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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 12./​13.1930/​31

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Juniheft
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Paris urteilt über Kokoschka / Kunstausstellungen / Kunstauktionen / Romantische Malerei in Deutschland und Frankreich / Der Deutsche Künstlerbund / Aus der Kunstwelt / Ausstellung Nürnberger Malerei von 1350 bis 1450 / Internationale Buchkunst-Ausstellung in Paris 1931 / Zum 30. Todestag Toulous-Lautrecs / Londoner Kunstschau / Der Brand des Münchner Glaspalastes / Neue Kunstbücher / An die jungen Architenten!
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https://doi.org/10.11588/diglit.26236#0322

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F riedrich, Carus, den Olivier, Rottmann; der liebliche Wiener
Schwind. Ihrer aller Wesentliches scheint dem Nachfahren
nicht so sehr das einzelne Werk, das sie geschaffen, als vielmehr
ihr Anteil an der geistigen Atmospliäre ihrer Zcit, einer der
ruhmreichsten deutscher Yergangenheit, deren Auswirkungen
uns unter allen Umständen, in jeder Form von Wichtigkeit. In
Frankreich dagegen findet sich das liöchste, dessen die Rornan-
tik des Landes fähig war, verkörpert in dem Maler Delacroix.
Auf ihn fällt der stärkste Glanz, neben dem die Yertreter der
Dichtkunst, ein Musset, ein Chatcaubriand, selbst ein Yictor
Hugo verblassen.

Nicht anders liegt tlas Yerhältnis bci dein mit dcr Romantik
als Ausgangspunkt und Ccgcnspiel unlösbar verknüpften, daher
auf dieser Schau mitvertretenen Klassizismus: auch hier heifit
die deutsche Parallele zur grofien Figur des Ingres nicht Car-
stens oder gar Genelli, vielmehr Winkelmann. — Nachdcm dies
lestgestellt, ergibt sicli von selbst gerechterc Yertcilung der
Gewichte.

Es entsprach der Schichtung der deutschcn Romantik, dafi
die bildenden Künstler ilire Befehle von den grofien Anregern
der anderen Disziplinen in Empfang nahmen und ihnen nach
Kräften Form zu geben sich miihten. Wie die Schranken
zwischen Wissenschaften und Künsten, zwischen Dichtung und
Malerei, wurden die Grenzen des Yaterlandes von den über-
mächtigen deutschen Theoretikern niedergerissen; die franzö-
sischen Künstler empfingen, wenn aucli rninder bewufit, die-
selben — oder doch verwandte — Anregungen: so wurde
letzten Endes die deutsche romantisch-klassizistische Geistigkeit
in den deutschen und in den französischen Bildern dcr Zeit
gleichermafien zur Gestalt. Bei dieser Verschränkung ist es
kaum verwunderlich, dafi dic Forderungen unserer Theoretiker
nicht selten in Erankreich vollendetere Illustrierung finden
konnten als im cigcnen Lande. Keineswegs ist jedoch das
Yerhältnis schematisch so zu fassen, als hätte Deutschland
durchweg nur die Forderung, Frankreich die Frfüllung gc-
bracht: davor bewahrt die deutsche Kunst sclion die am Anfang
des Jahrhunderts in aller Bescheidenheit ragende Figur Caspar
David Friedrichs.

Auch Friedrich beabsichtigt zunächst etwas Gedankliches:
das Sichtbannachen mystisch-religiöser Begriffe durch das
Medium der Landschaft — doch führt ihn, den wahren Maler,
gerade der fromme Wille, seinen Empfindungen die vollendetste
Form zu geben, zum treuen Versenken in die Natur, zu
neuartiger Beobachtung der Phänomene von Luft und Licht,
cndlich zu einem völlig neuen Zusammenklang zwischen Mensch
und Natur. In der Stimmungs- und Empfindungslandschaft,
dem „mahlerischen Erdlebenbild“ Friedrichs, wic sein Freund
und Deutcr Carus es nennt, fiigen sich bei hochgespanuter
Forderung Wollen und Yollbringen zu glücklicher Harmouie.
Die romantische inalerische Landschaft siegt damit über die
klassizistische — etwa eines Jos. Anton Koch —, der seine
grofigpsehenen, hartkonturierten Heroenwohnsitze treu nach der
Formel des Winkelmannklassizismus baut, dafi „Wesen und
Grundlage der Landschaft plastisch sey“. Friedrich hat, dein
unscligen Mangel an Kontinuität in der deutschen Kunst ent-
sprechend, kcine Schule gegründet, docli finden sich in seinern
Bannkreis ncben Carus der Norweger C. C. Dalil, der Mecklen-
burger G. F. Kersting. Es ist das wesentlich Unterscheidende
zwischen Friedrich, den Seinen und der Mehrzahl der übrigen
Maler der Romantik, dafi er und die Freunde, um ihre Ideen
zu versinnlichen, unmittelbar aus der Natur schöpfcn. währcnd
jene dem Uniweg über die Kunstübung der Vergangenheit niclit
entraten zu können glauben. Der rückwärts gewandte, gleich-
sam antiquarische Zug der deutschen Romantikerkunst ist es
vor allem, der ihr das Mifitrauen des späteren 19. Jahrhunderts
zugezogen und eine sclilechte Notc bei Künstlern wie Kunst-
scliriftstellern des „Naturalismus“ und „Impressionismus“ er-
wirkt hat. In Wahrheit fordern die grofien romantischen Gesetz-
geber, die Friedrich Schlegel, Tieck, Wackenroder, keineswegs
sklavische Nachahmung des zum Ideal erklärten Mittelalters —
etwa wie der Klassizismus Nachahmung der Antike gefordert

