Volkszsiiimg
Eagerzeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Typingen, Eberbach, Mosbach, Buchen,
Adelsheim, Boseberg, Tanberbischofsheim und Wertheim.
Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 13.- Mk. Anzeigenpreise:
Die einspaltige Petitzeile (M mm breit) 2.— Mk.. Reklame-Anzeigen
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EesKäftsstunden: 8—>/,6 Uhr. Sprechstunden der Redaktion: 11—12 Uhr.
Hostschsckkonto Karlsruhe Nr. 22 877. Tel.-Adr. - Volkszeitung Heidelberg.
Heidelberg, Samstag, 18. März 1S22
Nr. 66 » 4. Jahrgang
Verantwort!.: Für innere u.äußere Politik, Volkswirtschaft ».Feuilleton:
Dr.E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales:
O.Geibel; für die Anzeigen: H. Horchler, sämtliche in Heidelberg;
Druck «.Verlag der Unterbadischen Verlagsanstalt G.M.K.H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: SHroderstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2643.
Zur Lage.
Xr. Heidelberg, den 18. März.
Nach den Kammererklärungen des neuen italienischen Mtnistcr-
bräsldenten und nach der offiziellen Ueberreichung der Etmadung
an Deutschland durch die italienische Botschaft in Berlin darf man
jetzt wohl mit Sicherheit annehmen, daß die Konferenz von
Genua bestimmt am 10. April ihren Anfang nehmen wird. Wäh-
rend der italienische Staat Millionen um Millionen austvendet, um
seine Gäste würdig auszunehmen und ihnen in Genua eine gastliche
Stätte zu bereiten, sehen wir in der ganzen Welt fieberhafte poli-
tische Rüstungen für Genua. Nicht nur die Großen rüsten, auch die
Kleinen. Denn alle leiden sie mit jedem Tag mehr unter der
allgemeinen weltwirtschaftlichen Krise, alle haben sie das allergrößte
Interesse an der wirtschaftlichen Wiedergesundung Europas. Wir
haben vor einigen Tagen den schwedischen Nattonalökonomen
Cassel zitiert, der aus wirtschaftlichen Motiven heraus den
neutralen Staaten die Aufgabe zuweist, der zersetzenden Macht-
politik, die seit dem Kriegsende Europa an den Rand des Ab-
grundes gebracht hat, ein Ende zu bereiten. Wir konnten gleich-
zeitig Mitteilen, daß unter den neutralen Staaten scharfe Bestre-
bungen im Gange sind, um zu einem gemeinsamen Vorgehen in
Genua zu gelangen. Diese neutrale Einheitsfront, die
ein Gegenstück zu dem eben gebildeten Einheitsblock der Kleinen
Entente bilden würde, scheint jetzt zustande zu kommen. Der
schwedische Staatsminister Branttng hat Dänemark, Norweger«,
Holland, die Schweiz und Spanien zu einer Vorkonferenz nach
Stockholm eingeladen, die allgemein angenommen wurde und be-
reits am heutigen Samstag beginnen soll. Man möchte nur an-
uehmen, daß bei all diesen Dingen das deutsche diplomatische
Korps, unsere Gesandten in den betreffenden Staaten nicht ganz
ahnungslos und untätig beiseite stehen, daß sie einen gewissen
Prodeutschen Einfluß — natürlich mit der gebotenen vornehmen
Zurückhaltung — geltend zu »rachen suchen und daß sie das Aus-
wärtige Amt in Berlin über alles aufs genaueste informieren
aber anders als das in der Vorkriegszeit so üblich war.
Vor allem aber rüsten die Großen, jeder nach seiner Art. Eng-
land hat seine Vorschläge siir Genua in Form einer Sachver-
ständigendenkschrtft zu einer privaten und halbofsiziellen Dis-
kussion zwischen London, einigen neutralen Hauptstädten und
scheinbar auch Berlin gestellt, vor einigen Tagen sollen auch
deutsche Sachverständige in dieser Angelegenheit in London gewesen
sein, näheres ist darüber allerdings zur Zett nicht zu erfahren.
In Frankreich scheinen immer noch starke Kräfte am Werk zu sei««,
die am liebsten Genua gar nicht stattsinderr lassen möchten, daher
denn auch alle die Telegramme aus Paris, die von einer neue»
Vertagung reden, die melden, daß PoincarL nicht nach Genua gehen
wird u. a. m. Gleichzeitig aber bestätigt sich, daß Frankreich Ver-
handlungen mit Rußland wünscht, daß es aber darüber nicht vor
dem Forum der Oefserttlichkeit debattieren möchte, daß insbesondere
die ReparationS- und Abrüstungsfrage aus diesen Debatten und
Verhandlungen gänzlich ausgeschaltet werden soll. Aber Frank-
reich hat diese seine Rechnung ohne den Wirt gemacht, der in
diesem Falle Amerika heißt. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel
schlug in die Pariser Finanzministerkonferenz die amerikanische
Forderung auf Bezahlung der Befatzungskosten ein. Daran hatte
man nun doch nicht gedacht, als man daran ging, die deutschen
Goldmilliarden fein säuberlich unter den Alliierten aufzuteilen,
220 Millionen Goldmark Besatzungskosten pro Jahr von Deutsch-
land zu fordern und an Frankreich das Saargebiet mit 3M Mil-
lionen zu verschenken. Wenigstens hat Frankreich nicht an eilten
derartig böse» Streich Amerikas gedacht. Nicht ganz so unvorbe-
reitet scheint der englische Handels- und Schatzminister Horne
gewesen zu sein, der sofort einen neuen Reparationsplan zur Hand
hatte, in dem auch die amerikanische Forderung entsprechend
berücksichtigt war und mit der alliierten Verschuldung an Amerika
verbunden werden sollte. Marr gewinnt überhaupt immer mehr
den Eindruck, daß es sich in der Sache um einen wohlüberlegte»
errglisch-arnerikanisclren Druck gegelt Frankreichs Politik handelt,
ein Druck, der für die Entscheidung der deutsche» Reparations-
leistungen und den Gang der Konferenz von Genua bedeutsamer
werden kann, als es eine direkte Teilnahme Amerikas an der
Konferenz gewesen wäre.
