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Bezirk Schwetzingen [Editor]; Amtsbezirk Philippsburg [Editor]
Schwetzinger Wochenblatt: Amts-Verkündigungsblatt für den Bezirk Schwetzingen ; badische Hopfenzeitung — 1870

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Juli (Nr. 77 - 90a)
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https://doi.org/10.11588/diglit.30183#0317

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Donnerstag 7. Jnli 1870. 8«. 79. Werter Jahrgang.


Imts-Merküildiguiigsökatt für den Bezirk Schwetzingen.

Badische H l> ps cnf ri 1 nng.

Erscheint wöchentlich drei Mal nebst der belletristischen Beigabe S o n n t a g s b la t t. - Alle Postanstalten und Boten nehmen Bestellungen an. — P r e i s vierteljährlich 45 kr.
Inserate die dreigespultene Petitzeile oder deren Nauni 3 kr. L » k a l a n z e i g e n 2 kr.

Ein Gedenktag.
Zuin vierten Male min hat sich das Jahr
gewendet, seit ans den böhmischen Feldern die blu-
lige Entscheidungsschlacht geschlagen ward. Wahl
wissen wir. daß es in gewissen Kreisen nach immer
Verpönt ist, die Siege des preußischen Heeres von
1866 als herrliche nationale Thaten zu rühmen.
Nicht allein die weißgelben und die blauweißen,
die schwarzen und die rathen Helden der Phrase
vain fluchwürdigen Bruderkriege, nein, auch so
manche der nationalen Sache freundlicher gestimmte,
aber allzn weich empfindende Gemüther wollen
nichts wissen von solcher Glorification des Krieges,
dieses „Nestes der abscheulichsten Barbarei." Teotz-
alleöem bekennen wir es laut: der Jahrestag der
Schlacht bei Koniggrütz, der 3. Juli, ist für das
deutsche Volk ein nationales Freudenfest.
Oder sollten wir solch' Bekenntnis; etwa ver-
schweigen ans Furcht vor dem Geschrei unserer
Feinde? O nein: je toller ihr Lärmen, um so
größer, um so berechtigter unsere Freude. Ist es
denn nicht sonnenklar, daß all' ihre Declamationen,
so voll von sittlicher Entrüstung, nichts weiter sind
als der Wuthschrei der Verzweiflung über den
werdenden deutschen Staat, den ihre Ohnmacht
nicht zu hindern vermag? Oder wie? glauben sie
wirklich einen verständigen Menschen weißmachen
zu können, wir haben Freude am Kriege bloß um
des Krieges, um des rohen Schlachtens willen?
wahrhaftig nein! Aber wir hatten die Predigt von
der „Abschaffung des Kriegs" nicht für ein heilig
Evangelium, sondern für eitel Firlefanz, und nichts
dünkt uns thorichter, als darüber zu streiten, ob
der Krieg eine Barbarei oder ein nothwendiges
Uebel oder gar eine gesunde Kraftäußernng des
Volklebens sei. Der Krieg kommt mit der Na-
turnothwendigkeit eines Gewitters — und ist es

eine Sünde, sich des Gewitters zu freuen, wenn
es heilbringend für die Landschaft gewesen?
Ein solch naturnothwendiges und heilbringen-
des Gewitter war der Krieg von 1866. Nur
der stumpfste Stumpfsinn des Particularisten konnte
verkennen, daß die staatliche Gestaltung Deutsch-
lands, wie sic im deutschen Bunde vorhanden war,
unmöglich länger ohne wesentliche Veränderung
fortbestehen konnte. Kein Vernünftiger täuschte
sich darüber, daß das Grundgebreämi öes alten
Bundesverhältnisses in dem Widerstreit zwischen
Preußen und Oesterreich gelegen war. Zwei Groß-
staaten, die sich einander nicht beugen wollten und
konnten, zwei Großstaaten, die beide nicht mit
ihrem ganzen Gebiete dem Bunde angehörten und
jedes Widerstreben gegen eine Bundesmaßregel mit
der Nothwendigkeit der Wahrung ihrer „europäi-
schen" Stellung zu entschuldigen wußten — wie
wäre da auch nur oer geringste Fortschritt zu einer
einheitlicheren, strafferen Buudesorganisation denk-
bar gewesen? Die Auseinandersetzung zwischen
Preußen und Oesterreich war die unumgängliche
Vorbedingung, wollte man das allgemein empfun-
dene Bedürsniß ei'.^r Refo-m der staarlichen Ge-
staltung Deutschlands wirklich befriedigen.
Gutmüthige Schwärmer mochten glauben,
daß diese Auseinandersetzung auf gütlichem Wege
würde bewerkstelligt werden können. Wer die
Dinge nur etwas tiefer geprüft hatte, konnte nicht
überrascht sein, als im Frühjahr 1866 die Frage
auf die Spitze des Degens gestellt ward. Der
Tag von Königgrätz entschied. Oesterreich ver-
zichtete infolgedessen auf jede weitere Betheiligung
an den deutschen Angelegenheiten und so war es
endlich erreicht, daß die deutsche Nation aufathmen,
daß sie mit berechtigter Hoffnung der Er-
füllung ihrer so lange vergeblich gehegten Wünsche
entgegensehen konnte, daß wenigstens die Mög-

