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Patzold, Steffen; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Episcopus: Wissen über Bischöfe im Frankenreich des späten 8. bis frühen 10. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 25: Ostfildern, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.34736#0107

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III. Der Umbruch der 820er Jahre

A. Die Ausgangslage: Historiographie und Kapitularien vor ca. 820

1. Historiographie
Die Reichsannalen waren zweifellos der erfolgreichste historiographische Text des
späten 8. und frühen 9. Jahrhunderts^ aber beileibe nicht der einzige. Um 805 be-
gann man in Chelles oder St-Denis die Arbeit an den hofnahen »Annales Mettenses
Priores«^: Aus älteren Vorlagen schöpfend, stellen sie die Taten der Karolinger vom
7. Jahrhundert bis zur damaligen Gegenwart dar. Für die folgenden Jahre bis 829
wurden sie wörtlich nach den Reichsannalen fortgesetzt; erst zu 830 findet sich
dann wieder ein eigenständiger Jahresbericht, mit dem die Quelle aber auch endef.
Daneben schufen vom späteren 8. Jahrhundert an andere Gemeinschaften im Fran-
kenreich ihre eigenen Annalen - meist karge Notizen über Todesfälle, Kriegszüge
und Naturkatastrophen^. Bald nach 806, sicher aber vor 814 begannen Mönche in
Lorsch mit der Abfassung des sogenannten »Chronicon Laurissense breveV, das
sich in den meisten Handschriften an die »Chronica maior« des Beda Venerabilis
anschließt und, aus älteren Quellen schöpfend, Ereignisse von ca. 680 bis zur dama-

3 Vgl. zur breiten Überlieferung GANsnoF, L'historiographie 1970,677 und besonders McKiTTE-
RiCK, Constructing 1997 125f. - NELSON, Annals 1990, 23, hat die Ansicht vertreten, Karl habe
nicht versucht, den Text im Reich zu verbreiten; vgl. dagegen aber McKiTTERicx, Constructing
1997 176, die aufgrund der handschriftlichen Überlieferung des Textes wohl zu Recht an-
nimmt, daß die Verbreitung von Anfang an bewußt vom Hof gesteuert wurde, und die Anna-
len mit anderen Standard-Texten vergleicht, die die Karolinger systematisch im Reich streuten,
wie etwa die Collectio Dionysio-Hadriana oder das Sacramentarium Hadrianum.
4 Annales Mettenses Priores, ed. SiMSON 1905.
5 Vgl. zu dem Werk: HoFFMANN, Untersuchungen 1958, 9-68 (grundlegend); HASELBACH, Auf-
stieg 1970, dazu die Kritik von ScHRÖER, Annales 1978; zuletzt CoLLiNS, Deception 1994, 234f.
und 246, sowie ausführlich HEN, Annals 2000, demzufolge der Text aus einer Krise der Herr-
schaft Karls des Großen in den Jahren 805/806 heraus entstanden ist. - Die These von CoLLiNS,
Reviser 1998,196f. u. 213, und DEMS., Past 2002,305f., der gesamte Text der »Annales Mettenses
Priores« bis 830 könnte in den frühen 830er Jahren verfaßt worden sein, hat mich nicht über-
zeugt: Collins muß hierfür mehrere heute verlorene Texte postulieren, die sonst keine Spuren
in der Überlieferung hinterlassen haben.
6 Zu ihnen vgl. die ältere Forschung zusammenfassend: FicHTENAU, Abt 1978, 280-285; WAT-
TENBACH/LEVisoN, Geschichtsquellen 1953, 180-192; GANSHOF, L'historiographie 1970, 667-
674. Einzelne Texte sind seitdem erneut quellenkritisch behandelt worden: Vgl. besonders Bo-
scHEN, Annales 1972 (zu den »Annales Prumienses«); ScHRÖER, Annales 1975 (zu den »Annales
sancti Amandi« und deren Verwandten, zugleich kritisch gegenüber Boschens Versuch,
»kleine Königsannalen« zu rekonstruieren); FREisE, Anfänge 1979, 16-66, und CoRRADiNi,
Zeiträume 2002 (zu den »Annales Fuldenses antiquissimi«); LENDi, Untersuchungen 1971 (zu
den Murbacher Annalen). - In der älteren Forschung bestand weithin Konsens darüber, daß
derartige kleinere Annalen noch vor den »Annales regni Francorum« entstanden seien (zu-
sammenfassend WATTENBACH/LEVisoN, Geschichtsquellen 1953,183); dagegen hat McKiTTE-
RiCK, Constructing 1997 U6, die Ansicht vertreten, die Reichsannalen seien eine eigenständige
Schöpfung des Hofes, die aus anderen, mündlichen wie schriftlichen Quellen hervorgegangen
und unabhängig von den - handschriftlich erst später greifbaren - kleineren Annalen entstan-
den sei.
7 Chronicon Laurissense breve, ed. SCHNORR VON CAROLSFELD 1911; zur Überlieferung: CoRRA-
DiNi, Handschrift 2000,14-30.
 
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