Und Deutschland? Auch Deutschland rüstet für Genua.
Bereits sind im Auswärtigen Ausschuß und im Reichswirtschafts-
rcit die Probleme von Genua eingehend besprochen und der Re-
gierung für ihre Politik Richtlinien gegeben Worden. Das Kern-
stück der deutschen Rüstungen stellt das S teu er ko mp ro miß
dar, das zur Zett tm Reichstag beraten wird. Es soll der Entente
einen neuen starken Beweis für die Ehrlichkeit der deutschen Er-
fttllungspolilik biete», es soll die finanzpolitische Grund-
lage für die Reparationsleistungen des Jahres
1922 schaffen helfen und zweifellos wird das vernünftige
Ausland an diesen» Steuerkompromttz nicht achtlos vorübergehen
können. Wenn die Zwangsanleihe nicht ausreicht, wenn sie nur
einen Teil der diesjährigen Reparationsschuld deckt, wenn sie keinen
Abbau der ruinösen Inflation und keine Sanierung der Valuta
bringt — Dinge, deren Entwicklung man heute nicht definitiv Vor-
aussagen kalt», die ganz von der näheren Ausgestaltung der
Zwangsanleihe und der Entwicklung der Reparationsfrage ab-
hängen! - so ist das nicht die Schuld der Sozialdemo-
kratie. unsere Partei war bereit, -en Besitz weit stärker zur
Leistung der Reparation heranzuziehen, nicht aus agitatorisch-par-
teipolitischen, sondern aus sinanz- und wirtschaftspolitischen Grün-
den, aber dieser Wille unserer Partei stieß dabei auf den geschlosse-
nen Widerstand der bürgerlichen Parteien. Darin Hütte unsere
Partei eben einfach nicht mitmachen sollen? So Haber» es die
Unabhängigen gemacht, deren Redner Hencke soeben im
stetchstag unsere Partei Wege» der Teilnahme am Sieuerkompro-
Miß verspottet hat. AVer wäre denn durch eine ebenso rein oppo-
sitionell-negative Haltung mrferer Partei irgend etwas gewonnen
gewesen? Das kann nur der glauben, der Politik im luftleeren
Raum seiner Phantasie macht und »licht auf dem Boden der realen
Tatsachen. Gerade die Steuerreden des Herrn Helfferich und
des Volksparteilers Becker haben doch gezetgt, daß diese Herr-
schaften gar nicht ungern eine freiwillige Selbstausschaltung der
Sozialdemokratie gesehen hätten. Dann hätten sie den reinbttrger--
lichen Steuerblock gebildet, der sicherlich den Besitz »roch schwächer,
das Proletariat dagegen »roch stärker belastet hätte. Ja, wer»«
das Proletariat eine politisch-geschlossene Kampftruppe darstellte,
wenn man mit Sicherheit mit einem sozialistischen Erfolg bei «irrer
Neuwahl des Reichstags rechnen könnte! Aber das alles sind eben
ganz unsichere Faktoren, mit denen zu spielen sehr gefährlich wer-
den kann.
Nein, es ist schon so, daß das Steuerkornpromitz in seiner vor-
liegenden Form eben das zur Zeit innerpslitisch einzig Mögliche
darstellt. Damit soll nicht gesagt sein, daß nicht etwa die Entwick-
lung der Verhältnisse tn den nächsten Wochen und Monaten über
diese Zwangsanleihe hinaustreiben könnte, oder daß etwa unsere
Partei nun für alle Zukunft an dieses politische Kompromiß ge-
bunden wäre. Der Volkspartetler Becker hat gestern im Reichs-
tag in triumphierenden Tönen von den Erfolge»» seiner Partei bei
dieser» Steuerverhaudlungen gesprochen und davon, daß es etwas
Ungewöhnliches sei, daß eine Regierung das wirtschaftspolitische
Programm einer Oppositionspartei z« dem ihrigen mache. Wenn
die Entwicklung der nächsten Wochen natürlich das erweisen sollte,
daß das Kompromiß um dieser» Preis erkauft worden ist, dann ist
es zu teuer bezahlt worden, dann wird unsere Partei aufs neue
das Probier» der Koalition zur Diskussion stellen müssen.
Die Rede Helsferichs, der nach der „Südd. Ztg." der ein-
zige Reichstagsavgeordnete ist, der etwas von den Ftnanzsragen
versteht — was er ja durch seine Kriegsfirrmizpolitik bewiese»» hat!
