Volkszeitung
Tageszeitung für die Werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppinger», Cberbach, Mosbach, Buchen,
Adelsheim, Boxberg, Tauberbischofrheim und Wertheim.
Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 13.— Mk. Anzeigenpreis«:
Die einspaltige Petitzeile (36 mm breit) 2.— Mk-, Reklame-Anzergen
(98 mm breit) 6.— Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Eeheimmtttelanzeigen werden nicht ausgenommen.
Geschäftsstunden: 8—'/,6 Uhr. Sprechstunden derRedaktion: 11—12 Uhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22 577. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelbergs
Heidelberg, Samstag, 4. März 1922
Nr. 54 * 4. Jahrgang
Verantwort!.: Für innere u.äußere Politik, Volkswirtschaft «.Feuilleton:
Dr.E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales:
O.Geibel; für die Anzeigen: H.Lorchler, sämtliche in Heidelberg.
Druck u. Verlag der Unterbadischen Verlagsanftalt G-m.b.H-, Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schroderstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2648.
Zur Lage.
Kr. Heidelberg, den t. März.
Der Dollar kostet SSO MI., ein Zentner Wetzen 600 Mk., eine
Tonne Kohlen «ach der neuen Steuer 83« Mk. und die schwebende
Schuld des Reiches betrug gegen Ende Februar 259,7 Miillarden:
in diesen paar nackten Zahlen spiegelt sich das ganze Elend unserer
wirtschaftlichen und sozialen Lage zu Anfang März dieses Jahres;
diese Verelendungszahlen, die für gewisse Finanz- und Wirtschafts-
kreise allerdings Konjunkturzahlen eines schamlosen Wucher- und
Ausbeutertums sind, lassen uns heute schon die ganze Schwere
rind Größe der sozialwtrtschaftlichen Kämpfe der nächsten Wochen
und Monate ahnen, die wahrscheinlich alles bisherige in Schatten
stellen werden. Wohl ist -er Eisend ah «erstreik, der ein
erster Auftakt dieser sozialen Kämpfe war, vorüber, aber das Feuer
der sozialen Motive, die zu ihm geführt haben und die wir trotz
aller Verurteilung der ungewerkschaftlichen Taktik dieses Streiks
stets voll und ganz gewürdigt und anerkannt haben, glimmt unter
der Decke weiter und es bedarf nur eines Funkens, um wieder zur
feurigen Lohe aufzuflammen, alles verzehrend und vernichtend.
Noch ist die so dringend notwendige soziale Revision der Grund-
gehälter der Beamten in den' Gehaltsklassen 1—6 nicht in Angriff
genommen worden, dagegen stoßen die Versuche, irgendwelche über-
flüssigen Ministerien oder obere Beamtungen abzubauen, airf die
allergrößten Schwierigkeiten, das Notwendigste wird aus lange Zeit
hinaus verschleppt und verzögert. Es muß angesichts der Notlage
der rmteren Beamten und Staatsarbeiter geradezu als ein Faust-
schlag ins Gesicht der sozialen Vernunft empfunden werden, daß
vom Reichstag der Teuerungs zuschlag von 2000 Mk., der
als Abschlagszahlung zur Behebung der dringendsten sozialen Nöte
gedacht war, wiederum allen Beamten, also auch den
oberen, die heute reichlich gut besoldet sind und zudem bei der
neuen Aenderung des Einkommensteuergesetzes recht gut abgefchnit-
ten haben. Uns leitet durchaus nicht eine verkehrte proletarische
Animosität gegen das höhere Beamtentum, wir wissen sehr wohl
seine Funktion im Staat zu schätzen und gönnen ihm auch semr
Bezüge, ja wir wissen, daß gerade hier der Staat immer wieder
Gefahr läuft, gerade die Vesten Köpfe an die Privatindustrie zu
verlieren, weil sie dort eben im Handumdrehen die zwei- und drei-
fachen Bezüge erlangen. Aber wir meinen, angesichts der Span-
nung zwischen dem Einkommen der unteren und oberen Beamten,
angesichts der Tatsache, daß ein großer Teil der nnteren kaum
das Existenzminimum erreicht und angesichts der von
Lag zu Tag elender werdenden Finanzlage von Reich, Ländern
und Gemeinden ist es dnrchaus berechtigt, wenn man heute die
finanzielle Fürsorge zunächst mal der Notlage der unteren und
mittleren Beamtengruppcn znwendet. In dieser Beziehung mutz
es als eine soziale Tat ersten Ranges und von weittragender sozial-
politischer Bedeutung anerkannt werde», daß der badische Finanz-
minister und der Landtag den Mut aufgebracht habe», de«
TcuerungszusMag, der ja nur ein Notpfennig ist und fein kann,
auf die Veamtengruppen zu beschränke», deren Grundgehalt oen
Betrag von 30 000 Mk. nicht erreicht. Die Deutschnationalen, deren
Anhängerschaft sich ja zum größten Teil aus den Beamten der
oberen Gehartsklassen rekrutiert, hatten die Zulage für alle Beamten
von Klasse 1-13 verlangt, ihr Antrag wurde aber im Haushalts-
auSschus; mit 18 gegen 3 Stimmen abgelehnt. Es ist doppelt er-
freulich, daß bei der Gcsamtabstimmung der Gesetzentwurf ein-
stimmig angenommen wurde. Bedauerlich bleibt nur, daß, wie
der Genosse Ma rum als Berichterstatter betonte, infolge des
Sperrgesetzes der Landtag nicht imstande ist, den unteren Beamte»
zu gehen, was notwendig ist. Bereits bei der Schaffnng des
neuen badischen Besoldungsgesetzes, als vom Finanzmiuister und
allen Parteien so sehr seine sozialen Ungerechtigkeiten hervor-
gehoben wurden, haben wir zum Ausdruck gebracht, daß wir cs
gern gesehen hätten, wenn man sich schon damals auf die Hinter-
beine gestellt und durch einen Konflikt mit dem Reich eine soziale
Revision der Besoldungsordnung durch den Reichstag erzwungen
hätte. Zweifellos wären eilte Reihe der anderen deutschen Länder
dem badischen Beispiel gefolgt. Nuri, wir sind zufrieden, daß man
jetzt wenigstens den Anfang einer sozialen Besoldungspolitik ge-
macht hat. Das wird auf Berlin sicherlich nicht ohne Eindruck
bleiben.
