Samstag, 31. Dezember 1870.
Vierter Jahrgang.
Uo. M
Amts-Mrküiidigmigsölatt für den Bezirk Schwehingen.
Erscheint wöchentlich drei Mal nebst der belletristischen Beigabe SonntagZblatt. — Alle Postanstalten und Boten nehmen Bestellungen an. — Preis vierteljährlich 45 kr.
Inserate die dreigespaltenc Pctitzeüe oder deren Raum 3 kr. L o k a l a n z e i g en 2 kr.
Zur Lage.
Die unverhoffte Verzögerung de? Kriegsendes
erzeugt sehr natürlich Ungeduld und Verstimmung-
Aber nicht alles, was natürlich ist, ist gut. Die
Ungeduld Hilst uns keinen Schritt vorwärts und
die Verstimmung ändert nichts an der Sachlage.
Wahl aber untergräbt sie den rüstigen Math und
die standhafte Entschlossenheit, deren die Nation in
dem großen Kampfe um ihre Zukunft bedarf.
Darum soll man diesen kleinmütyigen Gefühlen,
wenn man sie nicht ganz ersticken kann, Wider-
stand leisten und ihnen nimmermehr die Herrschaft
einränmeu. Der Wunsch, daß alles bald vorüber
sein möchte, stieg selbst in der Brust Wellington'?
auf, als er bei Waterloo den heißen Kampf
kämpfte, aber er ließ den Wunsch doch keinen
Augenblick auf seine Thatkraft Einfluß gewinnen.
Wie damals der englische Feldherr sich an dem
Bewußtsein stärkte, daß von seinem Ansharren
unermeßliche Interessen abhingen, so müssen auch
wir, wenn der Anblick der Kriegsgrüuel, ver Ge-
danke an die Leiden und Opfer unserer Brüder
im Felde, die Trauer über die Gefallenen, Ver-
stümmelten und Kranken uns zu überwältigen
droht, das Herz Härten und stählen in der Er-
wägung, daß es eine Versündigung an unserem
Vaterlands sein würde, wollten wir jetzt, ehe der
w etliche Zweck des Krieges gesichert ist, erschlaffen
und müde werden. Je furchtbarer der Krieg sich
uns zeigt, um so dringender, sollte man denken,
wird die Mahnung, alles aufzubieten, was in un-
sern Kräften steht, um der Wiederkehr solcher Dinge
vorzubeugen. Dies ist es ja, nachdem der feind-
liche Einfall von unfern Grenzen abgewehrt wor-
den, einzig und allein, was unsere Heere ins Herz
Frankreichs geführt hat; Sicherheit und Bürgschaft'
gegen die Gefahr, über kurz oder lang zu einem
abermaligen Waten durch Blutströme gezwungen
zu» werden, begehreu sie, und diese Sicherheit ver-
weigert uns der Feind mit verbissener Hartnäckig-
keit. Wie ist es möglich, von Frieden zu reden,
so lange jene Gefahr nicht gründlich und auf die
Dauer beschworen ist?
Von den Neutralen kann man es wohl ver-
stehen, daß sie Angesichts der langwierigen Bela-
gerung von Paris, Angesichts der blutigen Gefechte
au der Loire und der ungeheuren Schwierigkeiten
eines Winterfeldzugs ausrufen: „Deutschland Hütte
nach der Kapitulation von Sedan Frieden schlie-
ßen sollen." Ohne Zweifel wäre das für den
Augenblick das Bequemste gewesen, und das Weih-
nachtsfest wäre in den meisten Häusern vergnüg-
ter gefeiert worden, als jetzt möglich war. ' Wir
hätten einige Hundert Millionen Thaler einkassirt,
um die Kriegskosten zu zahlen, und wären mit
unfern Lorbeeren nach Hause marfchirt, wo wir
die angenehme Aufgabe vorgefunden haben wür-
den, uns auf den nächsten Krieg gegen Frankreich
vorznbereiten, auf einen Krieg unter erschwerenden
Umständen wahrscheinlich, weil Frankreich, belehrt
durch seine Niederlagen, vermuthlich sich besser rü-
sten und klüger operiren würde, als in diesem
Jahr. Hätten wir nach dem Tage von Sedan
Frieden schließen wollen, so mußten wir auf eine
bessere Grenze verzichten; Metz und Straßburg
wären in den Händen des Feindes geblieben; die
gefangene Armee Mac Mahon's wäre in Freiheit
gesetzt worden; die Armee Bazaine's wäre uner-
schüttert aus Metz ausmarschirt; die Hülfsquelleu
Frankreichs wären nur oberflächlich geschädigt ge-
wesen ; wenige Jahre hätten genügt, um das
Land zu einem neuen und furchtbareren Angriffe
wieder in Stand zu setzen. Unter dem Eindrücke
der erlittenen Demüthigung würde das Volk der
Regierung alle Mittel zur Verfügung gestellt ha-
ben, um eine zahlreichere, besser organisirte, besser
mit Artillerie versehene Heeresmacht aufzubriugen;
alle Feindschaften in Europa, deren wir uns zu
rühmen haben, würden von der französischen Di-
plomatie gegen uns aufgewiegelt worden sein, und
wir hätten uns darauf gefaßt machen müssen, im
gegebenen Augenblicke eine Koalition verschworener
Großmächte wider uns im Felde zu sehen. Selbst
das geeinigte Deutschland würde solchen Eventua-
litäten nicht mit Ruhe haben entgegensetzen dür
feu; ob aber Deutschland aus einem solchen Frie-
densschlüsse geeinigt, wirklich und innerlich geeinigt
hervorgegangen wäre, mag wohl bezweifelt werden.
