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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (4) — 1922 (Januar bis April)

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Nr. 61 - Nr. 70 (13. März - 23. März)
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Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppinger», Eberbach, Mosbach, Buchen,
Adelsheim, Bömberg, Tauberbischofsheim und Wertheim.

Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 13.— Mk. Anzeigenpreise:
Die einspaltige Petitzeile (36 mm breit) 2.— Mk., Reklame-Anzeigen
(93 mm breit) 6.— Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Eeheimnnttelanzeigen werden nicht ausgenommen.
Geschäftsstunden: 8—'/,6 Uhr. Sprechstunden derRedaktion: 11—12Uhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr^W577. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Mittwoch, 22. März 1922
Nr. 69 * 4. Jahrgang

Verantwort!.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft u. Feuilleton:
Dr. E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales:
O.Geibel; für die Anzeigen: H. Horchler, sämtliche in Heidelberg.
Druck u. Verlag der Unterbadischen Verlagsanstalt G. m. b.tz., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schröderstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2648.

Vom Burenkrieg zum
Klassenkampf.
Otto Jensen schreibt in der „Freihet t" über den soeben
zu Ende gegangenen Arbeiteraufstand in Südafrika:
Der Bürgerkrieg in Südafrika ist zu Ende. Die Aeroplane und
die Artillerie der Regierung der südafrikanischen Union haben ge-
siegt über die zum Aeußersten getriebenen bewaffneten Arbeiter
der Gewerkschaften der Weitzen Arbeiter des Goldminengebietes
des „Rand". Der ehemalige Burcngeneral Smuts, der s. Zt. im
Kapland ein erfolgreiches Stretfkommando siihrte und die Schrecken
der englischen Kriegführung in einen: Bericht an den Präsidenten
Krüger während des Burenkrieges erschütternd schilderte, hat sich
als ein brauchbares Werkzeug der englische« Regierung erwiesen.
Der Burenkrieg ist durch den „War of Elastes" (Klassenkrieg) ab-
gelöst worden.
Der Burenkrieg um die Jahrhundertwende hatte zum Ziel
die Einverleibung der Burenrepubltkerr, in denen das Goldminen-
gebiet von Johannesburg lag. Er endete mit der Unterwerfung
jener Viehzüchter, die unter Ausbeutung der Eingeborenen ein be-
hagliches Bauerndascin lebten und sich dem Eindringen des Ka-
pitalismus widersetzten. Die Engländer bemühte» sich, die unter-
worfenen Staaten dem Reiche einzuverleibe» durch Gewährung
einer Selbstverwaltung und der Nationalismus der Buren nalnn
sehr schnell ab, obgleich einer der tüchtigsten jüngeren Führer.
Richter Herzog, den parlamentarische»! Kampf weiter führte.
Die Goldminen entwickelten sich »Vetter und die Diamantminen
in Ctmberlay lieferten reiche Ausbeute den Ftnanzkap'.ialistem
deren hervorragendster Vertreter Cecil Modus seinen Plan der
Kap-Kairobahn der Verwirklichung entgegenretsen sah. Das
Experiment der Einfuhr chinesischer Kults, die als Kontrattarbeiler
in Massen eingefübrt iourden und unter elenden Bedingungen fast
vie Gefangene in den Minen arbeiten mutzten, wurde nicht wieder-
,o!t. Die Arbeiter in den Minen Ware» Kasfern urrd zum Teil
Ander, die allerdings mehr als Händler in Südafrika in Betracht
kommen. Es ist wenig bekannt, dass der hervorragende indische Ra-
tioualistensührer Ghandi früher in Südafrika lebte und dort eine
großzügige Bewegung für die Gleichberechtigung der Inder in die-
ser britischen Kolonie leistete. Sein Mittel der passive»: Resistenz
erzielte bedsuterrde Erfolge. Die weitze Arbeiterschaft bildet eine
