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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 13 (1. Aprilheft 1902)
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Schultze-Naumburg, Paul: Kulturarbeiten , [15]: Kirchen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0032

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romanischen Fundamenten stehl, wie sehr viele ihrer Nachbarinnen, da
ich ihr Jnneres nicht gesehen habe. Anzunehmen ist es, ivenngleich auch
hier die durch lange Zeiten gleichbleibenden Ueberlieferungen noch weit
über die Zeiten der einzelnen Stilblüten hinaus wirkten. Von Schmuck-
formen ist hier nirgends die Rede. Und doch.... Man besehe mein
kleincs Bild, und man wird wissen, was ich sagen möchte.

No. 28 ist aus unseren Tagen. Jch glaube, das soll märkische
Gotik sein. Hätte der Erbauer sich darauf beschränkt, recht genau und
liebevoll eine alte märkische gotische Kirche nachzubilden — nun, wir
hättcn wenigsteus eine gute Kopie von etwas Gutem. So aber glaubte er,
die Sache durch Zurührung seines eigenen Senfes zu verbesseru. Vor
allem mußte ja freilich „stilvoll" gebaut werden: sogar aus die Mauer
hat die Gotik abaefärbt. Die Gotik? je nun, eine Gotik, die allerdings
nur in dcn Bauschulen als Berufsgeheimnis der „Architekten" spukt.
Man vergleiche dagegen das anstündige Mäuerchen auf Abb. 28. Frei-
lich, wenn für solche Tummheiten Geld verzettelt werden soll, ist's immer
da, wenn aber ein Haus Zicgel statt Pappdach bekommen soll, dann
— ,ja, Sie begreifen, dcr lcidige Geldpunkt. . . !" Und wie tot ist
diese Baugewerkschulkirchc! Keine Linie lebt, keine Verhältnis ist em-
pfunden, es ist alles nur Zirkel und Lineal. Man vergleiche die neuen
guten Kirchen, die wir abbilden, mit dieser neuen allgemein landes-
üblichen Sortc, um zu sehen, daß auch hier nicht ctwa nur das Alter
dic Poesie, das Leben verleiht.

Abb. 29 zeigt eine Kirche aus rein romanischem Unterbau. Aber
alle solgenden Zeiten haben an ihr fröhlich weitergebaut, wie's in ihnen
üblich war, und es geht doch köstlich zusammen. Alle Anbauten und
Flickereien bildcn hier mit dem Grundstock ein Ganzes — beneidenswert
das Dörfchen, das diese Kirche besitzt! Abb. 30 zeigt uns dagegen
eine Kirche, an deren Platz noch vor kurzem ein entzückendes Kirchlein
stand, bis eincr kam und sagte, es müsse unbedingt vergrößert und
„verschönert" werden. Als man fertig war, sah die Bcscherung so
aus, wie wir's zeigen. Jst's cin schlechter Bahnhof, ist's eine schlechte
Turnhalle? Baukasten-Gotik ist ebcn für allcs gut, kommt ein Kreuz
drauf, nennt man's Kirche.

Auch Abb. 3j und Abb. 32 sind lehrreich. Die erstere zeigt eines
jcncr ganz schlichten Portale, wie sie so manche Kkapcllchen haben, das
andere cin Portal in jener Engros-Gotik unsrer Regierungsbauten. Das
erstere vcrdankt nicht dem Ruin und auch nicht dcr Anwesenheit meines
braven Hundes Wolf seincn Reiz, sondern lediglich seinen Formen, die
gcnau so schlicht und anständig dreinsahen, als das Ganze funkelnagelneu
ivar. Die Thür von Abb. 32 wird auch in hundert Jahrcn noch genau
so würdelos aussehcn, wie heut. Daß cs Fälle gibt, wo man Gotik
kopieren muß, haben wir oben besprochen. Nur darf man sie dann
nicht so schlecht kopieren. paul Schnltze-Naumbnrg.


I. Aprilbeft zyoe
 
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