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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (4) — 1922 (Januar bis April)

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Nr. 11 - Nr. 20 (13. Januar - 24. Januar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.48721#0067
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Tageszeitung für die Werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen,


Adelsheim, Boaeberg, Tauberbischofsheim und Wertheim.

Bezugspreis: Monatlich eiiüchl. Trägerlohn Anzeigniprecse^
Die einspaltiae Petitzeile (36 mm brett) 2.- Mk-, ^'«me

Heidelberg, Samstag, 14. Januar 1922
Nr. 12 * 4. Jahrgang

Verantwort!.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft ».Feuilleton:
Dr. E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales-
O.Geibel; für die Anzeigen: H. Horchler, sämtliche in Heidelberg.
Druck u. Verlag der Unterbadischen Verlags» stalt G. m. b.H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schröoerstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2649.

Zur Lage.
Kr. H etdelb erg, den 14. Januar.
„Die englische Regierung wünscht lebhaft, datz dte Konferenz
von Cannes zu einem bestimmten Ergebnis gelange, das sowohl
von der französischen, als auch von der englischen öffentlichen Mei-
nung, wie auch von derjenigen Europas gebilligt werde." Mit
diesem bedeutsamen Satze beginnt eine jetzt bekannt gewordene
Denkschrift der englischen Regierung, in der diese Briand ihren
Standpunkt für die Konferenz von Cannes auseinandersetzt. Aus
weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Gründen heraus hält hier
England eine grundsätzliche Revision der Reparationspolttik und
überhaupt der gesamten Europapolitik fiir notwendig, und unter
Hinweis auf die englische Arbeitslosigkeit und Handelskrise, sucht
es Frankreich für diese Neuorientierung zu gewinnen. Briand
hat sich seit Wochen und Monaten diesen Gründen nicht ver-
schlossen. Er war auch in Cannes bereit, den englischen Weg
Mttzugehen, positive Ergebnisse zur politischen und wirtschaftlichen
Befreiung Europas zu schaffen, ohne dadurch etwa Lebenstnteresfen
Frankreichs preiszugeben. Sowohl mit der Regelung der Repa-
ration für 1922 konnte Frankreich, so wie die Dinge nun einmal
lagen, zweifellos zufrieden sein, als auch mit dem ihm von England
vorgeschlagenen Garantievertrag. Vorausgesetzt allerdings, das;
es Frankreich ehrlich um eine praktische Lösung nicht nur von sei-
nem nationalen Standpunkt, sondern von einer erweiterten europa-
politischen Basis aus zu tun war. Man mus; Briand das Zeugnis
ausstellen, daß er in Cannes für Frankreich herauszuholen suchte,
was überhaupt herauszuholen war, gleichzeitig aber war es ihm
darum zu tun, Frankreich unter keinen Umständen zu isolieren und
den prinzipiell anders orientierten weltwirtschaftlichen Gesichts-
punkten Englands Rechnung zu tragen. Aber hier hatte er die
Rechnung ohne den Wirt gemacht, hier stieb er aus den verzweifelten
Widerstand derP o in c ar e, T ard i e u, K l o tz, L a st ey ri e nsw,.
die kein Iota von dem Buchstaben des Versailler Vertrags abzu-
weichen gewillt find, die in fanatischem Nationalismus nur die
-tzloire srancaisc" kennen, sonst nichts auf der Welt. Seit
Monaten schon intriguierten sie gegen Briands Politik der Mäßi-
Svng, sie konnten es nickt verstehen, daß man nicht längst schon
über die Grenzen des Friedensvcrtrags hinaus sich neue Faust-
pfänder in Deutschland verschafft und so den „Steg" machtpolitisch
bis zum äußersten ausgenützt hat. Das sind die Leute, die in der
französischen Presse und in der Kammer immer wieder von der