Art Arbeiteraristokratie und entwickelte bei der Verschlechterung der
Verhältnisse, die einerseits durch die geringere Ergiebigkeit der
Minen, die höhere Produktionskosten des Goldes bedingte, herbei-
geführt wurde, andererseits eine Folge der allgemeine»» Weltwirt-
schaftskrise war, syndikalistische Tendenzen entsprechend dein Kolo-
nialcharakter des Landes. Die Kämpfe von heute sind nur die
Fortsetzung und Verschärfung ähnlicher Konflikte der Vorkriegs-
zeit, wie ein kurzer geschichtlicher Rückblick auf die Gewerkschaftsbe-
wegung Südafrikas beweist.
Gewerkschaftliche Organisationen von einiger Bedeutung waren
in Südafrika Zweigvereine der englischen Trade Untons, die von
eingewanderten Arbeiter»» begründet wurden: es bildeten sich aber
auch selbständige Organisationen, besonders unter den Verkehrs-
und Bergarbeiter»».
Das letzte Jahrzehnt brachte eine Reihe sehr heftiger Kämpfe,
bet denen auch stark syndikalistische Tendenzen hervortraten. Im
Jahre 1913 führte ein Ausstand der Bergarbeiter zu eine»« General-
streik, an dem sich auch die Eisenbahner beteiligten. Nachdem
dieser Kampf durch Verhandlungen und die Vermittlung der Re-
gierung beigelegt war, brach 1914 ei,» neuer Generalstreik aus.
Beide Streiks wurden mit großer Erbitterung geführt, die Regie-
rung mobilisierte. Es kam zu blutigen Kämpfen und zahlreiche»
Verhaftungen. 1914 lieb die Regierung schließlich die Hauptführer
zwangsweise aus ein Schiff bringen und »lach England „deportie-
ren", außerdem schlug sie Gesetze vor, die durch Einführung von
Schiedsgerichten usw. die Streikgefahr minder»» sollten.
Die „deportierten" Gewerkschaftsführer wurden seinerzeit in
England von den Arbeitern mit großen Massenversammlungen
empfangen und es setzte eine bedeutende Bewegung zugunsten der
südafrikanischen Arbeiter ein. Der Weltkrieg machte dieser ver-
heißungsvollen Bewegung ein Ende. Das war um so bedauerlicher,
als durch eine engere Fühlung der britischer» Arbeiterschaft mit der
südafrikanischen sowohl die syndikalistischen Strömungen gemildert,
als auch vielleicht eine andere Stellungnahme zu den farbigen Ar-
beitern erzielt ivorden wäre. Mar» darf nicht vergessen, daß in
Kapland seit langem die Kaffer» Stimmrecht besitzen und daß die
allgemeine Erschütterung des Ansehens der weißen Rasse infolge
des Weltkriegs auch die schwarzen Ureinwohner Südafrikas aus-
gerüttelt hat. General Smuts beklagt sich in seinen Geheimberichten
während des Burenkrteges über die massenhafte Bewaffnung von
Kaffern durch die Engländer und weist auf die Gefahren für die
Herrschaft der Weißen hin. Die Buren triebe»» bekanntlich eine
grausame Etngeborcncnpolitik und vermieden jede Mischung mit
den Afrikanern. Sie sabei» in deü Eingeborenen nur ein höheres
Tier.
Bei den völlig ungenügenden Mitteilungen über den Streik
und die Kämpfe in» Gotdininengebiet wissen wir nicht, wie sich die
Eingeborenen zu der Bewegung der Weitzen Arbeiter gestellt haben.
Jedenfalls dürfte die Lohre des jetzigen Streiks die sein, daß un-
bedingt ein enges Zusammenarbeiten von Weißen und Schwar-
zen geboten ist. Tie schwache industrielle Entwicklung Südafrikas
mit Ausnahme des Minengebietech und die Zersplitterung der Ge-
werkschaften drängen zu ein« Zusammenfassung der Kräfte, wie
cin Blick aus folgende Zählen beweist: Ende 1919 gab es in der
südafrikanischen Union 103 Gewerkschaften, von Vene»» 94 zusam-
men 108 062 Mitglied« zählten. Von den selbständigen Organi-
sationen zählte di« stärkste, die der Eisenbahn- und Hasenibedien-
ftelen. rund 30 000 Mitglieder, der Bergarbetterverband 14683.

