Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Patzold, Steffen; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Episcopus: Wissen über Bischöfe im Frankenreich des späten 8. bis frühen 10. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 25: Ostfildern, 2008

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34736#0534

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
E. Folgerungen zur sogenannten »Neuen Verfassungsgeschichte-

533

E. Folgerungen zur sogenannten »Neuen Verfassungsgeschichte«

Mit der Lehre der »Neuen Verfassungsgeschichte« ist das hier herausgearbeitete
Wissen über Bischöfe und deren Stellung in der politischen Ordnung nicht verein-
bar. Die >Herrschaft< des >Hausvaters< über sein >Haus<, eine spezifisch germanische
>Treue< als Rechtsinstitut, ein >Gefolgschaftsdenken<, >Gegenseitigkeit< zwischen
Herrschenden und Beherrschten, ein zweipoliger >Herrschaftsverband< aus Adel
und Königtum: all das spielt für Bischöfe im Wissen des späteren 9. Jahrhunderts
keine Rolle. Von Treue (/z&s) hört man in den Quellen im Hinblick auf den Bischof
eher selten, jedenfalls fällt ihr nicht jene zentrale Bedeutung zu, die das mediävisti-
sche Herrschaftskonzept dieser Kategorie zuweist. >Hilfe< (eher adzMfonMm als aMxz-
ÜMm) ist dagegen zwar eine Schlüsselkategorie des in den 820er Jahren ausgearbei-
teten Modells, beschreibt aber die gegenseitige Hilfe zwischen verschiedenen
Amtsträgern, besonders zwischen Grafen und Bischöfen, und keineswegs nur eine
Pflicht von beherrschtem gegenüber den sie beherrschendem. Der adligen Her-
kunft, also der Einbindung eines Bischofs in eine >Sippe<, gedenkt das >Pariser Mo-
dell< nicht eigens, ja implizit negiert es sie sogar (stieß dafür allerdings bei Thegan
auf Kritik). Die »Gesta episcoporum« und die Bischofsviten zeigten zwar, daß Bi-
schöfe in der Karolingerzeit üblicherweise dem Adel entstammten; doch spielte
auch hier die Verfügungsgewalt großer Sippen über einzelne Bistümer keine Rolle.
In der Regel erschien den Geschichtsschreibern und den Hagiographen allenfalls
nahe Verwandtschaft zweier Bischöfe (von Bruder zu Bruder, Vater zu Sohn oder
Onkel zu Neffe) erwähnenswert. Die Schutzpflicht des Bischofs schließlich ist zwar
ein Kerngedanke in den Vorstellungen, die man über das Bischofsamt hegte; aber
sie hatte keine germanischen Wurzeln und resultierte gedanklich nicht aus der >Ge-
genseitigkeit< des Herrschaftsverhältnisses, sondern daraus, daß Gott die Gemeinde
einem Bischof »anvertraut« hatte.
Als zentral erscheint in den hier untersuchten Texten hingegen die Kategorie
des von Gott auferlegten mnnsüWMm: Dieser »Dienst« erst begründete die Rechen-
schaftspflicht derjenigen, die von Gott für die Leitung der ihnen »untergebenen«
und »anvertrauten« Menschen ausersehen waren. Als zweiter Grundgedanke ist
das Ziel dieser Leitungsaufgabe zu nennen - irdisches Wohl und Seelenheil des
christlichen Volkes -, als dritter das (für die Geistlichkeit spezifische) Instrumenta-
rium von Predigt, Beichte, Buße, Exkommunikation und Rekonziliation, als vierter
die Gehorsamspflicht der Menschen gegenüber denjenigen, die Gott zur Leitung
berufen hatte, und als fünfter schließlich die Trennung zwischen der Autorität des
mnnsüWMm und den persönlichen Qualitäten desjenigen, dem es übertragen ist.
Keinem dieser fünf Grundgedanken wird die Lehre der »Neuen Verfassungsge-
schichte« gerecht. Die Unzulänglichkeit liegt nicht zuletzt in dem Umstand begrün-
det, daß die Väter dieser Lehre so fest von der These germanischer Kontinuität
überzeugt waren, daß sie den Schlußstein des karolingerzeitlichen Wissens über
die politische Ordnung übersahen: den christlichen Gott.
Auch die >Gegenseitigkeit< zwischen herrschendem und beherrschtem läßt
sich für Bischöfe des 9. und frühen 10. Jahrhunderts nicht als gängige Vorstellung
der Zeitgenossen bestätigen. Zwar sollten Bischöfe keine fyrawwz's über die ihnen an-
 
Annotationen