lichkeit einer politischen Neugestaltung Deutsch-
lands gegeben war.
Wohl mag damals noch mancher besonnene
Mann die volle Tragweite dieses Sieges bezweifelt,
wohl mag mancher gute Patriot sich haben
schrecken lassen durch die Phrase, der Sieg werde
zu Gunsten des specifischen Preußenthums auf Ko-
sten Deutschlands ausgebeutet werden. Allein,
es bedurfte nur der richtigen Fragestellung, um
sich die nationale Seite der Sache zu klarer
Anschauung zu bringen. Eine von den beiden
Großmächten m ußte ans Deutschland weichen.
Wessen Ausscheidung aber war vortheilhafter für
die Gesammtheit, die Oesterreichs, oder die Preu-
ßens ? Der Kaiserstaat mit seinen 9 Millionen
Deutschen und 26 Millionen Nichtdeutschen, wie
Hütte er ja das deutsche Interesse als das vor-
wiegend bestimmende Moment seiner Politik be-
trachten können, betrachten dürfen? Auch der beste
Freund Oesterreichs, wenn er aufrichtig genug?ist,
wird zugeben müssen, daß er für seine prädomini-
rende Stellung im deutschen Bunde kein anderes
Recht aufzuweisen hatte, als die mehrhundertjährige
Jnhaberschaft der längst begrabenen deutschen Kaiser-
krone. Oesterreichs deutschnationale Stellung war
gegründet auf eine Chimäre, das reale Interesse
seiner Politik lag außerhalb der deutschen
Grenzen. Wie anders Preußen! Seine fast reine
deutsche Bevölkerung, seine Zerspaltung in eine
östliche und eine westliche Hälfte zwangen ?s,
deutsche Politik zu machen; sein eigenstes In-
teresse fiel zusammen mit dem von ganz Deutsch-
land. Oesterreich konnte aus Deutschland aus-
scheiden, ohne daß die Lebensfähigkeit des Ganzen
beeinträchtigt war, Preußen aus Deutschland ver-
drängen Hütte Deutschland vernichten heißen.
So lagen die Dinge damals. Und die Ent-
wicklung dieser vier Jahre hat denen Recht gegeben

Die deutsche Konversationsstunde.
Novelle von P. Würz.
(Fortsetzung.)
1.
„O weh! ich armer, geschlagener, akademi-
scher Bürger," hätte der Studiosus in seinem
Schrecken beinahe gesagt; allein er besann sich
noch zur rechten Zeit aus die Lehren des Pro-
fessors B . . . > und sagte pflichtschuldigst, dies-
mal mit einem verzweifelten Bücklinge:
"Zu befehlen Herr General!"
„Dabei", fuhr der General fort, „müssen Sie
nicht glauben, als sei meine Nichte, welche zwar
achtzehn Jahre alt und für ihr Alter recht hübsch
und naiv ist, in den Wissenschaften wer weiß wie
sehr bewandert; sie soll es erst durch Ihre Mit-
wirkung werden, vorläufig ist sie noch eine recht
dumme Gans."
„Zn befehlen, Herr General!" platzte der
Studiosus vorschriftsmäßig heraus; aber kaum
war das unwiderbringliche Wort den unbedachten

Lippen entflohen, da fühlte er, was er gesagt und
gefehlt, nnd die ungeheuerste Verlegenheit bemäch-
tigte sich seiner.
Der General lächelte und weidete sich einen
Augenblick an dein Entsetzen Waldens: darauf
sagte er freundlich:
„Sie sehen nun wohl selbst ein, lieber Herr
Waiden, daß Ihre verdammte Redensart: Zu be-
fehlen, Herr General, nicht auf alle Fälle paßt;
ich schlage vor, Sie lassen sie künftig ganz weg
und wir behandeln die vorliegende Sache aus so
natürliche und ungezwungene Weise, wie nur immer
möglich. Zur Besiegelung dieses Übereinkommens
will ich JhiicN eine Cigarre prüsentiren nnd bitte
mir die Erlaubniß ans, meine Pfeife weiter fort-
rauchen zn dürfen."
„Zu befeh . . ." weiter kam Walden dies-
mal nicht; der General drohte mit dein Finger,
schmauchte vergnügt einige starke Wolken und prä-
sentirte Walden die nöthigen Utensilien. Darauf
erkundigte er sich nach Walden's Familienvcrhält-
nissen. nach dessen bisherigen Studien und Be-
schäftigungen, und jemehr es dem Studiosus ge-
lang, seiner Verlegenheit los zu werden und auf

natürliche Weise, wie andere vernünftige Menschen-
kinder zn reden, desto inehr gewann er sichtlich
das Herz des Generals, kurz dieser war nach Ver-
lauf einer halben Stunde recht sehr für den Stu-
diosus eingenommen. Als Walden's Cigarre zu
Ende ging, sagte der General:
„Noch Eins, seien Sie in Ihrem Unterrichte
nicht zu pedantisch in Bezug auf das Zeitmaß;
wenn Sie sehen, daß die Schülerin absolut keine
Lust mehr hat, so suchen Sie nicht das Interesse
mit Gewalt hervorzubringen, sondern gehen Sie
ruhig nach Hause."
Walden beschloß in seinem männlichen Ge-
müthe, diese Ermahnung sich ganz besonders ein-
znprägen.
Unterdessen ging der General in's Neben-
zimmer, aus welchem er nach einer kleinen Weile,
völlig zum Ausgehen angekleidet, heraustrat. „Nun
lassen Sie uns gehen," sagte er, „ich will Sie
meiner Nichte und der verwittweten Professorin
Padrock, bei der sie in Pension ist, vorstellen."
Walden war recht verwundert, er hatte ge-
glaubt, die Nichte wohne im Hause des Onkels;
doch hier galt kein Besinnen und kein Fragen.
 
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