Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Eberbach, Morbach, Buchen,
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Heidelberg, Mittwoch, 5. April 1922
Nr. 81 * 4. Jahrgang
Verantwort!.: Für innere «. äußere Politik, Volkswirtschaft u. Feuilleton:
Dr.E. Kraue; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales:
O. Geibel; für die Anzeigen H. Horchler, sämtliche in Heidelberg.
Druck u. Verlag der Anterbadischen Verlagsanstalt G. m. b. H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schröderstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahms 2673, Redaktion 2648.
Noch keine Klärung.
Die Bedingungen der 2. Internationale. — Radeks Antwort.
Eine pessimistische Stimme.
Aus Berlin wird uns geschrieben:
Die Konferenz der drei Exekutiven von London, Wien und
Moskau, die am Sonntag in Berlin im Reichstagsgebände begann,
steh« unter keinem günstigen Stern. Der Sonntag brachte heftige
Auseinandersetzungen, hei denen die Parteien, wenn überhaupt
noch ulöKtch, m»r weiter auseinander, nicht näher zusammen
kamen. Am Montag früh mutzte die Fortsetzung der Debatte auf
3 Uhr nachmittags vertagt werden, um den Bergungen der ein-
zelnen Exekutiven über die, durch die Sonntcrgsdebatte geschaf-
fene Lage Raum zu gewähren. Au Mittag beschloß man, auch
am Nachnrittag die Beratungen der einzelnen Exekutiven fortzu-
setzen, und die gemeinsame Verhandlung aus Dienstag MH zu
vertagen. Gegen Mbend schien es nnwahrscheiuBich, daß die Ver-
handlungen am Dienstagmorgen wieder ausgenommen werden
könnten, und man sprach von ihrer Wiederaufnahme am Dims-
tagnachuritiag.
Der Konflikt, zu dessen Schauplatz am Sonntag das Fraktions-
zimmer der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion wurde, kam
nicht unerwartet. Bekanntlich war die Initiative zu dieser Kon-
ferenz von der in der Mitte zwischen der zweiten und vor dritten
Internationale stehenden Wiener Arbeitsgemeinschaft anKgegan-
gen. Die gemeinsame Beratung der drei Exekutiven sollte der
Vorbereitung eines allgenreinen Kongresses dienen, der von allen
drei Internationalen beschickt werden sollte. Mer schon auf der
Frankfurter Fünfländerkonferenz hatte die zweite Juiernatioimle
den Vertretern der Wiener Arbeitsgcnreinschaft die Bedingungen
bekannt gegeben, unter denen allein sie die VeranstaltMvg eines
allgemeinen Kongresses znsamnren nsit den Komrnuntften zustiirn-
men könnten. Diese Bedingungen forderten von der dritten Inter-
nationale den Verzicht auf alle »vetteren Versuche die europäische
Arbeiterbewegung zu spalte,» und zu zertrümmern, sie verlangten
für Georgien, das vom volschewifuschen JmpevtaUsarms vev-
MvÄltW ist, Selbstvestimmlingsrecht und für die nichtkslschewisti-
nhen politischen Parteien Rußlands, vor allem für die grausam
verfolgten Sozialdemokraten und Sozialrevolutionäre, menschliche
Behandlung.
Es »vor daher als selbstverständlich zu erwarten daß die 2.
Internationale auf der Berliner Konferenz diese Bedingungen zur
Sprache bringen würde, wie das auch am Sonntag durch den Gen.
Vandervelde in höchst maßvoller Form geschehen ist. Die
Antwort daraus war eine Rede Radeks, die ans die Fragen Van-
derveldes gar nicht einging, sondern die zweite Internationale
und ihre Vertreter mit wüsten Schmähungen überschüttete. Nach
Abbruch der Verhandlungen am Sonntagabend stand also die
Sache so, baß die zweite Internationale die Fortsetzung dieser De-
batte wünschen mutzte, um auf die wüsten Angriffe Radeks antwor-
te» zu können, daß aber die Konferenz und der Plan eines allge-
meinen Kongresses schon als gescheitert erschienen, weil ja die Bol-
schewik» aus die Bedingungen der zweiten Internationale nicht
eingegangen waren.