Noch immer schiessen die Zügel der deutschen Finanz- und
Steuerpolitik am Boden, trotz der Schwere und Dringlichkeit unse-
rer Finanzprobleme haben wir jetzt seit fast einem Jahre Überhaupt
'einen hauptamtlichen Finanzminister mehr. Dr. Hermes, der zur
Zeit Verweser des Finanzministeriums ist, hat jetzt selbst die Un-
möglichkeit feiner Position eingesehen. Berliner Blätter wissen zu
melden, daß er den Reichskanzler ersucht habe, eine Entscheidung
darüber zu treffen, welches von seineir beiden Ministerien in Zu-
kunft von ihm geleitet werden soll, da er die Last der Verantwor-
tung für beide Ministerien nicht mehr tragen könne. Ob diese
Meldung in dieser Form richtig ist oder nicht, jedenfalls entspricht
sie dem objektiven Tatbestand, der geradezu skandalös ist. Wir
verstehen es nicht, wie es der Reichskanzler überhaupt mitansehen
konnte, daß die ganze Steuerpolitik seit Monaten ohne jede syste-
matische politische Führung von einigen unverantwortlichen und
dazu noch rechtsgerichteten Staatssekretären geführt bzw. nicht
geführt wird. Wir verstehen aber offen gesagt auch nicht, daß
unsere Partei da nicht mit einem Donnerwetter dreingefahre» ist,
mit der bloßen Kritik der Genossen Keil, Müller u. a. in Par-
lei- und Volksversammlungen ist's doch wirklich nicht getan. Und
was wird nun eigentlich aus dem Steuerkompromtß? Wir haben
von Anfang an unsere Leser nicht darüber im Unklaren gelassen,
daß wir von Wirtschafts- und finanzpolitischen Gesichtspunkten ans
mit -em Steuerkompromiß, insbesondere auch mit der Zwangs-
anleihe, nicht sonderlich zufrieden sein können, inbesondere deshalb
nicht, weil trotzdem noch ein riesiger Betrag der Ausgabe» des
Etats 1922 ungedeckt bleibt und weil W innere Paptermarkanleihe
das ReparationsdevisenproSlem nicht löst. Das letztere Moment i
hat ja nun durch da» neue SachletstungSsystem an Bedeutung ein-
gebüßt, umso gewichtiger wiegt nach wie vor das erstere. Nun
zeigt sich aber immer mehr, daß das ganze Kompromiß über die
Zwangsanleihe noch ttt der Lust hängt, da man sich über die Ar!
Ihrer Erhebung noch gar nicht Har ist mrd sich daran erneut die
Geister scheiden. Ja, wie man hört, soll die Veranlagung oder
doch der größte Tetl derselben erst 1923 erfolgen, trotz der
schönen Balanzierungsdenkschrift an die Entente. Während also
die neue Markentwertung und Teuerungswelle die proletarischen
Massen bereits jetzt schon wieder mit einer ungeheuer ungerechten
und entsetzlich wirkenden Steuer belastet, verdienen die Sachwert-
besitzer dick darauf los und Haven jetzt sogar Aussicht, erst 1923 zu
einem papierenen Notopfer herangezogen zu werden, Beträge, di«
auf der anderen Seite wieder doppelt und dreifach als Sach-
leistungsentschädigungen den Industriellen in die Taschen fließen.
Um diese Dinge wird in den nächsten Wochen ein erbitterter
politischer Kampf entbrennen, hinter dem alle anderen innen- un-
außenpolitischen Fragen an Bedeutung zurücktreten. Wir dürfe»
wohl erwarten, daß dabet unsere Vertreter im Reichstag, auf deren
Schultern jetzt schwere Aufgaben rühm, ihren Mann stellen werden,
vor allem, daß sie im gegebenen Moment nicht versäumen werden,
die Millionen der sreigewerkschaftlichen Hilfstruppen im proleta-
rischen Existenzkampf zu Hilfe zu rufen.
Der Steuerkampf.
Eine Erklärung der Volkspartei.
