Dienstag, 26. April 1870.
No. 49.
Vierter Jahrgang.
Mhingcr
Anlts-Derkündigttngsöültt für den Bezirk Schwetzingen.
Badischr P opfcnrci 1 u » g.
Erschein) wöchentlich drei Mal nebst der belletristischen Beigabe L-onn tag Sb latt. — Alle Bosianstalten und Boten nehmen Bestellungenan.
Inserate die dreigespaltcne Pctitzeile oder deren Raum 3 kr. LskalanzeigenLkr.
Preis vierteljährlich 45 kr.
Die Macht unserer Gegner.
80. Unendliches Geschrei erhebt die gegnerischej
Presse über Das, was wir anerk nnend über die!
Ergebnisse des letzten Landtags gesagt haben. !
Wunderbar! all' diese Mtranw'itanen Blätter und!
Blättchen, welche, so oft einer ihrer Gewaltigen !
Triumphzug hält unter seinen Gelreuen, in Be-
wundernngssloskeln ersterben, wie sie pomphafter
und serviler zugleich ein byzantinischer Hofseribent
nicht hätte ersinnen können — sie wollen uns zur
Rede setzen über eine gerechte Würdigung der Ver-!
dieufte der nationalen und liberalen Partei! Auch!
das Organ der Nationalconservativen, die „Warte", !
erbost sich über das „Eigenlob" rn der „Bad. j
Korrespondenz" und zwar in Wulhaitsbrücheit, wie!
sie der frommen Wächterin über den „Parlamen-j
tarischen Anstand", die uns noch vor Kurzem so!
wacker über unfern „Ton" gehofmeistert hat, gar-
sonderlich zu Gesichte stehen. Am energischsten
legt sie dagegen Verwahrung ein, daß etwa auch
„der Führer der W-tionalcouiervativeu" unter Die
gerechnet werde, die sich auf dem Landtage „be-
haglich im Lehnstuhle wohlfeiler Krittelei geschau-^
telt" haben. Nun, allzu „behaglich" mag die
Position des Hrn. Mühlhauser nicht eben gewesen
sein; wenigstens erinnern wir uns mehr als eines
Momentes, wo ihm die Temperatur des Hauses
nicht besonders angenehm vorzutommeu schien. Die
Kritik jedoch, mit welcher er einer beträchtlichen
Anzahl von Regierungsvorlagen eutgegengetreten
ist, war jederzeit „wohlfeil" genug. Wenn die!
„Warte" dem geg nüber triumphirend auf die ^
Thätigkei! des Hrn. Mühlhäußer in Mühlburg!
u. s. w. hinweist, so sind wir ihr für die Mah-!
uuug an unsere Partei recht dankbar, bemerken!
jedoch, daß Mühlburg unseres W ssens nicht im!
Karlsruher Ltändehause liegt.
Der Endzweck aller dieser Deklamationen un-
serer Gegner geht — einerlei, ob ausgesprochen
oder nicht — darauf hinaus, die nationale und
liberale Partei als eine im Eigendünkel erstickende,
von gegenseitiger Lelbstlwräucherung berauschte
Clique darzustelleu, die ihre wahre Machtstellung
durchaus verkenne, sich womöglich — wenigstens
ist dies die Anschauung der „Warte" demnächst
schlafen legen werde, um nach den nü 'stell Land-
tagswahlen mit einem gräulichen Katzenjammer
zu erwachen. Wäre dem wirklich so, dann möch-
ten sich unsere Feinde mit Recht die Hände reiben.
Zum Glück steht die Sache doch anders.