Von den Zweigvcreinen englischer Trade Urrioirs hatten es die der
Maschinenbauer aus 7078, die de»' Tischler und Zimuterer auf 3346
Mitglied« gebracht.
Seit 1919 wird wohl eine bedeutende Vergrößerung der Ver-
bände der Eisenbahner und Bergarbeiter eingetreten fein. Aber
es ist auch heute »roch, wie die Kämpfe beweisen, die Gewerkschafts-
bewegung eines Koloniallandes, ist« einem »nächtigen Kapital ge-
genübersteht, das im Bunde mit der Regierung teile Methoden
der bewaffneten Privatpolizet anwendet, wie sie in der» Berg-
arbeiterbezirken von Nordamerika in Miite stehen und standen und
wie es Upton Sinclair in „König Kohle" geschildert hat.
Es »vir- Aufgabe der englischen Arbeiterklasse sei»», besonders
auch !der gewerkschaftlich organisierten Masten, der Klassenjustiz
der südafrikanischen Regierung, der Rache der Kapitalncagicater»
von» „Rand" zu begegne»». Es wird aber auch die Aufgabe der

englischer» Sozialisten und der sozialistischer» Internationale sein,
die Periode des SvndkkaltSmus abzukürzen und durch Nutzbar-
machung der intcrnationalen Erfahrungen die Bergarbeiter der
Goldminen aus den Weg eines moderner» Klastenkampses zu füh-
re»» im Bunde »nit allen nach Demokratie strebeichen Ekemertten
des britischen Weltreiches.
Es sind Methoden der ursprünglichen Akkumulation des Ka-
pitals, die in Johannesburg zur Anwendung kommen. Aber diese
Akkrvnulation geschieht im Zeitalter -« modernen Großindustrie,
und die Gesamtarbeiterschaft umtz den Südafrikanern zu Hilf«
kommen, auch wenn die bewaffnete Revolte nicht die Kampsesweise
des modernen, geschulten Proletariats ist, das den Klastenkrieg
durch den Klaffe,»kamps «setzt und in großen Organisationen den
Kapitalisten Schlachten liefert, die nicht durch Aeroplane und Ar-
tillerie entschicdcn werden.

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Dev neue deutsche Botschafter in Washington.