Berlin, 4. März. Im Stenerausschutz des Reichstags ver-
anlaßte die Debatte über den Antrag auf Befreiung der landwirt-
schaftlichen Genossenschaften von der Umsatzsteuer die sozial-
demokratischen Vertreter zu der Erklärung, daß sie sich in
der Frage des Steuerkompromisses freie Hand lassen würden, wenn
die deutsch-volksparteilichen Mitunterzeichner diesen Antrag nicht
zurückziehen würden. Die Sozialdemokraten bemängelten die un-
klare Stellung der Deutschen Volkspartei zum Steuerkompromiß.
Namens der Deutschen Volkspartei lehnte Dr. Becker-Hessen cs
ausdrücklich ab, eine Erklärung zn -er Frage des Steuerkompro-
Misses abzngeben. Im vorliegenden Falle sei für sie kein Anlaß
vorhanden, ihre Unterschrift zurückzuziehen. Der Antrag wurde
darauf mit allen gegen 7 Stimmen avgelehnt. Durch diese Ab-
stimmung kam:, wie in Negiennngskretsen erklärt wird, die Krise
in der Steuerfrage als überwunden angesehen werden. (?)
Zur gestrigen Abstimmung im Steuerausschutz des Reichstags
schreibt der „Vorwärts" u. a.: Wie man sicht, hat das Steuer-
kompromiß einen leichten Schlaganfall überstan-
den. Die Entscheidung über Sein oder Nichtsein des Stcuerkom-
promisseS wird voraussichtlich bei der Z w a ng s a n l e t h e fallen.
Die sozialdemokratische Fraktion besteht daraus, daß durch eine
rechtzeitige Veranlagung die Zwangsanleihe noch im laufenden
Rechnungsjahr gesichert wird.
Wird Dr. Hermes Finanzminister?
Berlin, 4. März. Wie nach dem „Berliner Tagebl."
in Pavlamentskreffen verkantet, GMbt -der Kanzler an eine Ent-
scheidung iiver die definitive Besetzung des Fikrmtzininisterinms
erst dmm Herangehen zu können, wenn die schwebenden Steuer-
beratungen zu einem gewissen Abschluß gelangt sind und die zwi-
schen Hermes und den Mehrheitssozialiste» vorhandene» Differen-
zen überbrückt sind. Die „Zeit" erklärt, die Frage sei noch nicht
klar entschieden, ob Dk. Hermes endgültig zum, Reichsfinanzmini-
ster ernannt werde, Es gewinne aber an Wahrscheinlich-
keit, daß die Entscheidung in diesem Sinne ausfallen werde.
Die Auseinandersetzung Delbrück—Aulard.
Reue Erklärungen Aulards.
s. Et. Paris, 3. März 1922.
Die öffentliche Auseinandersetzung zwischen Delbrück und Au-
lard hat begönnet», allerdings nicht, wie Delbrück vorschlng, durch
einen persönlichen Meinungsaustausch in Köln, sondern durch
Zeitungsartikel im „L'Oeuvre". Der Berliner Vertreter des
„L'Oenvre", Laurent, hat Delbrück ausgesucht und gibt ohne ten-
denziöse Färbung wieder, was ihm der deutsche Gelehrte gesagt
hat. Die Redaktion hat den Bericht Aulard vorgelogt und stellt
seine Antwort neben die Aenßerungen Delbrücks. Delbrück er-
klärte, er sei lein Alldeutscher, tote man in Frankreich glaube, son-
dern ein überzeugter Pazifist. Schon 1912 habe er aus die Gefah-
ren der imperialistischen Propaganda hingewiesen. Er habe das
Manifest der 93 nicht unterschrieben und erst kürzlich ein Buch ge-
gen Ludendorff veröffentlicht. Nach diesen persönlichen Bemer-
kungen kommt er zum Gegenstand der Diskussion. Er könnte die
von Aulard verlangte Erklärung, daß Deutschland allein für den
Krieg verantwortlich sei, nicht unterzeichne»», weil er damit gegen
seine Ueberzengung handeln würde. Delbrück sagte weiter: „Ich
habe den Kaiser »Md ebenso die Männer, die den größten Einfluß
aus ihn hatten, gekannt, und weiß, daß sie >im tiefsten Empfinden
friedfertig waren. Ich erkenne an, -daß sie einen ungeschickten
oder schweren Fehler begangen haben, als sie den Krieg erklärten,
aber dabei darf man nicht von einer moralischen Berantwortung
sprechen. Eine Verantwortung ist juristischer Art." Delbrück tritt
aufs Neue für die These ein, daß die moralische Berantwortung
auf seilen der Entente liege. Er ist bereit, diese These zu verteidi-
gen und hat deshalb Aulard zu einer öffentlichen Diskussion auf-
gefordert. Aus die Einwände, -atz eine solche Diskussion keinem
praktischen Zweck diene, antwortete Delbrück: „Das ist ein Irr-
tum. Deutschland muß ein großes Gewicht auf -die Klärung -dieser
Frage legen. Da die Entente uns die ganze Schuld ausgebürdot
hat, nrüssen wir uns bemühen, diese Last zu erleichtern. Man
kaum dabei nur gewinnen; zu verlieren haben wir nichts mehr."
