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Heidelberg, Samstag, 8. April 1922
Nr. 84 * 4. Jahrgang
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Dr. E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales:
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Zur Lage.
Kr. Hetdelber g, den 8. April.
Die Vorbereitungen für die Weltkonferenz von Genna sind
beendet, Spieler, Gegenspieler und Zwischenspieler haben ihre Rol-
len gut einstudrert — Lloyd George und PoincarS haben gestern
nochmals im Bahnhof von Paris eine Schlußprobe zu zweien ab-
gehalten! —, das Schauspiel kann morgen beginnen. Wird cs eine
Tragödie oder Komödie oder beides zugleich sein? Wer weiß das
beute, wer kann heute sagen, was vielleicht schon tn acht Tagen
aus Genua geworden sein wird! Es wäre gewiß verfehlt, die Pro-
bleme und Ergebnisse von Genua etwa nur aus deutschem Gesichts-
winkel heraus zu betrachten, aber ebenso verfehlt wäre es, etwa
das deutsche Schicksal zu sehr in den Hintergrund treten zu lassen.
PoincarS will nicht haben, daß über Friedensverträgc und Repara-
tion in Genua gesprochen wird und Lloyd George hat ihm das in
seiner großen Unterhausrede zugesichert. Und doch ist ganz klar, daß
die Konferenz an diesen beiden Grundproblemen nicht Vorbeigehen
kann, sie werden als unsichtbare, unliebsame und ungebetene Gäste
anwesend sein» sie werden um so schwerer auf den Gemütern lasten,
je weniger von ihnen gesprochen wird. Genua soll den Wiederauf-
bau Europas einleiten, von verschiedenen Seiten wird dabet von der
weltwirtschaftltchenKrise, unter der Sieger wie Besiegte
und Neutrale leiden, gesprochen werden und dieses ganze Gerede
wäre verlogene Komödie, wenn dabei nicht die schwere Schuld der
imperialistischen Machtpolitik zur Sprache käme, wenn nicht der
wirtschaftlich-finanzielle Wiederaufbau Deutschlands als wesent-
licher Teil des europäischen Wiederausbauproblems erkannt und an-
erkannt würde. Dabet hängt natürlich alles davon ab, wer diese
Dinge sagt und wie sie gesagt werden und gerade nach dieser Rich-
tung sind Verschiedene Ueberraschungm nicht ausgeschlossen. Die
deutsche Delegation, hinter der die ganz große Mehrheit des deut-
schen Reichstags wie des ganzen Volkes steht, hat in Genua eine
sehr schwere, aber auch dankbare Aufgabe. Bet jeder Gelegenheit
und in allen Formen wird sie den Mit- und Gegenspielern Deutsch-
lands Bereitschaft, am Aufbau Europas muzuarbeiten, kundgeben
müssen, gleichzeitig aber mutz sie vor diesem ersten Völkerparlameut,
in dem Deutschland wieder gleichberechtigt vertreten ist, sagen, wo
uns Deutsche der Schuh drückt. Wir müssen den Anderen sagen,
welche wertvolle» Stücke aus dem deutschen Wirtschaftskörper durch
den Vertrag von Versailles herausgerissen'worden sind, wir müssen
ihnen sagen, wie uns der Verlust unserer Handelsflotte und Ober-
schlesteus schmerzt. Wir müssen den andern an Hand der proletari-
schen Verelendungsztfsern, der gewaltigen Teuerung und Geldent-
wertung gerade der letzten Wochen — 60—75sache Kohlenpreise, 275
Milliarden schwebende Reichsfchuld, 1 Dollar -- 350 Papiermark
usw. — zeigen, daß unsere sogen, wirtschaftliche Blüte, an der aller-
dings einzelne, aber nur einzelne Gruppen bomvenmäßig verdienen,
nur eine Scheinkonjunktur ist, die früher oder später zum
völligen Bankerott führen muß. Und wenn man uns mißtrauisch
begegnet, wenn man uns von Revartcheplänen spricht und dabei
auf das Treiben gewisser Geheimorganisationen der reaktionären
Hurrapatrioten hinweist, dann müssen wir ihnen sagen: diese
sind nicht das deutsche Volk, dessm Mehrheit insbesondere
die Arbeiterschaft antiimperialistisch und antimilitaristisch eingestellt
ist. Aber, müssen wir ihnen sagen, cs ist nicht möglich, daß die deut-
sche Demokratie und der deutsche Pazifismus sich auf die Dauer
durchsetzen, wenn nicht sobald als möglich die Last von Versailles
beträchtlich erleichtert wird.
