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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 12./​13.1930/​31

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1./2. Februarheft
DOI Artikel:
Kubsch, Hugo: Das Modell als Anreger
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https://doi.org/10.11588/diglit.26236#0193

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soviel Natur, wie er irgend konnte, in seine Plastik hin-
überrettete. Als er das Standbild der beiden preußi-
schen Prinzessinnen scliuf, der Kronprinzessin Luise und
ihrcr Schwester Friederike, war er, trotz allen Antike-
sierens, ein recht freudiger Realist, der aber auch von
seinen Modellen in mannigfacher Weise unterstiitzt und
gefördert wurde. Die Prinzessinnen gestatteten ihm so-
gar, die „erforderlichen Maße“ nach der Natur zu neh-
men. Das waren, zum mindesten für Schadow, ideale
Modelle. Schadow war der Ansicht, daß der Bildhauer
bei weiblichen Büsten vor allern Aehnlichkeit mit An-
mut vereinigen solle. Als er die Demoiselle Friederike
Unger modeilierte und sich nur mit ihrem Kopf begnü-
gen wollte, begehrte die Dame „die Arme müßten aucli
dabei sein; so wurde ein Ballen Ton untergebaut und
daraus die Arme geschnitten, gleichsam in einer
Attittide“, setzt Schadow resigniert sachlich hinzu. So
kann das Modell wirksam in den Schaffensprozeß des
Künstlers eingreifen und ihn sogar vom ursprünglichen
Wege ableiten.

Der Künstler ist dem Modell gegenüber nicht immer
so souverän, wie er glaubt; auch der reifste Künstler ist
als Schaffender oft ebenso naiv wie der primitive
Mensch. Denn das ist sein Glück, ist seine Stärke; die-
ses Sich-loslösen-können vom Intellekt. Sonst könnte
es ja gar rricht beim Schaffen zur Vorherrschaft der
Phantasie komrnen. Auch das Vorstellungsleben des
tiberlegenen, von der „Kultur“ bis zum Bersten erfüll-
ten Künstlers ist an eine primitive Gesetzlichkeit gebnn-
den, es lebt, urn mit Worringer zu sprechen, von der
Antithese. Die Phantasie schafft einen Glücksrausch,
in dem aucli die trübste Wirklichkeit ihre eigene zauber-
hafte Helle bekommt und „alles Unzulängliche als schö-
nes Ereignis erscheint“.

Der Künstler bringt, bevor er an die Wirklichkeit
herantritt, bevor er sie als Material anpackt, eine mehr
oder weniger feste, klare, geformte Vorstellung von ihr
mit, ein Ideal, in dessen Grenzen er die Wirklichkeit zu
zwingen versucht. Wölfflin legt einmal in seirren
„Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen“ diese indivi-
duelle Stilverschiedenheit bei gleichem Naturvorbild
klar an Botticelli und Lorenzo di Credi. Beide sind
Florentiner des späten Quattrocento. „Aber wenn
Botticelli eirren weiblichen Körper zeichnet, so ist es
nach Gewächs und Formenauffassung etwas, das nur
ihm eigentümlich ist und was von jedem Frauenakt des
Lorenzo sich so grundsätzliclr und unwechselbar unter-
scheidet, wie eine Eiche von einer Linde“. Bei Lorenzo
di Credi posiert das Modell, bei Botticelli rricht. Ist nun,
so fragen wir, bei Lorenzo das Modell überlegen, drückt
es dem Künstler seinen Willerr auf und lrat, im andern
Falle, Botticelli die stärkere Formkraft, die es ihm ge-
stattet, das Modell unter seinen Stilwillen zu beugen?
Nach Wölfflirr ist auch dem Credi der besondere Fall
der Wirklichkeit kein Hindernis gewesen, in Tritt und
Formenmaß s e i n e Natur zum Ausdruck zu bringen.