neuen deutschen Mobilmachung, von den Vorbereitungen des Re-
vanchekriegs, den Schwarzwaloarmeen faseln, nicht etwa weil sie
selbst an diese Gespenster glauben, sondern weil sie sie brauchen,
Mr Rechtfertigung ihrer Gewaltpolitik. Schon vor Cannes setzten
sie alles daran, um Briand zu stürzen und sofort, als Briand nach
Cannes abgereist war, machten sie Presse und Parlamentsaus-
schüsse mobil. Sie wußten, genau wie unsere deutschen Reaktio-
näre, was Cannes für sie bedeutete: siegte dort die englische Be-
trachtung der Dinge, kam es dort zu einem Moratorium für
Deutschland und zur Einberufung der europäischen Wirtschafts-
konferenz, so war dies der Anfang zum Ende des Versailler Ver-
trags und damit auch zunr Ende ihrer Gewaltpolitik. Darum
mutzte es zur Machtprobe kommen, Briand mutzte gestürzt werden.
Briand hat es vorgezogen, freiwillig zu gehen, ohne eine Abstim-
mung abzuwarten. Man kann wohl der Meinung sein, datz wenn
er es zu einem Vertrauensvotum hätte kommen lassen, er nochmals
eine Mehrheit aus seine Politik vereinigt hätte, da zweifellos nicht
dte Mehrheit der Deputierten hinter der Katastrophenpolitik Poin-
cares steht. Aber angesichts der Art, wie in der Presse, im Mi-
utsterrat und in der Kammer gegen ihn gearbeitet worden ist, an-
gesichts der ironischen Skepsis, mit der man seine Darlegungen
ansnahm, hielt Briand eine weitere Arbeit für unfruchtbar und
seins Stellung für unterminiert. Vielleicht reiste in ihn; angesichts
der Situation in Paris der Entschluß, endlich einmal die seit
Monaten latente Krise zum Ausbruch kommen zu lasten, damit
eine umso raschere Gesundung eintrete. Vielleicht war sein Gedan-
kengang: nun gut, sollen diese ewigen Nörgler und Krittler ein-
mal zeigen, was sie besseres fertigbrtngen und sich dabei unsterblich
blamieren.
Die Konsequenzen der neuen Situation lassen sich heute in
ihrem vollen Umfang nicht überblicken und beurteilen. Sicher ist
indes, datz — was wir gestern kaum noch erwartet haben — uns
ein vorläufiger Zahlungsaufschub gewährt wurde gegen die Stimme
Frankreichs und datz wir zur Wirtschaftskonserenz von Genua offi-
ziell ringelnden wurden, sowie datz dte deutsche Regierung schleu-
nigst ein Finanz- und Reparationsprogramm auszuarbeiten, d. h.
Versäumnisse von Wochen und Monarewnachzuholen hat. Dte Zwi-
schenperiode wird für Deutschland vielleicht neue Not u. neues Leid
bringen, aber unser Trost ist, datz die Neuorientierung marschiert
und m?tz sie kommen wird. Weil ökonomische Notwendigkeiten dazu
zwingen, und diese Entwicklung wird auch ein Kabinett Poincare
höchstens um einige Mocken Verzöger», nicht aber annullieren kön-
nen. Das Wichtigste «st, wie hier bereits gestern angedcutet worden
'st, daß wir inncrpolitisch den Kopf oben behalten. Wir dürfen
nicht wieder Situationen bekommen, wie wir sie im Mai dieses
Jahres und dann nach der Entscheidung über Oberschlesien erlebt
haben, wo Negierung und Parteien in Berlin nichts Wichtigeres
»u tun hatten, als über Koalitionssragcn, Neubesetzung von Mi-
tzisterposten m a. m. zu debattieren. Es besteht die grobe Gefahr,
las; die Rechte dte neugeschasfene Situation gegen das Kabinett
Wirth ausuützen wird. Seit Wochen schreibt ja die Rechte von
mm Bankerott der Ersüllungspolitik, mit den gemeinsten Mitteln
suchst mau Rathenau, den Unterhändler der deutschen Regie-
rung, zu diskreditieren. Unsere Reaktionäre, an ihrer Spitze Herr
) elfferich, haben ja nur auf einen solchen Ausgang gewartet.
Vsincare und feine Mannen hätten ihren deutschen Gesinnungs-
Mosten keinen größeren Gefallen tun können, denn auch für sie
Mts ein Erfolg von Cannes sine entscheidende Niederlage bedeutet.

