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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1930)
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Böhm, Hans: Geschichte, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0155

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Icchannes Bühlers „D e u t s ch e V e r g a n g e n h e i t" ist jetzt mit ihrem neunten
Bande zum Abschluß gekommen (Jnsel-Verlag): Bände von bis 600 Seiten,
von denen etwa 7Z bis IHO aus Einleitung, Anmerknngen und Register entfallen;
16 Taseln, meist Nachbildungen seltener Miniaturen, sind jedem Buche beigegeben,
einzelnen auch Karten. Bevorzugt ist die Kulturgeschichte, die bis IZ00 gesührt
wird, während die politische mit dem Ausgang der Stauser schließt und mir bei
der Behandlung des Deutschordens und der Hansa eine gewisse Ergänzung ersährt.
Diese Beschränkung, deren Gründe deutlich sind, ist immerhin doch bedauerlich, und
man möchte wünschen, daß Verlag und Herausgeber sich zu einem weiteren, sünften
Bande der politischen Reihe entschlössen, der die staatlichen Dinge gleichsalls bis
aus Marimilian I. bringt: von ihm bis zurück zu „Urvater Rudols" sind genug Ge-
stalten und Begebnisse, die man in dieser Sammlung unwillkürlich erwartet: ich
nenne nur die ersten Habsburger, den politisch und kulturell bedeutenden Karl IV.,
die Kämpfe der Eidgenossen mit Österreich und Btirgund — die zugleich das Bild
bäuerlichen Lebens im späteren Mittelalter wünschenswert abrunden könnten. Doch
soll mit diesen oder ähnlichen Anständen der Wert der Leistung Bühlers nicht an-
getastet werden, die vielmehr hohe Achtung verdient. Neun Bände sind nicht viel
— ein Werk, wie etwa die Ziminernsche Chronik, ist umfangreicher, und es kam
darauf an, das Bedeutende und Typische in der Auswahl zu betonen, ohne der
Buntheit und Mannigsaltigkeit der Ereignisse und Zustände zuviel abzubrechen.
Das ist, glaube ich, richtig getrossen, und während der einfache Leser sich an den „Ge-
schichten" ergötzt, werden dem tieser interessierten genug Mittel gegeben, „Geschichte"
kennen zu lernen. Von Ariovist zu Theoderich, Geiserich, Totila, Teja, Gelimer,
von Chlodwigs Greuel- und Großtaten zu Karl, von den Ottonen bis zu Mansred
und Konradin, die Heiligen und die Ritter, die Bürger und die Bauern, die Ketzer
und die Mystiker, Sagen und Schwänke — wie kurzweilig und reich ist es, sich
in dieser Schau- und Ehrenhalle deutschen Lebens und Schicksals umzusehen, dies
tausendjährige Epos der Nation in den Wortcn der jeweils Lebenden zu hören: ich
bin geneigt, im Erlcben dieses Menschlichen den Hauptreiz des schönen Werkes zu
erblicken.

Wer einmal cine altdeutsche Chronik selber lesen will, greise zur L i m b u r g e r
Chronik, die wegen ihres Jnteresses sür Kulturhistorischeö immer berühmt war;
man wird sreilich gerade an ihr sehen können, wie dürstig der Stoss und wie eng
der Blick eines mittelalterlichen Geschichtsschreibers gemeinhin ist.

Zwei anderc Reihenunternehmen scheinen berufen, Bühlers schöne Sammlung wert-
voll zu ergänzen. Da sind die „B ü ch e r des M i t t e l a l t e r s", die von der
Leyen bei Bruckmann mit einer Anzahl erster Fachmänner herausgibt. Hier ist der
Ton aus die Sagen- und Märchsnwelt deS Mittelalters gelegt. Die Legende von
altchristlicher Zeit an vergegenwärtigt in guter Auswahl und Einsührung Goswin
Frenken; Märchen, Schwänke und Fabeln auS ganz Europa ein besonders starker
Band, den Tegetthoss besorgt. Friedrich Ranke zeigt die Verzweigung der Tristan-
sage von der — vermuteten — Urform über die sranzösische und deutsche Epik
(Oberg, Beroul, Thomas, Gottsried) bis zum Pro>aroman des späteren Mittel-
alters und zur isländischen Ballade; Terte mit nebenstehender llbersetzung erlauben,
die „Handschrist" der verschiedenen Dichter aus der Nähe zu sehen. Eine bisher
nur dem Romanisten zugängliche Welt vermitteln Schwartzkopsss künstlerische Über-
tragungen lateinischer, altfranzösischer und nnttelenglischer Lieder, Epen und Prosa-
texte aus dem 7. bis iZ. Jahrhundert: der wundervolle Band ist geradezu ein Abriß
mittelalterlichen Fühlens, wie es im Widerstreit und Einklang barbarischer Jnstinkte
und heiliger Vorbilder seinen dichterischen Ausdruck gefunden hat; an dem Rolands-
lied, dcn Epen um Wilhelm von Aquitanien und anderen Kreuzzug- und Vasallen-
epen wird die wichtige Rolle öeutlich, die Frankreich bei der Ausbildung des ritter-
 
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