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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 12./​13.1930/​31

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Juli-Augustheft
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Kubsch, Hugo: Die von Montparnasse
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https://doi.org/10.11588/diglit.26236#0344

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Cescliichte das Leben des Malers abläuft, dokumenta-
risch oder niclit, wie es schicksalhaft mit dem kleinen
Ladenmädel, der Malerin I laricot Rouge verknüpft
war, wie er an der zarten Prinzessin Laurence zu-
grunde ging; denn die Handlung, die einfach und un-
kompliziert und docli immer noch spannend verläuft,
deckt sich in vielen Ziigen nicht mit dem wirklichen
Leben Modiglianis. Der Yerfasser will „synthetische“
Persönlichkeiten formen. Wichtig ist für ihn, dab sie
die Ziige ihres Milieus tragen; daß es die Leute von
Montparnasse sind, die in der Rotonde, gegenüber
dem Cafe du Döme zusammenkamen, die Zeit tot-
schlugen, disputierten, Kaffee tranken, ihr Elend zu
vergessen suchten, sicli gegenseitig stülzten und hal-
fen, vor allem aber den leidenschaf tlichen Kampf um
die neuen Ideen ausfochten: um den Kubismus. So
rauß neben Modigliani Picasso in dieser Geschichte
auftauchen, Picasso, das überragende Haupt des
Kubismus, und Derain muß da sein, der große Ein-
same, der an der kubistischen Bewegung vorbei-
gegangen war und trotzdem von der ganzen Schule
geehrt wurde. Modrulleau-Modigliani erinnert sich
eines Besuches, den er in düsteren Stunden des Zwei-
fels bei Derain gemacht hat. Modigliani ist ein lieim-
licher Ketzer und liaß.t die Religion des Kubismus und
Derain malt, wie die großen Meister der Vergangen-
lieit „mit einer unverholenen und klaren Sensibilität4’.
Aber Modigliani achtet diesen „Fabrikanten von
Meisterwerken“ docli nicht besonders. Derain ist ein
Schweigsamer, er trägt im Atelier eine alte Matrosen-
iniitze mit der Inschrift: „Es ist verboten, mit dem
Steuermann zn sprechen!“

Aus allen Ländern der Erde hat sieli das Sammel-
bec-ken, die Rotonde, mit Künstlern gefiillt. Die
Russen und die Amerikaner sind zahlenmäßig über-
legen. Mancher lebt hier in Paris im Elend, ist vom
Zauber der Stadt, ilirer herrlich silbrigen Luft be-
rauscht und hat keine Sehnsucht danach, in seiner
Lleimat ein geruhsames Bürgerleben zu führen. Die
meisten ringen und kämpfen um das bißchen Brot,
machen die niedrigsten Arbeiten, opfern sich für die
Knnst. Modrulleau arbeitet wie ein Schwerarbeiter
fiir den Kunsthändler, der die gute Witterung für die
Ausmiinzung des begnadeten Talentes hat. Wie ein
Handwerker der vordürerschen Zeit fühlt sich der
Maler; von seinem Kunsthändler sagt er: „Er bezahlt
mich wie einen Arbeiter. Das Übrige, den Traum be-
zahle ich mir selber.“ Interessant ist ein zweitägiger
Besuch in Rom, wo Modrulleau bei dem Leiter des
berühmten Diaghilew-Balletts wieder einmal mit
seinem Freund Picasso zusammentrifft. Modrulleau ist
erschiittert und verwirrt durch Picassos Wandlung.
Ein Bild Picassos, ein Halbakt „rosig und bräunlich,
mit feinen und klaren Linien“ verblüfft ihn. Aber der
Kubus ? stottert er, und Picasso pfeift ihn an: „ja,
glaubst du denn, daß ich fiir die Leute der Rotonde
male, bist du verrückt ? Sie sind noch immer auf dem-
selben Punlct stehengeblieben. Kommen sie noch
immer nicht aus ihrem Dreck heraus?“ Und Modrul-

leau-Modigliani beschwört Raffael herauf und hofft
auf den Raffael von morgen, und Picasso tröstet ihn:
er wird komrnen und verficht dabei die These, daß es
wesentlich ist, „das zu malen, was wir mit dem Herzen
sehen und nicht das, was wir mit dem Yerstand
schauen.“ Und der andere, der kaum an den Ernst
dieses Bekenntnisses glanben will, wird von Picasso
belehrt: „Raffael ist doeh der befreite Carpaccio ...

Foujita in seinem Atelier
Mit Genehmigung des Paul Neff Yerlages, Berlin

Mit einem leichten Eußtritt hat er die Geometrie ab-
geschüttelt, die Schule, den Schmerz, in dem Michel-
angelo ihn erzeugt hat. Er schwebt in reinen, wolken-
losen Sphären.“ Oder Strawinski, der auch zugegen
ist, stellt fest, daß es in der Musik solch ein Beispiel
nicht gibt: „Beethoven hat sich von Bachs Auffassung
nicht freimachen können. Er bleibt deutsch, oline
spontan zu sein. Wir stellen Mozart und die ersten
Italiener noch immer iiber alle anderen, weil sie wie
die Primitiven in der Malei’ei spontan sind, denn spon-
tan sein, ist die einzige Wahrheit in der Kunst. Ich
schmiede noch und bin nur unbewußt spontan.“ Und
Diaghilew bekräftigt das: „Es gibt keine Theorien,
es gibt nur Individuen.“

Also: wie fiir Ingres, so ist aueh fiir diese Künstler,
für diese Grtibler, Spintisierer, Experimentierer und
Hungerleider Raffael allein der Gott? Der Kubus,
sagt Modrulleau, ist in meinem Hirn tot, so wie er in
meinem Herzen tot war.

AVenn Modrulleau es mit seiner Haricot Rouge im
kalten, kahlen Atelicr nicht mehr aushält, dann kom-
men sie in die Rotonde, wo auch Kisling, Foujita und
 
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