Keinen Augenblick macht sich die nalionallibe-
rale Partei in Baden eitlen Hehl daraus, daß sie
einen Gegner hat, mit dem sie allen Ernstes
rech n e n muß: das ist der Ich ltra m o n t a-
n i s m u s. Der „Bad. Beobachter" braucht uns
wahrlich nicht erst daraus aufmerksam zu machen,
wie günstig die kleinen ultramontanen Blätter
situirt sind, indem eine Schaar junger Geistlicher
den ganzen glü enden Inhalt ihrer fanatischen
Seelen in dieselben ergießt. Eine Partei, welche
mit dem Klerus verbündet ist, hat noch ganz an-
dere Preß,nittel als die Buchdruckerpresse, sie hat
die Kanzel und den Beichtstuhl. Stärkere Hüifs-
mittel, um die große Masse zu beeinflussen, lassen
sich nicht denken. In den Augenblickeil gerade,
in denen das menschliche Gcmüth am empfäng-
lichsten ist, werden ihm die Grundsätze der ultra-
montanen Politik eingepflanzt und die Segnungen
des Himmels, wie die Strafen der Hölle steyen
zu GeboK, um dieser Arbeit den gehörigen Nach-
druck zu verleihen. Dazu kommt, daß es die
Römlinge von jeher verstanden haben, politische
^Strömungen und Leidenschaften für sich auszu-
nutzen, indem sie. allen Principien hohnlachend,
jedesmal dasjenige politische System auf ihre Fahne
pchreiben, das ihren Zwecken gerade am förderlich-
sten zu sein schien. In Baden hatte der Ultra-
montanismus, um die liberale Regierung zu be-
kämpfen, die Wahl zwischen einer konservativen
und einer radical-demokratischen Politik. Da in-
deß die erstere den Anschauungen des badischen
Volkes schwerlich entsprochen Hütte, so zauderte er
natürlich keinen Augenblick, sich die Forderungen
^ der äußersten Demokratie anzueignen.
(Schluß folgt.)
^ N rr rr d s ch a rr.
Die Eröffnung des deutschen Zoltparlamentes
hat in trockener, ges.lmNsmäßiger Weise stattgefun-
den. Staatsminnler Delbrück verlas die Eröff-
nungsrede. Die Süddeutschen sind mit Ausnahme
Bayerns noch schwach vertreten; Mohl (Württem-
berg), Bliintschli (Baden). Metz und Bamberger
(Hessen) sind bis jetzt auf ihren Plätzen,
Bismark leidet an der Gelbsucht. Kein Wun-
der, das könnte noch bei mehr Leuten Yassiren!
In Frankreich bereitet sich in Gestalt des Ple-
biscits eine ungeheure Wahlbewegung vor Der
Souverän tritt hier mit jedem wahlberechtigten
Staatsangehörigen in unmittelbare Berührung ; den-
noch neunen die demokratischen Blätter diesen
ganzen Wahlakt eine Komödie! Nun, wenn das
eine Comödie ist, so ist es wenigstens das franzö-
sische Volk, welches sich zum Statisten hergibt, wäh-
j rend sich Napoleon die Heldenrolle vorbehält. Un-
> sere Demokraten v.rurthcilen aber mit der Bezeich-
nung „Comödie" nicht nur das Plebiscit, sondern
das directe Wahlsystem überhaupt, denn, wenn
hier nicht der wahre Volkswille zum Ausdruck
kommt, wie soll er sich im dirccteu Wahlrecht Bahn
brechen e
In Nom trügt man sich wegen der Unterdrü-
ckung des Kathottcismns in Polen mit dem Ge-
Aerschicdcne Wege.
Ein Stückten: aus der guten alten Zeit
(Fortsetzung.)
Sic kommen wie gerufen, sagte mir der Vorsteher,
denn soeben hat der Lehrer, welcher sich um die Stelle be-
worben, mir abgcschriebcn. Es steht also bei Ihnen, ob
Sie morgen die Orgel spielen wollen. So war denn die
Sache schnell abgemacht. Ter Vorsteher, der Gefallen an
mir zu finden schien, lud mich ein, an sein Instrument zu
treten. Ich dachte, das soll so eine Borprobe sein und setzte
mich. Tas Instrument war vortrefflich. Ich hatte lange
so keines gespielt. Wie mir'S öfter ging, so traf sich's denn
auch hier. Ich vergaß, daß außer mir noch Jemand in
der S.ube war. Alles, was ich heute erlebt, bewegte auf's
Neue meine Sette und im wilden Sturm der Gefühle er-
brausten die Accorde. Allmählig legte sich der Sturm.
