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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1930)
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Böhm, Hans: Geschichte, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0154

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Band eine dankenswerte Gabe des Herausgebers und des Verlages; ich zweifle
nicht, daß er viele Freunde finden wird, besonders unter Geschichtslehrern, Germa-
nisten und Altphilologen.

Stellt diese Publikation einen Abschluß wissenschastlicher und nationaler Arbeit
dar, die bis ,'n die Tage unserer Humanisten zurückreicht — sie zuerst haben, nach der
Wiederentdeckung des Tacitus, sich an Roms Freveln entrüstet und an der Jdeal-
gestalt des starken und unverdorbenen Germanen erbaut ^—, dars demgemäß dieser
Tluellenband auf das vorbereitete Jnteresse weiker Kreise, nicht zuletzt der Jugend
rechnen, so werden zwei weitere Bände dieser Sammlung solches Jnteresse erst
einem verbreiteten Vorurteil oder Gegengesühl abkämpsen müssen. Jn der
„Christlichen Frühzeit Deutschlands" bringt Timerding die Quellen der Chri-
stianisierung DeutschlandS in Gestalt der Lebenügesthichten seiner Bekehrer; der
erste Band gilt der irischen und sränkisthen Mission deS 7. und 8. Jahrhunderts, die,
außer resormeristher Tätigkeit im Westsrankenreiche selber, die ostsränki'sthen, bairi-
schen und alemannisthen Gebiete ersaßt hat; von den Helden der zwölf Biographien
nenne ich als bekannteste Columban, GalluS, Kilian, Emmeran, Pirmin. Jm zwei-
ten Bande erstheinen die angelsächsisthen Bekehrer, die etwa ein halbes Jahrhundcrt
später einsetzen und aushören: ihr Werk ist die Christi'am'sierung der Friesen und
Sachsen, die um 800 im Rohen vollendet ist; der Bedeutendste und weltgesthichtlich
Wirksamste dieser Gruppe, Bonisatius, ist ja unserem Bewußtsein noch ganz gegen-
wärtig. Diese zwei Jahrhunderte, welche eine Reihe germanischer Stämme dem
Frankenreich und dem römisthen Christentum unterwarfen, sind als die Wehenü-
und Geburtszeit des deutsthen Volkes von besonderer Wichtigkeit; gleichwohl kann
man nicht sagen, daß sie in der allgemeinen Vorstellung eine entsprechende Rolle
spielten. Die hier vorgelegten Heiligenleben könnten in dieser Hinsicht einen Wandel
vorbereiten helsen, sreilich unter zwei Voraussetzungen. Einmal dars der Leser sich
nicht an dem erbaulichen Ton und der primitiven Schwarz-Weiß-Kunst der geist-
lichen Biographen ärgern oder über den noch nachlebenden Stil der antiken Rhe-
torik die Nase rümpfen. Und zum andern: das poctisth rührselige Germanenbild der
alten Romantik („Ratbod der Friesenherzog") oder das krasse Wunsthbild der
blonden Bestie aus Nietzsches naturalististh erneuerter Romantik muß sich der ge-
neigte Leser verbieten. Hier ist nichts zu bedauern und zu retten; welche eigentüm-
lichen Werte auch das germanisthe Heidentum, bei uns und anderwärts, erzeugt haben
mag (eS wird vielleicht einmal in anderem Zusammenhang davon zu sprechen sein),
in dieser Weltenstunde war es aus unserem Boden in heilloser Zersetzung, und alle
guten Geister des Fortsthritts sind mit den heldenhaften Männern, die unsern Gauen
das Licht einer mensthlichen Gesittung gebracht haben. Die Mühsale und Ge-
sahren dieses BekehrungswerkeS werden in den mancherlei Visionen und Wundern
vi'elleicht stilgemäßer vergegenwärtigt als in rcalististher Erzählung — an der es
natürlich nicht fehlt; ja, gelegentlich schimmern kleine Züge von unersindbarer Echt-
heit durch das reichliche Gold späterer Übermalung, so daß wir etwa den wunder-
lichen Polterer Columban in einem tragisch-spaßhasten Zwist mit seinem Schüler
Gall sehen, den er im Verdacht hat, einer unerlaubten Vorliebe sür das Fischen zu
frönen. Das hochgespannte WillenSleben dieser Herrschernaturen — sie entstam-
men ja durchweg dem Hochadel — kommt in solchen Episoden hübsch zum Ausdruck;
der Einsatz solcher Kräste war nötig, um Mitteleuropa an den Strom antiker und
christlicher Gesittung anzuschließen. — Der HerauSgeber hat nichts unterlassen,
um durch Einleitung und Vorreden m diese sremde Welt einzuführen; und so möchte
man hoffen, daß manche dieser verehrungswürdigen Gestalten unü künftig bekannter
werden — es ,'st nie zu spät, seiner Väter gerne zu gedenken. Daß außer solchem
Gewinn geschichtli'cher Besinnung auch sonst noch manche Ausbeute zu sinden ist
in dieser seltsamen Dämmer- und Zwischenwelt, brauche ich nichk zu versichern.

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