In der Debatte vom Sonntag hatte Radek versucht, zwischen
den Verhältnissen in Deutschland und denen in Rußland eine Pa-
rallele herzustellen. Er verglich das Schicksal der russischen Sozial-
demokraten und Sozialrevolutionäre mit jenem, weiches die Kom-
munisten irr Deutschland erlitten hätten. Nichtig ist nur soviel, daß
bei der Niederwerfung kommunistischer Aufstände in Deutschland
von einzelnen Truppenteilen mit überflüssiger Grausamkeit vor-
gegangen worden ist, was nieniaind schärfer kritisiert hat, als die
Sozialdemokratie. Richtig ist, daß von dem letzten mitteldeutschen
Ausstand her, d. h. seit ungefähr einem Jabr sich noch zahlreich«
Gefangene in den Gefängnissen befinden, deren Begnadigung von
den Sozialdemokraten gefordert wird und erst zum Teil, wenn auch
zu ziemlich großem Teil durchgesetzt worden ist. Aber kann man
solche Dinge irgendwie mit den Vorgängen in Rußland verglei-
chen? Die deutschen Kommunisten haben ihre Zeitungen, in denen
ste schreiben können, was fle wollen. Sie halten in geschlossenen
Räumen und unter freiem Himinel ihre Versammlungen ab, tn de-
nen sie reden können, was ste wollen. Sie haben den Reichstag,
die Landtage, die Stadtparlamente, die Betriebsversammlungen,
in denen ste so viel reden, daß neben ihnen andere Leute kaum noch
zu Wort kommen. Sie Haven die Möglichkeit, bei allen Wahle»
so viel zu agitieren, wie sie wollen, und wenn es ihnen gelange,
die Mehrheit des Volkes auf ihre Seite zu bringen, würden ste
auch die Regierung übernehmen.
In Rußland Haven die «ichtbolschewistischcn Sozialisten leine
Möglichkeit, auch nur ein Fetzen bedrucktes Papier herauszubrin-
Sen, sie können, ohne sich den schwersten Verfolgungen auszusetzen,
nicht öffentlich sprechen, sie sind in jeder Beziehung vollkommen
rechtlos und vogelfrei. Hätten ste nur ein Zehntel der Freiheit,
die bet uns die Kommunisten genießen, so würden sic das als
eine,« gewaltigen Fortschritt anerkennen. AVer auch dieses Zehn-
tel an Freiheit wird ihnen verweigert. Die Mitglieder der zwei-
ten Internationale dürften kein menschliches Herz in der Brust
haben, sie müßten darauf verzichten, als Sozialdemokraten für
politische Meinungsfreiheit zu kämpfen, wenn sie es unterlassen
wollten, sich zu Fürsprecher» der Genossen zu »nach««, die als ge-
steifte Flüchtlinge aus Rußland zu ihnen kommen. Zu Ehren der
Wiener Arbeitsgemeinschaft sei gesagt, das, sic sachlich in dieser
Frage ganz auf den» Standpunkt der zweiten Intern atto-
»ale steht. Sie zeigt nur ihrer Natur nach gegenüber den Bol-
Ichewtki eine Art von liebenswürdiger Schwäche, während die
zweite Internationale strikt bet ihre»» Grundsätzen und Fordrrun
gen bchmrt.
Die Bolschewik! hatten Wese Konferenz als ei»« Entlarvungs-
konfereuz geplant. Sie wollte»», wie ste sich auszndrücken lieben,
ihren polnischen Gegnern von der JnternmAoiMe ll und der In-
ternationale IlZH »Die Maske vom Gesicht reißen". Ste haben in-
des nur sich selber entlarvt. Die Berliner Konferenz wirb bank
derBerständniölosigkeit, mit der di« BolfchewM allen Forderungen
der Menschlichkeit und der Demokratie entgegen treten, ergebnislos
bleiben. Für Genua hat ste ein recht übles Vorspiel. Die Wiener
Arbeitsgemeinschaft batte es mit der Einberufung sicher sehr gut
gemeint, aber es ist nichts Gutes daraus geworden. Die wollte
Ost und West miteinander vereinen. Ste hat nur die Kluft auf-
gezeigt, die Europa und Asten voneinander trennt.
Die Dienstagsfitzrnrg. — Seratti, Otto Bauer
und Radek.
Berlin, 5. April. (Prtv.-Tel. d. .Volksztg.*) I» der gestri-
gen Sitzung der drei Exekutive« verlas Macdonald zunächst
eine Erklärung, welche die Bedingungen der 2. Internationale für
die Verhandlungen enthält. Sie erklärt sich darin einverstanden
mit dem Grundsatz einer allgemeinen Konferenz mit begrenzter
Zielsetzung nach den Vorschlägen der Wiener Arbeitsgemeinschaft,
aber vorher müssen die drei Bedingungen angenommen sein:
1. Der Verzicht auf die Taktik der Zellenbildung, 2. Einverständnis
mit der Einsetzung einer Kommission der drei Internationalen zur
Untersuchung der Lage tn Georgien mit dem Ziele einer
Verständigung unter den sozialistischen Parteien, 3. Befretung
der politischen Gefangenen oder wenigstens Führung
des Prozesses vor einem Gerichtshof mtter voller Wahrung der
Verleidigungsrechte und unter Kontrolle des internationalen So-
zialismus. Wenn Ihr diese Bedingungen annehmt, so schloß Mac-
donald, dann kann die Konferenz noch im Sommer stattfinden, und
ich glaube, wir könnten über dis Ausgaben der Konferenz von
Genua sehr bald Ueberetnstimmung erzielen, aber vorher muß die
Dritte Internationale durch eine klare Antwort zu erkenne»! geben,
ob es ihr wirklich um die Einheitsfront zu tun ist. Eine Konferenz
für lediglich taktische Zwecke machen wir nicht mit.
