gegenüber recht ungnädig sein. Aber jede Beklommen-
keit wich, als Goetlie ihn mit den Worten begriißte:
„Es ist mir lie’b, daß ich Sie auch einmal zn sehen
bekomme!“
Holtei berichtet über diesen 13esuch:
Verbindliche und möglichst schön gestcllte Redens-
arten von meiner Seite schienen keinen Eindruck zu
machen, wenigstens lockten sie keine Erwiderung her-
vor. Er führte den in irgend einem Wohlgeruch ge-
badeten Zipfel seines weißen Tuches von Zeit zu Zeit
an die Nase und ließ mich sprechen. Drei- oder viermal
erneuerte ich den Angriff — immer prallt’ ich wie von
einer steinernen Mauer wieder ab. Je geistreicher ich
zu sein mir Mülie gab, desto abgeschmackter mag ich
ihm wohl geschienen haben, denn es dämmerte in mir
selbst so etwas vom Bewußtsein eigner Bedeutungs-
losigkeit auf. Ein Geist gab mir die Erinnerung ein, daß
ich in Paris „Duvals Tasso“ spielen sah. Den machte
ich zu meinem Zauberstabe, und siehe da — der Fels
gab Wasser:
„Aus Paris kommen Sie? Was machen unsere
Freunde, die G'lobisten?“ (Mitarbeiter an der Zeit-
schrift der französischen Romantiker „Le Globe“.)
Auf diese Frage wußt’ ich freilich verzweifelt wenig
zu antworten. Aber da sie andere Fragen erzeugte, in
deren Beantwortung ich besser bestand, so kam doch
bald einiges Leben in die einsame Stunde. Ich fühlte
wieder Grund und Boden unter meinen Füßen. Je mehr
ich mich gehen ließ, meinem natürlichen Wesen getreu,
desto lebendiger wurde der alte Herr. Einige Male tat
er, als ob er lachen wollte. Und als ich ihm erzählte,
daß ein französischer Kritiker nach der Aufführung von
Duvals „Tasso“ geschrieben hatte: „M. Alexandre
Duval en estropiant le Tasse de — Schiller“, da lachte
er wirklich. So wurde aus den zehn Minuten, die ich
mir als längste Audienzfrist geträumt hatte, eine rasch
genug durchgeplauderte Stunde. Als es zwölf Uhr
schlug, erhob er sich mit den Worten:
„Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, so
muß der Prophet zum Berge kommen — da ich nicht
mehr zu Hofe gehe, so erweisen die höchsten Herrschaf-
ten mir die Gnade; ich muß sie empfangen.“
Dabei gab er mir ein Entlassungszeichen, welches
ich, da ich nun erst in Zug gekommen war und gern noch
weiter geplaudert hätte, wahrscheinlich mit sehr zufrie-
dener oder betrübter Miene aufnahm. Als ob er bemerkt
hätte, wie schwer mir das Scheiden wurde, rief er mich
— als ich bereits an der Ausgangstür stand — noch ein-
mal zurück und sagte:
„Wollen Sie mit uns speisen, so werden Sie mor-
gen um zwei Uhr willkommen sein“.
Wenn wir Holteis Angaben Glauben schenken, so
hat er beim Essen in Goethes Familienkreise die Be-
kanntschaft mit August von Goetlie erneuert (der ihm
am Abend seiner Ankunft schroff und abweisend ent-
gegengekommen war) und dessen Schwägerin, Ulrike
v o n P o g w i c h , sowie Riemer, E c k e r m a n n
und den Kanzler v o n M ü 11 e r kennengelernt. Goethe
aber, der seine Gäste sorgfältig in seinem Tagebuche
zu verzeichnen pflegte, nannte unterm 5. Mai .1827 nur
die Herren Göttling und Weller als seine Mittagsgäste.
Im übrigen wird Holteis Mitteilung über den Gegenstand
der Unterhaltung durch folgende Eintragung des Dich-
ters bestätigt: „Zu Mittag ward viel über Paris, beson-
ders das dortige Theater, gesprochen, über Personen,
welche Herr von Holtei näher gesehen.“
Die Unterhaltung selbst war zwanglos, lebhaft.
Holtei redete, Avas ihm in den Sinn kam, ohne Rücksicht
darauf, ob es die Tischgesellschaft interessierte oder
niclit. Nach der Tafel ließ der Altmeister seine beiden
Enkel W o 1 f („das Wölfchen“) und Walter eintreten
und einige Liedchen aus Holteis Singspielen vortragen,
um ihnen am Schluß den jungen Dichter vorzustellen:
„Nun seht euch mal diesen Mann an; das ist der,
der das dumme Zeug gemacht hat!“
Zum Andenken ließ Goethe seinem neuen Freunde
durch Eckermann eine Medaille mit seinem Brustbilde
überreichen, wie er ihm später die Quart-Ausgabe seiner
„Iphigenie“ mit einer herzlichen handschriftlichen Wid-
mung verehrte.
