Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 12./​13.1930/​31

DOI Heft:
Juli-Augustheft
DOI Artikel:
Vom Schweizerischen Kunstmarkt: Die Berliner Sammlung H. in Luzern
DOI Artikel:
Die Sammlung Rütschi bei Fischer
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26236#0362

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Vom Schweizerischen Kunstmarkt

Die Berliner Sammlung H. in Luzern

Am 1. September dieses Jalires versteigert Pmil Cassirer,
Berlin, gemeinsam mit Theodore Fisclier, Lnzern, die Berliner
Sammlung H., die eine liervorragende Reihe altcr Meister, ferner
eine ungewöhnlichc Serie neuer Meister sowie eine einzigartige
Kollektion au neuer Plastik cnthält. Unter den alten Meistern
ist gleich das erste Stiick (Nr. I) eine Besonderheit: jene
„Madonna mit dein Kinde“ von Rogier van der Weyden, dem
1464 in Brüssel verstorbenen Meister, dessen Werk Max J. Fried-
länder im zweiten Bande seiner Biicherfolge über „Altnieder-
ländische Malerei“ (Yerlag Paul Cassirer, Berlin) gewürdigt hat.
Friedländer nennt hier bloß drei Madonnen, die als Originale
des Künstlers zu bezeichnen sind. Unter diesen ist die Einzel-
tafel der Madonna der Sammlung H. „zarter, später“ als die
Madonna der Huntington Collection in NewYork, dic aber
ebenso wie die Madonna der Sammlung Mancel in Caen die
Hälfte eines Diptychons darstellt. Das wirkungsvolle Bilclnis
eines jungen Ma nnes von Tintoretto fällt, nach A. L. Mayer,
in die Zeit zwischen 1540/1548, und sehr interessant sind zwei
Szenen, die der gleiche Meister aus der Legende des lieiligen
Kreuzes gcmalt hat. Diese Szenen haben den Dreiklang der
7'intorettof'arbe, Weiß, Karmin und Oker. Und in die Epoche
eines Tintoretto ragt nocli die Schaffenszeit von Greco hinein,
dem 1614 verstorbenen Meister von Toledo. ...jesus im Hause des
Simon zu Bethanien“ ist ein ITauptwerk Grecos. Es befand sich
im Besitz des Yiscount d‘Abernon, gehörte einmal zu den
Beständen der Sammlung Stchoukine und hat eine köstliche
Harmonie der Farben, die dem Farbenkonzert des Grecoschen
„Engelskonzertes“ ähnlich sind, das im Juni in der Auktion
Nemes in München von der Pinakothek in Atlien erworben.
worden ist. Aber während dicses „Gastmahl“ (nach Mayer) in
den Jahren 1605 bis 1608 geschaffen sein dürfte, ist Grecos „Der
heilige Franciskus in Meditation“ um 1590 gemalt. Und mit der
Zeit des Greco fällt auch die Blüteperiode des Rubens zu-
sammen, von dem die Sammlung zunächst ein von Ludwig
Burchard bestimmtes männliches Brustbild (1620 bis 1625) be-
sitzt, dann einen „Herkules mit dem Löwen“, der einmal bei dem
Fürsten Lichnowsky in Kuchelna war, und eine „Jagd der
Diana“, die aus der denkwürdigen Sammlung Heseltine (Rem-
brandt-Zeichnungen) in London stammt und von R. Oldenbourg,
dem allzufrüh verstorbenen Neffen Bodes, in seinem Rubensbuch
publiziert worden ist. Eine Allegorie von Rubens’ „Tnspiration“
erklärt Burchard für einen Entwurf zu einer Tapisserie. Er steht
damit im Gegensatz zu dem alten Smith, der in seinem Cata-
logue Raisonne von 1S29 bis 1857 in der Darstellung der Frauen-
gestalt in gelbem Atlas, weißem Schleier und des blonden, der
Jungfrau das Schreibzeug reichenden Engelskindes den Ent-
wurf für einen Kupferstich sah. Mit van Dycks Gemälde
„Betender Jiingling“, den Bode für eine Studie zu dem AVerke
„Christus, die Kinder segnend“ (Sammlung dcs Herzogs von

Marlhorough) erklärte, scliließt die Serie der Meister des
17. Jahrhund erts. Nun kommen wir noch zu jenen des 18. Jahr-
hunderts. Hier interessiert vor allem ein kleines delikates
Franenbildnis von Goya (f 1828) und schließlich noch ein „Mäd-
chen mit roten Schuhen“, das man früher als Arbeit des Goya
ansah, das aber von Hermann Yoss als sicheres Werk des
Franzosen Jan Barbault bezeichnet wird, der bis 1766 zumeist
in Italicn gemalt hat. Auf die Bilder folgen ein paar Zeich-
nungen vou Rembrandt und Daumier.

