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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

DOI Heft:
Heft 20 (2. Juliheft 1902)
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Avenarius, Ferdinand: Gutes Deutsch
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0367

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Gutes veutsck.

Kürzlich flog wieder einmal ein Vögelein im deutschen Blätter-
walde von Baum zu Baum, das sang so seltsam, daß alle darüber
lächelten. Das Vöglein war ein vornehmes Tier, und war doch nicht
das erste seiner Art, dem es gleichermaßen erging, das Vöglein war ein
königliches Oberlandesgerichts-Urteil. Jmmer so von Zeit zu Zeit greift
man eines dergleichen aus, setzt es ins nächste Tageblatt aus, von dem
slattert's weiter, ist eine Zeitlang bald da bald dort zu hören, und wo
man's hört, da freut man sich.

Aber es kommen auch Leute, die ärgern sich seiner. Und sie
fragen: woher stammt das niederträchtige sogenannte Deutsch, das dies
Tier uns in die Ohren wirft? Sie erwidern sich selbst: es ist ja klar,
wcr hat es denn ausgebrütet? Von den Juristen stammt's! Wie, hallt
die Antwort, ihr wagt es, unser Singetier zu schmähen, hört ihr denn
nicht, wie der Blätterwald selber mißtönig rauscht, in dcn ihr's gesetzt
habt? Zeitungsdeutsch, gibt es was schauderhafteres als das Zeitungs-
dcutsch, das schon vor zweihundert Jahren der alte Stielcr bejammert
hm? Das gibt's schon, sagen die Journalisten, auch abgesehen von
Eurem — ihr braucht nur hinten die Jnserate bei uns zu lesen, für
die wir nicht verantwortlich sind, von den Familienanzeigen über all
die Kauf- und Wohnungsangebote weg bis zu den Stellengesuchen, in
denen man mit sf. Refferenzen per sofort Kondition sucht. Beim Kauf-
mannsdeutsch mit und ohne Schwung — in der That, da einigt man
sich wieder. Besser ist ja das Schulmeisterdeutsch, es besteht nicht aus
Wind, es besteht zumeist aus dauerhaftem Papiere. Es ähnelt schon
dem Gelehrtendeutsch, das ja so hochberühmt ist von Alters her — nur
daß man den Ariadnefaden bei sich haben muß, der, ans Eingangswort
gebunden, wieder an die srische Luft führt. Wir freilich, meinen die
Geistreichen, wir sind doch andere Leute, von uns solltet ihr, Gelehrte,
das Elegantschreiben lernen: tragt den Kopf nicht oben, stellt euch drauf,
so hat er was solides unter sich, und wenn ihr dann mit den Bcinen

Kunstwart

2. Iuliheft 1902

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