So aber verteidigen sie ihre Gewaltpolitik mit der Poincares und
rufen sie nach dem .Staatsmann", der die Bismarcksche Blut- und
Eisenpolitik wieder zu Ehren bringen soll. Die „Südd. Zt g."
schreibt mm Mittwoch, den 11. Januar, u. a.:
Der Ueberblick über die politischen und wirtschaftlichen Pro-
bleme Europas zeigt bet Besprechung der einzelnen Länder be-
reits die Lage und die Aufgabe Deutschlands. Keine
französisch-deutsche Kontinentalpolitik erfüllt diese Aufgabe
Deutschlands. Zu den Vereinigten Staaten Europas gelangen
wir nur über Moskau und nie über Paris. Kein Hoffen und
Vertrauen aus die englische Einsicht erleichtert Deutschland diese
Aufgabe. Dem zwischen Slaventum und Angelsachsentum einge-
keilten tausendjährigen Kulturzentrum Europas taugt nicht die
Rolle eines Dominions est — britisch Empire. Und doch liegt
in der Wirtschaftskrise, von der wir die englische Einsicht erhoffen,
und in der machipolttischen Unfreiheit Englands das nächste
Mittel gegen die durch Paris drohende Versklavung. Nur dar-
über muk man sich klar sein, England stellt in seine Rechnung
nur Willensfaktoren ein, erkennt nur im Willen eine Macht an.
Deshalb weicht es zur Zeit Frankreich aus, deshalb verhindert
es nicht die Mißhandlung Deutschlands. Solange in Deutschland
Pazifismus die Parole ist, solange Deutschland unter der Herr-
schaft des Mammonismus steht, welcher zur Täuschung der ur-
teilslosen Massen den Schafspelz des Marxismus angelegt hat,
solange nicht Blut und Eisen als die einzigen Beherrscher des
Meuschengeschiüs wieder in ihre alten deutschen Rechte eingesetzt
werden, solange neben dem Opfer an Gut und Blut nicht das
Opfer des Schweißes als deutsche Pflicht gefordert, der Achtstun-
dentag als unveräußerliches Menschenrecht heilig gehalten wird,
solange ist Deutschland kein Machtfaktor, mit dem England rech-
nen kann, solange ist es die Beute, um die England und Frank-
reich feilschen, und mag sie darüber zum Teufel gehen.
Opferbereitschaft und Willensstärke, Blut, Eisen und Schweiß
machen allein uns frei. Grwerkschaftssekretiire sind keine Führer
zur Opserbereitschaft, keine Führer in Schwettz und Blut. Inter-

nationale HSndlergrötzen sind keine Führer zu völkischer Willens-
stärke. Sie werden nicht einmal in London als erwünschte Unter-
händler angesehen. Man will dort und erwartet eine deutsche
Art Willensäußerung und nicht ein feilschendes nach Art des
Kautschukes anschmiegsames und klebendes Unterhändlertum.
Das schematische Beharren auf der Erfüllung und das Ab-
warten aus das Ende des Londoner Schacherns um die deutsche
Zukunft sind keine Aeußerungen deutschen Willens. Er tritt erst
wieder in Erscheinung, wenn das ganze deutsche Volk seine
Freiheit nicht in einer formal-demokratischen Verfassung, son-
dern im Widerstande gegen die anderen Völker der Welt suchen
wird. Dazu es zu erziehen ist unsere Aufgabe."
Diese Sätze sprechen für sich selbst, sie sind fast wortwörtlich
die Uebersetzung dessen, was die Meute Poincares in den letzten
Tagen in der Pariser Presse gegen Briand geschrieben hat. Auf
diesen Ton wird die deutschnationale und volksparteiltche Agitation
in den nächsten Wochen in Presse und Parlament gestimmt sein.
Demgegenüber darf es für alle Parteien, die auf dem Boden des
neuen Staates stehen, nur ein eindeutiges und unbedingtes Fest-
halten an dem seit dem 10. Mai eingeschlagenen Kurs unserer
Außenpolitik geben. Auch die neue französische Regierung wird
sehr bald mit Wasser kochen müssen und die Ernüchterung in Paris
wird kommen,-vielleicht schneller als man heute denkt, aber nur,
wenn wir nüchtern bleiben. Der Erkenntnisprozeß wird
auch in Frankreich unaufhaltsam vorwärtsschretten und bis zu
dem Tage, an dem er die Oberhand gewinnt, müssen wir die jetzt
eingeschlagene Linie einhalten. Poincare, der gerade in den letz-
ten Wochen wieder durch die Veröffentlichungen des „Berliner
Tageblatt" als einer der schuldbeladensten Weltkriegshetzer entlarvt
worden ist, wäre es zuzutrauen, daß er Europa von neuem in ein
solches Verhängnis stürzt. Es wird ihm nicht gelingen, wenn
die deutsche Politik der republikanisch-denwkraltsch-paziftstischsn
Mitte standhält.

