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VII. Der Episkopat im Spiegel der Bischofsviten der späteren Karolingerzeit
gesichts des deplorablen Forschungsstands^ zwar keinen Anspruch auf Vollstän-
digkeit erheben, ist aber repräsentativ^. Gleichwohl müssen die Befunde, die in
diesem Kapitel vorgestellt werden, insgesamt unter Vorbehalt stehen: Sie können
vielfach noch nicht auf soliden quellenkundlichen Vorarbeiten fußen.
A. Überblick über die Texte
1. Regionale Verbreitung und institutioneller Kontext
Von den hier zugrunde gelegten 38 Viten stammen die weitaus meisten aus dem
nördlichen Westfrankenreich und aus Lotharingien. Allein aus der Kirchenprovinz
Reims sind zehn Bischofsviten^, aus der von Tours immerhin sechs einschlägige
Texte überliefert". Aus der Kölner Provinz haben sich neun Bischofsviten erhalten,
13 Es ist bezeichnend für den Forschungsstand, daß zur Vita des Bischofs Ambrosius von Cahors
erst 1990 eine grundlegende quellenkritische Studie publiziert wurde, die die Vita nicht mehr
der Karolingerzeit zuspricht (so noch PouLiN, L'ideal 1975, 167f.), sondern deutlich näher an
die Berichtszeit heranrückt, nämlich in das 7. Jahrhundert: Wenn sich BoNNASSiE, L'eveque
1990, 209, dabei beklagt, man habe bisher weder die Sedenzzeit des Heiligen noch die Abfas-
sungszeit der Vita auch nur annähernd überzeugend datiert, so gilt das auch für manche an-
dere Bischofsvita der späteren Karolingerzeit. - Daß die beiden überlieferten Viten des Bi-
schofs Adelphus von Metz nicht schon im 9. Jahrhundert, sondern nach 933 entstanden, hat
erst WiLSDORF, Remarques 1993, sicher erwiesen. - Daß die Erforschung gerade der metrischen
Überarbeitungen früherer Viten noch in den Kinderschuhen steckt, obwohl reiches Material
überliefert (wenn auch noch kaum kritisch ediert) ist und Aufschlüsse über verschiedenste
Fragen verspricht, hat DoLBEAU, Domaine 2002, beklagt.
14 Die hier behandelte Auswahl beruht auf den bei WATTENBACH/LEVisoN/LöwE, Geschichts-
quellen 1973 und 1990, für das Frankenreich verzeichneten Bischofsviten aus der Zeit zwischen
840 und dem frühen 10. Jahrhundert. Nicht aufgenommen sind allerdings die metrischen
Überarbeitungen früherer Bischofsviten: Diese Texte unterlagen ihren eigenen Stilanforde-
rungen und standen als Schultexte vielfach zudem in einem besonderen Entstehungskontext
(vgl. dazu DoLBEAU, Domaine 2002; zu metrischen Viten des 9.-11. Jahrhunderts insgesamt
auch TiLLiETTE, Modeles 1988). Außerdem wurden hier auch diejenigen Viten nicht mitbe-
rücksichtigt, die nicht sicher auf die Zeit nach 840, sondern nur vage ins 9. Jahrhundert datiert
werden können.
15 Dies sind die in St-Quentin verfaßte Vita Cassiani secunda (= BHL 1631/32; die beiden Rezen-
sionen unterscheiden sich nicht nennenswert voneinander, vgl. DE GAiFFiER, Sources 1948, 51,
Anm. 1); die Vita Audomari secunda (= BHL 767) aus St-Bertin; die Vita Memmii (= BHL 5909)
und die Vita Nivardi (= BHL 6243), die beide der Mönch Altmann im Kloster Hautvillers ge-
schrieben hat; die Vita Remigii aus der Feder Hinkmars von Reims (= BHL 7152-7164); die Vita
Hugonis (= BHL 4032a), die Mönche der Gemeinschaft von Jumieges im Exil in Haspres bei
Valenciennes schufen; die Materialsammlung zu Amandus, die Milo von St-Amand zusam-
mengestellt hat (= BHL 339-343b); die Vita Medardi secunda (= BHL 5865), geschrieben in St-
Medard in Soissons; schließlich die Vita Rigoberti (= BHL 7253), entstanden wohl unter der
Ägide Fulcos von Reims, sowie die von Klerikern in Tournai geschaffene Vita Eleutherii
(= BHL 2455).