Wir können uns nicht darüber täuschen, daß Süd-
deutschland in dein Bunde mit Norddeutschland vor
allen Dingen Sicherheit gegen Frankreich sucht;
die Zeit wird ihm den Bund auch noch aus an-
dern Gründen werth und lieb machen, aber zur
Zeit und zunächst ist es doch die Sorge um die
eigene Existenz, was den Bund erst möglich ge-
macht hat. Würde man ihn gesucht, würde mau
ihn namentlich mit bundesfreundlicher Gesinnung
gepflegt und gefestigt haben, wenn nach wie vor
die Grenze im Westen steter Juvasionsgefahr offen
gelegen hätte? Hätten Bayern und Württemberg
für den Preis eines bloßen Waffenstillstandes ihre
Sonderstellung dahingegebeu?
Nach der Kapitulation von Sedan konnte der
Friede nicht geschloffen werden, weil Frankreich
gerade diejenigen Friedensbedingungen ablehute,
die allein uns eine gewisse Bürgschaft gegen Er-
neuerung des Raubanfalls boten. Selbst wenn
man damals die längere Dauer des Widerstandes
vorausgesehen hätte, würde König Wilhelm nicht
Bedenken getragen haben, den Krieg fortzusetzen.
Die Dinge lagen so, daß damals Milde gegen den
Feind gleichbedeutend gewesen wäre mit Grausamkeit
gegen das eigene Volk. Schmerzlich wie die Opfer
sind, welche seitdem der Feldzug gekostet hat und
ferner kosten wird, sie durften uns nicht erspart
werden, wenn wir nicht unfern Kindern, ja viel-
leicht uns selber nach wenigen Jahren noch ungleich
größere Opfer aufbürden wollten, die dann vielleicht
vergeblich gebracht werden müßten.
So paradox es klingt, so ist es doch buch-
stäblich wahr, daß wir gegenwärtig Krieg führen
aus Abscheu vor dein Kriege. Es ist sehr bedauer-
lich, sich in eine solche Lage versetzt zu sehen, aber
darüber viel zu jammern ist unpraktisch. Wir
leben einmal in einer sehr schlechten Welt, und
um sie einigermaßen erträglich zu machen, müssen
wir damit aufangeu, ihre Schlechtigkeit als das
Gegebene anzuerkennen. Es ist ein Unglück für
uns, daß wir neben uns einen Nachbarn wahnen
haben, oer uns nicht in Ruhe lassen will; aber
dies Unglück ist einmal vorhanden, und es bleibt
uns nichts anderes übrig, als entweder es uns
über den Kopf wachsen zu lassen, wie in früheren
Zeiten geschehen, ober durch Kampf und Arbeit es
zu überwinden, wie wir gegenwärtig im Begriffe
stehen. Wir machen dabei die Erfahrung, daß
solche Anstrengungen etwas Fürchterliches an sich
haben, aber wir wissen, daß es noch zehnmal fürch-
terlicher sein würde, wenn wir das Verderben über
uns hereinbrccheu ließen. Der Trost ist nicht sehr
tröstlich für denjenigen, der davon ausgeht, daß
die Welt ihm Glück und Behagen schuldig sei;
wer aber weiß, daß das Leben, wenn es köstlich
gewesen, eitel Mühe und Arbeit gewesen ist, der
hat wenigstens den Vortheil, daß er den entner-
venden Einfluß steter Enttäuschung und nagender
Ungeduld sich leichter fern hält. Man hefte den
Blick auf die Uebel, denen wir entronnen sind,
nicht auf die, welche wir leiden; mau wiege sich
nicht in schmeichlerische Hoffnungen, sondern denke
täglich an die Größe der gestellten Aufgabe und
au die bereits überwundenen Schwierigkeiten; man
erfülle sich vor allen Dingen mit dem Gefühl,
wie verschwindend klein das kleine Ich des Einzel-
nen neben den riesigen Interessen, um die gekämpft
wird, sich ausnimmt, und man wird leichter und
zugleich würdiger die erhabenen Tage miterleben,
als wenn man dem Unabänderlichen seine Schreck-
nisse nachrechnet.