Hieraus versuchte der italienische Sozialist Serrattt zu ver-
mitteln, er riet von dem Versuch ab, durch Aufstellung von Be-
dingungen die Anhänger der 3. Internationale unter ein kaudini-
sches Joch zu zwingen. Auch Dr. Otto Bauer-Wien stützte zu
vermitteln. Angesichts der bevorstehenden Konferenz von Genua
wäre ein ergebnisloser Verlauf der Konferenz eine Katastrophe für
das Proletariat.
Schließlich erhielt Radek das Wort. Er ging sehr scharf mit
Macdonald ins Gericht und warf ihm vor, die englische Arbeiter-
partei stehe unbewußt unter dem Einfluß des englischen Imperia-
lismus, ste hätte sich die Stellungnahme Lloyd Georges, des „Be-
freiers der kleinen Völker", zu eigen gemacht. Erstes Gebot des
internationalen Proletariats sei jetzt die Erhaltung des russischen
Arbeiterstaates, weil er ein Vorposten der proletarischen Revolution
sei. DK 3. Jnternattorrale habe kein Vertrauen zur zweiten, aber
zum gemeinsamen Kampfe sei ste bereit. Was die Ablehnung der
Zeventakttk betreffe, so werde Moskau aus das Programm der
Revolutionierung der Gewerkschaften nie verzichten. Die Spal-
tung der Gewerkschaften habe schon der zweite Kongreß der "kom-
munistischen Internationale abgelehnt. Solange es in den
Gewerkschaften Fraktionen der S.P.D. und der U.S.P.D. gebe,
dürfe auch den kommunistischen Arbeitern die Frakttonsbildung und
die Verbreitung ihrer» Ideen auf dem demokratischen Wege der
Ueberzengung nicht verboten sein, wenn ste Gewerkschafts-
disziplin hielten, (l) In bezug auf die Untersuchungs-
kommisston für Georgien macht Radek gänzlich unklare Aus-
führungen. Auch die Frage der politische,» Gefangenen
behandelt er in einem Sinne, ddr es der Zweiten Internationale
unmöglich macht, an einer Verständigung weiter mitzuarbettenl
Dem Angebot, Vandervelde als Verteidiger der Sozialrevolutio-
näre nach Moskau zu schicken, tritt er mit den Worten entgegen,
daß dann auch die Dritte Internationale Gelegenheit nehmen
werde, einen Ankläger gegen Vandervelde vor dein Revolutions-
tribunal in Moskau wegen dessen Krtegspoltttk zu stellen.
Um 7 Uhr abends wird die Sitzung auf Mittwoch nachmittag
weitervertagt.
Die einzelnen Exekutiven werden im Laufe des Mittwoch vor-
mittag Besprechungen abhalten. Man hofft die Konferenz am
Mittwoch zu Ende führen zu können.
Die Antwort an die Reparationskommiffion.
Berlin, 5. April. Im Auswärtigen Amt ist man
augenblicklich damit beschäftigt, der Antwortnote der deutschen Re-
gierung auf das Schreiben der Neparationskoinmisston die letzte
Fassung zn geben. Wie die Teleunion erfährt, wird in der Ant-
wortnote auf dde Sttmmung des Auslandes tn großem Matze
Rücksicht genommen. Sie enthält Vorschläge, We viel weit-
gehender sind, als man nach der Rede des Reichskanzlers im
Reichstag annehmsn könnte. U. a. wird der Regierung vorgeschla-
gcn, die Besatzungskosten zur Rep arationsle istung heranguziehen.
Sie Wird ferner einen andern Zahlungsmodus in Vorschlag brin-
gen. Die Einzelheiten stehe« noch nicht fest, auch ist man sich noch
nicht darüber schlüssig, ob die Vorschläge in der eigentliche» ost
sizHellen Note ausgenommen werde», oder ob dazu die Form eines
Begleitschreibens gewählt werden soll
Deutscher Reichstag.
Ei»re Untwort Dr. Kösters an Poincare,
Berlin, den 4. April.
In der heutigen Sitzung wurde das Steuer-Mantelgesetz gegen
die Stimmen der Deutschnationalen, Unabhängige« und Kommu-
nisten angenommen.
Der Reichsfi»umzminlster
dankte den Kompromitzparteten für die Vollendung des Steuer-
werkes. Die Einziehung der »reuen Steuern soll so rasch und ener-
gisch wie nur irgend möglich vorgerwmmen werden. Das Ausland
könne aber aus dieser Steuerbewilligung ersehen, daß Deutschland
bereit fei, die ihr» auferlegten Lasten so weit ivie dies irgend »uög-
ktch ist, zu erfüllen.
Abg. Koenerr (Komm.) erhebt heftige,» Einspruch gegen die
Erklärung des Ministers. Er behauptet, datz dadurch die Aus-
sprache wieder eröffnet worden sei und verlangt für sich das gleiche
Recht. Es kommt dabei zu heftigen Szenen. Der Tnmult wächst
immer mehr als Koenen von einem Ueberfall des Ministers und
von einer Vergewaltigung seiner Partei sprach. Ein ungeheu-
rer Lärm entsteht. Pfui-Rufe und Schluß-Worte wechselte»,
miteinander ab. Die Glocke des Präsidenten dringt ,sicht mehr
durch, so daß Vizepräsident Dr. Rießer um K Uhr die Sitzung
schließen mutzte. Er beraumte noch für die Abendstunde eine
Abcndsttzung ein.