— verdient noch eine kurze Charakterisier«»»«. Es ist höchst be-
zeichnend für die ganze Geisteshaltung unserer „staatserhaltenden"
Konservativen, daß Helsserich ausgerechnet in dem Moment, wo
tm Ausland eine führende neutrale Zeitung wie die „Neue
Züricher Zeitung" (s. den Artikel „Wer trägt den deutschen
Staat?") die Erfolge des Kabinetts Wirth-Rathenau anerkennt,
wo die Krise in der Reparationsfrage in ei» entscheidendes Sta-
dt»,n getreten ist und »reue Sachleistungsabkommen wenigstens die
Scylla der Barzahlungen Venneiden, — ausgerechnet in solchem
Mo»,ent spricht Helsserich wieder einmal vorn Bankerott der Wirth-
Rathenauschen Ersüllungspolitik. Und das sagt der Mann, der
einer der Haupturheber unseres heutigen Finanzclends ist, der.
selbst seine ganze Kriegsfinarrziemngspolttik auf die leichtsinnige
: Hoffnung aus die französtsch-englisch-amerikanischen Goldmilliarden
I aufgebaut hat. Wahrhaftig ein edler Gesinnungsfreund Poin-
cares, man kann den Deutschnationalen und allen, die ihnen »mch-
I trotteln, zu dieser Geistesverwandtschaft nur herzlich gratulieren.
M WW Kl KWWzWWlI M WIMM.
BemmelMMM-Abkornmen auch für Frankreich.-Eine neue französische Entnmffnungsnote
Aus Paris Wird gemeldet:
Ein offizielles KommuuiqnL erklärt, daß Frankreich seine
Verhandlungen mit der deutschen Regierung
sicher der» Zusatz zum Wiesbadener Abkommen nunmehr beendigt
und darnit das vor» Bemelma » in Berlin getrsssene Abkommen
» u n a u ch für F r a r« k r e i ch G si l t tgkett habe. Da nach
dem Wortlaut des von Bemelma» abgeschlossenen Vertrags der
formelle Vorbehalt gernacht worden war, daß Frankreich von
diesem Ueberetnkommen ausgeschlossen sei, waren direkte Verhand-
lungen zwischen Frankreich und der Reichsregierung nötig gewor-
den. Von nun ab können also französische Aufträge für Sach-
leistmrgen direkt und nach der» in» Handel üblichen Methoden an
deutsche Handelshäuser gerichtet werden und die Preise direkt
zwischen Besteller und Erfülle» vereinbart Werder», statt daß wie
vorher die französische Regierung die Aufträge wie auch die Preise
vermittelte.
Berlin, 18. Mürz. General Rollet, der Vorsitzende der
Interalliierten MMtkrkommission, hat dem Auswärtigen Amt in
Berlin eine weitere Rote überreichen lasse«, in welcher er die rest-
lose Vernichtung von noch in Händen der Zivilbchörden be-
findliche»« Urkunden verlangt, die die Ausführung vor» Rekrutie«
rungs- und Mobilmachungshandlungen betreffen. Diese Vernich-
tung habe in Gegenwart von Enteute-Kontrottoffizieren zu erfolgen.
Die Rote hat folgenden Wortlaut:
„Bor dem Kriege und während desselben haben die Zivil-
behörden eine gewisse Zahl von Urkunden geführt, die die Aus-
führung von Rekrutierung« - und Mobilmachungs-
handlungen betreffen, die jetzt durch die militärischen Bestim-
mungen des Friedensvertrags verboten ist. ES ist nun der Kon-
trskikommisston angezeigt worden, daß nicht alle diese Nrkutiden
vernichtet worden fttrd. Eft« Teil davon soll sich tn Händen
der Bürgermeister und anderer örtlicher Behörden befinde»«.
Die Kommission beehrt sich» um die Beriüchtung der »roch übrig
gebltübenen Archive zu ersuchen. Diese Bernichmng hat i n G e -
grnwartvonKontrollofftzierenz« geschehen, die von
den beteiligte« Verbindungsstelle« über die in dieser Hinsicht ge-
troffenen Maßnahme» zu unterrichten sind. Die Kommission
bittet außerdem, ihr in möglichst kurzer Frist die Schritte mitzu-
retten, die die deutsche Regierung tn Ausführung des Artikels 211
des Friedensvertrags ergriffen hat oder zu ergreifen gedenkt, um
den vorerwähnten Zivilbchörden diejenigen Dienstgeschäste zu
entziehen, die der Friedendvertrag verbietet.«
Wer trägt de« deutschen Staat?
In einem interessanten und bedeutsamen Leitartikel über dieses
Thema schreibt die „R e ne Z ttr ich er Zeitung":
„Es darf tn diese«» Zusammenhang und bet diesem Anlaß wohl
daran erinnert werden, wer es war, derbtsher den neuen deut-
sche,» Staat getragen und ihn durch die allerschwersten Jahre hirr-
durch gerettet hat. Es waren nicht die Reichen, weder die neue«
noch die alten Reichen, nicht Leute von Besitz und Bildung, nicht
die führender» Kreise der deutschen Wirtschaft und des deutschen
Geistes. Vergeblich sucht man die Unwersttäte» und ihre Kreise
tn den Reihen derer, die jene Arbeit an ihrem Volk und Vaterland
in seiner schlimmsten Zett getan haben. Was hätten sie für eine
Kraftquelle geistigen Reichtums in dieser Not, auch geistigen Not,
durch positive Mitarbeit Werder» können! Es waren auch nicht die
Kapitäne der Industrie, der deutschen Wirtschaft, die ihre ungeheure
Erfahrung und ihr Können und ihre Namen in den Dienst der
Republik gestellt haben. So oft das Ansinnen an einen von ihnen
erging, ein grobes Amt tm Reichsdienst zu übernehmen, hat es
immer wieder Absagen gegeben, aus denselben Kreisen,^ die nicht
ruttde geworden Ware», den Rus nach „Fachmittistern" zu erheben.