Zur Tagesgeschichte.
Berlin, 24. Dezbr. Die „Nordd. A. Z."
äußert sich in der Luxemburger Angelegenheit kurz
und bündig: „Niemand als die entschiedenste
Feindseligkeit gegen Deutschland vermag in Abrede
zu stellen, daß die luxemb. Neutralität von den
Franzosen verletzt und von der luxemb. Regierung
nicht gewahrt worden ist. Massen von militäri-
schen Flüchtlingen französischer Nationalität sind
durch das Großherzogthum nach Longwy und
Montmedy gegangen und es steht unzweifelhaft
fest, daß Thionville mit Zulassung der luxemb.
Regierung von dorther mit Lebensmitteln versehen
worden ist. Kein Vernünftiger und billig Den-
kender wird uns verargen, wenn wir bei Zeiten
Vorkehrung treffen, daß diese Art von Neutralität
sich uns nicht ferner in den Weg stellt, daß wir
in Folge derselben nicht von den Franzosen um-
gangen 'werden, daß sic unsere Truppen nicht wei-
ter gefährdet, wenn wir zur Belagerung von Long-
wy schreiten. Kann die großh. Regierung dies
der Macht der srauz. Ostbahu gegenüber selbst
verhüten, gut. Wo nicht, so müssen wir für sie
eiutreten."
Köln, 24. Dez. Ein ruchloser Verschwö-
rungsplan, welcher einen Aufstand und Durchbruch
der französischen Kriegsgefangenen nach Frankreich
Vierter Jahrgang.
Uo. M
Amts-Mrküiidigmigsölatt für den Bezirk Schwehingen.
Erscheint wöchentlich drei Mal nebst der belletristischen Beigabe SonntagZblatt. — Alle Postanstalten und Boten nehmen Bestellungen an. — Preis vierteljährlich 45 kr.
Inserate die dreigespaltenc Pctitzeüe oder deren Raum 3 kr. L o k a l a n z e i g en 2 kr.
Zur Lage.
Die unverhoffte Verzögerung de? Kriegsendes
erzeugt sehr natürlich Ungeduld und Verstimmung-
Aber nicht alles, was natürlich ist, ist gut. Die
Ungeduld Hilst uns keinen Schritt vorwärts und
die Verstimmung ändert nichts an der Sachlage.
Wahl aber untergräbt sie den rüstigen Math und
die standhafte Entschlossenheit, deren die Nation in
dem großen Kampfe um ihre Zukunft bedarf.
Darum soll man diesen kleinmütyigen Gefühlen,
wenn man sie nicht ganz ersticken kann, Wider-
stand leisten und ihnen nimmermehr die Herrschaft
einränmeu. Der Wunsch, daß alles bald vorüber
sein möchte, stieg selbst in der Brust Wellington'?
auf, als er bei Waterloo den heißen Kampf
kämpfte, aber er ließ den Wunsch doch keinen
Augenblick auf seine Thatkraft Einfluß gewinnen.
Wie damals der englische Feldherr sich an dem
Bewußtsein stärkte, daß von seinem Ansharren
unermeßliche Interessen abhingen, so müssen auch
wir, wenn der Anblick der Kriegsgrüuel, ver Ge-
danke an die Leiden und Opfer unserer Brüder
im Felde, die Trauer über die Gefallenen, Ver-
stümmelten und Kranken uns zu überwältigen
droht, das Herz Härten und stählen in der Er-
wägung, daß es eine Versündigung an unserem
Vaterlands sein würde, wollten wir jetzt, ehe der
w etliche Zweck des Krieges gesichert ist, erschlaffen
und müde werden. Je furchtbarer der Krieg sich
uns zeigt, um so dringender, sollte man denken,
wird die Mahnung, alles aufzubieten, was in un-
sern Kräften steht, um der Wiederkehr solcher Dinge
vorzubeugen. Dies ist es ja, nachdem der feind-
liche Einfall von unfern Grenzen abgewehrt wor-
den, einzig und allein, was unsere Heere ins Herz
Frankreichs geführt hat; Sicherheit und Bürgschaft'
gegen die Gefahr, über kurz oder lang zu einem
abermaligen Waten durch Blutströme gezwungen
zu» werden, begehreu sie, und diese Sicherheit ver-
weigert uns der Feind mit verbissener Hartnäckig-
keit. Wie ist es möglich, von Frieden zu reden,
so lange jene Gefahr nicht gründlich und auf die
Dauer beschworen ist?
