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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (4) — 1922 (Januar bis April)

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Nr. 11 - Nr. 20 (13. Januar - 24. Januar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.48721#0083
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Tageszeitung für die rvsMLtige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen,
Adelsheim, Boxberg, Tauberbischofsheim und Wertheinr»

Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 10.— Mk. Anzeigenpreise:
Tie einspaltige Petitzeile (36 mm breit) 2.— Mk., Reklame-Anzeigen
(93 mm brett) 6.— Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Echeimmittelanzeigen werden nicht ausgenommen.
Eeschäftsstunden: 8—'/s6 Uhr. Sprechstunden der Redaktion: 11—12 Uhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr.22577. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Mittwoch, 18. Januar 1822
Nr. 13 * 4. Jahrgang

Verantwort!.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft u.Feuilleton:
Dr. E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales:
O.Geibel; für die Anzeigen: H. Horchler, sämtliche in Heidelberg.
Druck u. Verlag der Unterbadischen Verlagsanstalt E.m.b.H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schröderstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2648.
..'..

Vor schweren Aufgaben.
Berlin, 17. Jan. (Eigene Meldung.)
Das Reichskabtnett nahm am Montag abend den Be-
richt Dr. RathenauS über die Verhandlungen und die Eindrücke
von Cannes entgegen. Anschließend fand eine vertrauliche De-
batte über die Besprechungen mit den Vertretern der Entente-
mächte statt.
Die in Frage kommende« Ressorts der Reichsregierung sittd
bereits mit der Ausarbeitung einer Denkschrift, die
die Bedingungen der Reparattonskommifston erledigt, beauftragt.
Es ist zu erwarten, daß die Grundlagen dieser Denkschrift schon
am Mittwoch im Auswärtigen Ausschutz veröffentlicht werden.
Im Reichstag wird der Reichskanzler wahrscheinlich am
Dvnnerstag die Regierungserklärung über die Verhandlun-
gen in Cannes und über die Ansichten des Reichskabinetts ab-
geben.
In parlamentarischen Kreisen rechnet man damit, datz zur
Deckung eventueller Verpflichtungen eine Inlands- oder
Ausländsanleihe notwendig sein wird, zu deren Ver-
zinsung und Tilgung die Industrie zwangsweise herangezogen
werden mutz. Bereits in Cannes hat die deutsche Delegation
keinen Zweifel darüber gelassen, datz Deutschland nie in der
Lage sein wird, in diesem Jahre alle 1« Tage 31 Millionen
Goldmark zu zahlen. Die Wirkung des guten Eindrucks, den
die deutsche Delegation in Cannes hinterlassen hat, mW ins-
besondere die Wirkungen der Rede RathenauS verspricht man
sich erst von der Konferenz in Genua. Auch über diese Konferenz
haben mit deutschen Delegierten in Cannes Vorbesprechungen
stattgefmiden. ES fand ein Gcdaul-n--nStg«isch < darüber statt,
wie man sich denAufbauder Ost staaten denkt.
Die Schwierigkeit bet der Erledigung und Beantwortung
der Bedingungen der Reparattonskommission liegt darin, datz
»ran von Deutschland feste Angaben darüber verlangt, was es
zu leisten imstande ist. Selbstverständlich werden solche Angaben
nur in beschränktem Umfange möglich sein, zumal die