Das Moratorium und seine Bedingungen.
Die Entente verlangt Vereinfachung der deutschen
Staatsverwaltung.
Wie aus den heute morgen aus Paris vorliegende»» Meldun-
gen hervorgeht, hat die Reparatiouslommission sich gestern abend
endgültig über die Antwort auf die deutsche Note vom 29.
Januar geeinigt. Wie,.„H avas" bestätigend meldet, enthal-
ten die bereits gefaßten Beschlüste der Reparationskommtssion den
Plan eines Abkommens, wonach Deutschland für IS22 ei,» Mora-
torium auf der Cannes-Grundlage von 720 Millionen Goldmark
in bar und 1450 Millionen Goldmark in Sachleistungen gewährt
wird. Es scheint in den letzten beiden Tage»» der Beratungen
zu ziemlich heftigen Debatten über die von Deutsch-
land zu Verlarmenden Garantier» gekommen zu sein, wobei die
sehr weitgehende» Forderungen Frankreichs von
den englischen und italienische», Delegierten entschieden bekämpft
worden sind. England und Italien traten für die Ab-
send uns eines Ultima tu »ns an Deutschland ein, in dem
es unter Androhung von Zwangsmaßnahmen innerhalb einer be-
stimmten Frist zur Durchführung der »«langten Finanzreformen
aufgefordert wird. Kommt Deutschland diesem Verlangen nach,
so werden die Alliierte» jede Einmischung in die inneren Verhält-
nisse unterlassen. Frankreich und Belgien dagegen wollen
die sofortige Errichtung einer alliierten Kontrollstelle zur lieber-
wachung r-er deutschen Finanzen, besonders Uber die Zölle und
dir ausländischen Devisen. Es wurde versucht, zwischen
diesen beiden Ansichten ein Kompromiß herzustellen ans die Weise,
daß Deutschland ausgefordert Wird, die Kontrollstelle grundsätzlich
zuzulasten mit dem schwachen Trost, daß sie erst später in Wirk-
samkeit treten soll.
Einzelheiten üb« die schließlich gefaßten Beschlüsse sind bis
zur Stunde noch nicht bekannt. Von besonderem Interests ist eine
Pariser Meldung der „Tägl. Rundschau", wonach in den Debatten
der Reparattonskommisston England unter anderem den Vorschlag
gemacht habe», soll, eine Einschränkung d« deutsche,» Verwaltungs-
kosten dadurch zu erzielen, daß die bundesstaatlichen Parlamente
auf cin Mindestmaß herabgesetzt oder gänzlich fallen gelassen
werde» sollte». Dem stand die französische Befürchtung gegenüber,
daß durch diese Maßnahme eine Zentralisierung der
Retchsver Wallung erzielt werden würde, die den fran-
zösischenJnteressenzuwtderlaufe. Durch diese Ein-
schränkung und durch den Wegfall der bundesstaatlichen Gesandt-
schaft ließe», sich etwa 1V bis 15 Milliarden Papiermark jährlich er-
sparen Dazu kämen etwa 5 bis 6 Milliarden Ersparnisse an Be-
satzungskosten, so daß man mit einer Gefamtersparnts von
20 bis 25 Milliarden pro Jahr rechnen könne, die zum Teil für
Reparattonszwecke herangezogen werden könnte.
Auch wir sind seit der Revolution der Auffassung, daß die
Unzahl der deutschenLandesparlamente, die eine
politische Suveränttät der „Länder" Vortäuschen, die in Wirklichkeit
gar nicht mehr vorhanden ist, ein Luxus ist, den wir uns auf
die Dauer nicht werden leisten können. Bedauerlich und fatal wäre
es aber,, wenn der Anstoß auch zu dieser in unserem eigenen Inter-
esse notwendigen politische»» Flurbereinigung wie zu so vielem
anderen von der Entente ansgehen müßte.
Albert Thomas über Genua.
Die Aufgabe» des Internationalen Arbeitsamtes.
Berlin, 21. März. Der Direktor des Internationalen Ar-
beitsamtes in Genf, Albert Thomas, weilte gestern auf der
Durchreise von Posen nach Loudon in Berlin. Einem Mitglied der
Redaktion des „Vorwärts" setzte « den Zweck seiner Reise
nach Posen auseinander. Das Gespräch wandte sich besonders der
Frage der Mitwirkung des Internationale», Arbeitsamtes aus der
Wiederaufbaukonferenz von Genua zu. Auf die Frage, worin die
Beteiligung des Arbeitsamtes bestehen würde, antwortete Thomas
u. a. wie, folgt: Kürzlich ist bekannt geworden, daß das Internatio-
nale Arbeitsamt ebenso wie die technischen Kommissionen des
Völkerbundes offiziell aufgesordert werden, Delegierte nach Genua
zu entsenden und ihre Dokumente für die Konferenz zur Verfügung
zu stellen. Das Internationale Arbeitsamt hat im Laufe seines
Bestehens sehr umfangreiches statistisches und wissenschaftliches
Material gesammelt. Es ist Wohl anzunehmen, daß eine Wieder-
aufbaukonferenz zur positiven Arbeitsleistung einer solchen.Doku-
mentation nicht wird entbehren können. Es könnte aber auch sein,
daß die Tätigkeit des Internationaler» Arbeitsamtes in Genua
sich darüber hinaus «streckt. So hat die Brüsseler interalliierte
Finanzkonferenz im Dezember 1920 u. a. die Einstellung der Ar-