Von den Neutralen kann man es wohl ver-
stehen, daß sie Angesichts der langwierigen Bela-
gerung von Paris, Angesichts der blutigen Gefechte
au der Loire und der ungeheuren Schwierigkeiten
eines Winterfeldzugs ausrufen: „Deutschland Hütte
nach der Kapitulation von Sedan Frieden schlie-
ßen sollen." Ohne Zweifel wäre das für den
Augenblick das Bequemste gewesen, und das Weih-
nachtsfest wäre in den meisten Häusern vergnüg-
ter gefeiert worden, als jetzt möglich war. ' Wir
hätten einige Hundert Millionen Thaler einkassirt,
um die Kriegskosten zu zahlen, und wären mit
unfern Lorbeeren nach Hause marfchirt, wo wir
die angenehme Aufgabe vorgefunden haben wür-
den, uns auf den nächsten Krieg gegen Frankreich
vorznbereiten, auf einen Krieg unter erschwerenden
Umständen wahrscheinlich, weil Frankreich, belehrt
durch seine Niederlagen, vermuthlich sich besser rü-
sten und klüger operiren würde, als in diesem
Jahr. Hätten wir nach dem Tage von Sedan
Frieden schließen wollen, so mußten wir auf eine
bessere Grenze verzichten; Metz und Straßburg
wären in den Händen des Feindes geblieben; die
gefangene Armee Mac Mahon's wäre in Freiheit
gesetzt worden; die Armee Bazaine's wäre uner-
schüttert aus Metz ausmarschirt; die Hülfsquelleu
Frankreichs wären nur oberflächlich geschädigt ge-
wesen ; wenige Jahre hätten genügt, um das
Land zu einem neuen und furchtbareren Angriffe
wieder in Stand zu setzen. Unter dem Eindrücke
der erlittenen Demüthigung würde das Volk der
Regierung alle Mittel zur Verfügung gestellt ha-
ben, um eine zahlreichere, besser organisirte, besser
mit Artillerie versehene Heeresmacht aufzubriugen;
alle Feindschaften in Europa, deren wir uns zu
rühmen haben, würden von der französischen Di-
plomatie gegen uns aufgewiegelt worden sein, und
wir hätten uns darauf gefaßt machen müssen, im
gegebenen Augenblicke eine Koalition verschworener
Großmächte wider uns im Felde zu sehen. Selbst
das geeinigte Deutschland würde solchen Eventua-
litäten nicht mit Ruhe haben entgegensetzen dür
feu; ob aber Deutschland aus einem solchen Frie-
densschlüsse geeinigt, wirklich und innerlich geeinigt
hervorgegangen wäre, mag wohl bezweifelt werden.
Wir können uns nicht darüber täuschen, daß Süd-
deutschland in dein Bunde mit Norddeutschland vor
allen Dingen Sicherheit gegen Frankreich sucht;
die Zeit wird ihm den Bund auch noch aus an-
dern Gründen werth und lieb machen, aber zur
Zeit und zunächst ist es doch die Sorge um die
eigene Existenz, was den Bund erst möglich ge-
macht hat. Würde man ihn gesucht, würde mau
ihn namentlich mit bundesfreundlicher Gesinnung
gepflegt und gefestigt haben, wenn nach wie vor
die Grenze im Westen steter Juvasionsgefahr offen
gelegen hätte? Hätten Bayern und Württemberg
für den Preis eines bloßen Waffenstillstandes ihre
Sonderstellung dahingegebeu?
Nach der Kapitulation von Sedan konnte der
Friede nicht geschloffen werden, weil Frankreich
gerade diejenigen Friedensbedingungen ablehute,
die allein uns eine gewisse Bürgschaft gegen Er-
neuerung des Raubanfalls boten. Selbst wenn
man damals die längere Dauer des Widerstandes
vorausgesehen hätte, würde König Wilhelm nicht
Bedenken getragen haben, den Krieg fortzusetzen.