In der Abendsitzung fand die Weiterberatung der 2. Lesung
des Etats des Innenministeriums statt. Dabei antwortete der
Reichsmtnister des Innern Poincarö, der tn der französische»
Kammer am Montag erklärt hatte, Deutschland unterhalte ei»
Heer von 250 000 Mann, da man die 150 000 Mann Schupo zu den
100 000 Mann Reichswehr htnzuzählen müsse.
Reichsmtnister des Innern Dr. Köster
führte aus: Den Ausführungen in der französischen Kammer, daß
Deutschland über eine Macht von 250 000 Mann Schutzpolizei
verfüge, mutz ich in, Interesse der Wahrheit entgegentreten. Deutsch-
land hat nach dem Friedensvertrag ein stehendes Heer von 100 000
Mann. Auf der Konferenz von Spa sind uns an Polizei 150 000
Mann bewilligt worden. Wir hatten von vornherein nur 92 000
Mann als Ordnungspolizei tn Aussicht genommen. Augenblicklich
haben wir nur rund 80000 Mann. Wenn man also schon in der
französischen Kammer keinen Unterschied macht zwischen Reichs-
wehr und Schutzpolizei, so sollte ste sich doch wenigstens doch an
die richtigen Ziffern Halter», die ja auch der hiesigen Kon-
trollkommission bekannt sind.
Die Schutzpolizisten sind mit der Reichswehr doch gar nicht zu
vergleichen. Seit der Note von Boulogne ist die Schutzpolizei
ihres anfänglich »wehr »nilitärischen Charakters entkletdet wor-
den, und in der Note vom 15. März d. I. hat sich Deutschland ver-
pflichtet, von dem Rechte der Verstaatlichung weiterer Po-
lizetverwaltungen nur im Einvernehmen mit der Kontrollkommis-
sion Gebrauch zu machen, sämtliche Nachrichten- und Krastfahr-
abteilungen aufzulösen, die Kasernierung auszuheben, die Unifor-
men nach Abtragen in eine nicht feldmätzige Farbe zu ändern, die
aus Heeresbeftänden stammenden Geräte avzuliesern, alle zentralen
Depots der Einzelländer aufzulösen, die Instandhaltung der
Waffen gemätz der Note der Kontrollkommission vorzunehmen und
sämtliche Poltzeifahrzeuge mit Protzensystem abzuliefern.
Ich frage die europäische Oeffentlichkeit, ob diese 80 000 Mann
Schutzpolizei, die ihres letzten Restes von militärischem Charakter
entkleidet sind, von irgend einem ernsthafte,», nur einigermaßen
orientierten Mann als eine militärische Bedrohung Frankreichs
angesehen werden kann. Dazu kommt, datz im deutschen Land
135 000 bis an die Zähne bewaffnete französische, englische, belgische
und amerikanische Soldaten stehen, von denen jeder Mann mehr
kostet als ein Minister. Unsere Nachbarstaaten, beispielsweise die
Tschechoslowakei, haben weit stärkere Polizetkräfte.
Mit General Rollet schweben gegenwärtig Verhand-
lung e n. ' Deutschland würde schon aus sinarlziellen Gründen
lieber heute als morgen auf diese 80000 Mann Schutzpolizei ver-
zichten, wir sind aber durch unabweisbare Lebensnotwen-
dig k e i 1 e n gezwungen, sie zu halt e n.
In Frankreich zählt man aber auch die Technische Not-
hilfe, die Sport- und Regimentsvereine scheinbar zu
unserer Wehrmacht. Diese kameradschaftlichen Vereinigungen haben
mit militärischen Dingen nichts zu tun. Trotzdem bitte ich ste
und ihre Leiter, alle parademäßigen Spielereien zu unterlassen,
denn das deutsche Volk leidet darunter. Krieg führen wollen und
können diese Vereinigungen nicht urw unzulässige Bestrebungen
würden aus Grund des Friedensvsrtrags zu ihrer Auflösung
führen.
Die Technische Nothilfe hat selbstverständlich rnit Mi-
litär nichts z« tun, wen»» sie auch anfänglich der» »nilitärischen
Korpsbezirken angegliedert war. Die Sportvereinigungen würden
sich wundern über die Nolle, die ihnen von der französischen Kam-
mer angedichtet wird.
Ein offenes Wort zum Schluß: In Deutschland bestehen tnnner
noch gewisse g'e Heime Organisationen, die der Ver-
fassung und dem Gesetz zuwiderlaufen.
Die Reichsregierung bekämpft ste mit allen ihr zur Verfügung
stehenden Mitteln. Die ehemaligen Gegner Deutschlands mögen
bedenke»», welche schwere Verantwortung sie ganz Europa gegenüber
treffen würde, wenn sie die deutsche Schutzpolizei zerschlagen
wollten.
