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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 12./​13.1930/​31

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Juniheft
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Paris urteilt über Kokoschka / Kunstausstellungen / Kunstauktionen / Romantische Malerei in Deutschland und Frankreich / Der Deutsche Künstlerbund / Aus der Kunstwelt / Ausstellung Nürnberger Malerei von 1350 bis 1450 / Internationale Buchkunst-Ausstellung in Paris 1931 / Zum 30. Todestag Toulous-Lautrecs / Londoner Kunstschau / Der Brand des Münchner Glaspalastes / Neue Kunstbücher / An die jungen Architenten!
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https://doi.org/10.11588/diglit.26236#0328

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suchung in den Gesamtbereich kulturhistorischer Betrachtung
gezogen. Die Yerfasserin dringt bis zu den Ursprüngen vor und
kommt dabei zu dem Ergebnis, daß ein arkadisches Ideal schon
fünf Jahrhunderte früher poetisch gedeutet und im 17. Jahr-
hundert als Stilideal verwirklicht worden ist.

Hinter Watteaus Bildern steht das alte Kollektivideal eines
arkadischen Lebenstraumes. Doch Watteaus fetes galantes sind
nicht Fortsetzung, sondern Uberwindung des pastoralen Genres
und dadurcli gerade Gestaltung einer idealen, arkadischen Wirk-
lichkeit. So kommt die Yerfasserin zur Ablehnung der allge-
meinen Herleitung der Bildgattung der fetes galantes aus den
Idyllen und Gesellschaftsbildern Hollands. Es scheint sinnvoller,
,,die geistige Inspiration dieser kultiviert schwelgerischen Liebes-
feiern in der gesellschaftlichen Tradition Frankreichs zu suchen
und einzusehen, daß Watteau ,nur‘ die besondere Bildform für
ein altes, ästhetisch - sensualistisches Gemeinschaftsideal ge-
schaffen hat, das vor ihm seine künstlerische Erfüllung in der
galanten, pastoralen und mythologischen Poesie gefunden liatte“.
— Es wird also die Entstehung einer geistesgeschichtlich und
literarisch uralten, nur für die Bildkunst neuen Gattung dar-
gestellt, ihre Blüte und Yollendung im Werk Watteaus. Bei einer
solchen Betrachtungsweise können dann auch „neue Beiträge
zu der dahinterstehenden Person“ erschlossen werden.

Um die Bedeutung des formal und stofflich neuen Bildtyps
der fetes galantes in der französischen Kunst zu klären, in der
bis jetzt die heroischen Ideale des Louis XIV. galten, werden
interessante Untersuchungen über die Malerei der Akademie
gerade in ihren nicht offiziellen Äußerungen und Auflockerun-
gen angestellt, über die Spiegelung der neuen Tendenzen in der
Theorie und gerade einmal die oppositionellen Triebkräfte inner-
halb des Stils Louis XIY. isoliert. Aus diesen formalen Bruch-
stellen werden die Ansätze zum Werden des Stils Regence, dem
Watteau angehört, aufgedeckt und damit eine Yorstellung ge-
geben, „welches frühere Kräftespiel die Möglichkeit seines Er-
scheinens — natürlich nicht die Erscheinung selbst — hervor-
gebracht hat“.

Doch das Thema der fetes galantes hängt bei Watteau nicht
von dem Inlialt der Darstellung und der Kostümierung ab, son-
dern es kommt auf den „unterlegten Sinn“ an. Es ist in den
Frühwerken Watteaus, die verschiedenen Gattungen angehören
(Soldatenbilder, Modestiche, Arabesken), eine Gemeinsamkeit des
Gestaltungsprinzips spürbar, so daß die formalen und inhalt-
lichen Tendenzen der fetes galantes schon hier vorweggenom-
men scheinen; die Darstellung liistorischer Ereignisse wird in
stilles, fast gesellschaftliches Beisammensein umgedeutet. —
Solche fein ertasteten Merkmale, die nur zum Teil der formalen
Analyse angehören und einer inhaltlichen Deutung bedürfen,
exemplifiziert die Yerfasserin an den verschiedensten Beispielen,
z. B. Frühbildern in Chantilly.

Es folgen dann außerordentlich interessante Kapitel über die
von der Literatur inspirierten und ihrerseits auf die Literatur
zurückwirkenden Lebensformen und die verschiedenen Arten
gesellschaftlicher Bildungen im 16. und 17. Jahrhundert, die
eine Beziehung zu dem Thema haben. Als wichtigste Daten sind
zu nennen: 1607 das Erscheinen des 1. Buches der „Astree“ von
Honore d’Urfe als die erste literarische Gestaltung eines Avahr-
haft arkadisclien Ideals durch die. französische Poesie, und 1608
die erste gesellschaftliche Verwirklichung des Astree-Ideals in
den mondänen Zusammenkünf'ten einer geistigen Auslese im
Hötel de Rambouillet. — Fundiert durch eine eminente und ge-
schickt ausgewertete Kenntnis der französischen Literatur ge-
lingen der Yerfasserin solche Aufdeckungen von Prinzipien, in
denen Kunst- und Lebensformen zusammentreffen. Hier liegen die
Höhepunkte der Untersuchung von M. Eisenstadt, die eben
darum auch zu ganz anderen, viel tiefer liegenden Resultaten
kommen kann, als jede nur für formalistische Probleme inter-
essierte Arbeit. Und auch das noch ist wichtig, herauszufühlen,