Eine tiefe Wehmuth zitterte durch die Saiten. Meine Seele
klagte dem Herrn, was sie schmerzlich durchgekämpft und
das Bewußtsein, daß er alle Geschicke der Menschen zum
Besten lenke, sprach sich in milden W.iscn aus, und ging
zuletzt in den Choral über: „Besiehst du deine Wege rc."
Len ich parierte und fugcnartig durcharbcitetc, bis ich mit
einem vollen Accorde das Amen aussprach.
Ich stand auf. Mit Verwunderung sah ich den ganzen
Familienkreis versammelt; die Mutter, zwei Töchter und
zwei Knaben, die Söhne des Hauses waren meine tiefergrif-
j fenen Zuhörer gewesen, ohne daß ich es ahncte.
Herr Candidat, sagte der Vater mit Begeisterung, Sie
i sind ein Meister, wie mir Wenige vorgckonimen sind. Ich
, bitte Lie, nehmen Sie die St.lle an. Es wird Sie nicht
gereuen. TaS Vermögen der Kirche ist groß. Ter Kirchen-
; Vorstand wird einen: Manne Ihrer Kunst gern ein Erkleck-
liches zutegen. Und dann, bitte ich, geben Sic meinen
! Kindern Unterricht.
Tie Mutter reichte mir ihre Hand und sagte, ich danke
! Ihnen für den Genuß, den Sie uns bereitet und lege zn
^ der Bitte meines Gatten noch eine ein, seien Sie heute unser
Gast zum Abcndbrod, morgen z m Mitlage!
Ach ja! Ach ja! baten die Kinder.
Mir wurde so eigentümlich zu Muthe, daß ich fast
j meinem Gefühle nicht wehren konnte. Tas war ein Ab-
l stand gegen heute früh bei dem Ehegcrichtsrath! Ich konnte
^ den Bitten nicht widerstehen und blieb. Während des Es-
sens erwiderte ich dem Vater, der mir sagte, er habe meine
j Phantasie so recht mit seinem Herzen begleitet, wie sie so
recht das, was ich an diesem Tage erlebt, abgespiegelt habe.
Ich mußte erzählen und Lhatv. Ich Uetz sie in mein Le-
ben blicken und dieses gewann mir diese edeln Herzen vol-
lends.
Wie empört waren sie über Das, was sie hörten.
Auf's Neue bat mich der Vater, meinem inneren Berufe
zur Musik zu folgen. Er zeigte mir, wie Mannheim gerade
der Ort dafür sei, und inalte mir, ohne zn lebhafte Farben,
eine schöne Zukunft. Es war spät, als ich diese li.be Fa-
milie verließ. Schlafen konnte ich nicht.
Frühe hatte der Vorsteher, der ein reicher, angesehener
Kaufmann war, Alles bereits geordnet. In Einem Hanse
erwart.tc ich das Lied. Ter Küster brachte cs endlich. Es
war wieder das herrliche: „Wachet auf rc.", und meines
Vaters schöne Composition, die ich unvergeßlich innc hatte,
trat mir in die Gedanken.
ES läutete endlich.
Ich ging mit dem Kaufmannc zur Kirche. Sie war
gedrängt voll. Ich setzte mich auf die Orgelbank und spielte
meines theuern Vaters Composition und sie hob meine
Seele zum heiligsten Gefühl. Ich glaube, daß ich nie sie-
lenvollcr gespielt habe. Ohne an den Zweck zu gedenken,
zu dem ich spielte, legte sich meine ganze Seele in die Töne,
die aus dem herrlichen Instrumente wunderbar hcrvorquollcn.
Dann ging ich in die Melodie über und leitete den Ge-
sang. Beim Schlüsse desselben bli.b ich in der Melodie
No. 49.
