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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 12./​13.1930/​31

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Maiheft
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Biach, Rudolf: Die Magie der Plastik: Vortrag in der Berliner Secession
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https://doi.org/10.11588/diglit.26236#0283

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zusammen und andererseits die Beweg'ungsempfindnn-
gen. — Wenn Sie nun eine Plastik anselien, so ergeben
sieli zunächst Reizungen der Retina; wenn man diese
einzelnen Reizungen sieli vereinigen läßt, so entsteht
im Innern des Beschauers ein Gefiihl, das erweekt
wird dureli den Ausdrnek, den der Kiinstler seinem
Werk gab. Und wenn man nun andererseits die Be-
wegungen zusammengleiten läßt, dann werden diese
Bewegungen sieh naeh einem bestimmten Systeni an-
ordnen. Das Zentrum des Ausdrueks ist das Gesieht.
Die Punkte, in denen die Bewegungen ihren Ausgang
nelimen, liegen in den Fläehen, in denen die Organe
sieh an den Torso ansetzen. Ausdruek und Gliederung
der JVlasse sind in jeder Plastik aufeinander abge-
stimmt, denn Ausdruek ist verkörperte Seele, Gliede-
rung der Masse hingegen beseelter Körper. tndem der
Kiinstler eins mit dem anderen in Einklang bringt,
läßt er Seele und Körper, Geist und Material inein-
andersehwingen, und damit enthiillt er das Jetzte Ge-
heimnis der Scliöpfung. Durcli den Soekel liat der
Plastiker den Beseliauer aus der irdisehen Welt ge-
lioben. Indem er das Material beseelte, braelite er den
Beseliauer mit den kosmisehen Gewalten in Zusammen-
hang; indem er Ausdruek und Massengliederung in
Einklang bringt, wies er auf den Sinn des kosmisehen
Geseheliens. Ausdruek und Massengliederung sind die
beiden Grundmomente der Plastik, die aber selten
gieicliwertig verwendet werden.

Ein Ahnenbogen von den Karolineninseln: Eine
Krümmung bildet Brust und Rumpf, eine andere
Kriimnmng Arme und Beine bioße Formelemente,
Gliederung von Masse.

Eine andere AJinenfigur aus Neu-Mechlenburg: Das
Gesicht ist rot und weiß, der Kopf ist g'Jatt rasiert, das
Ilaar steif wie ein Plalinenkamm. Das Ganze ist dcr
Ausdruek von drohender Kraft.

Eine lieiiige Maske des Bassongestammes, Kongo;
aus demselben PIolz geselinitzt. Solclie Masken diirfen
Jiei diesen Völkern nur Jiergestellt werden, wenn iu
demselben Raum, in dem gearbeitet wird, die ganze
Zeit heilige Zeremonien vollzogen werden. Die PlaJb-
kreise und ZickzaekJinien bedeuten Narbensehmuele,
dureh den die Maske ihre magisehen Kräfte aus-
strahlt. Aus den geseldossenen Lidern seheinen die
Augen liervorzuleueliten. Nase und Mund sind wie
Teile eines Gefiiges, die einer stralilenden elastisehen
Masse.

Eine alte Ahnenfigur aus Nordkamerun: J3ie Weiße
des GesieJits unterstreiclit noeli den Ausdruek. Der
weiße Strich auf dem Rumpf bedeutet die Riehtung,
in der sieli die iiberirdisclie Kraft auswirkt. An der
lieiligen Maske salien Sie, wie die Masse nur Pfalt fiir
den Ausdruck war. Plier sehen Sie, wie der Ausdruck
dient, um die Gliederung der Masse zu verstärken.
Massengliederung und Ausdruek miteinander zu ver-
binden, ist das Grundprinzip der Plastik.

