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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 24 (2. Septemberheft 1902)
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Lichtwark, Alfred: Festrede: gehalten in Nürnberg bei der Jubelfeier des Germanischen Nationalmuseums
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0593

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sichten, aber doch mehr in instinktmäßiger Ahnung ferner Zicle und Zwecke.
Tausend Versuche wurden angestellt und aufgegeben. Wie es damit im Ein-
zelnen verlaufen ist, können wir heute noch nicht oder nicht mehr sagen, denn
über die Geschichte des Museumgedankens, der noch etwas ganz anderes ist
als seine Erscheinung in der Thatsache des Museums, sind wir noch durch keine
Sonderuntersuchung aufgeklärt. Wir konnen nur sagen, daß vom Museum gilt,
was das Gesetz aller menschlichen Einrichtungen ist, es war bald mehr, bald
weniger, aber nie genau das, wofür es gerade gehalten wurde. Für die
Weiterführung der Aufgaben, die dem Museum gesteckt sind, wäre eine Ein-
sicht in seine Entwicklung nicht ohne Gewinn.

Dunkelheit, wenn wir zurückblicken, Dämmerung auf dem Wege vor uns,
nur daß wir doch schon in großem Schattenriß das Wesen der Aufgabe, die
unser harrt, vor uns sehen. Es ist dis organische Eingliederung des Museums
in das gesamte nationale Bildungswesen, mit dem es bisher nur hie und da
zufällige Berührungspunkte hatte, aber keine lebendige Verbindung eingegangen
war. Diesem elementaren Entwickelungsproblem gegenüber treten alle Fragen
über die Lösung der Museumsgrundrisse, die wissenschaftliche oder künstlerische
Anordnung der Gegenstünde in zweite Linie, da sie ja im lctzten Grunde von
der Beantwortung der Kernfrage abhüngen.

Ein Volk ist umso stärkcr, je mehr Empfindungen und Gedanken in allen
Herzen und allen Küpfen lebendig sind, je mehr von den großen nationalen
Werken nnd Thaten als allen gemeinsamer Besitz gefühlt und geliebt werden.
Wir können nach außen keine Kraft üußern, die wir nicht in uns besitzen.
Jeder Einzelne muß die bildende Kraft und den Willen der Edolsten seines
Volkes in sich wirksam fühlen. Das gibt im Jnnern den festen Boden, auf
dem sich alle Glieder des Volkes verstehen und eins fühlen, und nach auhen
das starke Bollwerk, das das Volkstum bewahrt.

Mit diesen Forderungen gemessen, kann der heutige Zustand unserer
nationalen Bildung uns nicht das Gefühl der Beruhigung gcwähren.

An der Erkenntnis und Auswahl dessen, was den gemeinsamen Bildungs-
gehalt unseres Volkes auszumachen hat, werden bewußt oder unbewußt —
und besser bewußt als unbewußt — wie die historische Forschung, so auch die
historischen Museen mitzuarbeiten haben.

Nicht zuletzt daS Germanische Museum, dessen Name schon Programm
ist, das in einer Zeit tiefer Niedergeschlagenheit von mutigen Männern ge-
gründet wurde, um unser Volk die Erkenntnis der Kräfte zu lehren, die bei
seiner kulturellen Entwicklung an der Arbeit gewesen sind. Es liegt etwas
von einem dunklen Zauber in dem Namen allein. Selbst der Ungebildete, der
den Vorhof des Germanischen Museums betritt, fühlt sich geheiumisvoll berührt
von einem Hauch, der von fernen Urquellen hcrüberwcht.

Und wenn wir fragen, was den weitschauenden energischcn Begründern
und Entwicklern des Germanischen Museums bis auf unserc Tagc die opser-
willige Hülfe des ganzen deutschen Volkes gesichert hat und ferner sichern wird,
so müssen wir die Antwort in der nationalen Jdee suchen, die sein Name ausdrückt.

Das Gcrmanische Museum, wie es nun über alle Hoffnung köstlich vor
unseren Augen steht, darf zugleich als ein Geschenk der deutschen Fürsten
und des deutschen Volkes an die Stadt Nürnberg gelten. Und wir müssen
uns heute sagen, daß, als unter den deutschcn Städten die Wahl der Ve-
schützerin dcr vaterländischen Anstalt getroffen wurde, ein Gefühl für das
Ziemende die Männer bewegt hat, die endgültig für Nürnberg stimmten.

Aunstwart

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