so ist das seltsanierweise bei dem bedeutendsten Bildner und
Architekten des deutschen Barock, bei Andreas S c h 1 ii t e r nicht
der Fall. Schon aus diesem Qrunde dürfen wir es begrüßen, daß
Benkard im gleichen Verlage nunmehr auch dem deutschen Groß-
meister eine Sonderdarstellung widmet. Etwas Abschließendes
iiber Leben und Schaffen Schliiters darf man hier nicht erwarten;
dazu reicht der bescheidene Umfang des Bandes nicht aus, ob-
gleich fast hundert Werke abgebildet werden. Aber es wird
doch dem Freunde bildender Kunst die Möglichkeit geboten, sich
iiber die wichtigsten Werke des Meisters auf plastischem Qebiete
(die baukiinstlerischen Schöpfungen bleiben, wie bei Bernini, un-
beriicksichtigt) zu unterrichten und an ihnen sich zu erbauen.
Diiener des fiirstlichen Absolutismus am preußischen, polni-
schen und russischen Hofe, in viel geringerem Qrade als etwa
Diirer oder Veit Stoß rein germanischer Art, hat Schliiter sich
weniger u r schöpferisch als u m schöpferisch betätigt in einer
Zeit, und, während der fünfzehn Berliner Jahre, in einem Lande,
das schwer unter den Folgen des Dreißigjährigen Krdeges litt, aber
seine persönliche Bedeutung im großen Gesamthaushalt der euro-
päischen Kunst steht zurück hinter der Berninis, dessen Einfluß
weit über die Grenzen Italdens hinausreichte.
Das von Benkard entworfene Bild des Meisters, seines
Schaffens und seines Lebens, vermag stark zu fesseln. Nicht ohne
tiefe innere Bewegung wird man von dem jähen Umschwung in
seiner Künstlerlaufbahn und von seinem dunklen Ende am Hofe
Peters des Großen lesen.
Idermann Gundersheiimer : M a 11 h ä u s Günt-her. Die
Freskomalerei im süddeutschen Kirchenbau des
18. Jahrhunderts. Dr. Benno Filser Verlag,
Augsburg 1930.
Dem hervorragenden Vertreter der bayrischen Malerei des
Rokoko, Matthäus Günther (1705—88), widmet der Verfasser dde
erste zusammenfassende Monographie, deren großes Verdienst es
ist, durch ausgezeichnete Aufnahmen beinahe aller, oft sehr schwer
zu photographierender Werke Günthers ein Material zu vereinen,
das bei einer Beschäftigung mit dem immer melir in den Vorder-
grund deutscher Kunstgeschichtsforschung tretenden Phänomen
des deutschen Rokoko dn Zukunft stets berücksichtigt werden muß.
Hohes Lob gebührt daher dem Verlage, der das Buch als wahr-
liaft repräsentative Publikation ausgestattet hat.
Auf gründlichen archivalischen Forschungen basierend,
skizziert Gundersheimer das in gewissem Sinne typische Leben
Günthers: sein Herauswachsen aus der Klostertradition, dann
Wanderschaft, Begegnung mdt Connas Damian Asam, dem großen
Barockmeister und Vertreter eines älteren Stdls, in Miinchen und
schließlich die Auseinandersetzung mit italienischen Vorbildern,
zuerst wahrsohednlich in Italien selbst, später in Würzburg, wäh-
rend der dortigen Tätigkeit Tiepolos (1751—52). Das Herausglei-
ten der Kunst aus dem Rokoko wird im Leben Güthers zum Sinn-
bild, als er 1761 zum Direktor der Augsburger Stadtakademie er-
nannt wird. Bald darauf mündet auch Günthers Stil in den Klassi-
zismus ein.
Sehr wesentlich erscheinen die stilgeschichtlichen Konsequen-
zen, die Gundersheimer aus der Entwicklung Günthers zieht. Sie
ergeben eine vollkommene Bestätigung der Thesen, die der Rezen-
sent seinerzeit in der Absicht aufgestellt hatte, das Rokoko erst
einmal als einen selbständigen Stdl zu isolieren und vom Barock
ästhetisch, wenn auch nicht formengeschichtlioh loszulösen.