Veränderung der Wirtschaftslage sich nicht voraussehen lassen,
und insbesondere kein Uebervltck möglich ist, wie sich die deutschen
Produktions- und Absatzverhältntsse Set ei,rem fortschreitenden
Abbau der LebenSmittelzuschüfse und der dadurch gesteigerten
Erhöhung der Gestehungskosten der Industrie gestalten werden.
Vom „S o z i a l d e m. P a r l a m e n t s d i e n st" wird uns ge-
schrieben:
Die abgebrochenen Beratungen von Cannes haben bereits den
Beweis erbracht, datz in der Reparatiynspolittk der Entente eine
gänzliche Umstellung im Gange ist. Bisher waren die Reparatio-
nen eingestellt auf riesige Barzahlungen Deutschlands. Die Repa-
rationskommtsston war nichts mehr als eine Steuerquetsche.
Nachdem England und viele neutrale Staaten die vernichtenden
Folgen der Valutaschwankungen erfahren haben, greift die Er-
kenntnis um sich, datz diese Politik der Daumenschrauben nicht
wettergehen kann. So stellt sich die Reparationsfrage in der
Nutzenpolitik dar.
Im Inland war die Notenpresse schuld, datz alle auf lang-
fristige Zahlung berechneten Steuern versagten. Sowohl die hohen
Einkommensteuern, die Besitzsteuern, wie auch einige direkte Steuern
lautete» aus Mengen und nicht auf Werte. Von dem Zeitpunkt
der Veranlagung oder des Voranschlages bis zu dem Zeitpunkt der
Zahlung der Steuern entwertete sich die Mark und ermöglichte die
Steuer zu überwälzen. Wirtschaftspolitisch hatte dieser Zustand
zur Folge, datz die schlechte Valuta Deutschland gleichsam mit eine
Hochschntzzollmauer umgab. Von geringen Unterbrechungen ab-
gesehen, stiegen die Preise anhaltend, die Löhne jedoch nicht so
schnell. Nur mit grotzer Mühe gelang es, auf einzelnen, für die
industrielle Produktion und für die Lebenshaltung wichtigen Ge-
bieten, die von der Valuta her beeinflußte Preisbewegung zu ver-
langsamen. Im großen und ganzen ergab sich so für die deutsche
Industrie ein erheblich geringerer Satz von Gestehungskosten als
im Ausland, zumal die Kohlenpreise sowohl wie die Löhne weit
hinter den Weltmarktpreisen und Auslandslöhnen zurückblieben.
Durch die Außenhandelskontrolle wurden wenigstens die gefähr-
lichen Wirkungen des deutschen Ausverkaufs verringert. Die In-
landspreise stiegen, Industrie und Handel forderten aber auch Welt-
marktpreise, nicht weniger die Landwirtschaft. Hier reisten braune
und blonde, Edle und Junker durch das Land und weckten dort
eine Gcwinugier, wie sie früher von der deutschnationalen Agitation
nur der schwarzhaarigen Rasse zugeschrieben wurde.
Deutschland wurde der gefährlichste Konkurrent am Weltmarkt,
zugleich auch der schlechteste Abnehmer ausländischer Waren. Die
Folge war, datz durch die Reparationspolitik die Entente in eine
schwierige Lage kam. Die aus den Reparationszahlungen erzielten
Erleichterungen für den Haushalt der Länder wurden nicht nur
aufgczehrt, es ergaben sich sogar noch bedeutend erhöhte Ausgaben
infolge der Störungen auf dem Weltmarkt, infolge der anwachsen-
den Arbeitslosigkeit und infolge des Steueraussalles in Industrie
und Handel, die mit halbem Dampf arbeiteten.
England erkannte zuerst die vernichtenden Wirkungen dieser
Politik. Gleichzeitig wurde aber auch inAmerika das Interesse
an dem Schicksal der europäischen Wirtschaft rege. InItalien,
das bisher abwartend beiseite gestanden hatte, mahnte der Zu-