16 Davon stammen allein vier Texte aus Le Mans, nämlich die zeitgleich verfaßten Viten des Ju-
lianus (= BHL 4545-46), Pavatius (= BHL 6602), Turibius (= BHL 8346) sowie die einige Jahre
ältere Vita Victuri et Victurii (= BHL 8600); außerdem ist aus der Kirchenprovinz Tours die
Vita des Bischofs Chrodegang von Sees überliefert (= BHL 1782), die Erzbischof Herard von
VII. Der Episkopat im Spiegel der Bischofsviten der späteren Karolingerzeit
gesichts des deplorablen Forschungsstands^ zwar keinen Anspruch auf Vollstän-
digkeit erheben, ist aber repräsentativ^. Gleichwohl müssen die Befunde, die in
diesem Kapitel vorgestellt werden, insgesamt unter Vorbehalt stehen: Sie können
vielfach noch nicht auf soliden quellenkundlichen Vorarbeiten fußen.
A. Überblick über die Texte
1. Regionale Verbreitung und institutioneller Kontext
Von den hier zugrunde gelegten 38 Viten stammen die weitaus meisten aus dem
nördlichen Westfrankenreich und aus Lotharingien. Allein aus der Kirchenprovinz
Reims sind zehn Bischofsviten^, aus der von Tours immerhin sechs einschlägige
Texte überliefert". Aus der Kölner Provinz haben sich neun Bischofsviten erhalten,
13 Es ist bezeichnend für den Forschungsstand, daß zur Vita des Bischofs Ambrosius von Cahors
erst 1990 eine grundlegende quellenkritische Studie publiziert wurde, die die Vita nicht mehr
der Karolingerzeit zuspricht (so noch PouLiN, L'ideal 1975, 167f.), sondern deutlich näher an
die Berichtszeit heranrückt, nämlich in das 7. Jahrhundert: Wenn sich BoNNASSiE, L'eveque
1990, 209, dabei beklagt, man habe bisher weder die Sedenzzeit des Heiligen noch die Abfas-
sungszeit der Vita auch nur annähernd überzeugend datiert, so gilt das auch für manche an-
dere Bischofsvita der späteren Karolingerzeit. - Daß die beiden überlieferten Viten des Bi-
schofs Adelphus von Metz nicht schon im 9. Jahrhundert, sondern nach 933 entstanden, hat
erst WiLSDORF, Remarques 1993, sicher erwiesen. - Daß die Erforschung gerade der metrischen
Überarbeitungen früherer Viten noch in den Kinderschuhen steckt, obwohl reiches Material
überliefert (wenn auch noch kaum kritisch ediert) ist und Aufschlüsse über verschiedenste
Fragen verspricht, hat DoLBEAU, Domaine 2002, beklagt.
14 Die hier behandelte Auswahl beruht auf den bei WATTENBACH/LEVisoN/LöwE, Geschichts-
quellen 1973 und 1990, für das Frankenreich verzeichneten Bischofsviten aus der Zeit zwischen
840 und dem frühen 10. Jahrhundert. Nicht aufgenommen sind allerdings die metrischen
Überarbeitungen früherer Bischofsviten: Diese Texte unterlagen ihren eigenen Stilanforde-
rungen und standen als Schultexte vielfach zudem in einem besonderen Entstehungskontext
(vgl. dazu DoLBEAU, Domaine 2002; zu metrischen Viten des 9.-11. Jahrhunderts insgesamt
auch TiLLiETTE, Modeles 1988). Außerdem wurden hier auch diejenigen Viten nicht mitbe-
rücksichtigt, die nicht sicher auf die Zeit nach 840, sondern nur vage ins 9. Jahrhundert datiert
werden können.
15 Dies sind die in St-Quentin verfaßte Vita Cassiani secunda (= BHL 1631/32; die beiden Rezen-
sionen unterscheiden sich nicht nennenswert voneinander, vgl. DE GAiFFiER, Sources 1948, 51,
Anm. 1); die Vita Audomari secunda (= BHL 767) aus St-Bertin; die Vita Memmii (= BHL 5909)
und die Vita Nivardi (= BHL 6243), die beide der Mönch Altmann im Kloster Hautvillers ge-
schrieben hat; die Vita Remigii aus der Feder Hinkmars von Reims (= BHL 7152-7164); die Vita
Hugonis (= BHL 4032a), die Mönche der Gemeinschaft von Jumieges im Exil in Haspres bei
Valenciennes schufen; die Materialsammlung zu Amandus, die Milo von St-Amand zusam-
mengestellt hat (= BHL 339-343b); die Vita Medardi secunda (= BHL 5865), geschrieben in St-
Medard in Soissons; schließlich die Vita Rigoberti (= BHL 7253), entstanden wohl unter der
Ägide Fulcos von Reims, sowie die von Klerikern in Tournai geschaffene Vita Eleutherii
(= BHL 2455).
16 Davon stammen allein vier Texte aus Le Mans, nämlich die zeitgleich verfaßten Viten des Ju-
lianus (= BHL 4545-46), Pavatius (= BHL 6602), Turibius (= BHL 8346) sowie die einige Jahre
ältere Vita Victuri et Victurii (= BHL 8600); außerdem ist aus der Kirchenprovinz Tours die
Vita des Bischofs Chrodegang von Sees überliefert (= BHL 1782), die Erzbischof Herard von