Der Minister fand während seiner Rede wiederholt lebhaft«
Zustimmung u»rd mn Schluß starke»» Beifall.
Die Wetterberatung wurde daraus auf Mtttwoch nachmittag
2 Uhr vertagt. Schluß nach 7 Uhr.
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Noch keine Klärung.
Die Bedingungen der 2. Internationale. — Radeks Antwort.
Eine pessimistische Stimme.
Aus Berlin wird uns geschrieben:
Die Konferenz der drei Exekutiven von London, Wien und
Moskau, die am Sonntag in Berlin im Reichstagsgebände begann,
steh« unter keinem günstigen Stern. Der Sonntag brachte heftige
Auseinandersetzungen, hei denen die Parteien, wenn überhaupt
noch ulöKtch, m»r weiter auseinander, nicht näher zusammen
kamen. Am Montag früh mutzte die Fortsetzung der Debatte auf
3 Uhr nachmittags vertagt werden, um den Bergungen der ein-
zelnen Exekutiven über die, durch die Sonntcrgsdebatte geschaf-
fene Lage Raum zu gewähren. Au Mittag beschloß man, auch
am Nachnrittag die Beratungen der einzelnen Exekutiven fortzu-
setzen, und die gemeinsame Verhandlung aus Dienstag MH zu
vertagen. Gegen Mbend schien es nnwahrscheiuBich, daß die Ver-
handlungen am Dienstagmorgen wieder ausgenommen werden
könnten, und man sprach von ihrer Wiederaufnahme am Dims-
tagnachuritiag.
Der Konflikt, zu dessen Schauplatz am Sonntag das Fraktions-
zimmer der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion wurde, kam
nicht unerwartet. Bekanntlich war die Initiative zu dieser Kon-
ferenz von der in der Mitte zwischen der zweiten und vor dritten
Internationale stehenden Wiener Arbeitsgemeinschaft anKgegan-
gen. Die gemeinsame Beratung der drei Exekutiven sollte der
Vorbereitung eines allgenreinen Kongresses dienen, der von allen
drei Internationalen beschickt werden sollte. Mer schon auf der
Frankfurter Fünfländerkonferenz hatte die zweite Juiernatioimle
den Vertretern der Wiener Arbeitsgcnreinschaft die Bedingungen
bekannt gegeben, unter denen allein sie die VeranstaltMvg eines
allgemeinen Kongresses znsamnren nsit den Komrnuntften zustiirn-
men könnten. Diese Bedingungen forderten von der dritten Inter-
nationale den Verzicht auf alle »vetteren Versuche die europäische
Arbeiterbewegung zu spalte,» und zu zertrümmern, sie verlangten
für Georgien, das vom volschewifuschen JmpevtaUsarms vev-
MvÄltW ist, Selbstvestimmlingsrecht und für die nichtkslschewisti-
nhen politischen Parteien Rußlands, vor allem für die grausam
verfolgten Sozialdemokraten und Sozialrevolutionäre, menschliche
Behandlung.
Es »vor daher als selbstverständlich zu erwarten daß die 2.
Internationale auf der Berliner Konferenz diese Bedingungen zur
Sprache bringen würde, wie das auch am Sonntag durch den Gen.
Vandervelde in höchst maßvoller Form geschehen ist. Die
Antwort daraus war eine Rede Radeks, die ans die Fragen Van-
derveldes gar nicht einging, sondern die zweite Internationale
und ihre Vertreter mit wüsten Schmähungen überschüttete. Nach
Abbruch der Verhandlungen am Sonntagabend stand also die
Sache so, baß die zweite Internationale die Fortsetzung dieser De-
batte wünschen mutzte, um auf die wüsten Angriffe Radeks antwor-
te» zu können, daß aber die Konferenz und der Plan eines allge-
meinen Kongresses schon als gescheitert erschienen, weil ja die Bol-
schewik» aus die Bedingungen der zweiten Internationale nicht
eingegangen waren.
In der Debatte vom Sonntag hatte Radek versucht, zwischen
den Verhältnissen in Deutschland und denen in Rußland eine Pa-
rallele herzustellen. Er verglich das Schicksal der russischen Sozial-
demokraten und Sozialrevolutionäre mit jenem, weiches die Kom-
munisten irr Deutschland erlitten hätten. Nichtig ist nur soviel, daß
bei der Niederwerfung kommunistischer Aufstände in Deutschland
von einzelnen Truppenteilen mit überflüssiger Grausamkeit vor-
gegangen worden ist, was nieniaind schärfer kritisiert hat, als die
Sozialdemokratie. Richtig ist, daß von dem letzten mitteldeutschen
Ausstand her, d. h. seit ungefähr einem Jabr sich noch zahlreich«
Gefangene in den Gefängnissen befinden, deren Begnadigung von
den Sozialdemokraten gefordert wird und erst zum Teil, wenn auch
zu ziemlich großem Teil durchgesetzt worden ist. Aber kann man
solche Dinge irgendwie mit den Vorgängen in Rußland verglei-
chen? Die deutschen Kommunisten haben ihre Zeitungen, in denen
ste schreiben können, was fle wollen. Sie halten in geschlossenen
Räumen und unter freiem Himinel ihre Versammlungen ab, tn de-
nen sie reden können, was ste wollen. Sie haben den Reichstag,
die Landtage, die Stadtparlamente, die Betriebsversammlungen,
in denen ste so viel reden, daß neben ihnen andere Leute kaum noch
zu Wort kommen. Sie Haven die Möglichkeit, bei allen Wahle»
so viel zu agitieren, wie sie wollen, und wenn es ihnen gelange,
die Mehrheit des Volkes auf ihre Seite zu bringen, würden ste
auch die Regierung übernehmen.
