Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1913)
DOI Artikel:
Vom Heute fürs Morgen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0627

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
wilde, wilde Weib", so dünkt mich
das nicht viel ernsthafter als andre
unfreiwillige Drolligkeiten; und viel
eher pädagogischer als dichterischer
Behandlung wert scheinen mir
Brunstphantasien wie diese: „Lis!
Eis! Berstende Blöcke! Türmende
Berge! hoch! hoch! Es stürzt! Es
quillt — Schwellender Strom —

weit — weit-fern-—

Wohliges Wehn über nackende
Brust — Es atmet heiß — . . . es
naht — was? — — Es blitzt ...
es braust ... es schwillt herauf drän-
gendes Gedünst . . . ballendes Ge-
wölk! Groß! Grenzenlos! — Aetzt...
jetzt ... aus schwarzem Schloß zuckt
es hervor weiß: ein Finger ... ein
Arm ... ein ... ein nackter Leib!
Es berührt mich ... es ... hei! hei!
es ist da! Es bricht aus rätselhaften
Höhn! heiß! heiß! süßer, schäumen-
der Strom! So — so — über alle
meine Glieder — mehr! ein Meer —!
Versinken — sin — ken --tief —

— rot-- ewig--"

Ist es nötig, den Vorwurf abzu-
wehren, man habe für Knabenleiden
und Iugendnot kein Herz, kein Or-
gan, kein Verstehen? Wohl kaum.
Aber wer darin statt eines sozialen
Nnd soziologischen Themas das
höchste Thema der Kunst erblickt, muß
erft die Kunst zweier Iahrtausende
aus unserer Erinnerung verdrängen,
und das gelingt nicht durch dünne,
aneinandergehängte, gestalt- und
anschauunglose Worte. Ich lese
in den zur Reklame abgedruck-
ten Besprechungen: „Wir nennen
Borngräber einen Großen: Er hat
uns alle geadelt, indem er uns —
uns selbst zeigte." Mag dies letz-
tere auf den zutreffen, der es schrieb

— als Kunstkritiker hat er dann, so-
weit ich sehe, verspielt. Noch eins:
weder einem Schmidtbonn noch
Borngräber werden selbst ihre Geg-
ner eine gewisse Fähigkeit absprechen,
reines, starkes Gefühl mit ehrlicher
Herzkraft auszudrücken. Aber das

Drama ist kein Drama, wenn ihm
Spannungen, Widerstände, Steige-
rungen fehlen. Borngräber ist so
sehr von Wagner abhängig — man
sehe sich einmal die Kun st Wagners
an, wenn er überschäumende Trieb-
kräfte wiedergibt wie im dritten
„Siegfried"- oder im ersten „Wal-
küren"-Auszug! Nnd man vergleiche
damit die Trivialität des „Gesangs
unsichtbarer Frauen aus dem Welt-
raum", mit dem der „Verlorene
Sohn" mystisch endet:

Rasch /

^ 5 ' -

heimgekehrt!

heimgekehrt!




Unser Sohn ist

heim°ge°kehrt,




unserSohnist
§

-

heim°ge°kehrt!



Heim°ge°kehrt,


heim-ge-kehrt,

heim°ge°kehrt, heim-ge-kehrt!

F !

M




-DHM-

Unser Sohn ist

- l

heim°ge°kehrt!

Das gleiche inzestuöse Motiv, das
den Vierakter „Althäa und ihr
Kind" beherrscht, hat Emil Lud-
wig in einem tragischen Einakter
„Atalanta" behandelt. Reiner und
sicherer sind hier die Gestalten ge-
zeichnet, klarer die Linien der Hand-
lung gezogen. Althäa tötet ihren

528
 
Annotationen