Was Wird Genua uns bringen? Diese Frage liegt
heute auf aller Mund. Wir haben von Anfang an vor Illusionen
gewarnt, auch Genua wird nur eine Etappe aus einem langen und
dornenvollen Wege sein. Es wäre daher auch durchaus verfehlt,
etwa zu glauben, wie das da und dort geschieht, daß uns Genua
sofort eine nennenswerte wirtschaftliche Erleichterung bringen
Werde, etwa beträchtliche Besserung der Mark, Abbau der Preise
usw. Je nach dem Ausgang der Konferenz ist natürlich eine Besse-
rung des Markkürses nicht ausgeschlossen, obwohl wir auch da vor
übertriebenen Hoffnungen warnen, die denn doch nicht erfüllt wer-
den. Solange der Friedensvertrag ans uns lastet, solange wir jähr-
lich 2—3 Milliarden Goldmark Arbeitswerte ohne jeden Gegenwert
als Reparation herschenken müssen und solange die Be-
fatzungstruppen jenseits des Rheins auf unsere Kosten so leben,
wie sie heute leben, solange wird leine Konferenz uns helfen kön-
ne». Hier helfen keine schönen Worte, keine Reden und Vorschläge,
hier Helsen nur Taten, Taten derart, wie sie etwa Keynes und
Nitti vorgeschlagen haben: Herabsetzung der gesamten deutschen
Zahlungen auf etwa 40—50 Milliarden, zahlbar entsprechend der
Leistungsfähigkeit unter Zuhilfenahme eines internationalen Kre-
dits, Rückgabe der Saargebiets und Oberschlesiens und dergl. So-
lange mau sich nicht zu solchen heroischen Taten versteht, solange
kommen wir aus der Krise nicht heraus, solange sind alle Valuta-
stabilisierungsvorfchlüge, alle Finanzresormen und Steuern umsonst.
Die sozialistische Arbeiterschaft hat auf ihren Konferenzen in Am-
sterdam rind Frankfurt den Weg gezeigt, aus dem eine Ge-
sundung der Welt möglich ist, ob aber die satten kapitalistischen
Bourgeois, die Finanzkapitalisten der City und Wallstreet diesen
Weg gehen werden? .....
Täuschen wir uns nicht darüber, daß der Einfluß des Prole-
tariats auf die Verhandlungen von Genua recht gering sein
wird. Wohl ist dort die proletarische Sowjetregierung Ruß-
lands vertreten, aber durch die Bedingungen von Cannes, dis
sie angenommen hat, sind ihr die Hände gebunden. Und dann
kommen ja die Lschttscherin, Litwinow und Josse nicht
als die Repräsentanten eines starken sieghaften proletarischen Staa-
tes, der etwa seine ganze Macht zugunsten Deutschlands gegen die
übermütige Entente in die Wagschalc werfen könnte, sondern sie
kommen als Hilfesuchende eines in wirtschaftlicher Zerrüttung,
Elend und Hungersnot verkommenden Rußland, sie suchen wieder
EinaliehUUna in die gesamte curoMsche Politik UM Wirtschaft
nachdem sie daS Verkehrte und Unmögliche ihrer terroristischen
WeltrevolutionspolttU eingesen haben. Sehen denn unsere unent-
wegten Ltnksradikalinskis immer noch nicht ein, wie sie von Mos-
kau an der Nase hernmgefüvrt worden sind, wie sie durch den
verderblichen und häßlichen Bruderkampf das deutsche Proletariat
seiner besten Kraft beraubt und ihm jede erfolgreiche Realpolitik
unmöglich gemacht haben. Uns Sozialdemokraten hassen sie,
ichimpfen sie Verräter am Proletariat und Sozialismus, weil
wir uns mit bürgerlichen Parteien an der Regierung beteiligt ha-
ben, um wenigstens einige Errungenschaften der Revolution über
die schlimmste Zeit der innen- und außenpolitischen Gärung und
Krise hinwegzuretten. Wenn aber Vertreter des Obersten Wirt-
schakisrates Sowjetrußlands mit den Delegierten kapitalistischer
Grobkonzerne Deutschlands und der ganzen Welt Konzessionsver-
träge schließen nnd dabei luxuriöse Gelage feiern, wenn die Mos-
kowiter in Genua mit den bürgerlich-kapitalistischen Regierungen
der ganzen Welt am Verhandlungstisch sitzen und mit den Indu-
striellen und Finanziers alle möglichen Verbindungen anknüpsen,
da haben diese Unentwegten nichts zu kritisieren, damit finden sie
sich ab. weil es Lenin so beliebt. Arbeiter, seht Ihr denn nicht,
daß nur zähe und geduldige, praktische Realpolitik ohne alle Phra-
sen und Illusionen Zum Ziel führen kann? Wo ist denn der Ein-
fluß der Arbeiterschaft Frankreichs, Englands, Amerikas, Italiens
usw. auf die Politik ihrer Staaten? Man sehe sich die einzelnen!