Die Gruppe der modernen Bilder der Sammlung setzt mit
Daumier ein. „Die Bettler“, dieses koloristisch und menschlich
vertiefte Meisterwerk, kennt man schon aus der Ausstellung,
die 1926 von der Galerie Matthiesen in Berlin veranstaltet
wurde und zum überhaupt ersten Male in großzügiger Art das
Malwcrk des genialen Franzosen vorführte. Ein Tänzerinnen-
pastell von Degas in Gelb, Grün und Rosa fällt daneben auf,
und hierzu gesellt sicli eine Reihe von Renoirs, unter ihnen ein
Mitte der achtziger Jahre gemaltes Mädchenbild von unsagbar
feinem, pastellhaftem Dnft. Ein „Stilleben“ von Paul Cezanne,
das in der Stilleben-Ausstellung der erwähnten Galerie Matthie-
seu (1927) hing, und „Die Badenden“ (Baigneurs au repos), die
einst bei A ollard waren, zählen gleichfalls zu den ITauptstücken.
Eine „Dame beim Friseur“ von Toulouse-Lautrec ist eine kleine
Kostbarkeit. Und plötzlich taucht Edvard Munch auf mit der
impressionistischen „Karl-Johann-Straße in Oslo“ von 1889, die
wir vor vier Jahren in der großen Munch-Ausstellung der
National-Galerie gesehen haben, und mit seinem romantischen,
farbenschillernden Bild „Mondschein“ von 1890. Munchs Szenen
aus Ibsens „Gespenstern“ (1906) vervollständigen die Abteilung
der modernen Bilder, unter denen noch jenes Selbstporträt des
Kokoschka von 1912 aufragt, das 1927 bei Paul Cassirer und
balcl darauf in dem von W. Wartmann geleiteten Zürcher Kunst-
hans ausgestellt war.

Zu den alten und neuen Meistern stößt die Kollektion der
neuen Plastik, ein Besitz, der mit viel Arerständnis zusammen-
getragen worden war. Der große Torso des Alailloll ist hier das
Clanzstück. A on diesem Torso existieren überhaupt nur drei
Abgüsse, Bronzen von Daumier (Ratapoil), von Rodin („Die
AVoge“), von Degas und Renoir bilden eine Insel für sich. Und
die Kollektion der deutschen Bildwerke beginnt mit den LIolz-
skulpturen von Barlach. Unter ihnen ist „Die Hexe“, ist „Die
Barmherzigkeit“ usw. Und sehr bedeutend ist auch die Reihe
der Plastiken von August Gaul mit seinen Pinguinen, Fisch-
ottern, kämpfenden Widdern. Aber selten ist wohl die aus den
Ausstellungen bci Flechtheim bekannte Kleinplastik der Rene
Sintenis mit soviel Liebe gesammelt worden, wie von dem Samrn-
ler II. Schließlich stehen in seinem Besitz auch Werkc von
Kolbe, Haller und de Fiori.

Die Sammlung Rütschi bei Fischer

Die Galerie Fischer bringt dieses Jahr wieder, im Hotel
National zu Luzern, ein umfangreiches Kunstgut zur Auktion,
fiir welche der 18., 19. und 20. August angesetzt sind. Aus
Museumsbesitz des Auslandes, aus scliweizerischen Privat-
häusern und -sammlungen und anderer Provenienz kamen zum
Ausruf: Gemälde alter und moderner Meister, die meisten mit
altem Pedigree. Aus der Liste lieben wir liervor: ein Portrait
von Isenbrandt, eine Anbetung des bedeutenden Meisters della
nativitä di Castello, charakteristisclie Bilder der J. van Ruysdacl,
van Goyen, Ostade, Teniers, van Beyeren, F. van Mieris; Hubert
Robert, J. L. David, Demachy; Ylaminck, Utiillo, Kokosclika,
Hodler. — Das zalilreiclie Mobiliar setzt sich zusammen aus
französischen Kleinmöbeln, besonders Tambourtischchcn, Nieren-

tischen, signierten Fauteuils und Kommoden; ferner aus den
typischen schweizer Möbeln der Gotik bis zum Empire. Die
Textilienkollektion umfaßt Stickereien der Gotik (ein Antepen-
diurn aus dem Kloster Rheinau) und der Renaissance, ferner
Gobelins, Damaste, Brokate uncl Samte der Renaissance und des
Barock: alte Orientteppiche (Jordes, Kula, Capristan). Silberne
Humpen und dekorative Teller zeigen bekannte Marken aus
Danzig, Augsburg, Nürnberg; ihnen schließen sich an: das ge-
suchte schweizerische Silbergerät und französische Gold- und
Emaiklosen. — Drei Turnierrüstungen, eine Sammlung schwei-
zerischer Glasscheiben und eine Kollektion von 700 Finger-
ringen seien ans dem vielseitigen Auktionsgut noch hervor-
gehoben.
 
Annotationen