In Rußland Haven die «ichtbolschewistischcn Sozialisten leine
Möglichkeit, auch nur ein Fetzen bedrucktes Papier herauszubrin-
Sen, sie können, ohne sich den schwersten Verfolgungen auszusetzen,
nicht öffentlich sprechen, sie sind in jeder Beziehung vollkommen
rechtlos und vogelfrei. Hätten ste nur ein Zehntel der Freiheit,
die bet uns die Kommunisten genießen, so würden sic das als
eine,« gewaltigen Fortschritt anerkennen. AVer auch dieses Zehn-
tel an Freiheit wird ihnen verweigert. Die Mitglieder der zwei-
ten Internationale dürften kein menschliches Herz in der Brust
haben, sie müßten darauf verzichten, als Sozialdemokraten für
politische Meinungsfreiheit zu kämpfen, wenn sie es unterlassen
wollten, sich zu Fürsprecher» der Genossen zu »nach««, die als ge-
steifte Flüchtlinge aus Rußland zu ihnen kommen. Zu Ehren der
Wiener Arbeitsgemeinschaft sei gesagt, das, sic sachlich in dieser
Frage ganz auf den» Standpunkt der zweiten Intern atto-
»ale steht. Sie zeigt nur ihrer Natur nach gegenüber den Bol-
Ichewtki eine Art von liebenswürdiger Schwäche, während die
zweite Internationale strikt bet ihre»» Grundsätzen und Fordrrun
gen bchmrt.
Die Bolschewik! hatten Wese Konferenz als ei»« Entlarvungs-
konfereuz geplant. Sie wollte»», wie ste sich auszndrücken lieben,
ihren polnischen Gegnern von der JnternmAoiMe ll und der In-
ternationale IlZH »Die Maske vom Gesicht reißen". Ste haben in-
des nur sich selber entlarvt. Die Berliner Konferenz wirb bank
derBerständniölosigkeit, mit der di« BolfchewM allen Forderungen
der Menschlichkeit und der Demokratie entgegen treten, ergebnislos
bleiben. Für Genua hat ste ein recht übles Vorspiel. Die Wiener
Arbeitsgemeinschaft batte es mit der Einberufung sicher sehr gut
gemeint, aber es ist nichts Gutes daraus geworden. Die wollte
Ost und West miteinander vereinen. Ste hat nur die Kluft auf-
gezeigt, die Europa und Asten voneinander trennt.
Die Dienstagsfitzrnrg. — Seratti, Otto Bauer
und Radek.
Berlin, 5. April. (Prtv.-Tel. d. .Volksztg.*) I» der gestri-
gen Sitzung der drei Exekutive« verlas Macdonald zunächst
eine Erklärung, welche die Bedingungen der 2. Internationale für
die Verhandlungen enthält. Sie erklärt sich darin einverstanden
mit dem Grundsatz einer allgemeinen Konferenz mit begrenzter
Zielsetzung nach den Vorschlägen der Wiener Arbeitsgemeinschaft,
aber vorher müssen die drei Bedingungen angenommen sein:
1. Der Verzicht auf die Taktik der Zellenbildung, 2. Einverständnis
mit der Einsetzung einer Kommission der drei Internationalen zur
Untersuchung der Lage tn Georgien mit dem Ziele einer
Verständigung unter den sozialistischen Parteien, 3. Befretung
der politischen Gefangenen oder wenigstens Führung
des Prozesses vor einem Gerichtshof mtter voller Wahrung der
Verleidigungsrechte und unter Kontrolle des internationalen So-
zialismus. Wenn Ihr diese Bedingungen annehmt, so schloß Mac-
donald, dann kann die Konferenz noch im Sommer stattfinden, und
ich glaube, wir könnten über dis Ausgaben der Konferenz von
Genua sehr bald Ueberetnstimmung erzielen, aber vorher muß die
Dritte Internationale durch eine klare Antwort zu erkenne»! geben,
ob es ihr wirklich um die Einheitsfront zu tun ist. Eine Konferenz
für lediglich taktische Zwecke machen wir nicht mit.
Hieraus versuchte der italienische Sozialist Serrattt zu ver-
mitteln, er riet von dem Versuch ab, durch Aufstellung von Be-
dingungen die Anhänger der 3. Internationale unter ein kaudini-
sches Joch zu zwingen. Auch Dr. Otto Bauer-Wien stützte zu
vermitteln. Angesichts der bevorstehenden Konferenz von Genua
wäre ein ergebnisloser Verlauf der Konferenz eine Katastrophe für
das Proletariat.
