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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 12./​13.1930/​31

DOI Heft:
1./2. Dezemberheft
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Tietze, Hans: Die Pariser Malerschule
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https://doi.org/10.11588/diglit.26236#0114

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Dte Pat’tfet? Matecfcbule

oort

Jians Ttefte — Lütcn

1m Frühling dieses Jahres hat die französische Kunst-
zeitschrift l’Art Vivant im Theatre Pig'alle der
Ecole de Paris eine Aussteliung gewidmet, die die füh-
renden Künstler der heutigen Materei in repräsenta-
tiver Weise vorführen wollte; ob dieser Anspruch auf
höhere Geltung berechtigt war oder nicht — jeder Be-
urteiler wird meinen, daß dieser oder jener Künstler
durch dieses oder jenes Werk noch besser vertreten
gewesen wäre — fällt weniger ins Gewicht. Im
wesentlichen war es doch die Ausstellung, die wir alle
kennen, die in Agram oder Cincinnati, Oslo oder Düs-
seldorf als die französische Malerei von heute und als
das Um und Auf der Kunst der Gegenwart gezeigt
wird. Von diesem bedeutenden Grunde hebt sich die
Erinnerung an die Ausstellung — von einem vom Art
Vivant herausgegebenen Sonderheft festgehalten —
seltsam verdrießlich, beinahe widerwärtig ab. Nicht
als ob sie nicht manches ausgezeichnete Werk mit
Recht geschätzter Künstler enthalten hätte; aber im
Ganzen erlebt die französische Malerei wie die anderer
Länder in diesem Augenblick keine besondere Biüte.
Schwerer noch erdrückt die Ewigkeitspose die Alltäg-
lichkeit; als Ganzes, das die Spitze moderner Kunst-
leistung darstellen soll, gesehen, enthüllt diese Malerei
einen ermüdenden Leergang, über den alle technische
Vollkommenheit nicht hinwegtäuscht. Eine Kunst, die
durch das von ihr rühmlich gepflegte Handwerk völlig
aus der Herrschaft verdrängt wurde, breitet Probleme
von gestern aus, die ihre mühelose Meisterung noch ge-
spenstischer ins Heute stellt. Natürlich ist diese halb-
offizielle Ecole de Paris, die so viele Revolutionäre der
letzten zwei Jahrzehnte in sich aufgenommen hat und
sich immerfort in gleicher Weise weiterentwickelt.
nic'ht der ganze Ausdruck der Pariser Malerei von
heute; neue Lebendigkeit rührt sich immer wieder
unter dieser arrivierten Oberschichte die eine enge
Interessengemeinschaft von Handel, Kritik und Klüngel
der Welt ais die einzig maßgebende oktroyiert.

Diese Schule ist nicht eine Pariser im Sinne natio-
naler Einheitliichkeit. Sie ist im Gegenteil durch die
Weitherzigkeit charakterisiert, mit der sie fremde
Elemente aufnimmt und durch die Kraft, mit der sie sich
diese assimiliert. Daß alles, was einst in Schwabing
als Schlaviner tituliert wurde, sich nun in der einzigen
Metropole der heutigen Kunst mit affenartiger Behen-
digkeit im Lauf weniger Monate in bodenechte Pariser
wandelt, mag uns gleichgiltig sein; Polen, Russen und
Balkaner haben immer besondere Eignung gezeigt,
blitzschnell solchen westlichen Firnis anzunehmen, an
dem zu kratzen gewarnt wird. Was uns aber angeht,
ist, daß ein guter Teil der deutschen Kunstöffentlichkeit
geneigt ist, jenes Monopol anzuerkennen, daß deutsche
Kunstschriftsteller und Kunsthändler bereit sind, die
dort gezeigten Leistungen zum Maßstab allen Schaffens

überhaupt zu machen und das heimische grundsätzlich
geringschätzen, weil es einem in anderen Voraussetzun-
gen bedingten Geschmack nicht entspricht. Nicht
wenige der deutschen Kunstzeitschriften sind wie Ab-
leger der französischen, nur daß sie vielfach nur die
Werke zweiten Ranges bringen; nicht wenige der deut-
schen Kunstkritiker glauben, mit dem aus Pariser
Atelierabfällen zusammengebrauten Geheimmittel einer
esoterischen Qualität alle deutsche Kunst abtun zu
können; nicht wenige der deutschen Kunsthändler
stehen ausschließlich im Dienst der französischen Kunst.

Wenn ich mich dagegen auflehne, so tue ich es
keineswegs von jenem Gesichtspunkte aus, der vor fast
zwei' Jahrzehnten Carl Vinnen und die Seinen zu
Protesten gegen die Ueberschätzung französischer
Kunst veranlaßt hat; ich habe damals den Gegenprotest:
mit unterschrieben und würde auch heute jedem wider-
sprechen, der etwa die französische Kunst für minder-
wertig und unwichtig für di'e deutsche erklären wollte.
Die französische Malerei zählt auch heute eine Reihe
bedeutender Talente; sie zehrt darüber hinaus von der
Nachwirkung der überragenden Meister, die sie am
Ende des vorigen Jahrhunderts zu besitzen das Glück
hatte. Sie hat endlich den unvergleichlichen Vorzug
einer großen und gesunden, konservative und revolutio-
näre Kräfte immer wieder zusammenschließenden Tra-
dition und infolgedessen einen kräftigen Rückhalt, der
der deutschen Kunst mangelt. Und immer gemangelt
hat, weil diese Vorteile der französischen eben in der
ganzen geistigen Struktur Frankreichs allein begründet
sind, deren Stärken und Schwächen die heutige Pariser
Malerschule getreulich wiederspiegelt; ihr wurzelloses
Großstadtum und ihre Naivität, ihre Einheit in der Un-
einheitlichkeit stempelt sie zu einer hauptstädtischen
Lokalschule, die nicht aus Eigenstem schöpft, aber es
in bewunderungswürdiger Weise versteht, die Lücken
in ihrer eigenen Potenz durch fremden Zuzug zu füllen.
Dieses aus lokalen Bedingungen und aus der kulturellen
Situation des heutigen Frankreich entstandene Kunst-
produkt, von Kräften getragen, die nicht so sehr parise-
rische sind, wie sie immerfort pariserisch werden, wird
als die Weltkunst proklamiert, die schlechterdings für
die Erezugnisse anderer Kulturen und Nationen vorbild-
lich und maßstäblich sein soll.

Diese Vergleichung des Unvergleichbaren ist
Sünde gegen den Geist der Kunst, die nicht Befriedigung
eines abgesonderten Kunsttriebes, sondern Ausdruck
einer geistigen Totalität ist. Wenn Kunst aus den tief-
sten Bedürfnissen des ganzen geistigen Lebens entsteht,
wer kann sich erkühnen, französische und deutsche
Kunst aneinander zu messen, wer sich vermessen, die-
ser trotzigen Eigensinn und selbst barbarische Wildheit
als ein Manko anzurechnen, weil sie nicht in das
Schema einer vermeintlich kanonischen Weltkunst hin-

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