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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 3 (1. Novemberheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0303

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aber gleich einer wie Bisinarck! Der
Bismarck des Balkans — o je, ihr
Diplomaten, wie fein der dieFaden
und wie fein er euch Nasen dreht!
Und der Feldherr — zu Paaren
treibt er die Türken! Ein Genie
und ein Held in Einem. Also,
Herr Nachbar, das sag ich: der ist
der führende Mann vom europäi--
schen Wetterwinkel aus! Der ist
von jetzt ab der wichtigste Faktor in
der europäischen Politik! Werden's
merken, die Diplomaten!"

Nnd sie saßen nochmals am
Stammtisch, neuerdings erst. „Das
ist schon das Rechte," sprach der
Chorarch, „ist aber immer so: geht's
schies, ist's der Minister gewesen. Wie
die Esel noch auf den Ferdinand
hineinsielen, da yahten sie: der
Premier ist der Handlanger, aber
der König, ja der! Nun muß die
Exzellenz hoppla gehn für Majestät
ihre Dummheiten. Der Ferdinand
— hab ich's nicht längst gesagt?
Hochstapler! Und die Bulgaren?
Bah, Hammel und Poghurt!"

Wie oft wird in der letzten Zeit
eine Redeweisheit solcher Art über
Schöppchen und Tröpschen geklin-
gelt sein — haben unsre Leser
keiner zugehört, so kennen sie doch
die offenen oder heimlichen Kaiser
auch der Stammtischgespräche, die
Zeitungen. Denen kann niemand
einen Vorwurf draus machen, daß
sie nicht mehr berichten, als sie
wissen. Der weitere Balkankrieg
von Anfang bis zu Ende, insbeson--
dere das Schicksal Bulgariens hat
wieder bestätigt: daß wir mit all
unsern amtlichen und nicht amt-
lichen Berichten vom Politischen ost
allerbestenfalls ebensoviel wissen,
wie vom Meteorologischen: die Ap-
parate mögen verzeichnen, was ist,
um aber einigermaßen sicher auszu-
sagen vom Morgen und gar
Abermorgen, dazu langt's
nicht. Und dieselbe Presse, die Fer-
dinand von Bulgarien noch gestern

so tiefsichtig in allen seinen Größen
durchleuchtete, besinnt sich heute
darauf so wenig wie unser Stamm-
tischmann. Zeitungsleute haben sich
nie geirrt. Obgleich ihnen keiner
was vorwerfen könnte, wenn sie
sagten: wir haben uns geirrt. Von
den Informationen der Diplomaten
ihrerseits wissen wir eins: sie urteilen
über dieselben Dinge nicht nur nach
ihren Interessen, sondern auch nach
ihren Insormationen verschieden.

Wir dürfen das Stückwerkmäßige
all unsres Wissens über die Mitzeit
betonen, das Mangelhafte des
Nachrichtenapparates trotz all seiner
Mittel vom Funkenspruch bis
zum Spionenbrief, denn wir brau-
chen in solchen Dingen die Skep-
sis. Wir brauchen die Lr-
kenntnis, daß eine Menge von
Mitteilungen unsicher sind, die
uns sicher erscheinen. Es ge-
hört zur „Politisierung" eines
Volkes, daß es lernt zu wissen:
hier weiß ich nichts. Daß es lernt,
mit unbekannten Größen
zu rechnen. Wir Deutschen haben
uns seit dem Helgoland-Vertrage
und seit den Burenkriegen wohl
nicht zuletzt deshalb so oft verrech-
net, weil wir sür x und y Ziffern
einsetzten, die uns deutlich schienen,
wie Schlagschatten im Sonnenbrand
— und die doch nicht stimmten.

Wer im Staatsschisf am Steuer
steht, muß wagen können: „Ich
denke, das Für und Wider wägt
sich so, also handle ich so." Wir
nur Betrachtenden aber sind besser
daran: wir sind nicht zum Ia oder
Nein verpflichtet, wir können sagen:
ich weiß oder ich verstehe das nicht.
Wir nennen den, der in politischen
Dingen sich stets sür zahlungssähig
hält, einen Kannegießer. Nehmen
wir's genau: wer kannegießert dann
nicht? Wir politisieren, wie man
Karten spielt, ohne daß der eine die
Karten des andern wirklich kennt.
Man spielt eben! Meistens mag

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