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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1902)
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Bartels, Adolf: Julius Grosse
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0274

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Jn der That, als Lyriker ist er am stärksten und als Lyriker wird
er am längsten leben. Leider habe ich die Sammlung seiner „Gedichte"
hier in meinem Schweizer Kurorte nicht zur Hand und kann dies nicht
im einzelnen nachweisen, aber die älteren Leser des Kunstwarts werden
sich noch der Auswahl erinnern, die im Jahre s898 zu Grosses 70. Ge-
burtstag hier erschien (Kw. XI, s^s), und selbst die jüngsten haben das
Gedicht von der Sehnsucht gelesen, das neulich erst unter den „Uebungen
im Gedichtlesen" (Kw. XV, sö, S. sO^) abgedruckt war und so für die
übrigen seine Stimme erheben kann. Sehnsucht und Wolken, Liebe und
Strahlen, Erinnerung und Wellen — und dabei ein fortrcißender Klang.
Das ganze Leben steckt in dem kleinen Stück. Nirgends bricht die un-
mittelbare Empfindung Grosses mächtiger hervor als in seiner Lyrik,
seine Phantasie führt ihm Bild auf Bild zu, sein Temperament ergibt
den ganz eigenen Schrvung seiner Versc, der doch nicht Rhetorik wird.
Leidcr haben wir noch nicht die abschließende Sammlung seiner Lyrik
— die am meisten verbrcitete Auswahl von Paul Heyse versieht es,
glaub ich, insofern, als sie alles zu Zyklcn ordnet, die dann ermüden.
Vielleicht wird jemandem einmal Gelegenheit, eine Auswahl der Werke
Grosses, die er selber in seinen letzten Jahren sehnsüchtig wünschte,
herauszugeben, und da müßte man denn die „Gedichte" und das
Episch-Lyrische der Sammlung „Episoden und Epiloge" chronologisch
zu einem abwechslungsreichen Bande ordnen. Ueberhaupt würde
diese Auswahl, wenn keinen großen, doch einen starken Poeten
offenbaren, und wenn nicht das große Publikum, doch einen
engeren Kreis lebhaft interessieren. Grosse trug viel in sich, und wenn
nicht alles herausgekommen ist, so lag das zu einem Teil auch an der
Zeit, die für seine Gaben wenig Verwendung hatte. Seiner literarischen
Stellung nach gehört er bekanntlich zu den Münchnern, ist sogar lange
Zeit einer der Hauptvorkämpfer der Schule gewesen, aber doch hat er
ausgeprägt besondere Züge, erinnert als großer Phantasiemensch und
gewaltiger Stofffinder an seinen thüringischen Landsmann Otto Ludwig,
nur daß er dessen bei aller Phantasie doch vorhandenes nahes Verhält-
nis zum Leben und seine realistischen Gaben nicht besaß. Vielleicht kann
man ihn, da Ludwig bekanntlich kein Lyrikcr war, als dessen Ergänzung
bezeichnen, und Thüringen, dessen zweitgrößter Dichtcr er wohl ist, hat
alle Ursache, ihn nicht zu vergessen. Auch seiner Thätigkeit als General-
sekretär der Schillerstiftung soll man rühmend gedenken: cr hat die
schwere Stellung mit großer Hingabe ausgefüllt und/keinen glühenderen
Wunsch gehegt, als die Stiftung immer mehr ihrer idealen Aufgabe
nahekommen zu sehen: allen berufenen Dichtern und Schriftstellern das
Lebenslos nach Kräften zu erleichtern. Adolf Bartels.

Aunstwart
 
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