Aber keiner hat dieses Opfer in« Dienst des Reiches gebracht, alS
es ihn brauchte. Rrrr einer vor» de». Großen der deutsche,» Wirt-
schaft hat das getan. Es war der Jude und Demokrat
Rathenau. Wer das neue Reich bisher getragen hat, das
war die Masse der cinsache« Leute, die Masse derer, die »sicht zu
der« Gebildeten und Gesellschaftsfähigen gerech»«ct werden in
Deutschland, wo nur» so scharf die Scheidewände zwischen de«
Mensche,« desselben Staates immer noch zu ziehen gewöhnt ist.
Sie Haber» sich mit Millionen Schultern unter den neuen republi-
kanischen Staat gestellt und ihr» aus dem Chaos herausgehobe»,
ihn getragen bis heute. Es wird stets ein Ruhmestitel der deut-
scher» Arbeiter sein, daß sie in diesen Jahren rrrehr Einsicht und
mehr nationalen Sinn bewiesen haben als die, die ihnen den letz-
teren oft genug abgesprochen haben. Es wird auch ein Ruhmes-
titel der Bauern und der kleinbürgerlichen Kreise bleiberr, die
hinter dem Zentrum stehen und die Masse seiner Anhänger bilden,
daß sie mitgeholfen haben an diesem Werk und ihm Treue gehaltert
haben, während nran im übrigen Bürgertum, sas sich so hoch
erhaben auch über diese Schichten fühlt, in Massen nach rechts
zur Gegnerschaft der Republik abgewandert ist. Auch finanziell
haben diese Schichten der kleinen und einfachen Leute der» deut-
schen Staat bisher tm wesentlichen getragen. Was sie an indirekten
Stenern der großer» Verbrauchsartikel und an Einkommensteuer,
die aus den Pfennig ihnen schon vorher an» Lohn und Gehalt ab-
gezogen wird, geleistet haben, das ist das finanzielle Rückgrat des
Reichs, ohne das es »sicht bestehen könnte. In den Kreisen oben
aber, denen das technische Versagen der deutscher« Steuerveran-
lagung bis heute zugute gekommen ist, ist für Moral und Staats-
gesinnung kennzeichnerrd das lapidare Wort, dem »»«an dort aus
Schritt und Tritt begegnen kann: Diesen, Staat keinen Pfennig!"
Die „N. Z. Ztg." wendet sich dann aufs schärfste gegen die
gemeine, verantwortungslose Art, mit der die Führer des neuen
Deutschland: Ebert, Wirth, Rathenau u. a. anqepöbelt
und heruntergeriflen Werdern Sie schreibt dann:
„Dabet darf nran ruhig sagen, daß, wem« Wilhelm II. etwas
von dem Takt und der klugen Zurückhaltung und den« bescheidenen
und doch würdigen Auftreten Eberts gehabt hätte, es sehr wahr-
scheinlich «in Deutschland anders stünde. Wirth ist es zum
erstenmal gelungen, in die Mauer des Mißtrauens, die die Fehler
der Wilhelminischen Staatsmänner in der Welt gegen Deutschland
aufgerichtet haben, durch seine Erfüllungspolitik eine Bresche zu
schlagen, was noch keiner seiner bisherigen Vorgänger fertig-
gebracht hat. Nach innen hat er erst kürzlich wieder bei der un-
geheuren Gefahr einer Riesenkatastrophe durch den Eisenbahner-
streik den Erweis wirklicher Staats marrnschast gebracht,
die ein Auge für das Mögliche haben muß, ohne von
irgendwelchen Scheuledern beengt zu werden. Und der Erfolg hat
ihm recht gegeben. Er hat -en Streik in wenigen Tagen beendigt
und damit Deutschland vor einer ganz unabsehbaren Katastrophe
bewahrt. Rathenau schließlich ist der erste, der drüben im
Lager der Entente wirklich gehört wird und vermöge seiner Qua-
litäten und seiner Persönlichkeit dort eine Position hat. Es gehört
zu den traurigsten und beschämendsten Kapiteln der deutschen
Geschichte dieser Jahre, daß alles das aus der anderen Sette nichts
gilt, daß, was auch die führenden Männer der deutscher» Republik
unternehmen mögen, es von vornherein dort durch ein gehässiges
Uebelwollen, durch das Gift persönlicher Bekämpfung sofort großen
Kreisen des Volkes schlecht gemacht worden ist. Wer das mit in
Rechnung stellt und die fortgesetzten Hemmungen, die von daher
auSginge», vermag erst der Leistung gerecht zu werden, die trotz
alledem die Republik nach dem verlorenen Krieg, nach dem Zu-
sammenbruch, nach der moralischen urrd physischen Verwahrlosung,
die daraus gefolgt ist, erzielt hat in diesen drei Jahren. Im fort-
gesetzten schweren Kampf nach allsten ist sie unablässig tm Rücken
aus dem eigene» Volk aufs schwerste angegriffen worden. Rur
die Treue, ihr die Süchten des Volkes, die Millionen
einfacher, ungebildeter mtt> .. Msgerwsfett gehalten haben,
Hal ihr das Leben uud eine Beseitig«»« ihrer E.PMrz ermöglicht."