Doch die Kunstgeschichte ist voll von anderen
„Fällen“; sie erzählt von so manchem Künstler, der
nicht nur in der Wirklichkeit sein Ideal bestätigt finden

wollte, sondern es von der Wirkiichkeit beeinflussen, so-
gar formerr ließ. Selbst das einzelne Modell kann stär-
ker sein als der Schöpfer, kann ilrn von der eirrmal ein-
geschlagenen Bahn ablenken, kann ilrn produktiv oder
unproduktiv machen oder im günstigsten Falle aus der
Stimmung bringen. Stauffer-Bern äclrzt in eirrem
Briefe: „Ich sitze hier beirn Grafen Harraclr, aber der
Geist des Velasques will nicht kommerr“. Wenn Holbein
sich ein Menschenalter lang im nebligen London auf-
liielt, so war es neben den wirtschaftlichen Vorteilen,
die er genoß, neben dem Rulirn, in dern er sich sonnte,
vor allem der englische Merrsch als eigener Typ, der ihn
fesselte und Einfluß auf sein Sclraffen hatte. Die Wirk-
lichkeit, die Umgebung, der einzelne Menscli, das Modell,
alles kann so umwälzend, so anfvvühlend auf den Künst-
ler wirken, daß es ihn in eirreri wahren Rausclr versetzt.
Die Kunsthistoriker stellen so gern den Rausch des
Schaffens bei Tintoretto fest, als wäre er der erste ge-
wesen, der ihn gekannt hat. Swarzenski betont das
ausdrücklich und er lrat niclrt ganz unrecht damit, denn
Tintoretto kam durclr diesen Schaffensrausch in ein
neues Verhältnis zur Wirklichkeit. Doch sie formte
nicht nur seine Seele, sondern auch er tränkte die Wirk-
liclikeit im Schaffen mit seinem Wesen. In dem Bild
„Susanna im Bade“ liat Tintoretto, angeregt durch den
berauscherrd schönen goldblonden Körper der Frau, die
„Eberie des Absoluten und Objektiven“ völlig verlassen
iiird inr Schaffensrausch ein gut Teil von seinem eigenen
Ich hergegeben.

Von Leonardo da Vinci wissen wir, daß er diesen
Rausch nicht kannte, daß seine Visionskraft ilrm ein
inneres Bild vorhielt, das er mit allen Mitteln der Tech-
nik hinzauberte. Das zufällig vor ilrrn sitzende Modell
war nur Briicke, nur Hilfsmittel zur Manifestation dcs
inneren Schaubildes. Wenn er, wie Vasari erzählt, beim
Malen der Mona Lisa den Kunstgriff anwandte, das
schöne Modell durclr Lautenschläger oder Sänger oder
Spaßmacher bei heiterer Laune zu erhalten, so suchte
er damit natürlich auch einen Zugang zunr Inneren des
Modells und nicht nur das geheimnisvolle, berückendc
Lächeln der Mona Lisa. Durch die Beseelung, die Ver-
innerlichung, die ihn über die Grerrzen der äußerlichen
Natur hinausführt, sclrafft Leonardo auch hier, wie so
oft, mehr Symbol als Wirklichkeit. Leonardo genügte
das Modell nie, auch nicht das, das er zu porträtieren
hatte; er ging, man kann beinahe kühn sagen im Sinnc
Nietzsches, über den Menschen hinaus, um den Ueber-
menschen zu bilden. Das geschieht aber nicht durclr
bloßes Idealisieren und Verschönern, es ist bei Leonardo
einc Korrektur der Natur vom Schöpferischen aus. Als
Leonardo die berrihmte Isabella d’Este gesessen hatte
— die Zeichnung ist im Louvre, das Bild ging ver-
loren — schuf er nach der Porträtzeichnung jenen wun-
dervollen Idealkopf, der in den Uffizien hängt. Das ist
bewußtes Hinausgehen iiber die Natur, ist völliger
Zwang des Modells unter den eigenen Kunstwillen und
unter die Gewalt der schöpferischen Vision. Leonardo
hat diesen Idealkopf dem eigentlichen Vorbild, der
Isabella d’Este, immer vorenthalten. Vielleicht hielt ihn

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