Vierter Jahrgang.
Mhingcr
Anlts-Derkündigttngsöültt für den Bezirk Schwetzingen.
Badischr P opfcnrci 1 u » g.
Erschein) wöchentlich drei Mal nebst der belletristischen Beigabe L-onn tag Sb latt. — Alle Bosianstalten und Boten nehmen Bestellungenan.
Inserate die dreigespaltcne Pctitzeile oder deren Raum 3 kr. LskalanzeigenLkr.
Preis vierteljährlich 45 kr.
Die Macht unserer Gegner.
80. Unendliches Geschrei erhebt die gegnerischej
Presse über Das, was wir anerk nnend über die!
Ergebnisse des letzten Landtags gesagt haben. !
Wunderbar! all' diese Mtranw'itanen Blätter und!
Blättchen, welche, so oft einer ihrer Gewaltigen !
Triumphzug hält unter seinen Gelreuen, in Be-
wundernngssloskeln ersterben, wie sie pomphafter
und serviler zugleich ein byzantinischer Hofseribent
nicht hätte ersinnen können — sie wollen uns zur
Rede setzen über eine gerechte Würdigung der Ver-!
dieufte der nationalen und liberalen Partei! Auch!
das Organ der Nationalconservativen, die „Warte", !
erbost sich über das „Eigenlob" rn der „Bad. j
Korrespondenz" und zwar in Wulhaitsbrücheit, wie!
sie der frommen Wächterin über den „Parlamen-j
tarischen Anstand", die uns noch vor Kurzem so!
wacker über unfern „Ton" gehofmeistert hat, gar-
sonderlich zu Gesichte stehen. Am energischsten
legt sie dagegen Verwahrung ein, daß etwa auch
„der Führer der W-tionalcouiervativeu" unter Die
gerechnet werde, die sich auf dem Landtage „be-
haglich im Lehnstuhle wohlfeiler Krittelei geschau-^
telt" haben. Nun, allzu „behaglich" mag die
Position des Hrn. Mühlhauser nicht eben gewesen
sein; wenigstens erinnern wir uns mehr als eines
Momentes, wo ihm die Temperatur des Hauses
nicht besonders angenehm vorzutommeu schien. Die
Kritik jedoch, mit welcher er einer beträchtlichen
Anzahl von Regierungsvorlagen eutgegengetreten
ist, war jederzeit „wohlfeil" genug. Wenn die!
„Warte" dem geg nüber triumphirend auf die ^
Thätigkei! des Hrn. Mühlhäußer in Mühlburg!
u. s. w. hinweist, so sind wir ihr für die Mah-!
uuug an unsere Partei recht dankbar, bemerken!
jedoch, daß Mühlburg unseres W ssens nicht im!
Karlsruher Ltändehause liegt.
Der Endzweck aller dieser Deklamationen un-
serer Gegner geht — einerlei, ob ausgesprochen
oder nicht — darauf hinaus, die nationale und
liberale Partei als eine im Eigendünkel erstickende,
von gegenseitiger Lelbstlwräucherung berauschte
Clique darzustelleu, die ihre wahre Machtstellung
durchaus verkenne, sich womöglich — wenigstens
ist dies die Anschauung der „Warte" demnächst
schlafen legen werde, um nach den nü 'stell Land-
tagswahlen mit einem gräulichen Katzenjammer
zu erwachen. Wäre dem wirklich so, dann möch-
ten sich unsere Feinde mit Recht die Hände reiben.
Zum Glück steht die Sache doch anders.