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Heidelberg, Samstag, 18. März 1S22
Nr. 66 » 4. Jahrgang
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Zur Lage.
Xr. Heidelberg, den 18. März.
Nach den Kammererklärungen des neuen italienischen Mtnistcr-
bräsldenten und nach der offiziellen Ueberreichung der Etmadung
an Deutschland durch die italienische Botschaft in Berlin darf man
jetzt wohl mit Sicherheit annehmen, daß die Konferenz von
Genua bestimmt am 10. April ihren Anfang nehmen wird. Wäh-
rend der italienische Staat Millionen um Millionen austvendet, um
seine Gäste würdig auszunehmen und ihnen in Genua eine gastliche
Stätte zu bereiten, sehen wir in der ganzen Welt fieberhafte poli-
tische Rüstungen für Genua. Nicht nur die Großen rüsten, auch die
Kleinen. Denn alle leiden sie mit jedem Tag mehr unter der
allgemeinen weltwirtschaftlichen Krise, alle haben sie das allergrößte
Interesse an der wirtschaftlichen Wiedergesundung Europas. Wir
haben vor einigen Tagen den schwedischen Nattonalökonomen
Cassel zitiert, der aus wirtschaftlichen Motiven heraus den
neutralen Staaten die Aufgabe zuweist, der zersetzenden Macht-
politik, die seit dem Kriegsende Europa an den Rand des Ab-
grundes gebracht hat, ein Ende zu bereiten. Wir konnten gleich-
zeitig Mitteilen, daß unter den neutralen Staaten scharfe Bestre-
bungen im Gange sind, um zu einem gemeinsamen Vorgehen in
Genua zu gelangen. Diese neutrale Einheitsfront, die
ein Gegenstück zu dem eben gebildeten Einheitsblock der Kleinen
Entente bilden würde, scheint jetzt zustande zu kommen. Der
schwedische Staatsminister Branttng hat Dänemark, Norweger«,
Holland, die Schweiz und Spanien zu einer Vorkonferenz nach
Stockholm eingeladen, die allgemein angenommen wurde und be-
reits am heutigen Samstag beginnen soll. Man möchte nur an-
uehmen, daß bei all diesen Dingen das deutsche diplomatische
Korps, unsere Gesandten in den betreffenden Staaten nicht ganz
ahnungslos und untätig beiseite stehen, daß sie einen gewissen
Prodeutschen Einfluß — natürlich mit der gebotenen vornehmen
Zurückhaltung — geltend zu »rachen suchen und daß sie das Aus-
wärtige Amt in Berlin über alles aufs genaueste informieren
aber anders als das in der Vorkriegszeit so üblich war.
Vor allem aber rüsten die Großen, jeder nach seiner Art. Eng-
land hat seine Vorschläge siir Genua in Form einer Sachver-
ständigendenkschrtft zu einer privaten und halbofsiziellen Dis-
kussion zwischen London, einigen neutralen Hauptstädten und
scheinbar auch Berlin gestellt, vor einigen Tagen sollen auch
deutsche Sachverständige in dieser Angelegenheit in London gewesen
sein, näheres ist darüber allerdings zur Zett nicht zu erfahren.
In Frankreich scheinen immer noch starke Kräfte am Werk zu sei««,
die am liebsten Genua gar nicht stattsinderr lassen möchten, daher
denn auch alle die Telegramme aus Paris, die von einer neue»
Vertagung reden, die melden, daß PoincarL nicht nach Genua gehen
wird u. a. m. Gleichzeitig aber bestätigt sich, daß Frankreich Ver-
handlungen mit Rußland wünscht, daß es aber darüber nicht vor
dem Forum der Oefserttlichkeit debattieren möchte, daß insbesondere
die ReparationS- und Abrüstungsfrage aus diesen Debatten und
Verhandlungen gänzlich ausgeschaltet werden soll. Aber Frank-
reich hat diese seine Rechnung ohne den Wirt gemacht, der in
diesem Falle Amerika heißt. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel
schlug in die Pariser Finanzministerkonferenz die amerikanische
Forderung auf Bezahlung der Befatzungskosten ein. Daran hatte
man nun doch nicht gedacht, als man daran ging, die deutschen
Goldmilliarden fein säuberlich unter den Alliierten aufzuteilen,
220 Millionen Goldmark Besatzungskosten pro Jahr von Deutsch-
land zu fordern und an Frankreich das Saargebiet mit 3M Mil-
lionen zu verschenken. Wenigstens hat Frankreich nicht an eilten
derartig böse» Streich Amerikas gedacht. Nicht ganz so unvorbe-
reitet scheint der englische Handels- und Schatzminister Horne
gewesen zu sein, der sofort einen neuen Reparationsplan zur Hand
hatte, in dem auch die amerikanische Forderung entsprechend
berücksichtigt war und mit der alliierten Verschuldung an Amerika
verbunden werden sollte. Marr gewinnt überhaupt immer mehr
den Eindruck, daß es sich in der Sache um einen wohlüberlegte»
errglisch-arnerikanisclren Druck gegelt Frankreichs Politik handelt,
ein Druck, der für die Entscheidung der deutsche» Reparations-
leistungen und den Gang der Konferenz von Genua bedeutsamer
werden kann, als es eine direkte Teilnahme Amerikas an der
Konferenz gewesen wäre.