Die „Selireitende“ von Milly Steger: I3ie Aufmerk-
samkeit ist so seharf konzentriert, daß sogar die
Augenlider gespannt sind. Die Vertikale des Iorsos

ist stark betont und unterstriehen dureh dic anliegeii-
den Anne und die stcile Linie des Naekens. Cctragen
wird der Torso von den Beinen, die zu einem Dreieck
auseinanderscliwingen. Gesielitsausdruek und Massen-
giiedcrung sind aufeinander abgestimmt.

Tliorak: Die Fromme: Sie selien, wie der Ausdruck
desGesiclits die Bewegungen bestimmt, wie dieDemut
ini Gesieht sich in den Bewegungen der Arme und
Hände erfiillt. Es gibt eine alte grieehisclie Legende,
in der erzäliit wird, daß einstmals Kinder fragten, oli
die Götter so ausselien wie auf den Bildnissen; da
habe man geantwortet, daß die Künstler die Götter
so geschaut liätten, wie man sie auf clen Bildern selie.
Und in gleichem Sinne sagt Novalis: Das Bild ist dem
Kiinstler Cliiffre, Ausdruck und Werkzeug. Wir
wissen, daß Pliidias fiir seinen Olympisclien Zeus
einen Vers aus llias sieli zum Vorwurf gewälilt liat;
nämlich jenen Vers, in dem erzähit wird, daß Zeus in
seinem Zorn durcli eine Nackenbewegung die Berge
zum Zusammenstiirzen braclite. Für den Grieclien
sind Götter Menselien, die essen, trinken und Jieben
wie wir. Aber Mensclien, die zaubern können. Zaubern
lieißt, die Maclit liaben, der Welt seinen Willen auf-
zuzwingen. Zaubern kann der, der sieli so zu Jiewegen
wciß, daß die Welt seine Bewegungen aufnelimen
muß. Und wenn Pliidias den Zeus darstellt, wie er mit
einer Bewegung des Hauptes Berge stiirzen Jäßt, so
zeigt er uns die Welt, die er geschaut liat, die Welt,
in die er uiis liinaufheben will. Denn die PlastiJc liat
nielit nur iliren eigenen Raum und ilire eigene Zeit,
die Plastik liat auch ilire eigene Welt.

Eine Plastik von Emy Röcler: Sie sehen liier das
lieilige Quadrat nocli verstärkt mit den Armen eine
Diagonale bilden und darübersteil erhoben dasHaupt.

Die Einsteinbiiste von Artur Loeivental"): Ein
weiclies Schwellen geht von den NasenfJügeln um
Mund und Kinn, und dieser Mund maelit den Ein-
druck, als oli dieser Mensch eine iiberirdiselie Musik
Jiören würde. Und so scliarf blicken die Augen, aJs ob
dieser Menscli Sehwingungen messen wollte, die iiliei -
irdische Töne in der irdiseJien Materie liervorrufen.

Sinnesfrolie, daseinsbejahende Völker liaben inimer
eine naturnalie Kunst gehabt; denn sie suc-lien das
Irdiselie, und streben dalier, das Irdiselie in ilirer
Kunst wiederzugeben. Daseinsverneinende Völker
zi'elen darauf ab, dureh geometrische Figuren das
Göttlielie in das Irdisclie herabzuziehen, denn sie
selien iliren Lebenssinn darin, den götllieJien Willen
dem Irdiselien zu verwirklichen. Die Ägypter erbauten
die Pyramiden, die Römer das Kolosseum, Mieliel-
angelo Jiat den Moses, Leonardo da Vinci die Flora
gescliaffen. Ein jedes Volk, ein jeder KiinstJer ruft die
Geister, die ihm verwandt sind. Plato liat in seinem
Staat den Kiinstlern jeden Platz versagt. Dieser merk-
wiirdige Standpunkt erklärt sieli daraus, daß Plato
in Ägypten war, vielleicht aucli ägyptischer Priester

*) Siehe „Der Kunstwänderer“, Mai UJ'SO. Artur Loewental
„Stunden und Tage um Einstein. Wie icli ihn modellierte“.
 
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