Im Herbst 1827 finden wir Holtei wieder in Berlin.
In sein Vorlesungsverzeichnis hat er diesmal auch
Goethes „Egmont“ und „Faust“ (L Teil) aufgenommen.
Ja, er hatte sich sogar an die Helena-Episode, den ein-
zigen bis dahin bekannten Akt des zweiten Teiles, her-
angewagt. Goethe hatte nicht nur die Berichte über
Holteis Vorlesungen in den Berliner Zeitungen verfolgt,
sondern er hatte auch durch den Kanzler v o n M ü 11 e r
bei dem jugendlichen Rezitator Bericht eingefordert.
In einem sehr ausführlichen Schreiben, d. d. Berlin, den
17. Dez. 1827, preist sich Holtei glücklich, daß er nie-
mals besser gelesen habe, als an den Faust-Abenden;
ein Rezitator sei in günstigerer Lage als ein Schauspie-
ler, denn er habe die Wahl des zu lesenden Stückes, ein
Gegenspieler könne ihm nichts verderben und endlich
habe er die freie Hand, seinen Dramen eine Einteilung
voranzustellen bezw. ein Nachwort an sie anzuknüpfen.
So liabe Holtei in seiner Einteilung zum Faust sich über
das Puppenspiel nach dem alten Faustbuch und über die
Klingemannsche Nachahmung von Goethes Faust aus-
gesprochen, die „zur Schande deutscher Kunst“ auf
allen Bülnien gegeben werde und deren Held „zu einem
tönenden Erz und einer klingenden Schelle, zu einem
wahren „Klingemann“ geworden sei. Die Helena-
Episode nennt Holtei eine „klassisch-romantische Phan-
tasmagorie“, gibt zum besseren Verständnis und Inhalt
an und deutet die Figur des Euphorion, der an seiner
Begeisterung für Griechenland stirbt, las den Lord
Byron.
Der Berliner Erfolg seiner Vorlesungen ermutigte
den schlesischen Dichter, auch vor das Weimarische
Publikum hinzutreten. Er las hier vom 5. Februar bis
zum 18. März 1828 und heimste viel Ehre ein. Am
Abend der ersten Vorlesung bemerkt Goethe in seinem
Tagebuch: „Abends Prof. Riemer, aus der Holteischen
Vorlesung kommend, ingleichen mein Sohn. Beyde
sehr zufrieden“. Während der beiden Monate ist über-
liaupt in Goethes schriftlichen und mündlichen
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keit wich, als Goetlie ihn mit den Worten begriißte:
„Es ist mir lie’b, daß ich Sie auch einmal zn sehen
bekomme!“
Holtei berichtet über diesen 13esuch:
Verbindliche und möglichst schön gestcllte Redens-
arten von meiner Seite schienen keinen Eindruck zu
machen, wenigstens lockten sie keine Erwiderung her-
vor. Er führte den in irgend einem Wohlgeruch ge-
badeten Zipfel seines weißen Tuches von Zeit zu Zeit
an die Nase und ließ mich sprechen. Drei- oder viermal
erneuerte ich den Angriff — immer prallt’ ich wie von
einer steinernen Mauer wieder ab. Je geistreicher ich
zu sein mir Mülie gab, desto abgeschmackter mag ich
ihm wohl geschienen haben, denn es dämmerte in mir
selbst so etwas vom Bewußtsein eigner Bedeutungs-
losigkeit auf. Ein Geist gab mir die Erinnerung ein, daß
ich in Paris „Duvals Tasso“ spielen sah. Den machte
ich zu meinem Zauberstabe, und siehe da — der Fels
gab Wasser:
„Aus Paris kommen Sie? Was machen unsere
Freunde, die G'lobisten?“ (Mitarbeiter an der Zeit-
schrift der französischen Romantiker „Le Globe“.)
Auf diese Frage wußt’ ich freilich verzweifelt wenig
zu antworten. Aber da sie andere Fragen erzeugte, in
deren Beantwortung ich besser bestand, so kam doch
bald einiges Leben in die einsame Stunde. Ich fühlte
wieder Grund und Boden unter meinen Füßen. Je mehr
ich mich gehen ließ, meinem natürlichen Wesen getreu,
desto lebendiger wurde der alte Herr. Einige Male tat
er, als ob er lachen wollte. Und als ich ihm erzählte,
daß ein französischer Kritiker nach der Aufführung von
Duvals „Tasso“ geschrieben hatte: „M. Alexandre
Duval en estropiant le Tasse de — Schiller“, da lachte
er wirklich. So wurde aus den zehn Minuten, die ich
mir als längste Audienzfrist geträumt hatte, eine rasch
genug durchgeplauderte Stunde. Als es zwölf Uhr
schlug, erhob er sich mit den Worten:
„Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, so
muß der Prophet zum Berge kommen — da ich nicht
mehr zu Hofe gehe, so erweisen die höchsten Herrschaf-
ten mir die Gnade; ich muß sie empfangen.“
Dabei gab er mir ein Entlassungszeichen, welches
ich, da ich nun erst in Zug gekommen war und gern noch
weiter geplaudert hätte, wahrscheinlich mit sehr zufrie-
dener oder betrübter Miene aufnahm. Als ob er bemerkt
hätte, wie schwer mir das Scheiden wurde, rief er mich
— als ich bereits an der Ausgangstür stand — noch ein-
mal zurück und sagte:
„Wollen Sie mit uns speisen, so werden Sie mor-
gen um zwei Uhr willkommen sein“.