Und Deutschland? Auch Deutschland rüstet für Genua.
Bereits sind im Auswärtigen Ausschuß und im Reichswirtschafts-
rcit die Probleme von Genua eingehend besprochen und der Re-
gierung für ihre Politik Richtlinien gegeben Worden. Das Kern-
stück der deutschen Rüstungen stellt das S teu er ko mp ro miß
dar, das zur Zett tm Reichstag beraten wird. Es soll der Entente
einen neuen starken Beweis für die Ehrlichkeit der deutschen Er-
fttllungspolilik biete», es soll die finanzpolitische Grund-
lage für die Reparationsleistungen des Jahres
1922 schaffen helfen und zweifellos wird das vernünftige
Ausland an diesen» Steuerkompromttz nicht achtlos vorübergehen
können. Wenn die Zwangsanleihe nicht ausreicht, wenn sie nur
einen Teil der diesjährigen Reparationsschuld deckt, wenn sie keinen
Abbau der ruinösen Inflation und keine Sanierung der Valuta
bringt — Dinge, deren Entwicklung man heute nicht definitiv Vor-
aussagen kalt», die ganz von der näheren Ausgestaltung der
Zwangsanleihe und der Entwicklung der Reparationsfrage ab-
hängen! - so ist das nicht die Schuld der Sozialdemo-
kratie. unsere Partei war bereit, -en Besitz weit stärker zur
Leistung der Reparation heranzuziehen, nicht aus agitatorisch-par-
teipolitischen, sondern aus sinanz- und wirtschaftspolitischen Grün-
den, aber dieser Wille unserer Partei stieß dabei auf den geschlosse-
nen Widerstand der bürgerlichen Parteien. Darin Hütte unsere
Partei eben einfach nicht mitmachen sollen? So Haber» es die
Unabhängigen gemacht, deren Redner Hencke soeben im
stetchstag unsere Partei Wege» der Teilnahme am Sieuerkompro-
Miß verspottet hat. AVer wäre denn durch eine ebenso rein oppo-
sitionell-negative Haltung mrferer Partei irgend etwas gewonnen
gewesen? Das kann nur der glauben, der Politik im luftleeren
Raum seiner Phantasie macht und »licht auf dem Boden der realen
Tatsachen. Gerade die Steuerreden des Herrn Helfferich und
des Volksparteilers Becker haben doch gezetgt, daß diese Herr-
schaften gar nicht ungern eine freiwillige Selbstausschaltung der
Sozialdemokratie gesehen hätten. Dann hätten sie den reinbttrger--
lichen Steuerblock gebildet, der sicherlich den Besitz »roch schwächer,
das Proletariat dagegen »roch stärker belastet hätte. Ja, wer»«
das Proletariat eine politisch-geschlossene Kampftruppe darstellte,
wenn man mit Sicherheit mit einem sozialistischen Erfolg bei «irrer
Neuwahl des Reichstags rechnen könnte! Aber das alles sind eben
ganz unsichere Faktoren, mit denen zu spielen sehr gefährlich wer-
den kann.
Nein, es ist schon so, daß das Steuerkornpromitz in seiner vor-
liegenden Form eben das zur Zeit innerpslitisch einzig Mögliche
darstellt. Damit soll nicht gesagt sein, daß nicht etwa die Entwick-
lung der Verhältnisse tn den nächsten Wochen und Monaten über
diese Zwangsanleihe hinaustreiben könnte, oder daß etwa unsere
Partei nun für alle Zukunft an dieses politische Kompromiß ge-
bunden wäre. Der Volkspartetler Becker hat gestern im Reichs-
tag in triumphierenden Tönen von den Erfolge»» seiner Partei bei
dieser» Steuerverhaudlungen gesprochen und davon, daß es etwas
Ungewöhnliches sei, daß eine Regierung das wirtschaftspolitische
Programm einer Oppositionspartei z« dem ihrigen mache. Wenn
die Entwicklung der nächsten Wochen natürlich das erweisen sollte,
daß das Kompromiß um dieser» Preis erkauft worden ist, dann ist
es zu teuer bezahlt worden, dann wird unsere Partei aufs neue
das Probier» der Koalition zur Diskussion stellen müssen.
Die Rede Helsferichs, der nach der „Südd. Ztg." der ein-
zige Reichstagsavgeordnete ist, der etwas von den Ftnanzsragen
versteht — was er ja durch seine Kriegsfirrmizpolitik bewiese»» hat!