sammenbruch der schwerindustrtellen Banca di Seonto, datz der
Valutawirrwarr, der von Mittel- und Osteuropa ausging, die
Quelle all der Störungen am Arbeitsmarkt war, an denen man in
der letzten Zeit zu leiden hatte. Der Wandel der Anschauungen
erfolgte trotz der französischen und belgischen Gegenwehr. In
Cannes beriet man bekanntlich über die Milderung der Gold-
zahlungen, nachdem durch die Hoffnung auf Streichung der Kriegs-
schulden in Amerika und England die Aussicht aus anderweitige
Erweiterungen gegeben war. Man forderte Sachleistungen im
grotzen Umfange für die Beseitigung der tatsächlichen Kriegs-
schäden. Und schließlich dachte man an die internationale Arbeits-
gemeinschaft zum Aufschluß der darniederliegenden Warenmärkte
des östlichen Europas. Alle diese Fragen werden in Genua unter
Mitwirkung Deutschlands weiterberaten werden.
Die finanziellen Forderungen zeigten ganz deutlich ein wesent-
lich anderes Ziel. Man streckte nicht mehr die Hand nach dem
Ruhrgebiet aus, man legte den Nachdruck nicht so sehr auf die
Ausgestaltung des Steuersystems, sondern man verlangt« ziemlich
unumwunden die Anpassung der industriellen Produktionskosten
Deutschlands an die Produkttonsvedingungen der übrigen Länder,
die bisher von der deutschen Schleuderkonkurrenz bedroht waren.
Daher forderte man den Abbau der Lebcnsmittelzuschüsse mit ver-
schärftem Nachdruck, die Erhöhung der niedrig gehaltenen Kohlen-
preise n. a. m. Alles das sind Forderungen, die die Agrarier,
Händler und einige Industrien längst aufgestellt, auf weiten Ge-
bieten sogar durchgesetzt hatten.
Es ist selbstverständlich, datz ein« demokratische Regierung alles
aufbieten mutz, um ein Anschwellen der Teuerungswelle zu ver-
hindern und die Entente davon zu überzeugen, daß eine solche
Entwlckelung^die schwersten sozialen Kämpfe und damit auch eine
starke Schmälerung der Leistungsfähigkeit Deutschlands für die
Reparationen nach sich ziehen mutz. Immerhin wird man mit
dieser neuen Grundrichtung der Reparationspolitik rechnen müssen.
England ist von dem Darntederliegen seines Handels so schwer
bedroht, datz es sich nicht ohne weiteres in der Verfolgung seines
Zieles beirren lasten wird. Neue Ziele bedingen neue Mittel.
Roch sind längst nicht alle Mittel angewandt, um den Produktions-
stusgrelty zu erreichen. Las Hauptproblem ist im Jnlauo die Ba-
lancierung des Retchshaushaltes und das Abstoppen der Noten-
pressen, nach außen hin aber die Stabilisierung der Valuta. Wird
aber das erste erreicht, so ist das letztere unschwer zu erzielen.
Wenn Deutschland z. B. große Kredite erhält, wenn die Entente,
nachdem sie von der Politik der Steuerquetsche abgerückt ist, ein
Interesse an der Aufrechterhaltung des Markkurses nimmt. Man
darf sich keinen Illusionen darüber hingeben, datz die Entente unter
Englands Führung auch vor diesem Mittel nicht zurückschrecken
wird, wenn es erst einmal den Schutz der eigenen Produktion gilt.
Gerade England hat ja schon einmal seine ganze politische und
wirtschaftliche Tradition preisgegeben und den Hochschutzzoll ein-
geführt, als es der deutschen Konkurrenz nicht mehr standhalten
konnte. Datz dieses Land jetzt in der Reparationspolitik seinen
Standpunkt geändert hat, rührt zu einem wesentlichen Teil mit
daher, daß auch die Hochschutzzölle versagt haben. Umsomehr ist

