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II. Wandlungen im Wissen über Bischöfe
und der normative Charakter der Kapitularien^, ihre Effektivität und Geltung^, die
Verbindlichkeit der Schriftfassung bzw. der mündlichen Verkündung^, die Formen
der Herstellung und Archivierung der Textexemplare^ und nicht zuletzt die Datie-
rung^ und Echtheit einzelner Stücke^. Bei alledem hat sich die Kapitularienfor-
82 Umstritten war, in welcher Art und Weise der Konsens der Großen für die Rechtskraft der
Texte von Bedeutung war: GANsnoF, Kapitularien 1961, 52, vertrat die These: »Die bindende
Kraft der Kapitularien ging [...] ausschließlich vom König oder Kaiser aus. Sie war eine Folge
seiner Banngewalt (bannum), seines Rechts zu befehlen, zu verbieten und zu strafen; dies gilt
zumindest für die Regierungszeiten Pippins I., Karls des Großen und Ludwigs des Frommen«;
wenn in den Quellen aus dieser Zeit vom Consensus der Großen die Rede sei, dann meine dies
»die obligatorische Anerkennung, daß eine erlassene Bestimmung [...] Recht sei; darin war
zugleich die Verpflichtung enthalten, ihr Gehorsam zu leisten« (ähnlich zuvor schon DuMAS,
Parole 1951, 214). Erst nach Ludwigs des Frommen Tod sei eine inhaltliche Zustimmung der
Großen zur bindenden Voraussetzung für die Rechtskraft der Kapitularien geworden. Dage-
gen HÄGERMANN, Entstehung 1976, HANNiG, Consensus 1982,170-199, und BÜHLER, Capitula-
ria 1986, 426-429, die der freien Zustimmung der Großen auch unter Karl dem Großen schon
eine rechtserhebliche Bedeutung zumessen. Dieser Auffassung neigt die jüngere Forschung
zu.
83 Dazu DuMAS, Parole 1951, 216; besonders MoRDEK, Kapitularien 1986, 44-50; und die grund-
sätzlichen Bemerkungen zur Frage der Geltung und Effektivität normativer Texte bei SiEMS,
Bewertung 1989,302-305. - VANDERPUTTEN, Faith 2001, hat die Ansicht vertreten, daß Karl der
Große mit jenem »ekklesiologischen Projekt«, das er in den Kapitularien habe befördern wol-
len, gescheitert sei. - ZiMPEL, Herrscher-Erlasse 2004, hat aus sinnentstellenden oder -verän-
dernden Lesarten in der Überlieferung von Kapitularien auf bewußte »Sabotage« von Kapitu-
larien schließen wollen. Seine Argumentation setzt jedoch voraus, daß die überlieferten Texte
auf einen einzigen >amtlichen< Urtext zurückgeführt werden können; das halte ich für un-
wahrscheinlich.
84 GANSHOF, Kapitularien 1961, 35f., vertrat die Ansicht: »Der geschriebene Text diente hier aus-
schließlich der Bekanntmachung. Sein Ziel war es, die Durchführung und Anwendung der
getroffenen Maßnahme zu erleichtern. Wichtig war nur eines: der mündliche Akt, durch den
der König oder Kaiser die von ihm getroffene Entscheidung kundtat [...]«; ähnlich DuMAS,
Parole 1951, 213f. Gegen diese Zuspitzung SCHNEIDER, Bedeutung 1967; DERS., Schriftlichkeit
1977, der nun seinerseits der Schriftfassung rechtliche Verbindlichkeit zusprechen wollte; ihm
folgte HÄGERMANN, Entstehung 1976, 12; anders wieder BÜHLER, Wort 1990: »Für die Rechts-
kraft der Kapitularien war die Schriftfassung irrelevant« (292), allerdings seien die Herrscher
durchaus auf Sicherung für die Zukunft bedacht gewesen, und hier habe die schriftliche Fixie-
rung ihre Bedeutung gehabt. MoRDEK, Kapitularien 1996, 35, hat wohl zu Recht von einem
»unerquicklichen Streit« gesprochen und betont, daß sich die »zweckausgerichtete[...j Wand-
lungsfähigkeit« der Kapitularien derart starren modernen Kategorisierungsversuchen ent-
ziehe.
