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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1930)
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Böhm, Hans: Geschichte, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0156

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lichen Geistes gespielt hat; die spätere Prosa zeigt seine nicht minderen Verdienste
um die r e a l i st i s ch e Ersassnng der Welt nnd läßt den Vorsprung erkennen,
den Frankreich in dieser Hinsicht znm Beginn der Nenzeit uns gegenüber besaß. —
Jn dieser universalistischen, das ganze mittelalterliche Enropa (nnd Asien!) er-
sassenden Absicht der Sammlnng sehe ich ihr größtes Verdienst; in der Tat ist ja,
damals wie hente, jede isolierte Betrachtung nationaler Entwicklungen künstlich und
irreführend. Um so bedauerlicher ist es, daß das schöne Unternehmen ins Stocken
geraten zn sein scheint; hossen wir, in ein nur vorübergehendes, und wünschen wir,
daß die ungewöhnlich gut, mit zum Teil sarbigen JTkiniaturen ausgestatteten nnd
sehr billigen Bände eine Ausnahme sinden, die dem Verlag gestattet, die weiter ge-
planten Bücher herauszubringen.

Hier wäre auch der vierte Band der „Frühgermanen-Reihe" zu nennen, in dem
Ludwig Wolsf die „Helden der Völkerwanderungszeit" in Geschichte und Sage
gegenüberstellt — eine sesselnde Arbeit aus der Nachsolge Andceas HeuSlers,
dem das Buch gewidmet ist. Seine Dermutung von dem untragischen Auögang
des ursprünglichen Walthariliedes hat mich nicht überzeugt.

Ein ganz anderes Mittelalter, das der „H eiligen und Helde n", wollen die
aus Biographie und Ubertragung zusammenwachsenden schmalen Bände Wolsram
von den Steinens erneuern. Sie wenden sich nicht an das wie immer geartete Wis-
senSbedürsnis, sondern an den Willen deS Lesers, der sich an dem Bild oder Wunsch-
bild der Vergangenheit entzünden soll. Kurz, es sind Beispiele dessen, was Nietzsche
als monumentalische Historie gekennzeichnet hat, und es ist ja kein Zufall, daß
ein Schüler von Friedrich Wolters, ein Jünger Georges diese Standbilder einer
Zelt ausrlchtet, in der er Leib und Slnn enger verbunden und weiser zusammen-
wirkend glaubt, als das späteren Tagen vergönnt gewesen. Der Wert solchen
Unternehmens liegt auf der Hand, seln Mü'ßliches hat Nietzsche ins Licht gesetzt;
man empfindet in dieser Hinsicht, nicht zusälligerweise, besondere Beklemmung bei
dem Leben Ottos des Großen, das, ohne Belgabe von 'Reden, Staatsschristen oder
Briesen (da diese sehlen), nur heroislerende Darstellung und Lobrede ist, sast kann
man sagen: Legcnde. Aber wenn, beispielsweise, das Wirken seiner Gegner, auch
eines Friedrich von Mainz, nicht verständlich gemacht wird als Ausfluß gleichsalls
berechtigter Kräfte und Anschauungen der Zeit, so droht selbst der Kamps und
Triumph des Siegers seine Bedeutung zu verlieren. Wenigstens — so scheint mir —
sür unö, die wir, zwischen dem srüheren Mittelalter und einem vielleicht kom-
menden stehend, noch zu scharf, vielleicht zu kurzsichtig spähen, als daß unS ein
neu gemachter Mythos restloö beglücken könnte. — So viel sei an grnndsätzlichen
Bedenken angedeutet; im cinzelnen wird ein kritischer Leser noch manches anzu-
merken haben, immer aber die Auöeinandersetzung mit diesem eigenwilligen Welt-
bild sür einen Gewinn halten. — Als älteste Gestalt wird, in aussührlichem
Lebensbild und 2^ Briefen, Karl der Große vergegenwärtigt; als Probe der Aus-
sassung und der Sprache diene der Schluß der Darstellung: . Manch andere

Gestalt steht unö näher und sagt uns darum mehr; manch anderer Heros soll uns
auch größer erscheinen. Aber von allen Vergangenen uennen wir Karl den norm-
haftestcn Deutschen. Kaiser Otto der Große ist wohl reicher an Schicksal, Kai'ser
Friedrich der Zweite durch seinen Dämon bezaubernder und einsamer erhaben; und
der Königlichste unter den Geistigen, Goethe, ist unS in allem der wichtigere Weiser,
die klarere Gestalt. Aber wie keiner von ihnen zeigt Karl die Einheit von Befehlen
und Bilden, von Blutsaat und Lebenssaat. Er schwingt als Pflüger daö Schwert,
als Meister das Zepter, er trägt als Priester die Krone." — Von ihm geht dann
die Reihe über Otto den Großen zu Bernhard von Clairvaux, dem Herrscher des
Abendlandes in dem Zeitraum zwischen dem letzten Salier und Barbarossa, und zu
den Heiligen des Hochmittelalters, Franz von Assisi und Domimkus. Mit DanteS

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