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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 24 (2. Septemberheft 1902)
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Friedrichs, ...: Schulgesang fürs Leben
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0585

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Ganz so rasch wie bcr den „Reitersleuten" geht's freilich in der
Schule nicht, und mit der Art solchen Gesanges dürfte man dort auch
nicht zufrieden sein. Aufs Vorsingen kommt es zunächst an. Der Lehrer
braucht kein Gesangskünstler zu sein, wenn er es ist, um so besser. Die
Technik des Gesanges indeß muß er beherrschen. Die Geige ist ein
kümmerlicher Ersatz der Menschenstimme, doch ist sie in der Hand des
geschickten Lehrers ein wichtiges Hilfsmittel immerhin. Ein Lehrer jcdoch,
der im Seminar ein oder zwei Dutzend Volks- und andere Lieder singen
und auf der Geige spielen gelernt hat, ift für einen Gesangunterricht,
wie wir ihn auffassen, allerdings noch nicht ohne weiteres tauglich.
Gänzlich unmusikalischen Leuten eine cinklassige Dorfschule anzuvertrauen,
ist eben ein unverzeihlicher Fehlcr.

Der Gesangunterricht ist eher den ethischen als den technischen
Fächern zuzurechnen. Technische Mittel sind Atem-, Ton- und Stimm-
bildung, Ausdrucksmittel: Takt, Rhythmus und Deklamation. Ein Ge-
sangstück richtig zu phrasieren ist so leicht nicht und mißlingt selbst
manchem Künstler. Nichtige Phrasierung sctzt richtiges Atemholen vor-
aus: das midcrwärtige regelmäßige An- und Abschwellen des Tones
ist das Gegenteil von guter Deklamation. Will der Lehrer ein Lied
zum Einüben vorbereiten, so hat er zunächst den musikalischen Höhepunkt
aufzusuchen. Diesem ist alles übrige unterzuordnen. Selten sind mehrere
Gipfelpunkte von gleicher Hühe. Beethovens „Kennst du das Land" cr-
reicht dicse Höhe bei den Worten „es stürzt der Fels und über ihn die
Flut." Sein „die Himmel rühmen des Ewigen Ehre" erreicht sie ganz
zum Schluß, bei den Worten „als ein Held," der zugleich tonisch am
hüchsten liegt. Löwes Ballade „Heinrich der Vogler" hat zwci solcher
Gipfcl, bei den Worten „Unsern Herrn" und noch einmal bei dem mar-
kigen „'s ist deutschen Reiches Will'." Auch hier gilt das Suchet, so
werdet ihr finden. Wer's nicht kann, muß es lernen, oder er taugt nicht
zu diescm Amt.

Daß den Lehrer die Vorbildung, die er zu seiner Arbeit vom Se-
minare mitbringt, solchen Forderungen gegenüber im Stiche lüßt, ift be-
greiflich. Der Gesang darf im Seminar nicht länger als technisches
Nebenfach betrachtet werden. Es handelt sich um Lebensfreude und noch
den cinzigen Kunstgenuß ungezählter Tausende. Wir veranstaltcn Volks-
konzerte und Schülerkonzerte, sehr schöne Dinge, — die aber genutz-
fähige Zuhörcr voraussetzen. Sie recht genießen zu können, ist das Ziel,
nicht das Mittel der Kunsterziehung. D)as Kind muß lernen, in der
Klavierbegleitung mehr als bloße harmonische Unterlage seiner Sing-
stimme zu hören. Es wird erfahren müssen, daß der Tondichter ihm
noch mehr zu sagen habe, als sich durch Wort und Melodic sagen
läßt, und daß er dieses durch seine Begleitung sagt. Das darf man
aber dem Kindc nicht ctwa vorsagen, damit es solche Weisheit altklug
nachplappere. Dic Kinder müssen es selbst finden. Meine Kinder, ich
meine meine Schülerinnen, hörten in den Akkorden unter den Worten
„Wer trägt der Himmel unzählbare Sterne" das Rauschen des dunklen
Meeres, über dem fich der Sternenhimmcl spannte. Andere das nächt-
liche Rauschen des Waldes. Adolf Bernhard Marx vernahm in diesen
Tönen „das ferne Rauschen dcs Mcercs dcr Ewigkeit."

Aunstwart

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