damit zu rechnen, datz England und wahrscheinlich auch Amerika
auf der einmal betretenen Bahn sortschreiten und die Politik des
Ausgleichs der Produktionskosten sortsetzen.
Frankreich und Belgien können dieser Politik widerstreben, weil
sie unbedingt Geld brauchen. Sie können, wie jetzt das Kabinett
Briand, ihre Kabinette nach Hause schicken und neue bilden. Aber
die Wirkungen der Erfüllungspolitik hängen nicht davon ab, Wit
ein Kabinett aussteht. Nicht Rotz, nicht Reisige schützen Minister-
sessel, die aus dem Schlammboden des europäischen Valurenwtrr-
warrs stehen.
Wir werden uns auf die neue Richtung einftellen müssen. Die
Mauer des Valuta-Hochschutzes für Industrie und Landwirtschaft
ist im Abbröckeln. Der Abbau der Reichszuschüsse treibt allein den
Brotvreis in nächster Zett um drei Viertel in die Höhe. Di«
Höchstpreispolitik für Kohle ist gefährdet. Eine wahnsinnige Stei-
gerung der Lebenshaltung steht bevor und diese mutz Lohnkämpst
nach sich ziehen. Die Lohnbewegungen aber stehe» von vornherein
unter einem ungünstigen Stern, da gleichzeitig mit der Angleichung
der inländischen Produktionskosten an diejenigen des Auslandes
ein scharfer Rückgang der Konjunktur zu erwarten ist, der erst
weichen wird, wenn die Ausschließung neuer Märkte tatsächlich
gelingt und wenn der internationale Handelsverkehr innerhalb der
schon jetzt am stärksten am Welthandel beteiligten Staaten sich
belebt. Es ist mit Fehlbeträgen unter allen Umständen zu rechnen.
Die steigenden Preise bringen zwar auf dem Gebiete der Ver-
brauchssteuern größere Erträge, die bisherigen unzulänglichen Be-
sitzsteuern werden aber durch eine unsichere Wirtschaftslage doppelt
gefährdet.
Eine Steuerreform wird unter diese» Umständen von Tag zu
Tag notwendiger. Die Hast, mit der die bisherigen Steuergefetze
geschaffen wurden, und der erbitterte Widerstand der interessierten
Kreise, gegen den sie zustande kamen, hatte zur Folge, datz der
Steuerhaushalt des Reiches unübersichtlich und der ganze Steuer-
apparat einen groben Kräfte- und Geldverbrauch für das Reich
mit sich bringt. So wenig an einen Abbau der Steuer sStze im
allgemeinen gedacht werden kann, so notwendig ist die Verein-
heitlichung der verschieden gearteten Steuern mit ihren Son-
derbestimmungen und Schlupflöchern für Drückeberger. Wir brau-
chen ein einheitliches und durchsichtiges Steuersystem.
Diese Reform darf aber nicht zum Experiment werden. Das
Reich steht nicht nur in Zukunft vor sehr grotzen Goldzahlungs-
verpslichtungen, sondern auch vor einem gewaltigen Sachliefe-
rungsprogramm. Die Sachlti ferungen dürfen keinesfalls durch die
Notenpresse aufgebracht werden. Das hieße nichts anderes, aU
die Geldentwertung noch weiter fortsetzen, als noch weiter groß«
Bevölkerungsschichten der Verelendung preisgegeben. Darum be-
dürfen wir eines grotzen Eingriffs in die Substanz der deutschen
Volkswirtschaft. Eine Mobilisierung eines erheblichen Teiles des
deutschen Sachvermögens für den Reichshaushart erscheint unver-
meidlich. Wenn jetzt die politischen Parteien an die Beratung des
Steuerprogramms Herangehen, so möchten wir nur wünschen, datz
alle die ungeheure Verantwortung sehen, die auf den gegenwärtigen
Beratungen lastet.

Ist MWWkl Ni iM MMWtM

D!e heutige Sitzung der Auswärtigen
Ausschusses.
Berlin, 18. Ja«. Im Laufe des gestrige« Nachmittags san-
den wieder verschiedene Chefbesprechungen statt, die vor allem der
Ausarbeitung der Antwort an die Reparationslommisfion galten.
Mit ziemlicher Spannung erwartet man in politischen Krei-
sen die heutige Sitzung des Auswärtigen Ausschusses,
die wahrscheinlich sehr lebhaft verlaufen wird. Sie be-
ginnt um 11 Uhr. Rathenau wird eingehend Bericht über Can-
nes erstatten; auch Wirth dürfte das Wort ergreifen. Wahr-
scheinlich wird dann eine Panse eintrete«, und dann dürfte die
Aussprache beginnen.
Schluß den Zentrumsparteitages.
Berlin, 17. Jan. Vorsitzender Dr. Porsch eröffnet die
Sitzung des Parteitages am Dienstag um 9 >4 Uhr. Auf der Ta-
gesordnung stand ein Vortrag des Reichstagsabgeordneten Dr.
Marx über „Ideale und Ziele der Zentrumspar-
1 e i". Der Redner erklärte, datz das Zentrum in erster Linie als
eine christliche Partei gegründet worden sei, mag auch der moderne
Staat sich bewußt vom Christentum und von der christlichen Welt-
anschauung abwenden, das Zentrum wird unerschütterlich an der
Ueberzeugung festhalten, datz ein Staatswesen seine Ausgaben Ächt
vollkommen erfüllen kamt ohne eine Gesetzgebung, die mit den
Grundsätzen des Zentrums in Einklang steht. (Beifall.) Auch der
von so vielen so betb ersehnte Völkevfrieden ist undenkbar, ohne
die Anwendung und Durchführung christlicher Grundsätze. Die
Verfassung vom 11. August 1819 ist durchaus einwandfrei zustande
gekommen und mutz von der christlichen Volkspartei als unver-
bindlich betrachtet und anerkannt werden. Ob Monarchie oder
Republik, Velde Staatsformen sind mit christlicher Auffassung vom
Wesen des Staates durchaus vereinbar. (!) Es wird nicht gefor-
dert, datz diejenigen, die in der Monarchie die bessere Staatsform
erblicken, ihre Meinung ansgeben. Nur das eine mutz mit aller
Entschiedenheit verlangt werden, datz der christliche Staatsbürger
an dem ordnungsmäßigen Zustandekommen der Verfassung festhält
und eine Aenderung auSschlietzlich auf verfaffungsmätzigem Wege
anstrcbt. Das Volk ist der Staat. Nach dem Willen des Volkes
wird das Staatswesen geregelt. An Gesetzgebung und Regelung