hatte: sie erhoffen Wiedererweckung der bildenden Künste
durch ein schöpferisches Hineinleben in die Gesinnungen, wie
in Form, Farbe und Technik der Altcn. „Die Aneignung eines
uicht selbsterworbenen Schönen, sagt Schelling, befriedigt einen
Kunsttrieb nicht, aus dcm das Schöne frei und urkräftig sich
wiedererzeugen soll.“ Die Gerechtigkeit gebietet, festzustellen,
dafi dem hochgesetzten Wollen zunächst in der Tat ein Auftrieb
deutschen Kunstschaffens entspricht. Dcr junge Cornelius,
Overbeck, Fohr, der junge Schnorr zeigen sich der Anreger
würdig. Erst nachdem an die Stellc der niclit ohne Gliick
richtunggebenden deutschen Gotik, des italienischcn Quattro-
cento, die klassische Kunst dcr Renaissance — eine dem Deut-
schen wenig adäquate Norm — getreten war, wird Neu-
schöpfung wirklich zur Nachahmung, dic Bewegung mündet
am Ende in dem Klassizismus, den zu bekämpfen sie ausgezogen.
Trotz aller Ansätze und Bemühungen liegt die Frfüllung des
grofien Romantikertraums eines Wiederauflebens der Yergangen-
lieit auf dem Gebiete der bildenden Kunst in Frankrcich, in
dcm Werk Eugene Delacroix. Wenn Delacroix auch seiue Yor-
bilder anderen Epochen entnimmt, ist dic Art, in der Rubens,
Tizian durch ihn neu erblühcn,. ganz im Sinne der grofien
Theorie: „Wir müssen die Kunst auf ihrem (d. i. der Alten)
Weg, aber mit eigcntümlicher Kraft wiedererschaffen, um ihncn
gleicli zu werden“ (Schelling). In der Yereinigung der geistig
bedeutenden Inhalte mit liöchster sinnlicher Schönheit des
Malwerks, des Furors der Auffassung mit weiser Bändigung
der Komposition ist Delacroix in der Tat den grofien Alten
gleichzusetzen: sein Werk bedeutet Zentrum und Mafistab
romantisch-malerischen Schaffens. Wenn wir, nach Deutschland
zurückblickend, eine Leistung gleicher Höhe auf den roman-
tischen Lieblingsgebieten des Aneignens, des Neuformens ver-
gangener Werte suchen, kommen wir, wieder die Grenzen von
Malerei und Dichtkunst übertretend, auf' den deutschen Shake-
speare Schlegels, auf „Des Knaben Wunderhorn“.

Verkörpert Delacroix den romantischen Künstler kat’exochen,
fügt sich der ein Jahr früher geborene Corot nicht ohne Mühe
in den romantischen Zusammenhang — eines der allzuvielen
Beispiele, bci denen die Astrologie der reinen Generations-
beziehungen bedenklich versagt. Wenn Corots Wesen — in
Wahrheit so wenig in begriffliche Formeln einzufangen wie die
Natur selbst — durchaus mit einem Schlagwort gefafit werden
soll, scheint klassisch eine bessere Kategorie als romantisch.
Corots Werk steht da, ohne Programm, ohne Problematik, voll-
endet wie die Welt am letzten Schöpfungstage. Nach der litc-
rarischen Parallelerscheinung suchend, kommen wir über die
Romantik hinaus direkt zu Goethe und müssen uns nur mühen,
die schlichte Gestalt dcs Pere Corot nicht durch dic über-
mächtige Nachbarschaft zu bedrücken. Es ist — wenn wir es
vorsichtig wenden — in der sachlich treu berichtenden, geheim
dichterischen Darstelhmg Italiens in Corots Frühwerken ctwas
von Goethescliem Geist, ebenso in seinem elementarischcn Be-
leben des AIls mit gleichsam realen Naturwesen. Und kcine
kunstvollc Definition vermag Corots Art so glücklich zu be-
zeichnen wie der Wunschsatz Goethes: „Die Klarheit der An-
sicht, die Heiterkeit der Aufnahme, die Leichtigkeit der Mit-
tcilung, das ist es, was uns entzlickt.“ Es ist danacli vielleicht
trotz allem kein Zufall, wenn nns gerade zu Corot, der in seiner
problemlosen Harmonie dem deutschen Kunstwollen des früheren
19. Jahrhunderts am wenigsten zu entsprechen scheint, in
Deutschland eine Reilic von Parallelen begegncn — Goethesche
Reminiszenzen, in der bildenden Kunst sonst als literarisch
klassizistisch gefürchtet, mögen sich in dieser glücklicheren
Form versteckt erhaltcn haben. Von deutscher Produktion
kommen insonderheit den frühen Landschaften Corots erstaun-
lich nahe: der Münchener Rottmann, der Berliner Blechen, von
kleineren Gestalten ITorny, Rohden, Dillis, Schirmer.

Die historische Treiie gebietet, zu berichten, dafi den Zeit-
genossen keineswegs Corot als die schlechtliin zentrale Figur
der „Schule von 1850“, der Gruppe der sogenannten Barbizon-
meister erschien; sie legtcn Th. Rousseau, vor allem J. F. Millet

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