Em vorläufiges Moratorium beschlossen.
Die Bedingungen. — Ein deutscher Finanz- und NeParsLrousPlan verlangt. —
Tie Konferenz von Genua findet statt.

Die Schlußsitzung in Cannes.
Paris, 14. Jan. Der deutschen Delegation wurde in der ge-
strigen Schlußsitzung des obersten Rates der Beschluß der Repara-
tionSkommisston mitgeteilt, Deutschland einen vorläufigen Zah-
lungsaufschub zu gewähre»». Die Bedingungen hierfür sind
folgende:
Deutschland zahlt alle 1v Tage eine Summe von 31 Mitt. Gold-
mark, beginnend am 18. Januar.
Die deutsche Regierung muß innerhalb 14 Tagen der Repara-
tionskommifsion Reform- »md Garanttepläne für den
deutschen Staatshaushalt und den deutschen Papiergcldumlauf so-
wie ein vollständiges Programm für Vie Barzahlungen
und Sachleistungen im Jahre 1SM unterbreiten.
Diese provisorische Stundung au Deutfchland nimmt ihr Ende,
sobald die RcparationSkommissio» oder die alliierten Regierungen
über Vie von Deutschland unterbreiteten Pläne und sei»» Zahlungs-
programm eine»» Beschluß gefaßt Haven.
Die Differenz zwischen de» tatsächlichen Abzahlungen und de»
geschuldeten Summen nach dem Londoner Zahlungsplan wird fäl-
lig binnen 14 Tage»», nachdem die Alliierten über dte von Deutsch-
land unterbreiteten Pläne eine Entscheidung getroffen haben.
Offizielle Einladung an Deutschland für Genua
Parts, 14. Jan. Der deutschen Delegation in Cannes wurde
gestern dte Einladung für die Konferenz in Genua übergeben. Dr.
Rathenau nahm die Einladung im Namen der deutschen Re-
gierung an
Lloyd George in Paris. — Das Kabinett
PoinearL.
Parts, 14. Jan. Sämtliche Delegationen haben Cannes
gestern verlassen. Llovd George hat sofort nach Eintreffen
der Nachricht von der Bildung eines Kabinetts Poincare be-
schlossen, nach Paris zu reisen, um sowohl mit Poincare als auch
mit dem Präsidenten der Repnbltk, Mtllerand, eine Unter-
redung zu haben. Er hat gestern abend um 5 Uhr im Extrazug
Cannes verlassen.
Paris, 13. Ja«. Senator Poincare hat sich nachmittags
5 Uhr zum Präsidenten Mtllerand begeben und erklärt, datz
er die Kabinettsbildung durch führen werde.
Das „Journal des Debats" gibt heute abend als mögliche
Mintsterltste: Ministerpräsident und Minister des Aeußeren Nah-
mond Poincare, Justizminister Senator de Selbes oder
Abgeordneter Raiber 1 t, Inneres Abgeordneter Manoury,
Krieg bisheriger Pensionsminister Magtnot, Marine Abgeord-
neter Landru, Finanzen Abgeordneter de Lastehrte, Handel
Senator Francois-Mars al. Unterricht bisheriger Unter-
rtchtsministcr Leon Berard, Landwirtschaftsmintster Senator
Jean Durand, Kolonien bisheriger Kolonialminister Sarraut,
Arbeit Senator Dartac, öffentliche Arbeiten bisheriger Minister
der öffentlichen Arbeiten le Tro quer, Unterstaatssekretär beim
Ministerpräsidenten früherer Kabinettschef Millerands, Reiber.