(Michalski: Joseph Christian. Ein Beitrag zum Begrdff des deut-
schen Rokoko. Leipzig 1926.) Auch fiir Matthäus Günther wurden
bereits entscheidende Beobachtungen in dieser Richtung fest-
gelegt. (Hammer: Dde Entwicklung der barocken Deckenmalerei
in Tirol. Straßburg 1912.) Auf diesen beiden Versuchen fußt
Gundersheimer. Es handelt sich um folgende Entwicklung: Aus-
gehend von der auf Andrea Pozzo basierenden, in Deutsohland
durcli C. D. Asam zur Blüte gelangten barocken Richtung der
Deckenmalerei, die, um absiclitlich ein Schlagwort zu gebrauchen,
einen im Dienste der gegeureformatorischen Kirche, des Jesuitis-
mus stehenden Illusionismus verwirklichte und durch eine oft
schrankenlose Verbindung des gebauten mit dem gemalten Raume
und seiinen Wundern eine psychologische Wirkung auf den Gläu-
bigen ausüben wollte und konnte. Gundersheimer betont, wie
Gtinther in seinen frühen Werken die illusionistische Tendenz oft
nur mit Schwierigkeiten zu verwirklichen vermochte. Jedoch be-
reits in den Fresken von Neustift (1730) und Rattenberg (1737)
wind das illusionistische Bild zum Bühnenbild, was oft durch das
gleichsam regie-technische Motiv eines vor dem Bilde schwebeu-
den Vorhangs unterstrichen wird. Gundersheimer übernimmt hier
den vom Rezensenten für die Reliefplastik des Rokoko geprägten
Vergleich des Rocaillenornaments am Rande der Bildkomposition
lii'it einem Souffleurkasten, um so die Funktion innerhalb einer
Bildbühne anzudeuten. Strenge, distanzierende Rahmung und
reliefartige Schichtung der Koinposition verdrängen allmählich den
barocken lllusionismus. Hand in Hand hiermit tritt der Einfluß
Venedigs (Veroneses, l'iepolos) an die Stelle der römischen Kunst
Pozzos. Auch dies wurde bereits als für das deutsche Rokoko
bezeiclmend von Rezensenten betont. In den reifen Werken Gün-
tliers wird eine grundsätzliche Trennung von gebautem und ge-
maltein Rauin durchgeführt, ein Zug, den zuerst hervorgehoben
zu liaben, Hammers Verdienst ist. (Neustift, Ostteil, 1743. Fiecht,
1743—44 etc.) Die Rahmenform der Fresken wird verbindlich:
in Altdorf (1748) nimmt das Gebälk der gemalten Architektur
in irrealer Weise die Rundform des gemalten Rahmens auf, in
Herrgottsruh (1749) erscheint in der Kuppel eine irdische Be-
gebenheit oline Beziehung zu einer himmlischen Erscheinung.
Landschaften treten hn Plafond auf. Das dekorative Prinzip er-
setzt das illusionistische. Gundersheimer scheint hier eine klassi-
zistische Unbeströmung erkennen zu wollen, ohne daß seine An-
sicht jedoch mit genügender Klarheit hervorträte.
Dem Rezensenten erscheint diese ästhetische Distanzierung
des Bildgeschehens gerade eines der Hauptkennzeichen des deut-
schen Rokoko zu sein, ohne daß allerdings dieses Kennzeichen,
was an anderer Stelle ausführlich nachgewiesen werden wird,
die Verbindlichkeit besäße, die das ästhetische Verhalten früherer
Sülstufen auszeichnet. Im 18. Jahrhundert koinrnt im Zusammen-
liang mit Historizisinus und Relativismus auch in ästhetischer
Hinsicht ein Prinzip auf, das bis zu einem gewissen Grade als
„freie Wählbarkeit“ bezeichnet werden muß. Man vergleiche
liderzu Bernhard Fischers von Erlach „Entwurff zu einer histo-
rischen Architektur“, der 1721 erschien, wo dem Architekten des
18. Jahrhunderts alle historischen Stilrichtungen der Vergangen-
lieit zur Auswahl empfohlen werden.
Der „um die Wende des fünften Jahrzehnts des 18. Jahr-
hunderts beginnenden leJzten Stufe des Rokoko“ entsprechend,
fehlt nun auch in den Werken Günthers jede Beziehung zum Be-
schauer. (Gossensass 1751.) AllmähLich dringen auch in Günthers,
bisher rein religiösem Schaffen, heidnisch-mythologische Ziige ein.
Um 1770 gesohieht tatsächlich der formengeschichtliche Grenz-
iibergang zum Klassizismus (Mentelberg). Die koloristische
Qualität sinkt, die formal bestimmende Gesetzlichkeit der Rocaille
läßt nacli. Das deutsche Rokoko hatte sich vollendet.
M i c h a 1 s k i.
Das „Berliner Tageblatt“ nennt
den „Kunstwanderer“ die „auch im weiten Aus-
land anerkannte Sammler - Zeitschrift.“
Redaktionsschluß für das 1./2. Februarheft 2. Februar. —---Redaktionsschluß für das 1./2. Märzheft: 28. Februar.
Herausgeber u. verantw. Leiter: Adolph Donath, Berlin-Schöneberg. I Verlag: „Der Kunstwanderer“, G. m. b. H., Berlin-Schöneberg.
Redaktion: Berlin-Schöneberg, Hauptstraße 107. — Druck: Pflaume 6c. Roth, Berlin SW 68.