Professor Aulard schreibt dazu: „Ich finde diese Interviews
des Professors der Geschichte an der Universität Berlin sehr in-
teressant. Man erkennt daraus, gegen welche Kräfte die Vergan-
genheit Deutschland in Zukunft zu kämpfen hat. Deutschland ver-
kleidet sich als Pazifist, um seinen Kaiser und die kaiserliche Re-
gierung zu verteidigen. Die Broschüre über Ludendorss beweist
gar nichts. Ich kenne sie nur nach den Auszügen, welche die Zei-
tungen veröffentlicht Haven, aber ich habe aus diesen Darstellungen
entnommen, daß Delbrück Lndendorff vorwirft, er habe den Krieg
schlecht geführt. Hätte Lndendorff Paris gewonnen; dann wäre
Delbrück mit ihm zufrieden gewesen." AtSard konrmt dann auf
die deutsche Lüge zurück, durch die nach seiner Meinung die Kriegs-
erklärung gerechtfertigt worden fein soll. Er führt verschiedene
Tatsachen gegen Delbrück an. Delvriick ne,me die Lüge nur ein
Ungeschick. Zum Glück gebe e» viele Leute in Deutschland, die da«
Ideal Kants von der Friedfertigkeit Deutschlands noch heute an-
erkennen. „Weil Delbrück -aber in ssttvem Widerspruch verharrt,
will ich ihn fragen, weshalb Deutschland 1899 im Haag das
Schiedsgericht abgelehnt hat. Damals hätte sich eine Periode des
Friedens eröffnen können. Die deutsche Regierung Hat aber eine
Zeit des Krieges vorgezogen, und das soll ein Ungeschick sei»,
nichts Wetter?" Aulard fragt, weshalb Wilhelm II. im Jahr«
1914 den Vorschlag des Zaren nicht angenommen hat, den Kon»
Mt dem Haager Schiedsgericht zu unterbreiten. „Ein Ungeschicks
wird Professor Delbrück wieder sagen. Wir Franzosen nennen
diese Handlung nicht ein Ungeschick, sondern ein Verbrechen. Sie-
ben Millionen Meirichen find durch dieses „Ungeschick" gestörten.
Das ivill aber nicht besagen, daß wir Franzosen alle mit der fran-
zösischen Politik vor dem Kriege zufrieden gewesen sind. Irr allen
Ländern haben die Kanoneulieseranten durch ihre »nächtige Preffe
zürn Kriege gehetzt; aber die Hauptschuldigen bleiben Wilhelm ll.
und Franz Joses. Mr französischen Republikaner haben nach
urvserer Niederlage 1871 -den Kaiser und das Kaiserreich.ausgespi-m.
Wir Haven erklärt, -atz sie für -das Unglück und die Zerstückelung
Frankreichs verantwortlich sind. Jeder französische Professor hätte
sich nach 1871 geschämt, Napoleon Nl. zu loben; aber die deutschen
Professoren, Herr Delbrück an der Spitze, halten es Mr ihre Ehren-
pflicht, den früheren Kaiser zu verteidigen." Aulard schließt mit
der Mahnung an die Franzose«, sich um die chauvinistischen Pro-
fessoren nicht zu kümmern, sondern auf die zwölf Millionen deut-
scher Arbeiter zu vertrauen, die einmütig den Friede,» wollen, und
die einsehe,», -atz die Ruinen Frankreichs aufgebaut werden
müsse«.
Deutscher Reichstag.
Das Reichsmietengesetz mit 202 gegen 168 Stimmen angenommen
8.?. Berlin, den 3. März.
Der Reichstag hat heute in der dritten Lesung das Reichs-
mietengesetz endgültig angenommen. Das Haus war
angesichts der Bedeutung der Abstimmung außerordentlich stark
besetzt und die Abstimmung über etnzelire Abknderungsanträge
zeigte, daß die Entscheidung keineswegs von vornherein sicher war.
Die Annahme des Gesetzes ist nicht zuletzt dadurch zustandrge-
kommrn, daß das Zentrum durch Einfügen der Klausel, die
das Gesetz bis zum 1. Juli 1926 befristet, seinen der Vorlage sonst
widerstrebenden Mitgliedern die Annahme erleichterte. Trotzdem
war zu beobachten, daß bei der namentlichen Abstimmung eine
Reihe von Zentrumsabgeordneten sich nicht beteiligten.
Auch in der demokratischen Fraktion war die Meinung
geteilt, doch hat hier die überwiegende Mehrheit gegen das
Gesetz gestimmt. Die sozialistischen Parteien stimmte«
geschlossen für das Gesetz, die beiden Rechtsparteien dagegen.
Die Annahme erfolgte schließlich mit 202 gegen 168 Stimmen.
Badische Politik.
Eine deutsch-französische Kundgebung für den Sozialismus.
Mannheim, 4. März. Am Mittwoch abend sprach ick
einer stark besuchten öffentlichen Kundgebung der U.S.P.D. im
Nibelungensaal der Reichstagsabg. Dtttmann - Berlin und der
Vertreter der soziailstischen Partei Frankreichs, Grumbach.