Die Lage in Berlin.
Kabinettsitzung. — Dte Deutschnationalen verlangen Cinberusimg
des Auswärtigen Ausschusses.
Berit»», 14. Jan. Die Entscheidung der Neparationskommis-
sion, die für die im Januar und Februar fälligen Zahlungen ein
Moratorium unter gewissen Bedingungen Vorsicht, ist der Reichs-
regierung gestern in den späten Abendstunden bekämet geworden.
Die Roichsregierung wird heute vormittag in eine interne Bespre-
chung darüber etntreten.
Wie die Tel.-U;rion von deutschnationaler Seite erfährt, hat die
deutfchnationnle Reichstagsfraktion die Einberufung des auswärti-
gen AusschusteZ bei dem Vorsitzenden beantragt. Sie gibt sich nicht
mit einer Verschiebung bis Mittwoch zufrieden, sondern verlangt
dringend, daß der Ausschuß auf heute Samstag einberufen wird.
Die Berliner Presse zu Briands Sturz.
Die Berliner Presse beschäftigt sich in zum Teil sehr ausge-
dehnten Leitartikeln mit der Demission des Kabinetts Briand, sie
sucht vor allem die Gründe, dte Briand zu seinem Schritt veranlaßt
haben mögen, darzulegen. Bezüglich der deutschen Politik und das,
was kommt, ist der allgemeine Grundton auf Abwarten gestimmt.
Der „Vorwärts" schreibt: „Briand ist also nicht gegangen,
u»n zu entsagen, sondern er hat es getan, um stärker zu werden.
Er will seine Politik, nötigenfalls in der Opposition, weiter fort-
setzen, um sie früher oder später als Ministerpräsident zum Ziel zu
führen. Durch diese Taktik hat er seinem Nachfolger die Sache
nicht leichter gemacht. . . .
Hat die Reparationskommission tatsächlich den Zahlmigsauf-
schuv beschlossen und ist sie entschlossen, von dieser Entscheidung
nicht mehr abzugehen, dann hat Briand tatsächlich gar nichts an-
ders dem; als kluger Sachwalter französischer In-
teressen gehandelt, wenn er bei der Festsetzung der Bedingungen
dieses Aufschubs möglichst viel an politischen und wirtschaftlichen
Sicherungen für Frankreich herauszuholen suchte, und dann ist
sein Beweis schlüssig, datz kein französischer Ministerpräsident, ohne
schweres Unheil über Frankreich zn bringen, anders handeln kann,
als er gehandelt hat.
Somit stände in» Augenblick nichts fest als der Deutschland
gewährte Zahlungsaufschub, alles andere, Cannes, Genua, das
englisch-französische Garantieabkommen, alles, alles wäre in Frage
gestellt. Selten sind mit einem Streich soviel Töpfe zerschlagen
worden als mit dem Streich, den die nationalistische Opposition
gegen Briand geführt hat, und cs ist F ra n k r e i ch, das vor einem
Scherbenhaufen steht. Wieder einmal scheint es sich zu erweisen,
datz die lautesten Redner von des Vaterlandes Macht und Ehre
in der Wirkung die allerschlechtesten Patrioten sind.
In Deutschland wird man gut tun, der kommenden Regierung
Frankreichs mit Spannung, aber ohne Voreingenommen-
heit, entgegenzusehen. Die Notwendigkeit, das Verhältnis zwi-
schen den beiden Nachbarn erträglich zn gestalten, ist so zwingend,
daß keine französische Regierung imstande sein wird, ähr auszu-
weichen. Der gute Wille zu einer Verständigung, wie er sich beim
Abschluß des Wiesbadener Abkommens gezeigt hat, muß und wird
in Deutschland lebendig bleiben. Nichts wäre verfehlter als die
Festlrgung auf eine Politik mit England und Briand gegen Frank-
reich »md Briands Nachfolger."
Der Autzenpolttiker der „Vosf. Zt g." meint, die letzte Ursache
der Pariser Krise liege darin, daß die Verhandlungen mit England
jetzt soweit gediehen sind, daß in der Frage einer selbständi-
gen französischen Macht Politik eine klare eindeutige
 
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