160
Architekten des deutschen Barock, bei Andreas S c h 1 ii t e r nicht
der Fall. Schon aus diesem Qrunde dürfen wir es begrüßen, daß
Benkard im gleichen Verlage nunmehr auch dem deutschen Groß-
meister eine Sonderdarstellung widmet. Etwas Abschließendes
iiber Leben und Schaffen Schliiters darf man hier nicht erwarten;
dazu reicht der bescheidene Umfang des Bandes nicht aus, ob-
gleich fast hundert Werke abgebildet werden. Aber es wird
doch dem Freunde bildender Kunst die Möglichkeit geboten, sich
iiber die wichtigsten Werke des Meisters auf plastischem Qebiete
(die baukiinstlerischen Schöpfungen bleiben, wie bei Bernini, un-
beriicksichtigt) zu unterrichten und an ihnen sich zu erbauen.
Diiener des fiirstlichen Absolutismus am preußischen, polni-
schen und russischen Hofe, in viel geringerem Qrade als etwa
Diirer oder Veit Stoß rein germanischer Art, hat Schliiter sich
weniger u r schöpferisch als u m schöpferisch betätigt in einer
Zeit, und, während der fünfzehn Berliner Jahre, in einem Lande,
das schwer unter den Folgen des Dreißigjährigen Krdeges litt, aber
seine persönliche Bedeutung im großen Gesamthaushalt der euro-
päischen Kunst steht zurück hinter der Berninis, dessen Einfluß
weit über die Grenzen Italdens hinausreichte.
Das von Benkard entworfene Bild des Meisters, seines
Schaffens und seines Lebens, vermag stark zu fesseln. Nicht ohne
tiefe innere Bewegung wird man von dem jähen Umschwung in
seiner Künstlerlaufbahn und von seinem dunklen Ende am Hofe
Peters des Großen lesen.
Idermann Gundersheiimer : M a 11 h ä u s Günt-her. Die
Freskomalerei im süddeutschen Kirchenbau des
18. Jahrhunderts. Dr. Benno Filser Verlag,
Augsburg 1930.
Dem hervorragenden Vertreter der bayrischen Malerei des
Rokoko, Matthäus Günther (1705—88), widmet der Verfasser dde
erste zusammenfassende Monographie, deren großes Verdienst es
ist, durch ausgezeichnete Aufnahmen beinahe aller, oft sehr schwer
zu photographierender Werke Günthers ein Material zu vereinen,
das bei einer Beschäftigung mit dem immer melir in den Vorder-
grund deutscher Kunstgeschichtsforschung tretenden Phänomen
des deutschen Rokoko dn Zukunft stets berücksichtigt werden muß.
Hohes Lob gebührt daher dem Verlage, der das Buch als wahr-
liaft repräsentative Publikation ausgestattet hat.
Auf gründlichen archivalischen Forschungen basierend,
skizziert Gundersheimer das in gewissem Sinne typische Leben
Günthers: sein Herauswachsen aus der Klostertradition, dann
Wanderschaft, Begegnung mdt Connas Damian Asam, dem großen
Barockmeister und Vertreter eines älteren Stdls, in Miinchen und
schließlich die Auseinandersetzung mit italienischen Vorbildern,
zuerst wahrsohednlich in Italien selbst, später in Würzburg, wäh-
rend der dortigen Tätigkeit Tiepolos (1751—52). Das Herausglei-
ten der Kunst aus dem Rokoko wird im Leben Güthers zum Sinn-
bild, als er 1761 zum Direktor der Augsburger Stadtakademie er-
nannt wird. Bald darauf mündet auch Günthers Stil in den Klassi-
zismus ein.
Sehr wesentlich erscheinen die stilgeschichtlichen Konsequen-
zen, die Gundersheimer aus der Entwicklung Günthers zieht. Sie
ergeben eine vollkommene Bestätigung der Thesen, die der Rezen-
sent seinerzeit in der Absicht aufgestellt hatte, das Rokoko erst
einmal als einen selbständigen Stdl zu isolieren und vom Barock
ästhetisch, wenn auch nicht formengeschichtlioh loszulösen.