Keinen Augenblick macht sich die nalionallibe-
rale Partei in Baden eitlen Hehl daraus, daß sie
einen Gegner hat, mit dem sie allen Ernstes
rech n e n muß: das ist der Ich ltra m o n t a-
n i s m u s. Der „Bad. Beobachter" braucht uns
wahrlich nicht erst daraus aufmerksam zu machen,
wie günstig die kleinen ultramontanen Blätter
situirt sind, indem eine Schaar junger Geistlicher
den ganzen glü enden Inhalt ihrer fanatischen
Seelen in dieselben ergießt. Eine Partei, welche
mit dem Klerus verbündet ist, hat noch ganz an-
dere Preß,nittel als die Buchdruckerpresse, sie hat
die Kanzel und den Beichtstuhl. Stärkere Hüifs-
mittel, um die große Masse zu beeinflussen, lassen
sich nicht denken. In den Augenblickeil gerade,
in denen das menschliche Gcmüth am empfäng-
lichsten ist, werden ihm die Grundsätze der ultra-
montanen Politik eingepflanzt und die Segnungen
des Himmels, wie die Strafen der Hölle steyen
zu GeboK, um dieser Arbeit den gehörigen Nach-
druck zu verleihen. Dazu kommt, daß es die
Römlinge von jeher verstanden haben, politische
^Strömungen und Leidenschaften für sich auszu-
nutzen, indem sie. allen Principien hohnlachend,
jedesmal dasjenige politische System auf ihre Fahne
pchreiben, das ihren Zwecken gerade am förderlich-
sten zu sein schien. In Baden hatte der Ultra-
montanismus, um die liberale Regierung zu be-
kämpfen, die Wahl zwischen einer konservativen
und einer radical-demokratischen Politik. Da in-
deß die erstere den Anschauungen des badischen
Volkes schwerlich entsprochen Hütte, so zauderte er
natürlich keinen Augenblick, sich die Forderungen
^ der äußersten Demokratie anzueignen.
(Schluß folgt.)
^ N rr rr d s ch a rr.
Die Eröffnung des deutschen Zoltparlamentes
hat in trockener, ges.lmNsmäßiger Weise stattgefun-
den. Staatsminnler Delbrück verlas die Eröff-
nungsrede. Die Süddeutschen sind mit Ausnahme
Bayerns noch schwach vertreten; Mohl (Württem-
berg), Bliintschli (Baden). Metz und Bamberger
(Hessen) sind bis jetzt auf ihren Plätzen,
Bismark leidet an der Gelbsucht. Kein Wun-
der, das könnte noch bei mehr Leuten Yassiren!
In Frankreich bereitet sich in Gestalt des Ple-
biscits eine ungeheure Wahlbewegung vor Der
Souverän tritt hier mit jedem wahlberechtigten
Staatsangehörigen in unmittelbare Berührung ; den-
noch neunen die demokratischen Blätter diesen
ganzen Wahlakt eine Komödie! Nun, wenn das
eine Comödie ist, so ist es wenigstens das franzö-
sische Volk, welches sich zum Statisten hergibt, wäh-
j rend sich Napoleon die Heldenrolle vorbehält. Un-
> sere Demokraten v.rurthcilen aber mit der Bezeich-
nung „Comödie" nicht nur das Plebiscit, sondern
das directe Wahlsystem überhaupt, denn, wenn
hier nicht der wahre Volkswille zum Ausdruck
kommt, wie soll er sich im dirccteu Wahlrecht Bahn
brechen e
In Nom trügt man sich wegen der Unterdrü-
ckung des Kathottcismns in Polen mit dem Ge-
Aerschicdcne Wege.
Ein Stückten: aus der guten alten Zeit
(Fortsetzung.)
Sic kommen wie gerufen, sagte mir der Vorsteher,
denn soeben hat der Lehrer, welcher sich um die Stelle be-
worben, mir abgcschriebcn. Es steht also bei Ihnen, ob
Sie morgen die Orgel spielen wollen. So war denn die
Sache schnell abgemacht. Ter Vorsteher, der Gefallen an
mir zu finden schien, lud mich ein, an sein Instrument zu
treten. Ich dachte, das soll so eine Borprobe sein und setzte
mich. Tas Instrument war vortrefflich. Ich hatte lange
so keines gespielt. Wie mir'S öfter ging, so traf sich's denn
auch hier. Ich vergaß, daß außer mir noch Jemand in
der S.ube war. Alles, was ich heute erlebt, bewegte auf's
Neue meine Sette und im wilden Sturm der Gefühle er-
brausten die Accorde. Allmählig legte sich der Sturm.