Abg. Dittmann betonte, datz die U.S.P. keine Ursache habe,
das Kabinett Wirth zu stützen, wenn es die begonnene Politik
gegen die Schaffenden sortsetze und vielleicht gar in Genua einem
Reparationsprogramm zustimme, das auf Kosten der Arbeiter-
schaft durchgeführt werden solle. Der französische Sozialist Grum-
Vach erklärte die U.S.P.D. als die einzige Partei, zu der die
französischen Arbeiter Vertrauen hätten. (?) Er hob hervor, datz
auch die französischen Sozialisten gegen den Versailler Vertrag
ankampften, der Frankreich nur schwere wirtschaftliche Not gebracht
habe. Die französische Staatsschuld betrag 300 Millionen Fran-
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Zur Lage.
Kr. Heidelberg, den t. März.
Der Dollar kostet SSO MI., ein Zentner Wetzen 600 Mk., eine
Tonne Kohlen «ach der neuen Steuer 83« Mk. und die schwebende
Schuld des Reiches betrug gegen Ende Februar 259,7 Miillarden:
in diesen paar nackten Zahlen spiegelt sich das ganze Elend unserer
wirtschaftlichen und sozialen Lage zu Anfang März dieses Jahres;
diese Verelendungszahlen, die für gewisse Finanz- und Wirtschafts-
kreise allerdings Konjunkturzahlen eines schamlosen Wucher- und
Ausbeutertums sind, lassen uns heute schon die ganze Schwere
rind Größe der sozialwtrtschaftlichen Kämpfe der nächsten Wochen
und Monate ahnen, die wahrscheinlich alles bisherige in Schatten
stellen werden. Wohl ist -er Eisend ah «erstreik, der ein
erster Auftakt dieser sozialen Kämpfe war, vorüber, aber das Feuer
der sozialen Motive, die zu ihm geführt haben und die wir trotz
aller Verurteilung der ungewerkschaftlichen Taktik dieses Streiks
stets voll und ganz gewürdigt und anerkannt haben, glimmt unter
der Decke weiter und es bedarf nur eines Funkens, um wieder zur
feurigen Lohe aufzuflammen, alles verzehrend und vernichtend.
Noch ist die so dringend notwendige soziale Revision der Grund-
gehälter der Beamten in den' Gehaltsklassen 1—6 nicht in Angriff
genommen worden, dagegen stoßen die Versuche, irgendwelche über-
flüssigen Ministerien oder obere Beamtungen abzubauen, airf die
allergrößten Schwierigkeiten, das Notwendigste wird aus lange Zeit
hinaus verschleppt und verzögert. Es muß angesichts der Notlage
der rmteren Beamten und Staatsarbeiter geradezu als ein Faust-
schlag ins Gesicht der sozialen Vernunft empfunden werden, daß
vom Reichstag der Teuerungs zuschlag von 2000 Mk., der
als Abschlagszahlung zur Behebung der dringendsten sozialen Nöte
gedacht war, wiederum allen Beamten, also auch den
oberen, die heute reichlich gut besoldet sind und zudem bei der
neuen Aenderung des Einkommensteuergesetzes recht gut abgefchnit-
ten haben. Uns leitet durchaus nicht eine verkehrte proletarische
Animosität gegen das höhere Beamtentum, wir wissen sehr wohl
seine Funktion im Staat zu schätzen und gönnen ihm auch semr
Bezüge, ja wir wissen, daß gerade hier der Staat immer wieder
Gefahr läuft, gerade die Vesten Köpfe an die Privatindustrie zu
verlieren, weil sie dort eben im Handumdrehen die zwei- und drei-
fachen Bezüge erlangen. Aber wir meinen, angesichts der Span-
nung zwischen dem Einkommen der unteren und oberen Beamten,
angesichts der Tatsache, daß ein großer Teil der nnteren kaum
das Existenzminimum erreicht und angesichts der von
Lag zu Tag elender werdenden Finanzlage von Reich, Ländern
und Gemeinden ist es dnrchaus berechtigt, wenn man heute die
finanzielle Fürsorge zunächst mal der Notlage der unteren und
mittleren Beamtengruppcn znwendet. In dieser Beziehung mutz
es als eine soziale Tat ersten Ranges und von weittragender sozial-
politischer Bedeutung anerkannt werde», daß der badische Finanz-
minister und der Landtag den Mut aufgebracht habe», de«
TcuerungszusMag, der ja nur ein Notpfennig ist und fein kann,
auf die Veamtengruppen zu beschränke», deren Grundgehalt oen
Betrag von 30 000 Mk. nicht erreicht. Die Deutschnationalen, deren
Anhängerschaft sich ja zum größten Teil aus den Beamten der
oberen Gehartsklassen rekrutiert, hatten die Zulage für alle Beamten
von Klasse 1-13 verlangt, ihr Antrag wurde aber im Haushalts-
auSschus; mit 18 gegen 3 Stimmen abgelehnt. Es ist doppelt er-
freulich, daß bei der Gcsamtabstimmung der Gesetzentwurf ein-
stimmig angenommen wurde. Bedauerlich bleibt nur, daß, wie
der Genosse Ma rum als Berichterstatter betonte, infolge des
Sperrgesetzes der Landtag nicht imstande ist, den unteren Beamte»
zu gehen, was notwendig ist. Bereits bei der Schaffnng des
neuen badischen Besoldungsgesetzes, als vom Finanzmiuister und
allen Parteien so sehr seine sozialen Ungerechtigkeiten hervor-
gehoben wurden, haben wir zum Ausdruck gebracht, daß wir cs
gern gesehen hätten, wenn man sich schon damals auf die Hinter-
beine gestellt und durch einen Konflikt mit dem Reich eine soziale
Revision der Besoldungsordnung durch den Reichstag erzwungen
hätte. Zweifellos wären eilte Reihe der anderen deutschen Länder
dem badischen Beispiel gefolgt. Nuri, wir sind zufrieden, daß man
jetzt wenigstens den Anfang einer sozialen Besoldungspolitik ge-
macht hat. Das wird auf Berlin sicherlich nicht ohne Eindruck
bleiben.