— verdient noch eine kurze Charakterisier«»»«. Es ist höchst be-
zeichnend für die ganze Geisteshaltung unserer „staatserhaltenden"
Konservativen, daß Helsserich ausgerechnet in dem Moment, wo
tm Ausland eine führende neutrale Zeitung wie die „Neue
Züricher Zeitung" (s. den Artikel „Wer trägt den deutschen
Staat?") die Erfolge des Kabinetts Wirth-Rathenau anerkennt,
wo die Krise in der Reparationsfrage in ei» entscheidendes Sta-
dt»,n getreten ist und »reue Sachleistungsabkommen wenigstens die
Scylla der Barzahlungen Venneiden, — ausgerechnet in solchem
Mo»,ent spricht Helsserich wieder einmal vorn Bankerott der Wirth-
Rathenauschen Ersüllungspolitik. Und das sagt der Mann, der
einer der Haupturheber unseres heutigen Finanzclends ist, der.
selbst seine ganze Kriegsfinarrziemngspolttik auf die leichtsinnige
: Hoffnung aus die französtsch-englisch-amerikanischen Goldmilliarden
I aufgebaut hat. Wahrhaftig ein edler Gesinnungsfreund Poin-
cares, man kann den Deutschnationalen und allen, die ihnen »mch-
I trotteln, zu dieser Geistesverwandtschaft nur herzlich gratulieren.
M WW Kl KWWzWWlI M WIMM.
BemmelMMM-Abkornmen auch für Frankreich.-Eine neue französische Entnmffnungsnote
Aus Paris Wird gemeldet:
Ein offizielles KommuuiqnL erklärt, daß Frankreich seine
Verhandlungen mit der deutschen Regierung
sicher der» Zusatz zum Wiesbadener Abkommen nunmehr beendigt
und darnit das vor» Bemelma » in Berlin getrsssene Abkommen
» u n a u ch für F r a r« k r e i ch G si l t tgkett habe. Da nach
dem Wortlaut des von Bemelma» abgeschlossenen Vertrags der
formelle Vorbehalt gernacht worden war, daß Frankreich von
diesem Ueberetnkommen ausgeschlossen sei, waren direkte Verhand-
lungen zwischen Frankreich und der Reichsregierung nötig gewor-
den. Von nun ab können also französische Aufträge für Sach-
leistmrgen direkt und nach der» in» Handel üblichen Methoden an
deutsche Handelshäuser gerichtet werden und die Preise direkt
zwischen Besteller und Erfülle» vereinbart Werder», statt daß wie
vorher die französische Regierung die Aufträge wie auch die Preise
vermittelte.
Berlin, 18. Mürz. General Rollet, der Vorsitzende der
Interalliierten MMtkrkommission, hat dem Auswärtigen Amt in
Berlin eine weitere Rote überreichen lasse«, in welcher er die rest-
lose Vernichtung von noch in Händen der Zivilbchörden be-
findliche»« Urkunden verlangt, die die Ausführung vor» Rekrutie«
rungs- und Mobilmachungshandlungen betreffen. Diese Vernich-
tung habe in Gegenwart von Enteute-Kontrottoffizieren zu erfolgen.
Die Rote hat folgenden Wortlaut:
„Bor dem Kriege und während desselben haben die Zivil-
behörden eine gewisse Zahl von Urkunden geführt, die die Aus-
führung von Rekrutierung« - und Mobilmachungs-
handlungen betreffen, die jetzt durch die militärischen Bestim-
mungen des Friedensvertrags verboten ist. ES ist nun der Kon-
trskikommisston angezeigt worden, daß nicht alle diese Nrkutiden
vernichtet worden fttrd. Eft« Teil davon soll sich tn Händen
der Bürgermeister und anderer örtlicher Behörden befinde»«.
Die Kommission beehrt sich» um die Beriüchtung der »roch übrig
gebltübenen Archive zu ersuchen. Diese Bernichmng hat i n G e -
grnwartvonKontrollofftzierenz« geschehen, die von
den beteiligte« Verbindungsstelle« über die in dieser Hinsicht ge-
troffenen Maßnahme» zu unterrichten sind. Die Kommission
bittet außerdem, ihr in möglichst kurzer Frist die Schritte mitzu-
retten, die die deutsche Regierung tn Ausführung des Artikels 211
des Friedensvertrags ergriffen hat oder zu ergreifen gedenkt, um
den vorerwähnten Zivilbchörden diejenigen Dienstgeschäste zu
entziehen, die der Friedendvertrag verbietet.«
Wer trägt de« deutschen Staat?
In einem interessanten und bedeutsamen Leitartikel über dieses
Thema schreibt die „R e ne Z ttr ich er Zeitung":
„Es darf tn diese«» Zusammenhang und bet diesem Anlaß wohl
daran erinnert werden, wer es war, derbtsher den neuen deut-
sche,» Staat getragen und ihn durch die allerschwersten Jahre hirr-
durch gerettet hat. Es waren nicht die Reichen, weder die neue«
noch die alten Reichen, nicht Leute von Besitz und Bildung, nicht
die führender» Kreise der deutschen Wirtschaft und des deutschen
Geistes. Vergeblich sucht man die Unwersttäte» und ihre Kreise
tn den Reihen derer, die jene Arbeit an ihrem Volk und Vaterland
in seiner schlimmsten Zett getan haben. Was hätten sie für eine
Kraftquelle geistigen Reichtums in dieser Not, auch geistigen Not,
durch positive Mitarbeit Werder» können! Es waren auch nicht die
Kapitäne der Industrie, der deutschen Wirtschaft, die ihre ungeheure
Erfahrung und ihr Können und ihre Namen in den Dienst der
Republik gestellt haben. So oft das Ansinnen an einen von ihnen
erging, ein grobes Amt tm Reichsdienst zu übernehmen, hat es
immer wieder Absagen gegeben, aus denselben Kreisen,^ die nicht
ruttde geworden Ware», den Rus nach „Fachmittistern" zu erheben.