Eine tiefe Wehmuth zitterte durch die Saiten. Meine Seele
klagte dem Herrn, was sie schmerzlich durchgekämpft und
das Bewußtsein, daß er alle Geschicke der Menschen zum
Besten lenke, sprach sich in milden W.iscn aus, und ging
zuletzt in den Choral über: „Besiehst du deine Wege rc."
Len ich parierte und fugcnartig durcharbcitetc, bis ich mit
einem vollen Accorde das Amen aussprach.
Ich stand auf. Mit Verwunderung sah ich den ganzen
Familienkreis versammelt; die Mutter, zwei Töchter und
zwei Knaben, die Söhne des Hauses waren meine tiefergrif-
j fenen Zuhörer gewesen, ohne daß ich es ahncte.
Herr Candidat, sagte der Vater mit Begeisterung, Sie
i sind ein Meister, wie mir Wenige vorgckonimen sind. Ich
, bitte Lie, nehmen Sie die St.lle an. Es wird Sie nicht
gereuen. TaS Vermögen der Kirche ist groß. Ter Kirchen-
; Vorstand wird einen: Manne Ihrer Kunst gern ein Erkleck-
liches zutegen. Und dann, bitte ich, geben Sic meinen
! Kindern Unterricht.
Tie Mutter reichte mir ihre Hand und sagte, ich danke
! Ihnen für den Genuß, den Sie uns bereitet und lege zn
^ der Bitte meines Gatten noch eine ein, seien Sie heute unser
Gast zum Abcndbrod, morgen z m Mitlage!
Ach ja! Ach ja! baten die Kinder.
Mir wurde so eigentümlich zu Muthe, daß ich fast
j meinem Gefühle nicht wehren konnte. Tas war ein Ab-
l stand gegen heute früh bei dem Ehegcrichtsrath! Ich konnte
^ den Bitten nicht widerstehen und blieb. Während des Es-
sens erwiderte ich dem Vater, der mir sagte, er habe meine
j Phantasie so recht mit seinem Herzen begleitet, wie sie so
recht das, was ich an diesem Tage erlebt, abgespiegelt habe.
Ich mußte erzählen und Lhatv. Ich Uetz sie in mein Le-
ben blicken und dieses gewann mir diese edeln Herzen vol-
lends.
Wie empört waren sie über Das, was sie hörten.
Auf's Neue bat mich der Vater, meinem inneren Berufe
zur Musik zu folgen. Er zeigte mir, wie Mannheim gerade
der Ort dafür sei, und inalte mir, ohne zn lebhafte Farben,
eine schöne Zukunft. Es war spät, als ich diese li.be Fa-
milie verließ. Schlafen konnte ich nicht.
Frühe hatte der Vorsteher, der ein reicher, angesehener
Kaufmann war, Alles bereits geordnet. In Einem Hanse
erwart.tc ich das Lied. Ter Küster brachte cs endlich. Es
war wieder das herrliche: „Wachet auf rc.", und meines
Vaters schöne Composition, die ich unvergeßlich innc hatte,
trat mir in die Gedanken.
ES läutete endlich.
Ich ging mit dem Kaufmannc zur Kirche. Sie war
gedrängt voll. Ich setzte mich auf die Orgelbank und spielte
meines theuern Vaters Composition und sie hob meine
Seele zum heiligsten Gefühl. Ich glaube, daß ich nie sie-
lenvollcr gespielt habe. Ohne an den Zweck zu gedenken,
zu dem ich spielte, legte sich meine ganze Seele in die Töne,
die aus dem herrlichen Instrumente wunderbar hcrvorquollcn.
Dann ging ich in die Melodie über und leitete den Ge-
sang. Beim Schlüsse desselben bli.b ich in der Melodie