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Bezirk Schwetzingen [Hrsg.]; Amtsbezirk Philippsburg [Hrsg.]
Schwetzinger Wochenblatt: Amts-Verkündigungsblatt für den Bezirk Schwetzingen ; badische Hopfenzeitung — 1870

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Juni (Nr. 65 - 76)
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https://doi.org/10.11588/diglit.30183#0301

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Aints-Verküildlgllilgsötatt für den Bezirk Schwetzingen.

Badische H n p s e n r e i 1 n n g.

Erscheint wöchentlich drei Mal nebst der belletristischen Beigabe S o n n t a g s b l a t t. - Alle Pastanstaltei, und Boten -aehinci! Bestellungen an. — P r e i s vierteljährlich 45 kr.
Inserate die dreigespaltenc Petiizeilc oder deren lliaum 3 kr. L s k a l a n z e i g c n 2 kr.

L st e r r c i ch.
(Schluß)
Man sieht also: wie sehr immer das Mini-
sterium Potoki sein Festhalten an der Verfassung,
die nur der nothwendigsten Reform unterzogen wer-
den soll, betont, — die gesunde Fortentwickelung
Oesterreichs auf einer wirklich liberalen Basis ist
doch keineswegs garantirt. Und sobald einmal die
liberalen Grundlagen der gegenwärtigen Verfassung
gefährdet sind, so steht wieder Alles in Frage.
Wir gestehen offen, wir würden es tief be-
dauern, wenn auch durch die gegenwärtigen Aus-
gleichebestrebungen nicht ein definitiver Zustand
erreicht würde, aus welchem der österreichische Kaiser-
staat sich endlich kräftig und gesichert emporrichten
könnte. Kein nationalgesinuEr Deutscher hat ein
Juterresse an dem „Zerfall" dieser Monarchie;
vielmehr gibt es kaum zwei Staaten auf der Welt,
die naturgemäßer auf gegenseitige Freundschaft und
festes Zusammenstehen angewiesen wären, als das
neue Deutschland und Oesterreich-Ungarn. Wenn
auch die deutsche Nationalität auf die politische
Oberherrschaft in dem weiten Donaureiche hat ver-
zichten müssen, ihren gewichtigen Einfluß als das Alles
befruchtende Kulturelement in diesem bunten Gemisch
v. Magyaren, Romanen und Slaven aller Schattir-
ungen wird sie doch behalten. Darum hat diese
ganze österreichisch-ungarische Monarchie für uns
die Bedeutung einer Vormauer deutschen Wesens
gegen den auch uns bedrohenden Panslavismus,
und in Deutschland ihren Zerfall wünschen hieße
gradezu in's eigene Fleisch schneiden.
Daraus mag ersehen werden, mit welchem
Rechte unsre ultramontane Presse die nationale
Partei in Deutschland unablässig als den geschwore-
nen Feind Oesterreichs hinstellt. Sobald man
Oesterreich anffaßt, wie es seit dem Prager Frieden

einzig und allein ausgefaßt werden kann, als jenes
Oesterreich, welches für alle Zeiten aus Deutsch-
land ausgetreten ist, wird jeder verständige Na-
tionale in Deutschland diese Beschuldigungen von
ultramontaner Seite als abgeschmackte Lügen zu-
rückweisen. Aber freilich, unsere schwarzen Herren
haben von Oesterreich eine sehr andere Vorstellung
als wir. H. Baumstark hat unlängst gesagt, es
beginne Licht zu werden in Oesterreich. Das ist
deutlich genug gesprochen. Tie liberale Entwicke-
lung in welcher sich der Kaiserstaat seit der Kata-
strophe von 1866 bew le, hat diesen Herren im-
mer nur als ein vorül rgebenoes Nebel gegolten;
in der anscheinend erfo greichen Rührigkeit, welche
das Pfaffeuthum in der gegenwärtigen Wahlbe-
wegung entwickelt, glauben sie die sichern Anzeichen
der Umkehr in das alte Geleise erblicken zu dürfen.
Sie träumen wieder von Oesterreich als dem Hort
der kirchlichen Reactiou, des allgemeinen Obscuran-
tismus nnd selbstverständlich ist es ihnen ein un-
umstößlicher Glaubenssatz. daß dieses Oesterre.ch
alsbald im Bunde mit Frankreich den verhaßten
Norddeutschen Bund zusammenschlagen und min-
destens ganz Süddentschland unter seine Ober-
herrschaft bringen werde.
Oesterreich so aufgefaßt, würde allerdings
jeder nationalgesinnte Deutsche als der entschloßenste
Gegner desselben gelten müssen. Einstweilen jedoch
haben wir noch Grund zu der Annahme, daß man
in Wien die Aufgaben des österreichischen Staats-
wesens anders versteht, als die Politiker des
„Badischen Beobachters," und wir halten fest an
der Hoffnung, daß der Groll, welcher von König-
grütz her sitzen geblieben, allmählich — und sollte
es auch bis nach dem dereinstigen Rücktritt des
Grafen Beust dauern — verschwinden und zwischen
Deutschland und Oesterreich-Ungarn sich ein segens-
reiches Freundschaftsband knüpfen wird.