Delegationen in Genua an, die deutsche Delegation ist die ein-
zige, in der, wenn auch tn bedauernswert geringer Zahl so doch
immerhin einige Sozialdemokraten etwas zu sagen habest
(Schmidt und Wissel!) Was nützen alle Internationalen
Konferenzen, alle Demonstrationen mW Resolutionen, solange dis
Arbeiterschaft nicht entscheidenden Einfluß in der inneren wie ins-
besondere in der auswärtigen Politik zu erkämpfen versteht. Del
Welikapitalismus, der heute mächtiger denn je sein Haupt erhebt
wird nicht mit Aufrufen, Kongressen überwunden, sondern in zä-
her sachlicher Klein- und Einzelarbeit. Die Konferenz von Genus
muß für das Proletariat ein neuer Anstoß sein, sich mehr als bis«
her auf die realpolitischen Gegenwartsaufgaben, ans die Problems
insbesondere der Außenpolitik zu konzentrieren, sich einzustcllen U-
dis realen ökonomischen und politischen Machtverhältnisss. So nur
sind wir echte Marxisten, denn nicht der Buchstabe sondern de»
Geist machts.
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Die schwere Schuld der Bolschewisten.
In unserem Donnerstagbsricht über die Schlußerklärung der
Berliner Konferenz der 3 Internationalen wurde milgeteilt, daß
nach der Annahme der gemeinsamen Erklärungen jede einzelne
Exekutive noch besondere Erklärungen zu Protokoll gab. Wir sind
heute iu der Lage, die Erklärung der deutschen Sektion der 2.
Internationale, die Genosse Wels abgab, im Wortlaut zum Ab-
druck zu bringen. Sie lautet:
Der Vertreter des Moskauer Exekutivkomitees, Karl Radek,
hat am Sonntag tn seiner Erwiderung auf die Rede Bauder-
veldes in Ermangelung besserer Argumente die sehr ernste und
aktuelle Frage des Schicksals der angeklagten Sozialrevolutionäre
mit Redensarten zu beantworten versucht, die alle Merkmale
eines verlegenen Ablenkungsmanövers tragen. Er hat u. a. auch
die von allen Sozialisten Deutschlands auf das tiefste beklagte und
verabscheute Mordtat in der Debatte erwähnt, die von einem blut-
rünstigen Landsknecht auf eigene Faust an Rosa Luxemburg und
Karl Liebknecht begangen wurde. Diese Parallele zwischen einem
im Paroxismus des Bürgerkrieges im Siraßenkantpse verübten fei-
gen Verbrechen und der bevorstehenden Aburteilung von Führern
des russischen Proletariats auf Befehl der ,bolschewistischen Regie-
rung durch ein außerordentliches Kriegsgericht spricht nicht gerade
für das gute Gewissen der Vertreter der Dritten Internationale.