(Michalski: Joseph Christian. Ein Beitrag zum Begrdff des deut-
schen Rokoko. Leipzig 1926.) Auch fiir Matthäus Günther wurden
bereits entscheidende Beobachtungen in dieser Richtung fest-
gelegt. (Hammer: Dde Entwicklung der barocken Deckenmalerei
in Tirol. Straßburg 1912.) Auf diesen beiden Versuchen fußt
Gundersheimer. Es handelt sich um folgende Entwicklung: Aus-
gehend von der auf Andrea Pozzo basierenden, in Deutsohland
durcli C. D. Asam zur Blüte gelangten barocken Richtung der
Deckenmalerei, die, um absiclitlich ein Schlagwort zu gebrauchen,
einen im Dienste der gegeureformatorischen Kirche, des Jesuitis-
mus stehenden Illusionismus verwirklichte und durch eine oft
schrankenlose Verbindung des gebauten mit dem gemalten Raume
und seiinen Wundern eine psychologische Wirkung auf den Gläu-
bigen ausüben wollte und konnte. Gundersheimer betont, wie
Gtinther in seinen frühen Werken die illusionistische Tendenz oft
nur mit Schwierigkeiten zu verwirklichen vermochte. Jedoch be-
reits in den Fresken von Neustift (1730) und Rattenberg (1737)
wind das illusionistische Bild zum Bühnenbild, was oft durch das
gleichsam regie-technische Motiv eines vor dem Bilde schwebeu-
den Vorhangs unterstrichen wird. Gundersheimer übernimmt hier
den vom Rezensenten für die Reliefplastik des Rokoko geprägten
Vergleich des Rocaillenornaments am Rande der Bildkomposition
lii'it einem Souffleurkasten, um so die Funktion innerhalb einer
Bildbühne anzudeuten. Strenge, distanzierende Rahmung und
reliefartige Schichtung der Koinposition verdrängen allmählich den
barocken lllusionismus. Hand in Hand hiermit tritt der Einfluß
Venedigs (Veroneses, l'iepolos) an die Stelle der römischen Kunst
Pozzos. Auch dies wurde bereits als für das deutsche Rokoko
bezeiclmend von Rezensenten betont. In den reifen Werken Gün-
tliers wird eine grundsätzliche Trennung von gebautem und ge-
maltein Rauin durchgeführt, ein Zug, den zuerst hervorgehoben
zu liaben, Hammers Verdienst ist. (Neustift, Ostteil, 1743. Fiecht,
1743—44 etc.) Die Rahmenform der Fresken wird verbindlich:
in Altdorf (1748) nimmt das Gebälk der gemalten Architektur
in irrealer Weise die Rundform des gemalten Rahmens auf, in
Herrgottsruh (1749) erscheint in der Kuppel eine irdische Be-
gebenheit oline Beziehung zu einer himmlischen Erscheinung.
Landschaften treten hn Plafond auf. Das dekorative Prinzip er-
setzt das illusionistische. Gundersheimer scheint hier eine klassi-
zistische Unbeströmung erkennen zu wollen, ohne daß seine An-
sicht jedoch mit genügender Klarheit hervorträte.
Dem Rezensenten erscheint diese ästhetische Distanzierung
des Bildgeschehens gerade eines der Hauptkennzeichen des deut-
schen Rokoko zu sein, ohne daß allerdings dieses Kennzeichen,
was an anderer Stelle ausführlich nachgewiesen werden wird,
die Verbindlichkeit besäße, die das ästhetische Verhalten früherer
Sülstufen auszeichnet. Im 18. Jahrhundert koinrnt im Zusammen-
liang mit Historizisinus und Relativismus auch in ästhetischer
Hinsicht ein Prinzip auf, das bis zu einem gewissen Grade als
„freie Wählbarkeit“ bezeichnet werden muß. Man vergleiche
liderzu Bernhard Fischers von Erlach „Entwurff zu einer histo-
rischen Architektur“, der 1721 erschien, wo dem Architekten des
18. Jahrhunderts alle historischen Stilrichtungen der Vergangen-
lieit zur Auswahl empfohlen werden.
Der „um die Wende des fünften Jahrzehnts des 18. Jahr-
hunderts beginnenden leJzten Stufe des Rokoko“ entsprechend,
fehlt nun auch in den Werken Günthers jede Beziehung zum Be-
schauer. (Gossensass 1751.) AllmähLich dringen auch in Günthers,
bisher rein religiösem Schaffen, heidnisch-mythologische Ziige ein.
Um 1770 gesohieht tatsächlich der formengeschichtliche Grenz-
iibergang zum Klassizismus (Mentelberg). Die koloristische
Qualität sinkt, die formal bestimmende Gesetzlichkeit der Rocaille
läßt nacli. Das deutsche Rokoko hatte sich vollendet.
M i c h a 1 s k i.
Das „Berliner Tageblatt“ nennt
den „Kunstwanderer“ die „auch im weiten Aus-
land anerkannte Sammler - Zeitschrift.“
Redaktionsschluß für das 1./2. Februarheft 2. Februar. —---Redaktionsschluß für das 1./2. Märzheft: 28. Februar.
Herausgeber u. verantw. Leiter: Adolph Donath, Berlin-Schöneberg. I Verlag: „Der Kunstwanderer“, G. m. b. H., Berlin-Schöneberg.
Redaktion: Berlin-Schöneberg, Hauptstraße 107. — Druck: Pflaume 6c. Roth, Berlin SW 68.
160