Noch immer schiessen die Zügel der deutschen Finanz- und
Steuerpolitik am Boden, trotz der Schwere und Dringlichkeit unse-
rer Finanzprobleme haben wir jetzt seit fast einem Jahre Überhaupt
'einen hauptamtlichen Finanzminister mehr. Dr. Hermes, der zur
Zeit Verweser des Finanzministeriums ist, hat jetzt selbst die Un-
möglichkeit feiner Position eingesehen. Berliner Blätter wissen zu
melden, daß er den Reichskanzler ersucht habe, eine Entscheidung
darüber zu treffen, welches von seineir beiden Ministerien in Zu-
kunft von ihm geleitet werden soll, da er die Last der Verantwor-
tung für beide Ministerien nicht mehr tragen könne. Ob diese
Meldung in dieser Form richtig ist oder nicht, jedenfalls entspricht
sie dem objektiven Tatbestand, der geradezu skandalös ist. Wir
verstehen es nicht, wie es der Reichskanzler überhaupt mitansehen
konnte, daß die ganze Steuerpolitik seit Monaten ohne jede syste-
matische politische Führung von einigen unverantwortlichen und
dazu noch rechtsgerichteten Staatssekretären geführt bzw. nicht
geführt wird. Wir verstehen aber offen gesagt auch nicht, daß
unsere Partei da nicht mit einem Donnerwetter dreingefahre» ist,
mit der bloßen Kritik der Genossen Keil, Müller u. a. in Par-
lei- und Volksversammlungen ist's doch wirklich nicht getan. Und
was wird nun eigentlich aus dem Steuerkompromtß? Wir haben
von Anfang an unsere Leser nicht darüber im Unklaren gelassen,
daß wir von Wirtschafts- und finanzpolitischen Gesichtspunkten ans
mit -em Steuerkompromiß, insbesondere auch mit der Zwangs-
anleihe, nicht sonderlich zufrieden sein können, inbesondere deshalb
nicht, weil trotzdem noch ein riesiger Betrag der Ausgabe» des
Etats 1922 ungedeckt bleibt und weil W innere Paptermarkanleihe
das ReparationsdevisenproSlem nicht löst. Das letztere Moment i
hat ja nun durch da» neue SachletstungSsystem an Bedeutung ein-
gebüßt, umso gewichtiger wiegt nach wie vor das erstere. Nun
zeigt sich aber immer mehr, daß das ganze Kompromiß über die
Zwangsanleihe noch ttt der Lust hängt, da man sich über die Ar!
Ihrer Erhebung noch gar nicht Har ist mrd sich daran erneut die
Geister scheiden. Ja, wie man hört, soll die Veranlagung oder
doch der größte Tetl derselben erst 1923 erfolgen, trotz der
schönen Balanzierungsdenkschrift an die Entente. Während also
die neue Markentwertung und Teuerungswelle die proletarischen
Massen bereits jetzt schon wieder mit einer ungeheuer ungerechten
und entsetzlich wirkenden Steuer belastet, verdienen die Sachwert-
besitzer dick darauf los und Haven jetzt sogar Aussicht, erst 1923 zu
einem papierenen Notopfer herangezogen zu werden, Beträge, di«
auf der anderen Seite wieder doppelt und dreifach als Sach-
leistungsentschädigungen den Industriellen in die Taschen fließen.
Um diese Dinge wird in den nächsten Wochen ein erbitterter
politischer Kampf entbrennen, hinter dem alle anderen innen- un-
außenpolitischen Fragen an Bedeutung zurücktreten. Wir dürfe»
wohl erwarten, daß dabet unsere Vertreter im Reichstag, auf deren
Schultern jetzt schwere Aufgaben rühm, ihren Mann stellen werden,
vor allem, daß sie im gegebenen Moment nicht versäumen werden,
die Millionen der sreigewerkschaftlichen Hilfstruppen im proleta-
rischen Existenzkampf zu Hilfe zu rufen.
Der Steuerkampf.
Eine Erklärung der Volkspartei.
Berlin, 4. März. Im Stenerausschutz des Reichstags ver-
anlaßte die Debatte über den Antrag auf Befreiung der landwirt-
schaftlichen Genossenschaften von der Umsatzsteuer die sozial-
demokratischen Vertreter zu der Erklärung, daß sie sich in
der Frage des Steuerkompromisses freie Hand lassen würden, wenn
die deutsch-volksparteilichen Mitunterzeichner diesen Antrag nicht
zurückziehen würden. Die Sozialdemokraten bemängelten die un-
klare Stellung der Deutschen Volkspartei zum Steuerkompromiß.