Die Dinge lagen so, daß damals Milde gegen den
Feind gleichbedeutend gewesen wäre mit Grausamkeit
gegen das eigene Volk. Schmerzlich wie die Opfer
sind, welche seitdem der Feldzug gekostet hat und
ferner kosten wird, sie durften uns nicht erspart
werden, wenn wir nicht unfern Kindern, ja viel-
leicht uns selber nach wenigen Jahren noch ungleich
größere Opfer aufbürden wollten, die dann vielleicht
vergeblich gebracht werden müßten.
So paradox es klingt, so ist es doch buch-
stäblich wahr, daß wir gegenwärtig Krieg führen
aus Abscheu vor dein Kriege. Es ist sehr bedauer-
lich, sich in eine solche Lage versetzt zu sehen, aber
darüber viel zu jammern ist unpraktisch. Wir
leben einmal in einer sehr schlechten Welt, und
um sie einigermaßen erträglich zu machen, müssen
wir damit aufangeu, ihre Schlechtigkeit als das
Gegebene anzuerkennen. Es ist ein Unglück für
uns, daß wir neben uns einen Nachbarn wahnen
haben, oer uns nicht in Ruhe lassen will; aber
dies Unglück ist einmal vorhanden, und es bleibt
uns nichts anderes übrig, als entweder es uns
über den Kopf wachsen zu lassen, wie in früheren
Zeiten geschehen, ober durch Kampf und Arbeit es
zu überwinden, wie wir gegenwärtig im Begriffe
stehen. Wir machen dabei die Erfahrung, daß
solche Anstrengungen etwas Fürchterliches an sich
haben, aber wir wissen, daß es noch zehnmal fürch-
terlicher sein würde, wenn wir das Verderben über
uns hereinbrccheu ließen. Der Trost ist nicht sehr
tröstlich für denjenigen, der davon ausgeht, daß
die Welt ihm Glück und Behagen schuldig sei;
wer aber weiß, daß das Leben, wenn es köstlich
gewesen, eitel Mühe und Arbeit gewesen ist, der
hat wenigstens den Vortheil, daß er den entner-
venden Einfluß steter Enttäuschung und nagender
Ungeduld sich leichter fern hält. Man hefte den
Blick auf die Uebel, denen wir entronnen sind,
nicht auf die, welche wir leiden; mau wiege sich
nicht in schmeichlerische Hoffnungen, sondern denke
täglich an die Größe der gestellten Aufgabe und
au die bereits überwundenen Schwierigkeiten; man
erfülle sich vor allen Dingen mit dem Gefühl,
wie verschwindend klein das kleine Ich des Einzel-
nen neben den riesigen Interessen, um die gekämpft
wird, sich ausnimmt, und man wird leichter und
zugleich würdiger die erhabenen Tage miterleben,
als wenn man dem Unabänderlichen seine Schreck-
nisse nachrechnet.
Zur Tagesgeschichte.
Berlin, 24. Dezbr. Die „Nordd. A. Z."
äußert sich in der Luxemburger Angelegenheit kurz
und bündig: „Niemand als die entschiedenste
Feindseligkeit gegen Deutschland vermag in Abrede
zu stellen, daß die luxemb. Neutralität von den
Franzosen verletzt und von der luxemb. Regierung
nicht gewahrt worden ist. Massen von militäri-
schen Flüchtlingen französischer Nationalität sind
durch das Großherzogthum nach Longwy und
Montmedy gegangen und es steht unzweifelhaft
fest, daß Thionville mit Zulassung der luxemb.
Regierung von dorther mit Lebensmitteln versehen
worden ist. Kein Vernünftiger und billig Den-
kender wird uns verargen, wenn wir bei Zeiten
Vorkehrung treffen, daß diese Art von Neutralität
sich uns nicht ferner in den Weg stellt, daß wir
in Folge derselben nicht von den Franzosen um-
gangen 'werden, daß sic unsere Truppen nicht wei-
ter gefährdet, wenn wir zur Belagerung von Long-
wy schreiten. Kann die großh. Regierung dies
der Macht der srauz. Ostbahu gegenüber selbst
verhüten, gut. Wo nicht, so müssen wir für sie
eiutreten."
Köln, 24. Dez. Ein ruchloser Verschwö-
rungsplan, welcher einen Aufstand und Durchbruch
der französischen Kriegsgefangenen nach Frankreich