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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 12./​13.1930/​31

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1./2. Januarheft
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Lübke, Anton: Indisches Kunsthandwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.26236#0155

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Indtfcbes Kunßbandtüeck

oon

Anton LCibke —DCiffetdot’f

enn man das gewaltige indische Land vom Norden
v * der Himalajakette bis hinab zur Perleninsel Cey-
lon durchfährt und nicht allein Sinn hat für die ma-
teriellen kaufmännischen Interessen, die in diesem Lande
lieute überwiegen, findet man neben der herrlichen tro-
pischen Natur auch überall ein unendliches Maß wunder-
voller Kunst, die Verewignug eines kühngewordenen Gc-
dankens in Marmor- und Steindokumenten oder das
Fluidum eines großen Kunstgeistes vergangener Zeiten.

lichen Stempel aufdrückten: die Edelsteinarbeiten und
die Verfertigung von Schmuckstiicken. Wer einmal diese
wundervollen Arbeiten in den Museen von Delhi, Bom-
bay, Kalkutta und Kolombo oder in den delikaten Edel-
stein- und Kunstwarenläden Nord- und Südindiens oder
in Ceylon gesehen hat, der muß sagen, daß das indische
Volk als Formengeber dieser Kunst von allen Völkern
an erster Stelle steht. Keiner würde diese Geduld, jene
liebevolle Pflege, das intuitive Hineinversenkeu in das

Baukunst, Bilderhauerkunst, die Kunst aer Farben-
gebung, die Malerei, die Pracht der Kleider, Edelstein-
arbeiten und Verfertigung von Schmuckgegenständen
hatten seit Jahrhunderten in einem Lande, das wie kein
anderes, so gewaltige Reichtümer an Kostbarkeiten be-
sitzt wie Indien, naturgemäß ihre besondere Pflege und
ilire hohe Blüte, die zwar heute nur einen Schimmer
und eine Erinnerung an einstige große Zeiten iibrig ge-
lassen hat, aber doch den indischen Völkern einen
unverwischbaren Stempel als das Volk von Künstlern
und Juwelieren schlechthin aufdrtickte.

Von großem Nachteil für die Entwicklung der in-
dischen Kunst war die englische Fremdenherrschaft, die
stete Beunruhigung, das Beschäftigen mit sozialen
Fragen, die religiösen Kämpfe und die stete Verarmung
gewaltiger Volksschichten. Wer hat nicht schon von
den wundervollen Geweben gehört, die unter dem Namen
Kashmir und Musseline aus Dakka und anderen nord-
indischen Städten bekannt sind, Gewebe die heute fast
nicht mehr hergestellt werden und von denen alte noch
erhaltene viele tausend Mark kosten oder nnr noch in
Museen zu sehen sitid. So fein und zart sind diese Ge-
webe, daß ein zehn bis fünfzehn Meter langes Stück
bequem durch einen Damenring gezogen werden kann.
Z. Zt. Jehangiers (1605—1727) hat man Musseline her-
gestellt, die 15 Yard lang und 1 Yard breit waren und
nur 58 Gramm wogen. Der Inder verstand es, diesen
feinen Geweben sehr poetische und bezeichnende Namen
beizulegen: z. B. „Abrawan“ (laufendes Wasser), weil
der Stoff, wenn er ins Waser geworfen wurde, kaum zn
sehen war; „Baft Hawa“ (gewebte Luft), weil der Stoff
wenn er in die Luft geworfen wurde, leicht wie diese
war und wie eine Wolke aussah; „Schab nam“ (Abend-
tau), weil er, wenn man ihn naß aufs Gras legte, auf
diesetn aussah wie Perlen des Taus. Von dieser feinen
Kqnst ist heute wenig mehr iibrig. Dagegen ist Indien
iii der Verfertigung von kostbaren Schals, Teppichen
und Tüchern immer noch führend in der orientalischen
Welt, wenn auch die Muster meist kopiert sind und sich
stets in allen möglichen Variationen wiederholen.

In zwei Kunsthandwerken waren die alten Inder,
uicht nur Meister, sondern Ciott begnadete Künstler, die
ihren Kunstwerken nicht nur eine Form, sondern auch
geistige Motive und Ideen gaben, denen sie ihren persön-

L

Eine indische Wasserkaraffe

zu verfertigende Kunstwerk aufbringen, wie ein indischer
Juwelier und Künstler. Uns Menschen des nüchternen
Nordens liegt diese Kunst viel zu fern, sie ist zu kapriziös
und überschwenglich, als daß wir zu ihr in ein rechtes
Beziehungsverhältnis außer das der Bewunderung und
des Staunens kommen können. Das Leben des indischen
Menschen ist eben ein ganz anderes Element, als das
unsrige, das zum größten Teil angefüllt ist mit Nüchtern-
heit und materiellen Dingen, während der Itider sein
Leben umstellt sieht mit den wundervollen Dingen der
Natur und dessen Auge Tag für Tag ein unermeßliches
Maß von Sonne trinkt. Ein anderer Grutid war der, daß

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