Schließlich erhielt Radek das Wort. Er ging sehr scharf mit
Macdonald ins Gericht und warf ihm vor, die englische Arbeiter-
partei stehe unbewußt unter dem Einfluß des englischen Imperia-
lismus, ste hätte sich die Stellungnahme Lloyd Georges, des „Be-
freiers der kleinen Völker", zu eigen gemacht. Erstes Gebot des
internationalen Proletariats sei jetzt die Erhaltung des russischen
Arbeiterstaates, weil er ein Vorposten der proletarischen Revolution
sei. DK 3. Jnternattorrale habe kein Vertrauen zur zweiten, aber
zum gemeinsamen Kampfe sei ste bereit. Was die Ablehnung der
Zeventakttk betreffe, so werde Moskau aus das Programm der
Revolutionierung der Gewerkschaften nie verzichten. Die Spal-
tung der Gewerkschaften habe schon der zweite Kongreß der "kom-
munistischen Internationale abgelehnt. Solange es in den
Gewerkschaften Fraktionen der S.P.D. und der U.S.P.D. gebe,
dürfe auch den kommunistischen Arbeitern die Frakttonsbildung und
die Verbreitung ihrer» Ideen auf dem demokratischen Wege der
Ueberzengung nicht verboten sein, wenn ste Gewerkschafts-
disziplin hielten, (l) In bezug auf die Untersuchungs-
kommisston für Georgien macht Radek gänzlich unklare Aus-
führungen. Auch die Frage der politische,» Gefangenen
behandelt er in einem Sinne, ddr es der Zweiten Internationale
unmöglich macht, an einer Verständigung weiter mitzuarbettenl
Dem Angebot, Vandervelde als Verteidiger der Sozialrevolutio-
näre nach Moskau zu schicken, tritt er mit den Worten entgegen,
daß dann auch die Dritte Internationale Gelegenheit nehmen
werde, einen Ankläger gegen Vandervelde vor dein Revolutions-
tribunal in Moskau wegen dessen Krtegspoltttk zu stellen.
Um 7 Uhr abends wird die Sitzung auf Mittwoch nachmittag
weitervertagt.
Die einzelnen Exekutiven werden im Laufe des Mittwoch vor-
mittag Besprechungen abhalten. Man hofft die Konferenz am
Mittwoch zu Ende führen zu können.
Die Antwort an die Reparationskommiffion.
Berlin, 5. April. Im Auswärtigen Amt ist man
augenblicklich damit beschäftigt, der Antwortnote der deutschen Re-
gierung auf das Schreiben der Neparationskoinmisston die letzte
Fassung zn geben. Wie die Teleunion erfährt, wird in der Ant-
wortnote auf dde Sttmmung des Auslandes tn großem Matze
Rücksicht genommen. Sie enthält Vorschläge, We viel weit-
gehender sind, als man nach der Rede des Reichskanzlers im
Reichstag annehmsn könnte. U. a. wird der Regierung vorgeschla-
gcn, die Besatzungskosten zur Rep arationsle istung heranguziehen.
Sie Wird ferner einen andern Zahlungsmodus in Vorschlag brin-
gen. Die Einzelheiten stehe« noch nicht fest, auch ist man sich noch
nicht darüber schlüssig, ob die Vorschläge in der eigentliche» ost
sizHellen Note ausgenommen werde», oder ob dazu die Form eines
Begleitschreibens gewählt werden soll
Deutscher Reichstag.
Ei»re Untwort Dr. Kösters an Poincare,
Berlin, den 4. April.
In der heutigen Sitzung wurde das Steuer-Mantelgesetz gegen
die Stimmen der Deutschnationalen, Unabhängige« und Kommu-
nisten angenommen.
Der Reichsfi»umzminlster
dankte den Kompromitzparteten für die Vollendung des Steuer-
werkes. Die Einziehung der »reuen Steuern soll so rasch und ener-
gisch wie nur irgend möglich vorgerwmmen werden. Das Ausland
könne aber aus dieser Steuerbewilligung ersehen, daß Deutschland
bereit fei, die ihr» auferlegten Lasten so weit ivie dies irgend »uög-
ktch ist, zu erfüllen.
Abg. Koenerr (Komm.) erhebt heftige,» Einspruch gegen die
Erklärung des Ministers. Er behauptet, datz dadurch die Aus-
sprache wieder eröffnet worden sei und verlangt für sich das gleiche
Recht. Es kommt dabei zu heftigen Szenen. Der Tnmult wächst
immer mehr als Koenen von einem Ueberfall des Ministers und
von einer Vergewaltigung seiner Partei sprach. Ein ungeheu-
rer Lärm entsteht. Pfui-Rufe und Schluß-Worte wechselte»,
miteinander ab. Die Glocke des Präsidenten dringt ,sicht mehr
durch, so daß Vizepräsident Dr. Rießer um K Uhr die Sitzung
schließen mutzte. Er beraumte noch für die Abendstunde eine
Abcndsttzung ein.
