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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 12./​13.1930/​31

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1./2. Septemberheft
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Born, Wolfgang: Neues Wiener Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.26236#0030

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IDotfgang Bocn — tDicn

/\/\an hat das Kunstgewerbe totgesagt. Der Zeit-
1" * gei'st, wie er sich in den Gebilden der modernen
Technik manifestiert, vertrage sich nicht mit einer
Gesinnung, die aus einem Dinge des Gcbrauches einen
Ziergegenstand mache. Ganz abgesehen von der Will-
kür, mit der so eine Norm aufgestellt wird, deren
Gültigkeit nicht bewiesen werden kann, und abgesehen
davon, daß in Wirklichkeit das neue Kunstgewerbe täg-
lich an Boden gewinnt, ist der Gcdankengang ungenau
und tendenziös. Die Technik ist selbst nur Ausdrucks-

künstlerisch zu gestalten, nicht erloschen. Im Gegen-
teii, trotz aller gegenteiiigen Versicherungen von der
Schönheit der nackten Zweckform wird es mehr und
mehr Brauch, daß sclbst Fabriken von Baukünstlern
gemacht werden: die ästhetische Bankerotterklärung
dcr Technik kann nicht deutlicher sein.

Schließlich ist das ja selbstverständlich. Der Stati-
ker, der die Formel eines Eisenträgers errechnet hat,
war weit davon entfernt, etwas S c h ö n e s machen
zu wollen, und der Glaube, daß die aus ganz anderen,

Josef Hoffmann, Teeservice aus handgetriebenem Silber, Qriffe aus Schlangenholz. Wiener Werkstätte

form eines Rationaliismus, der allerdings der Gegenwart
sein Gepräge gibt. IJie stärksten Geister der Epoche,
wie Bernard Shaw und Sigmund Freud, haben entschie-
den gegen die Romantik Stellung genonnnen, und ihr
Bekenntnis zu Klarheit und schonungsloser Kritik fand
williges Gehör bei den Menschen der Nachkriegszeit.
Impuls und Glaube hatte versagt. Was blieb, waren
der Verstaud und seine Mittel, waren (im Gegensatz
zur fragwürdig gewordenen Seele) der Körper und
seine Rechte. Als Folge davon wandte die Menschheit
einerseits ihr Interesse der exakten Wissenschaft und
ihrer Ergänzung, der Technik — andrerseits dem Sport
und seinem Korrelat, der Erotik zu. Für die gering
gewordenen metaphysischen Bedüifnisse reichte die
Musik, 'die zu nichts verpflichtet . . . Zweifellos: die
Ansprüche an die Zweckmäßigkeit der Gebrauchsdinge
sind gestiegen. Aber deshalb ist das Verlangen, sie

ökonomischen Ueberlegungen entstandene technische
Form schön sein rn ii s s e , ist ein durch nichts bestä-
tigter Aberglaube.

Aendern wird sich mit der gewandelten Einstellung
zum Leben allerdings der Stil. Wenn ein Gegen-
stand den Menschen von heute formai befriedigen soll,
so muß seiue Gestalt den Geist spiegeln, in dem sich
das Leben der Zeit bewegt. Das heißt in unserem
Falle, daß der Künstler ihn mit dem Ausdruck rationa-
listischen Weltgefühles erfüllen wird. Das ist nun bei-
leibe nicht damit getan, daß man den technischen Her-
stellungsprozeß, daß Cdeßen, Drehen, Pressen etwa für
sich sprechen und die Form von der seelenlosen
Maschine bestimmen läßt. Denn jede Forrn an sich, ob
sie nun durch die Maschine erzeugt ist oder nicht, hat
iliren absoluten Ausdruckswert, und das Mißverhältnis
wäre denkbar, daß ein technisch entstandenes Objekt

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