Wenn wir Holteis Angaben Glauben schenken, so
hat er beim Essen in Goethes Familienkreise die Be-
kanntschaft mit August von Goetlie erneuert (der ihm
am Abend seiner Ankunft schroff und abweisend ent-
gegengekommen war) und dessen Schwägerin, Ulrike
v o n P o g w i c h , sowie Riemer, E c k e r m a n n
und den Kanzler v o n M ü 11 e r kennengelernt. Goethe
aber, der seine Gäste sorgfältig in seinem Tagebuche
zu verzeichnen pflegte, nannte unterm 5. Mai .1827 nur
die Herren Göttling und Weller als seine Mittagsgäste.
Im übrigen wird Holteis Mitteilung über den Gegenstand
der Unterhaltung durch folgende Eintragung des Dich-
ters bestätigt: „Zu Mittag ward viel über Paris, beson-
ders das dortige Theater, gesprochen, über Personen,
welche Herr von Holtei näher gesehen.“
Die Unterhaltung selbst war zwanglos, lebhaft.
Holtei redete, Avas ihm in den Sinn kam, ohne Rücksicht
darauf, ob es die Tischgesellschaft interessierte oder
niclit. Nach der Tafel ließ der Altmeister seine beiden
Enkel W o 1 f („das Wölfchen“) und Walter eintreten
und einige Liedchen aus Holteis Singspielen vortragen,
um ihnen am Schluß den jungen Dichter vorzustellen:
„Nun seht euch mal diesen Mann an; das ist der,
der das dumme Zeug gemacht hat!“
Zum Andenken ließ Goethe seinem neuen Freunde
durch Eckermann eine Medaille mit seinem Brustbilde
überreichen, wie er ihm später die Quart-Ausgabe seiner
„Iphigenie“ mit einer herzlichen handschriftlichen Wid-
mung verehrte.
Im Herbst 1827 finden wir Holtei wieder in Berlin.
In sein Vorlesungsverzeichnis hat er diesmal auch
Goethes „Egmont“ und „Faust“ (L Teil) aufgenommen.
Ja, er hatte sich sogar an die Helena-Episode, den ein-
zigen bis dahin bekannten Akt des zweiten Teiles, her-
angewagt. Goethe hatte nicht nur die Berichte über
Holteis Vorlesungen in den Berliner Zeitungen verfolgt,
sondern er hatte auch durch den Kanzler v o n M ü 11 e r
bei dem jugendlichen Rezitator Bericht eingefordert.
In einem sehr ausführlichen Schreiben, d. d. Berlin, den
17. Dez. 1827, preist sich Holtei glücklich, daß er nie-
mals besser gelesen habe, als an den Faust-Abenden;
ein Rezitator sei in günstigerer Lage als ein Schauspie-
ler, denn er habe die Wahl des zu lesenden Stückes, ein
Gegenspieler könne ihm nichts verderben und endlich
habe er die freie Hand, seinen Dramen eine Einteilung
voranzustellen bezw. ein Nachwort an sie anzuknüpfen.
So liabe Holtei in seiner Einteilung zum Faust sich über
das Puppenspiel nach dem alten Faustbuch und über die
Klingemannsche Nachahmung von Goethes Faust aus-
gesprochen, die „zur Schande deutscher Kunst“ auf
allen Bülnien gegeben werde und deren Held „zu einem
tönenden Erz und einer klingenden Schelle, zu einem
wahren „Klingemann“ geworden sei. Die Helena-
Episode nennt Holtei eine „klassisch-romantische Phan-
tasmagorie“, gibt zum besseren Verständnis und Inhalt
an und deutet die Figur des Euphorion, der an seiner
Begeisterung für Griechenland stirbt, las den Lord
Byron.
Der Berliner Erfolg seiner Vorlesungen ermutigte
den schlesischen Dichter, auch vor das Weimarische
Publikum hinzutreten. Er las hier vom 5. Februar bis
zum 18. März 1828 und heimste viel Ehre ein. Am
Abend der ersten Vorlesung bemerkt Goethe in seinem
Tagebuch: „Abends Prof. Riemer, aus der Holteischen
Vorlesung kommend, ingleichen mein Sohn. Beyde
sehr zufrieden“. Während der beiden Monate ist über-
liaupt in Goethes schriftlichen und mündlichen
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