mitzuwirken ist heute nicht nur Staatsbürgerpflicht, sondern auch
Christenpflicht. Unser Ziel soll sein, unser zu Boden geworfenes
Volk wieder auszurichten u. ihm neue Kraft etnzuflötzen. Dazu be-
darf es der Mitwirkung eines jeden. Nach einer kurzen Aus-
sprache Wer diese Rede wurde dann um 12 Uhr iw die Mittags-
pause eingetreten.
Nachmittags hielt in der Schlußsitzung des Parteitags
Reichskanzler Dr. Wirth
eine Rede, in der er zu den außenpolitischen und innenpolitischen
Fragen Stellung nahm. Cannes nannte er den ersten Erfolg un-
serer Politik des Wartens und der Geduld. Was die innere Politik
anbelangt, so stellen uns die nächsten Tage vor außerordent -
ltche Ausgaben. Ich bitte Sie alle, sich in den nächsten
Tagen für
das große Stenerproblem
zu interessieren. Die Plattform, auf die man da treten kann, ist
kein glatter Salonboden, sondern ein Boden, aus dem man bald tn
eine indirekte und bald in eine Besitz st euer geraten kann.
Dabei kann sich ergeben, datz eine Verbreiterung der Re-
gierung möglich wird. Eine große Koalition kann nicht zu-
stande gebracht werden durch sorgfältige Erwägungen der Parteien
darüber, ob die eine oder die andere Partei mehr von ihren Grund-
sätzen aufgibt, sondern sie mutz sich aus der Praxis bilden, sie
mutz eine Regierung auf lange Sicht sein. Das Zentrum
ist diesem Gedanken gerecht geworden und ihm wird man einst
sagen, es hat den Mut gehabt, die Kerle an die Spitze zu stellen,
die den Mut zur Verantwortung auch in bösen Tagen gehabt haben.
In seinen Ausführungen belegte der Kanzler diese wachsend«
weltwirtschaftliche Erkenntnis mit der Antwort, die der Gouverneur
-er Bank von England dem Reichsbankprästdenten Haven-
stein aus das Kreditansuchen der deutschen Regierung gegeben hat.
Das war ein Augenblick, in dem man unseren Gegnern sagen
konnte: „Prüfen Sie angesichts dieses unverdächtigen Zeugnisses
die deutsche Leistungsfähigkeit nach." Diese Prüfung ist nicht ab-
geschlossen. Aber erwarten Sie nicht, datz von heute auf
morgen dieses Problem tn ein paar Tagen endgültig vom Tisch
der Völker verschwinden werde. Sie werden mit uns in Geduld
die Entwicklung verfolgen können. Es ist uns
bitter Ernst darin, die Finanzen des deutschen Volkes
tn Ordnung zu bringen.
Wenn sich in den anderen Parteien ein Mann findet, von deut
inan annimmt, datz er eine bessere Rechnung weiß, als die Bor-
 
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