenthalt zu nehmen.

Von Fraukfurt a. M. aus war er nänrlich mit dem
Maler Moritz Oppenheim, bekannt durch seine
„Bilder aus dem altjüdisclren Familienleben“ zusammen-
gcreist, der ilrm angesichts eines bei der Ankunft in
Weimar verendeten Hundes scherzend zugerufen hatte:
„Der Hund beschämt Sie! Er bleibt hier, Sie reisen
ruhig weiter, als ob wir hier in Krähwinkel wären, statt
iir Weimar“.

„Aber mein Bester, was soll ich in Weimar? Ich
kenn ja hier keine Seele. Was könnte mich hier fest-
halten?“. In diesem Augenblicke versagte ihm die
Sprache; ein Gedanke durchzuckte ihn so mächtig, daß
es ihm war, als liabe ihn ein elektrischer Schlag ge-
troffen — Weimar — Er!!

Am folgende Tage — 4. Mai 1827 — durfte Holtei
seine Aufwartung maclren. Mit Bangen hatte er dieser
Audienz entgegengesehen; denn der alte Herr galt als
launenhaft und konnte dcshalb ungebetenen Gästen

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