beitslosenunterstützung als für die Gesundung der europäischen
Finanzen nnerlätzltch bezeichnet, ohne sich dessen bewußt zu sein,
welche ungeheuren sozialen Erschütterungen eine derartige Maß-
nahme zur Folge gehabt hätte. Es wird Aufgabe des Internatio-
nalen Arbeitsamtes sei», gegebenenfalls vor solchen die Lebens-
interessen der Arbeiterklasse und darnit letzten Endes die Gesamt-
produktion gefährdenden Maßnahme»» zu warnen. An einem sol-
chen Eingreifen sind übrigens nicht nur die Arbeiter, sondern auch
die Arbeitgeber interessiert, die ja bekanntlich ebenfalls in» Inter-
nationalen Arbeitsamt vertreten sind. Aus die Frage, wie er die
allgemeinen Aussichten von Genua beurteile, erwiderte Thomas,
das; man zwar über die positiven Erfolge eine Voraussage nicht
»vagen könne, daß man aber zum »ni»,besten etrren starker»
moralische»» Fortschritt von dieser Konferenz erwarten
dürfte.
Der neue deutsche Botschafter in den
Vereinigten Staaten.
Ber l -», 22. März. Dr. Wtedfeldt, der für den deutsches
Bvifchaftcrposten in Washington bestimmt rvar, hat das Agrement
d« amerikanischen Regierung erhallen.
Die Deutsche Republik >1 bei der Besetzung fast aller Bot-
schasterposten mit -Kviertgkeiten personeller Natur zu kämpfen
gehabt, ain schwierigsten aber war es, einen geeigneten Vertreter
für Washington zu finden. Der Botschafter in Washington soll
nicht nur ein Politiker, sonder» auch ein hervorragender Kenn«
der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse sowohl in Deutsch-
land ivie in der, Verctnigten Staaten sei»». Wirtschaftspolitische
Orientierthett sollte jetzt, da die allgemeine Politik der Mächte von
Wirtschaftssragen entscheidend beeinflußt wird, Voraussetzung bet
der Besetzung eines jeden wichtigeren auswärtigen Postens sein,
in besonderem Grade gilt dies aber für Washington. Vor, vorn-
herein ist deshalb unter den bedeutendsten Köpfen unserer Wirt-
schaft Umschau gehalten worden. Das Auswärtige Aint hat sich
aber eine Absage nach der anderen geholt, und auch Geheimrat
Wiedfeldt hat vorerst den ihm mehrfach angetragenen Washington«
Posten abgelehnt. Es ist dann die Kandidatur Hermes aufgetaucht;
sie erledigte sich dadurch, daß Dr. Hermes es unmittelbar vor der
Ernennung vorzog, in Berlin zu bleiben. Daß Geheimrat Wied-
feldl sich nun doch entschlossen hat, perfönliche Bedenken zurück-
zusteller, und nach Washington zu gehen, darf hoffentlich als ei»»
Zeichen dafür angesehen werden, daß die hervorragende». Vertret«
der deutschen Wirtschaft aus der leichteren. Melleicht auch dankbare-
«n, aber jedenfalls weniger fruchtbarer» Rolle der nur auf Kritik
sich beschränkende», Zuschauer beranstrctcn, ihre Kenntnisse und
Erfahrungen in den aktwen Dienst des Reiches zu stellen bereit
sind. In diesem Sinne darf inan die durch de» Reichspräsidenten
soeben vollzogene Ernennung des Geheimrats Wiedfeldt doppelt
begrüßen.
Geheimrat Otto Wiedfeldt steht tu» 31. Lebensjahre. Er hat
bereits einmal in» Reichsdienst gestanden. 1908 ist er — nach
längerer Tätigkeit in der Landesgcnossenschaft in Sachsen und im
Statistischen Amte irr Essen, später in Dresden — als Vortragen-
der Rat in das Reichsantt des Inner,» eingetreten. 1911 wurde er
beurlaubt, um in den japanische», Staatsdienst überzutreten. In
Tokio wirkte er als Ratgeber im japanischen Reichseisenbahnamt.
Nach seiner Rückkehr aus Japan verließ er den Reichsdienst, um
einem Rufe der Stadtverwaltung Essen zu folgen. Während des
Krieges trat Geheimrat Wiedfeldt in das Direktorium der Krupp-
Werke ein, dem er noch angehört.
Neue Steuerkonrpromiß-Schwierigkeiten?
Berlin, 22. März. Wie bereits mitgeteilt, wird Dr. Na-
thenau in der heutigen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses
eine Erklärung üb« das Bcmelman-Abkommen abgeben. In par-
lamentarischen Kreisen legt man dieser Sitzung außerordent-
liche Bedeutung bei. Ja, man befürchtet, daß die Deutsche
Volkspartet ihre Prograininforderung, bedeutsame Verträge nicht
ohne die Zustimmung des Reichstags abzuschlteßen, aufrechterhält
»md da ßbet einer die Deutsche Volkspartet nicht befriedigenden
Erklärung Rathenaus neue Komplikationen für das Zu-
standekommen des Steuerkompromisses entstehen.
Berlin, 22. März. Das Retchskabinett trat gestern zu einer
längeren vertraultchenSitzung zusammen. Gegenstand der
Tagesordnung ivar vor allem die Vorbereitung der Rctchsregierung
für die Konferenz von Genua. Endgültige Beschlüsse wurden noch
Nicht gefaßt.
 
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