85 McKiTTERicx, Herstellung 1993, versucht nachzuweisen, daß das »Leges-Skriptorium« am
Hof Ludwigs des Frommen auch für die Vervielfältigung von Kapitularien verantwortlich ge-
wesen sei; recht optimistisch beurteilt den Grad der Verbreitung der Texte JoHANEK, Herr-
scherdiplom 1996,176f.; vgl. dagegen MoRDEK, Kapitularien 1996, 61-65. - DERS., Kapitularien
1986, 35, und NELSON, Legislation 1986, 93, gehen davon aus, daß die meisten Kapitularien-
Abschriften nicht durch die Hofkanzlei, sondern durch regionale Schreiber gefertigt wurden.
86 Vgl. etwa GANSHOF, Note 1947 (zu Nrr. 21 und 25; zu Nr. 21 vgl. jetzt aber den früheren Zeitan-
satz bei MoRDEK, Kapitular 2005); DERS., Observations 1954,83-87 (zu Nr. 49); DERS., Datierung
1954 (zu Nr. 77); ECKHARDT, Kapitulariensammlung 1955, 250-252 (zu Nrr. 34 und 35); VER-
HULST, Agrarpolitik 1965, 180 (zu Nr. 32); zur strittigen Datierung von Nr. 19 vgl. SCHMITZ,
Waffe 1988,93f., Anm. 55. - GANSHOF, Note 196/(. zeigt, daß Nr. 72 zwar 811 entstanden ist, aber
erst den fünf Reformkonzilien von 813 als Grundlage diente.
87 So hat etwa Loi, Capitulaire 1970, versucht, das in der Edition von BoRETius 1883 als Nr. 19
gedruckte erste Kapitular Karls des Großen als Fälschung zu erweisen, nachdem zuvor schon
SiMSON, Jahrbücher 1888, 667-670, denselben Verdacht geäußert hatte; Zweifel an dieser späte-
II. Wandlungen im Wissen über Bischöfe
und der normative Charakter der Kapitularien^, ihre Effektivität und Geltung^, die
Verbindlichkeit der Schriftfassung bzw. der mündlichen Verkündung^, die Formen
der Herstellung und Archivierung der Textexemplare^ und nicht zuletzt die Datie-
rung^ und Echtheit einzelner Stücke^. Bei alledem hat sich die Kapitularienfor-
82 Umstritten war, in welcher Art und Weise der Konsens der Großen für die Rechtskraft der
Texte von Bedeutung war: GANsnoF, Kapitularien 1961, 52, vertrat die These: »Die bindende
Kraft der Kapitularien ging [...] ausschließlich vom König oder Kaiser aus. Sie war eine Folge
seiner Banngewalt (bannum), seines Rechts zu befehlen, zu verbieten und zu strafen; dies gilt
zumindest für die Regierungszeiten Pippins I., Karls des Großen und Ludwigs des Frommen«;
wenn in den Quellen aus dieser Zeit vom Consensus der Großen die Rede sei, dann meine dies
»die obligatorische Anerkennung, daß eine erlassene Bestimmung [...] Recht sei; darin war
zugleich die Verpflichtung enthalten, ihr Gehorsam zu leisten« (ähnlich zuvor schon DuMAS,
Parole 1951, 214). Erst nach Ludwigs des Frommen Tod sei eine inhaltliche Zustimmung der
Großen zur bindenden Voraussetzung für die Rechtskraft der Kapitularien geworden. Dage-
gen HÄGERMANN, Entstehung 1976, HANNiG, Consensus 1982,170-199, und BÜHLER, Capitula-
ria 1986, 426-429, die der freien Zustimmung der Großen auch unter Karl dem Großen schon
eine rechtserhebliche Bedeutung zumessen. Dieser Auffassung neigt die jüngere Forschung
zu.