wie sicli das arkadische Ideal für Watteau offenbart, die Unter-
schiede des Stimmungsgehaltes etwa gegen die heroischen Pasto-
ralen Poussins. Denn der Gegenstand pastoraler Malerei ist viel-
deutig und oft selbst schon „Abbild eines Geformten und Stili-
sierten, Reproduktion einer künstlichen Welt“. Doch Watteaus
fetes galantes, die auf Hirtenkostümierung meist verzichten,
sind ganz epikuräisch-genießende Yision, „eine verzauberte
Landschaft des höchsten, vollkommenen Glücks“. Dadurch ver-
lieren Watteaus Pastoralen den traditionell idyllischen Cha-
rakter und scliafl'en jene dritte Sphäre eines Watteau-Bildes, die
die Yerfasseriu „das arkadisch-gesellscliaftliche Zwischenreich“
nennt.

„Die Form aber, in der sich das ästhetische Ideal mit den
Wünschen des Lebens begegnen kann, ist seit dem Ende des
14. Jahrhunderts gegeben; durch die Liebesgesellschaften. In
ihnen ist das arkadisclie Ideal am deutlichsten offenbart: Sub-
limation der vitalen Triebe, vitale Sättigung der rein ästhe-
tischen Sehnsucht; Schaffung jener dritten Sphäre, die alle
direkte sinnliche Beglückungsmöglichkeit des wirklichen Seins
mit der idealen Yollkommenheit des sc-hönen Seins verbindet.“

Eür die rein kunstliistorische Forschung sind die Kapitel über
die wenig bekannte französische Landschafts- und Genremalerei
des 17. Jahrhunderts interessant, außerdem die neue Wertung
Gillots, die Behandlung der akademisclien Lehrer Watteaus, L. de
Bonllogne und Antoine Coypel, deren Einfluß auf Watteau durch
Übernalime von Bildideen bewiesen wird, schließlich noch der
Hinweis auf Berührung mit Formelementen des Carracci-
Kreises. — Wertvoll ist im Anhang ein eingehender Exkurs über
die Quellenscliriftsteller Watteaus und das Stichwerk Julienne.
Dei' inzwischen, 1929, erschienene 1. Band des Dacier-Vuaflart
(bearbeitet von Jacques Herold und A. Vuallart) könnte bei einer
Neuauflage ergänzt werden. Dieser Band enthält Notizen und
archivalische Dokumente von 1677 (Valenciennes an Frank-
reich) ab.

Bemerkenswert ist schließlich noch, wie Probleme aus hete-
rogenen Gebieten in einem gepf'legten Stil klar aufgerollt werden,
mit einer Eindringliclikeit der Sprache, die auch für die diffi-
zilsten Gefülilssituationen eine ungemeine Präzision und Treff-
sicherheit hat und auch dem stimmungshaften Zauber und dem
„ambiente“ jener schwebend-traumhaften Bilder gerecht wird.



An die jungen Architekten!

Aufruf der Novembergruppe

Es ist offenbar, daß ein Abschnitt in der gesamten Kunst-
entwicklung erreicht ist, insofern, als statt Unterscheidung nach
äußeren Merkmalen eine Wertung nach der liefe einsetzt. Wie
alle neue Erkenntnis immer gleichläuft mit einer Neubildung
des Schaffens, so muß sich auch diese in der künstlerischen Ge-
staltung von heute ausdrücken.

Die Novembergruppe hat schon A-or einem Jalirzehnt die ent-
scheidenden Kräfte der Generation gesammelt und damals ins-
besondere neue Architektur getragen und zur Klärung gebraclit.
Sie sieht den Augenblick gekommen, die inzwischen zu einer
neuen Klärung drängende Lage in der Bauwelt wiederum durcli
Sammlung der entscheidenden Kräfte festzustellen, da die
Novembergruppe keiner Richtung, sondern nur der Tatsache der
Entwicklung selber dient.

Sie riift darum hiermit die junge Architektengeneration auf,
Arbeiten von jeder richtungmäßigen Einseitigkeit freier, über-
zeitliclier Art einzureiclien, und zwar bis zum 1. August 1931
an die Geschäftsstelle, Berlin W 55, Schöneberger Ufer 31, in
kleinsten Formaten, möglichst Fotos, wonach dann über Aus-
wertung durch Ausstellung oder sonstige Publikation entschieden
werden kann. Riickgabe wird bis zum 13. September zugesagt.

Redaktionsschluß für das Juli-August-Doppelheft 12. Juli.-Redaktionsscliluß für das Septemberheft 31. August.

Herausgeber und verantw. Leiter: Adolph Donath. Berlin-Schönebcrg. / AYrlag: „Der Kunstwanderer“, G. m. b. H., Berlin-Schöneberg.
Redäktion: Berlin-Schöneberg, Hauptstraße 107. — Druck: Buchdruckerei Gustav Ascher G. m. b. H., Berlin SW 68.

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