Namens der Deutschen Volkspartei lehnte Dr. Becker-Hessen cs
ausdrücklich ab, eine Erklärung zn -er Frage des Steuerkompro-
Misses abzngeben. Im vorliegenden Falle sei für sie kein Anlaß
vorhanden, ihre Unterschrift zurückzuziehen. Der Antrag wurde
darauf mit allen gegen 7 Stimmen avgelehnt. Durch diese Ab-
stimmung kam:, wie in Negiennngskretsen erklärt wird, die Krise
in der Steuerfrage als überwunden angesehen werden. (?)
Zur gestrigen Abstimmung im Steuerausschutz des Reichstags
schreibt der „Vorwärts" u. a.: Wie man sicht, hat das Steuer-
kompromiß einen leichten Schlaganfall überstan-
den. Die Entscheidung über Sein oder Nichtsein des Stcuerkom-
promisseS wird voraussichtlich bei der Z w a ng s a n l e t h e fallen.
Die sozialdemokratische Fraktion besteht daraus, daß durch eine
rechtzeitige Veranlagung die Zwangsanleihe noch im laufenden
Rechnungsjahr gesichert wird.
Wird Dr. Hermes Finanzminister?
Berlin, 4. März. Wie nach dem „Berliner Tagebl."
in Pavlamentskreffen verkantet, GMbt -der Kanzler an eine Ent-
scheidung iiver die definitive Besetzung des Fikrmtzininisterinms
erst dmm Herangehen zu können, wenn die schwebenden Steuer-
beratungen zu einem gewissen Abschluß gelangt sind und die zwi-
schen Hermes und den Mehrheitssozialiste» vorhandene» Differen-
zen überbrückt sind. Die „Zeit" erklärt, die Frage sei noch nicht
klar entschieden, ob Dk. Hermes endgültig zum, Reichsfinanzmini-
ster ernannt werde, Es gewinne aber an Wahrscheinlich-
keit, daß die Entscheidung in diesem Sinne ausfallen werde.
Die Auseinandersetzung Delbrück—Aulard.
Reue Erklärungen Aulards.
s. Et. Paris, 3. März 1922.
Die öffentliche Auseinandersetzung zwischen Delbrück und Au-
lard hat begönnet», allerdings nicht, wie Delbrück vorschlng, durch
einen persönlichen Meinungsaustausch in Köln, sondern durch
Zeitungsartikel im „L'Oeuvre". Der Berliner Vertreter des
„L'Oenvre", Laurent, hat Delbrück ausgesucht und gibt ohne ten-
denziöse Färbung wieder, was ihm der deutsche Gelehrte gesagt
hat. Die Redaktion hat den Bericht Aulard vorgelogt und stellt
seine Antwort neben die Aenßerungen Delbrücks. Delbrück er-
klärte, er sei lein Alldeutscher, tote man in Frankreich glaube, son-
dern ein überzeugter Pazifist. Schon 1912 habe er aus die Gefah-
ren der imperialistischen Propaganda hingewiesen. Er habe das
Manifest der 93 nicht unterschrieben und erst kürzlich ein Buch ge-
gen Ludendorff veröffentlicht. Nach diesen persönlichen Bemer-
kungen kommt er zum Gegenstand der Diskussion. Er könnte die
von Aulard verlangte Erklärung, daß Deutschland allein für den
Krieg verantwortlich sei, nicht unterzeichne»», weil er damit gegen
seine Ueberzengung handeln würde. Delbrück sagte weiter: „Ich
habe den Kaiser »Md ebenso die Männer, die den größten Einfluß
aus ihn hatten, gekannt, und weiß, daß sie >im tiefsten Empfinden
friedfertig waren. Ich erkenne an, -daß sie einen ungeschickten
oder schweren Fehler begangen haben, als sie den Krieg erklärten,
aber dabei darf man nicht von einer moralischen Berantwortung
sprechen. Eine Verantwortung ist juristischer Art." Delbrück tritt
aufs Neue für die These ein, daß die moralische Berantwortung
auf seilen der Entente liege. Er ist bereit, diese These zu verteidi-
gen und hat deshalb Aulard zu einer öffentlichen Diskussion auf-
gefordert. Aus die Einwände, -atz eine solche Diskussion keinem
praktischen Zweck diene, antwortete Delbrück: „Das ist ein Irr-
tum. Deutschland muß ein großes Gewicht auf -die Klärung -dieser
Frage legen. Da die Entente uns die ganze Schuld ausgebürdot
hat, nrüssen wir uns bemühen, diese Last zu erleichtern. Man
kaum dabei nur gewinnen; zu verlieren haben wir nichts mehr."