In der Abendsitzung fand die Weiterberatung der 2. Lesung
des Etats des Innenministeriums statt. Dabei antwortete der
Reichsmtnister des Innern Poincarö, der tn der französische»
Kammer am Montag erklärt hatte, Deutschland unterhalte ei»
Heer von 250 000 Mann, da man die 150 000 Mann Schupo zu den
100 000 Mann Reichswehr htnzuzählen müsse.
Reichsmtnister des Innern Dr. Köster
führte aus: Den Ausführungen in der französischen Kammer, daß
Deutschland über eine Macht von 250 000 Mann Schutzpolizei
verfüge, mutz ich in, Interesse der Wahrheit entgegentreten. Deutsch-
land hat nach dem Friedensvertrag ein stehendes Heer von 100 000
Mann. Auf der Konferenz von Spa sind uns an Polizei 150 000
Mann bewilligt worden. Wir hatten von vornherein nur 92 000
Mann als Ordnungspolizei tn Aussicht genommen. Augenblicklich
haben wir nur rund 80000 Mann. Wenn man also schon in der
französischen Kammer keinen Unterschied macht zwischen Reichs-
wehr und Schutzpolizei, so sollte ste sich doch wenigstens doch an
die richtigen Ziffern Halter», die ja auch der hiesigen Kon-
trollkommission bekannt sind.
Die Schutzpolizisten sind mit der Reichswehr doch gar nicht zu
vergleichen. Seit der Note von Boulogne ist die Schutzpolizei
ihres anfänglich »wehr »nilitärischen Charakters entkletdet wor-
den, und in der Note vom 15. März d. I. hat sich Deutschland ver-
pflichtet, von dem Rechte der Verstaatlichung weiterer Po-
lizetverwaltungen nur im Einvernehmen mit der Kontrollkommis-
sion Gebrauch zu machen, sämtliche Nachrichten- und Krastfahr-
abteilungen aufzulösen, die Kasernierung auszuheben, die Unifor-
men nach Abtragen in eine nicht feldmätzige Farbe zu ändern, die
aus Heeresbeftänden stammenden Geräte avzuliesern, alle zentralen
Depots der Einzelländer aufzulösen, die Instandhaltung der
Waffen gemätz der Note der Kontrollkommission vorzunehmen und
sämtliche Poltzeifahrzeuge mit Protzensystem abzuliefern.
Ich frage die europäische Oeffentlichkeit, ob diese 80 000 Mann
Schutzpolizei, die ihres letzten Restes von militärischem Charakter
entkleidet sind, von irgend einem ernsthafte,», nur einigermaßen
orientierten Mann als eine militärische Bedrohung Frankreichs
angesehen werden kann. Dazu kommt, datz im deutschen Land
135 000 bis an die Zähne bewaffnete französische, englische, belgische
und amerikanische Soldaten stehen, von denen jeder Mann mehr
kostet als ein Minister. Unsere Nachbarstaaten, beispielsweise die
Tschechoslowakei, haben weit stärkere Polizetkräfte.
Mit General Rollet schweben gegenwärtig Verhand-
lung e n. ' Deutschland würde schon aus sinarlziellen Gründen
lieber heute als morgen auf diese 80000 Mann Schutzpolizei ver-
zichten, wir sind aber durch unabweisbare Lebensnotwen-
dig k e i 1 e n gezwungen, sie zu halt e n.
In Frankreich zählt man aber auch die Technische Not-
hilfe, die Sport- und Regimentsvereine scheinbar zu
unserer Wehrmacht. Diese kameradschaftlichen Vereinigungen haben
mit militärischen Dingen nichts zu tun. Trotzdem bitte ich ste
und ihre Leiter, alle parademäßigen Spielereien zu unterlassen,
denn das deutsche Volk leidet darunter. Krieg führen wollen und
können diese Vereinigungen nicht urw unzulässige Bestrebungen
würden aus Grund des Friedensvsrtrags zu ihrer Auflösung
führen.
Die Technische Nothilfe hat selbstverständlich rnit Mi-
litär nichts z« tun, wen»» sie auch anfänglich der» »nilitärischen
Korpsbezirken angegliedert war. Die Sportvereinigungen würden
sich wundern über die Nolle, die ihnen von der französischen Kam-
mer angedichtet wird.
Ein offenes Wort zum Schluß: In Deutschland bestehen tnnner
noch gewisse g'e Heime Organisationen, die der Ver-
fassung und dem Gesetz zuwiderlaufen.
Die Reichsregierung bekämpft ste mit allen ihr zur Verfügung
stehenden Mitteln. Die ehemaligen Gegner Deutschlands mögen
bedenke»», welche schwere Verantwortung sie ganz Europa gegenüber
treffen würde, wenn sie die deutsche Schutzpolizei zerschlagen
wollten.
Der Minister fand während seiner Rede wiederholt lebhaft«
Zustimmung u»rd mn Schluß starke»» Beifall.
Die Wetterberatung wurde daraus auf Mtttwoch nachmittag
2 Uhr vertagt. Schluß nach 7 Uhr.