Baden.
* Schwetzingen, 27. Juni. Die Gemein-
dewahlen, welche sich nach und »ach im Lande voll-
ziehen, rufen in Stadt und Land eine nicht ge-
ringe Aufregung hervor, die sich nicht immer in
den Grenzen der Ordnung bewegt, sondern da und
dort zu bedauerlichen Demonstrationen und Aus-
schreitungen Veranlassung gibt.
Möge die Bürgerschaft eines jeden Ortes,
nachdem die Stimmen der Wahlberechtigten ge-
sprochen, bedenke», daß es der Minderheit geziemt,
sieh der Mehrheit zu fügen und daß es nach
beendigtem Wahlkampfe die Pflicht eines jeden
wohlgesinnten Bürgers ist, sich auch dem Gegner
wieder zu nähern, denn welchen Zuständen gingen
wir entgegen, wenn Parteisucht und Parteihaß
sich in der Gemeinde dauernd einnisten und die
Handlungsweise eines jeden Gemeindeangehörigen
auf den öffentlichen Gebieten bestimmen wollten?
Man reiche sich die Hände, strebe gemein-
schaftlich, das Beste des Gemeindewesens
zu fördern. Tauchen in der Zwischenzeit Fragen
von politischer Tragweite auf, wohl, so trenne
man sich auf kurze Zeit, jeder sammele sich um
die Fahne, der er angehört, dann aber wieder —
Friede in der Gemeinde, Friede im Hause, keine
Feindschaft und Bitterkeit um politischer und con-
fessioneller Gegensätze willen. Das ist der Sinn
unserer Gesetze — so sei es auch.
Aus Stadt und Land.
* Schwetzingen, 27. Juni. Sicherem Ver-
nehmen nach wird die Uebergabe der Rheinthal-
bahn am 15. Juli an den Staat- erfolgen und
durch Letzter» die Bahn am 1. August dem Ver-
kehr erschlossen werden.
— Am Samstag Abend veranstaltete der hie-
sige Sängerbund unter Mitwirkung der Sänger-

Ein Karfner in Jew-Hork.
Eine kleine Gifchichte v. Maximilian Thiele.
(Schluß.)
Die Harfe über die Schulter gehängt und
mit der Linken nachschlevpeud, den rechten Arm
zornerfüllt noch gegen seine Peiniger da hinten
schüttelnd, wurde er von dem Bedienten mehr mit
Gewalt als freiwillig hineingezogen. Barmherzig-
keit ! Welche Gestalt! Diese klägliche Gnoinen-
sigur, die von ihrer Harfe wohl noch tim einen
Fuß überragt wurde, — diesen Knabenkörper, die
spindeldürren Arme und Beine hatte ein böses
Mitleid mit einem anständigen, schwarzen Anzüge
bedeckt, der auf einen weit ausgewachseneren Kör-
per berechnet war. Wie schlotterten die Acrmel,
wie plump unförmlich hing der Rock um die ge-
ängstete Gestalt, die sich in den zerfetzten Lumpen
gewiß zehnmal liebenswürdiger geinacht hätte.
Aber diese ganze Karrikatur hätte man der Natur
verzeihen mögen für den schönen Kopf, der darauf
saß. Ein ausgewachsener, malerischer Mannes-

kopf ! Ganz bleich war das Gesicht, ja erschreckend
weiß, als habe ein fürchterlicher Anblick ihm für
immer das italienische Blut aus den Wangen ge-
trieben ; aber da er, wenn inan mit ihm sprach,
nur durch Mienenspiel antwortete, so drückte sich
jede Empfindung der Seele, Bedauern, Freude,
Mitleid, Schmerz. Zorn so unmittelbar und kind-
lich rein in den Muskelbewegungen dieses Antlitzes
aus, daß man diesen Kopf, mit dem blanschwarzen,
raphaelisch wallenden Haar und gleichfarbigen
Bart für einen der malerischsten auf der Welt
halten mochte. Nur in die Augen mußte
man ihm nicht sehen, die wie Kohlen auf einem
Schneefelde so todt und doch so verborgenen Feuers
voll unter dunkel buschigen Augcnbrauncn lagen.
Da war der Riß deutlich zu sehen, den das Schick-
sal durch diesen Spiegel geschlagen hatte, — da
war jener Nebelschleier hinübergebreitct, durch den
die Seele, welche uns todt scheint, Dinge zu sehen
schwört, die wir nicht sehen; das war jener er-
schreckende Blindenblick, der hinter sich, statt nach
vorn sieht, immer in sich hiueinwühlt, statt die
Welt zu betrachten.
Und es war ein geängsteter, unglücklicher

Blick, der nnr ruhiger wurde, wenn er spielte und
seine Harfe anschaute. Daher habe ich ihn in den
New-Porker Straßen mitten in Hagel, Sturm und
Schnee auf seinen Saiten klimpern gesehn, wenn
ringsum keine Menschenseele zu schauen nnd kein
Penny für ein Stück Brod zu erwarten war.
Er wurde ganz ruhig, als ihn die behagliche
Wärme des Zimmers umfing und die Gräfin auf
ihn zutrat. Er nickte ihr freundlich zu und da
sein Jdeengang ihm keine andere Möglichkeit seines
Hierseins vorstellen mochte, so blies er in seine
starr g frorenen Hündchen, stellte seine Harfe vor
sich hin und begann Pflichtschuldigst zu spielen.
Der Italiener spielte das alte deutsche Volkslied:
„Wenn ich am Fenster steh' u. in die Ferne seh,
dann muß ich immer, immer weinen."
Wie altmodisch!
Ich habe die deutschen Volkslieder von Aus-
wanderern aus dem Meere singen hören, als das
Nachtlicht am Maste auf und niederschwankte und
die wandernden Wogen die mächtige Begleitung
dazu brausten; in Maryland habe ich auf einer
Farm am Sonntag Abend die Neger einen Choral
nach der Melodie: „Steh ich in finstrer Mitter-
 
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