Professor Aulard schreibt dazu: „Ich finde diese Interviews
des Professors der Geschichte an der Universität Berlin sehr in-
teressant. Man erkennt daraus, gegen welche Kräfte die Vergan-
genheit Deutschland in Zukunft zu kämpfen hat. Deutschland ver-
kleidet sich als Pazifist, um seinen Kaiser und die kaiserliche Re-
gierung zu verteidigen. Die Broschüre über Ludendorss beweist
gar nichts. Ich kenne sie nur nach den Auszügen, welche die Zei-
tungen veröffentlicht Haven, aber ich habe aus diesen Darstellungen
entnommen, daß Delbrück Lndendorff vorwirft, er habe den Krieg
schlecht geführt. Hätte Lndendorff Paris gewonnen; dann wäre
Delbrück mit ihm zufrieden gewesen." AtSard konrmt dann auf
die deutsche Lüge zurück, durch die nach seiner Meinung die Kriegs-
erklärung gerechtfertigt worden fein soll. Er führt verschiedene
Tatsachen gegen Delbrück an. Delvriick ne,me die Lüge nur ein
Ungeschick. Zum Glück gebe e» viele Leute in Deutschland, die da«
Ideal Kants von der Friedfertigkeit Deutschlands noch heute an-
erkennen. „Weil Delbrück -aber in ssttvem Widerspruch verharrt,
will ich ihn fragen, weshalb Deutschland 1899 im Haag das
Schiedsgericht abgelehnt hat. Damals hätte sich eine Periode des
Friedens eröffnen können. Die deutsche Regierung Hat aber eine
Zeit des Krieges vorgezogen, und das soll ein Ungeschick sei»,
nichts Wetter?" Aulard fragt, weshalb Wilhelm II. im Jahr«
1914 den Vorschlag des Zaren nicht angenommen hat, den Kon»
Mt dem Haager Schiedsgericht zu unterbreiten. „Ein Ungeschicks
wird Professor Delbrück wieder sagen. Wir Franzosen nennen
diese Handlung nicht ein Ungeschick, sondern ein Verbrechen. Sie-
ben Millionen Meirichen find durch dieses „Ungeschick" gestörten.
Das ivill aber nicht besagen, daß wir Franzosen alle mit der fran-
zösischen Politik vor dem Kriege zufrieden gewesen sind. Irr allen
Ländern haben die Kanoneulieseranten durch ihre »nächtige Preffe
zürn Kriege gehetzt; aber die Hauptschuldigen bleiben Wilhelm ll.
und Franz Joses. Mr französischen Republikaner haben nach
urvserer Niederlage 1871 -den Kaiser und das Kaiserreich.ausgespi-m.
Wir Haven erklärt, -atz sie für -das Unglück und die Zerstückelung
Frankreichs verantwortlich sind. Jeder französische Professor hätte
sich nach 1871 geschämt, Napoleon Nl. zu loben; aber die deutschen
Professoren, Herr Delbrück an der Spitze, halten es Mr ihre Ehren-
pflicht, den früheren Kaiser zu verteidigen." Aulard schließt mit
der Mahnung an die Franzose«, sich um die chauvinistischen Pro-
fessoren nicht zu kümmern, sondern auf die zwölf Millionen deut-
scher Arbeiter zu vertrauen, die einmütig den Friede,» wollen, und
die einsehe,», -atz die Ruinen Frankreichs aufgebaut werden
müsse«.
Deutscher Reichstag.
Das Reichsmietengesetz mit 202 gegen 168 Stimmen angenommen
8.?. Berlin, den 3. März.
Der Reichstag hat heute in der dritten Lesung das Reichs-
mietengesetz endgültig angenommen. Das Haus war
angesichts der Bedeutung der Abstimmung außerordentlich stark
besetzt und die Abstimmung über etnzelire Abknderungsanträge
zeigte, daß die Entscheidung keineswegs von vornherein sicher war.
Die Annahme des Gesetzes ist nicht zuletzt dadurch zustandrge-
kommrn, daß das Zentrum durch Einfügen der Klausel, die
das Gesetz bis zum 1. Juli 1926 befristet, seinen der Vorlage sonst
widerstrebenden Mitgliedern die Annahme erleichterte. Trotzdem
war zu beobachten, daß bei der namentlichen Abstimmung eine
Reihe von Zentrumsabgeordneten sich nicht beteiligten.
Auch in der demokratischen Fraktion war die Meinung
geteilt, doch hat hier die überwiegende Mehrheit gegen das
Gesetz gestimmt. Die sozialistischen Parteien stimmte«
geschlossen für das Gesetz, die beiden Rechtsparteien dagegen.
Die Annahme erfolgte schließlich mit 202 gegen 168 Stimmen.
Badische Politik.
Eine deutsch-französische Kundgebung für den Sozialismus.
Mannheim, 4. März. Am Mittwoch abend sprach ick
einer stark besuchten öffentlichen Kundgebung der U.S.P.D. im
Nibelungensaal der Reichstagsabg. Dtttmann - Berlin und der
Vertreter der soziailstischen Partei Frankreichs, Grumbach.
Abg. Dittmann betonte, datz die U.S.P. keine Ursache habe,
das Kabinett Wirth zu stützen, wenn es die begonnene Politik
gegen die Schaffenden sortsetze und vielleicht gar in Genua einem
Reparationsprogramm zustimme, das auf Kosten der Arbeiter-
schaft durchgeführt werden solle. Der französische Sozialist Grum-
Vach erklärte die U.S.P.D. als die einzige Partei, zu der die
französischen Arbeiter Vertrauen hätten. (?) Er hob hervor, datz
auch die französischen Sozialisten gegen den Versailler Vertrag
ankampften, der Frankreich nur schwere wirtschaftliche Not gebracht
habe. Die französische Staatsschuld betrag 300 Millionen Fran-