Aber keiner hat dieses Opfer in« Dienst des Reiches gebracht, alS
es ihn brauchte. Rrrr einer vor» de». Großen der deutsche,» Wirt-
schaft hat das getan. Es war der Jude und Demokrat
Rathenau. Wer das neue Reich bisher getragen hat, das
war die Masse der cinsache« Leute, die Masse derer, die »sicht zu
der« Gebildeten und Gesellschaftsfähigen gerech»«ct werden in
Deutschland, wo nur» so scharf die Scheidewände zwischen de«
Mensche,« desselben Staates immer noch zu ziehen gewöhnt ist.
Sie Haber» sich mit Millionen Schultern unter den neuen republi-
kanischen Staat gestellt und ihr» aus dem Chaos herausgehobe»,
ihn getragen bis heute. Es wird stets ein Ruhmestitel der deut-
scher» Arbeiter sein, daß sie in diesen Jahren rrrehr Einsicht und
mehr nationalen Sinn bewiesen haben als die, die ihnen den letz-
teren oft genug abgesprochen haben. Es wird auch ein Ruhmes-
titel der Bauern und der kleinbürgerlichen Kreise bleiberr, die
hinter dem Zentrum stehen und die Masse seiner Anhänger bilden,
daß sie mitgeholfen haben an diesem Werk und ihm Treue gehaltert
haben, während nran im übrigen Bürgertum, sas sich so hoch
erhaben auch über diese Schichten fühlt, in Massen nach rechts
zur Gegnerschaft der Republik abgewandert ist. Auch finanziell
haben diese Schichten der kleinen und einfachen Leute der» deut-
schen Staat bisher tm wesentlichen getragen. Was sie an indirekten
Stenern der großer» Verbrauchsartikel und an Einkommensteuer,
die aus den Pfennig ihnen schon vorher an» Lohn und Gehalt ab-
gezogen wird, geleistet haben, das ist das finanzielle Rückgrat des
Reichs, ohne das es »sicht bestehen könnte. In den Kreisen oben
aber, denen das technische Versagen der deutscher« Steuerveran-
lagung bis heute zugute gekommen ist, ist für Moral und Staats-
gesinnung kennzeichnerrd das lapidare Wort, dem »»«an dort aus
Schritt und Tritt begegnen kann: Diesen, Staat keinen Pfennig!"
Die „N. Z. Ztg." wendet sich dann aufs schärfste gegen die
gemeine, verantwortungslose Art, mit der die Führer des neuen
Deutschland: Ebert, Wirth, Rathenau u. a. anqepöbelt
und heruntergeriflen Werdern Sie schreibt dann:
„Dabet darf nran ruhig sagen, daß, wem« Wilhelm II. etwas
von dem Takt und der klugen Zurückhaltung und den« bescheidenen
und doch würdigen Auftreten Eberts gehabt hätte, es sehr wahr-
scheinlich «in Deutschland anders stünde. Wirth ist es zum
erstenmal gelungen, in die Mauer des Mißtrauens, die die Fehler
der Wilhelminischen Staatsmänner in der Welt gegen Deutschland
aufgerichtet haben, durch seine Erfüllungspolitik eine Bresche zu
schlagen, was noch keiner seiner bisherigen Vorgänger fertig-
gebracht hat. Nach innen hat er erst kürzlich wieder bei der un-
geheuren Gefahr einer Riesenkatastrophe durch den Eisenbahner-
streik den Erweis wirklicher Staats marrnschast gebracht,
die ein Auge für das Mögliche haben muß, ohne von
irgendwelchen Scheuledern beengt zu werden. Und der Erfolg hat
ihm recht gegeben. Er hat -en Streik in wenigen Tagen beendigt
und damit Deutschland vor einer ganz unabsehbaren Katastrophe
bewahrt. Rathenau schließlich ist der erste, der drüben im
Lager der Entente wirklich gehört wird und vermöge seiner Qua-
litäten und seiner Persönlichkeit dort eine Position hat. Es gehört
zu den traurigsten und beschämendsten Kapiteln der deutschen
Geschichte dieser Jahre, daß alles das aus der anderen Sette nichts
gilt, daß, was auch die führenden Männer der deutscher» Republik
unternehmen mögen, es von vornherein dort durch ein gehässiges
Uebelwollen, durch das Gift persönlicher Bekämpfung sofort großen
Kreisen des Volkes schlecht gemacht worden ist. Wer das mit in
Rechnung stellt und die fortgesetzten Hemmungen, die von daher
auSginge», vermag erst der Leistung gerecht zu werden, die trotz
alledem die Republik nach dem verlorenen Krieg, nach dem Zu-
sammenbruch, nach der moralischen urrd physischen Verwahrlosung,
die daraus gefolgt ist, erzielt hat in diesen drei Jahren. Im fort-
gesetzten schweren Kampf nach allsten ist sie unablässig tm Rücken
aus dem eigene» Volk aufs schwerste angegriffen worden. Rur
die Treue, ihr die Süchten des Volkes, die Millionen
einfacher, ungebildeter mtt> .. Msgerwsfett gehalten haben,
Hal ihr das Leben uud eine Beseitig«»« ihrer E.PMrz ermöglicht."