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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 18 (2. Juniheft 1902)
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Batka, Richard: Neue Bücher über Wagner
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0278

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ms in allem! Ganz besonders seien hervorgehoben im crsten Bande:
„Zur Dramaturgie des Lohengrin/ „Wagners Bühnengenie," „Die
Kunstlchre der Meistersinger," „Richard Wagner in seinen Schriftcn,"
„Wagners Verhältnis zur Religion." Jm zweiten: „Regensburger
Kirchenmusik," „Händels Herakles," „Schumann und die Neudeutschen,"
„Eine Marschnerfeier." Jm dritten, inhaltlich etwas ärmeren, wenigstens
die Bayreuthartikel. Auf eine Erörterung des Einzelnen kann ich mich
bei der Vielartigkeit des Jnhalts leider nicht einlassen. Gewiß hätte
Seidl noch mehr in der Kürzung seiner Artikel, in der stilistischen Aus-
seilung und Säuberung vom Ephemeren thun können, gewiß irrt er im
Streben nach dem „höchsten Glück der Erdenkinder" darin, daß er oft
das „Persönliche" schon für „Persönlichkeit" hält, gewiß berührt es selt-
sam, wenn er die (im übrigen so gehaltvollen) Briefe Hauseggers an
ihn samt allen Elogen und Höflichkeitsformeln wiedergibt, gewiß kann
er einen mit seinen Begriffsklitterungen, gelegentlichen Kalauern und dem
famosen „langen Atem" mitunter zur Verzweiflung bringen, aber —
nehmt alles nur in allem: so liegt der Wert dieser Aufsätze doch darin,
daß sie zu einer denkenden und gewissenhaften Betrachtung der Kunst
anleiten. Man gewinnt bei ihrer Lektüre durch dcn unwillkürlich sich
regenden Widerspruch oft mehr als durch das Ergebnis, das sie einem
darbieten, denn es wird nicht versucht, durch gesuchte Geistreichigkeit und
stilistisches Brillantfeuerwerk die Sache selbst vergessen zu machen. Jch
wiederhole: unsere Wege gehen auseinandcr, aber als ehrlicher „Wahr-
heitsucher" und „Bekenner" wiegt mir doch der eine Scidl drei Dutzend
ästhetisierender Akrobaten und Schönredner auf.

Ueber den „Kern der Wagnerfrage" hat Paul Marsop* eine
Flugschrift erscheinen lassen, die wie immer durch dic geistreiche Schreib-
weise und das lebhafte Temperament des Verfassers besticht. Da Mar-
sop meiner Person in sehr schmeichelhafter Weise gedenkt, möchte ich, um
deu Schein der Lobbrüderei zu vermeiden, hier das hervorheben, womit
ich nicht einverstanden bin. Marsop hat seinerzeit im Kunstwart das
Ziel der modernen Kunstpflcge so festgestellt: „Man beschrünke sich im
Konzertsaale darauf, das Andenken der klassischen Meister zu ehren, gebe
auch ein und ein andermal jüngeren Tonsetzern Gelegenheit, ihre Technik
ebendort lernend zu überprüfen, wende aber das beste Teil der verfüg-
baren Kräfte fernerhin an die Pflege des musikalischen Dramas." Mein
Gefühl stimmte Marsop damals nicht ganz zu, doch fehlte mir die Hand-
habe, ihn zu widerlegen. Heute glaub ich, sie zu besitzen. Die Vor-
herrschaft einer Kunstgattung läßt sich nicht dekretieren. Denn was
helfen die besten ästhetischen Gründe, wenn die spezifischen Talente fehlen?
Es war einer der schönen Jrrtümer Wagners, daß er die seltenen Geistes-
gaben, die ihn auszeichneten, auch bei den Mitmenschen voraussetzte, daß
cr sich einen normalen Menschen ohne den Blick für das Gestaltensehen,
für das Dramatische, gar nicht vorstellen konnte. Aber auf diesen Jrr-
tum eine folgenschwere Theorie zu gründen, die unsere Künstler ohne
Rücksicht auf die besondere Art ihrer Begabung zum dramatischen Schaffen
förmlich nötigen wollte, wäre gefährlich. Goethe sagte einmal zu Ecker-
mann, der geringste Aiensch könne komplett sein, wenn er sich innerhalb

* Paul Marsop. Der Kern der Wagnerfrage. Museumskunst oder Bühnc
der Lebenden? (Leipzig, E. F. Steinacker.)

Aunstwart

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