83 Dazu DuMAS, Parole 1951, 216; besonders MoRDEK, Kapitularien 1986, 44-50; und die grund-
sätzlichen Bemerkungen zur Frage der Geltung und Effektivität normativer Texte bei SiEMS,
Bewertung 1989,302-305. - VANDERPUTTEN, Faith 2001, hat die Ansicht vertreten, daß Karl der
Große mit jenem »ekklesiologischen Projekt«, das er in den Kapitularien habe befördern wol-
len, gescheitert sei. - ZiMPEL, Herrscher-Erlasse 2004, hat aus sinnentstellenden oder -verän-
dernden Lesarten in der Überlieferung von Kapitularien auf bewußte »Sabotage« von Kapitu-
larien schließen wollen. Seine Argumentation setzt jedoch voraus, daß die überlieferten Texte
auf einen einzigen >amtlichen< Urtext zurückgeführt werden können; das halte ich für un-
wahrscheinlich.
84 GANSHOF, Kapitularien 1961, 35f., vertrat die Ansicht: »Der geschriebene Text diente hier aus-
schließlich der Bekanntmachung. Sein Ziel war es, die Durchführung und Anwendung der
getroffenen Maßnahme zu erleichtern. Wichtig war nur eines: der mündliche Akt, durch den
der König oder Kaiser die von ihm getroffene Entscheidung kundtat [...]«; ähnlich DuMAS,
Parole 1951, 213f. Gegen diese Zuspitzung SCHNEIDER, Bedeutung 1967; DERS., Schriftlichkeit
1977, der nun seinerseits der Schriftfassung rechtliche Verbindlichkeit zusprechen wollte; ihm
folgte HÄGERMANN, Entstehung 1976, 12; anders wieder BÜHLER, Wort 1990: »Für die Rechts-
kraft der Kapitularien war die Schriftfassung irrelevant« (292), allerdings seien die Herrscher
durchaus auf Sicherung für die Zukunft bedacht gewesen, und hier habe die schriftliche Fixie-
rung ihre Bedeutung gehabt. MoRDEK, Kapitularien 1996, 35, hat wohl zu Recht von einem
»unerquicklichen Streit« gesprochen und betont, daß sich die »zweckausgerichtete[...j Wand-
lungsfähigkeit« der Kapitularien derart starren modernen Kategorisierungsversuchen ent-
ziehe.
85 McKiTTERicx, Herstellung 1993, versucht nachzuweisen, daß das »Leges-Skriptorium« am
Hof Ludwigs des Frommen auch für die Vervielfältigung von Kapitularien verantwortlich ge-
wesen sei; recht optimistisch beurteilt den Grad der Verbreitung der Texte JoHANEK, Herr-
scherdiplom 1996,176f.; vgl. dagegen MoRDEK, Kapitularien 1996, 61-65. - DERS., Kapitularien
1986, 35, und NELSON, Legislation 1986, 93, gehen davon aus, daß die meisten Kapitularien-
Abschriften nicht durch die Hofkanzlei, sondern durch regionale Schreiber gefertigt wurden.
86 Vgl. etwa GANSHOF, Note 1947 (zu Nrr. 21 und 25; zu Nr. 21 vgl. jetzt aber den früheren Zeitan-
satz bei MoRDEK, Kapitular 2005); DERS., Observations 1954,83-87 (zu Nr. 49); DERS., Datierung
1954 (zu Nr. 77); ECKHARDT, Kapitulariensammlung 1955, 250-252 (zu Nrr. 34 und 35); VER-
HULST, Agrarpolitik 1965, 180 (zu Nr. 32); zur strittigen Datierung von Nr. 19 vgl. SCHMITZ,
Waffe 1988,93f., Anm. 55. - GANSHOF, Note 196/(. zeigt, daß Nr. 72 zwar 811 entstanden ist, aber
erst den fünf Reformkonzilien von 813 als Grundlage diente.
87 So hat etwa Loi, Capitulaire 1970, versucht, das in der Edition von BoRETius 1883 als Nr. 19
gedruckte erste Kapitular Karls des Großen als Fälschung zu erweisen, nachdem zuvor schon
SiMSON, Jahrbücher 1888, 667-670, denselben Verdacht geäußert hatte; Zweifel an dieser späte-