Wenn es aber jemanden gibt, der am allerwenigsten das
Recht hätte, über die tragischen Ereignisse des Januar 1919 in Ber-
lin ein Wort zu verlieren, so ist es wohl Karl Radek. Dieser ist
es gewesen, der damals nach Deutschland gegen den einmütigen
Willen des sozialdeniokratifch-unabhäugigen Rates der Volksbe-
auftragten kam, um dort jeden Versuch zu unteruehmen, der ein
Jahr zuvor der bolschewistischen Partei in Rußland gelungen war,
nämlich dm Versuch, durch eine verschwindende Minderheit des
Proletariats der übrigen Mehrheit des deutschen Volkes jene so-
eben errungene Freiheiten zu entreißen und die sogenannte Dikta-
tur des Proletariats, in Wahrheit: die Autokratie einer kleinen
Gruppe von kommunischen Führern aufzuzwingen.
Gegen diesen unter Der geistigen Führung Karl Radeks und,
wie sich inzwischen heraugestellt hat, gegen den Willen Rosa
Lutemburgs und Kar) Liebknechts selber unternommenen Schritt,
ihre innerpolitischen wie außenpolitischen Verwicklungsversuche,
haben wir, die sozialdemokratische Partei Deutschlands als die
Niedergedrückten, ja Ueberrannten, uns zur Wehr gesetzt. Auch in
unseren Reihen sind damals zahlreiche Proletarier unter den Ku-
geln und Handgranaten der bewaffneten kommunistischen Haufen
gefallen. Von diesen Opfern des Bürgerkrieges, von diesen
Märtyrern des Proletariats, spricht man nie, als wäre ihr Leben
weniger wert gewesen. Keine GeschichtskWternng, keine noch so
dreisten Redensarten und Schmähungen werden diesen wahren Tat-
bestand aus der Welt schassen können. Wir haben den Bürger-
krieg nicht gewollt, er ist uns von den Spartakisten und Bolsche-
wisten aufgedrnngen worden.
In diesem Zusammenhang und angesichts der Anspielungen
Radeks ergreifen wir die Gelelgeuheit, dieser Konferenz und den
hier versammelten Vertretern des Weltproletariats zuzurufen:
„Jawohl! Wir habm uns damals gegen den Versuch, die repu-
blikanische Demokratie zu erdrosseln, die Wahlen zur deutschen
Konstituante zu verhindern, die Diktatur eines kleinen Haufens
von Menschen, von denen bei weitem nicht alle nach idealen Mo-
tiven handelten, aufzurichten, verzweifelt und erfolgreich gewehrt.
Dafür trage:: wir in der Tat die Verantwortung, und wir über-
nehmen diese Verantwortung sogar mit Stolz vor dem deutschen
Volke, vor der internationalen Arbeiterklasse und vor der Geschich-
te! Wir Wissen, daß das internationale Proletariat, soweit es nicht
bereits an anderen Beispielen gelernt hat, über kurz oder lang in
seiner Gesamtheit einsehen wird, daß wir es waren, die wir
durch unsere entschlossene Abwehr, durch unfern Mut zur Unpopu-
larität die deutsche republikanische Republik, Nur wenige Wochen
bestehend, vor einer militärischen Reaktion, vor einem deutschen
Horthy bewahrt haben. Gerne wollen Wir die Schmähungen, ins-
besondere eines Radek, über uns ergehen lassen in dem Bewußtsein,
daß selbst die, die unS heute noch beschimpfen, sobald ihre letzten
Illusionen verflogen, uns dafür danken werden. Dasselbe gilt für
die Anspielung auf die Opfer de» Märzputsches von 1921 in Mtttel-
deuischland. Hier aber genügt ein einziges Wort: Eberlein!,
um die ganze Dreistigkeit der kommunistischen Klager: und Anklagen
z» enthüllen. Wer gemeinsame Sachs mit Leuten macht, die eine
solche zynische Mißachtung des Lebens und Glückes der eigene»
Klassen- und Parteigenossen bewiesen haben, wie es die bekanntest
Zetkinschen Dokumente offenbaren, der hat überhaupt jedes Rech»
verloren, als Ankläger aufzutreten. So unmoralisch und abscheulich
der auf eine Erpressung hinauslaufende Vorschlag eines Austau-
sches zwischen den Sozialrevolutionären und den mitteldeutsche»
Komunisten auch sein mag, er entbehrt in einem gewissen Sinn»
nicht einer symbolischen Bedeutung, denn sowohl die einen wie die
andern sind ihre Opfer, die Opfer der Moskauer Internationale",
andern sind Ihre Opfer, die Opfer der Moskauer JnternMonale"«
. .. ---
Deutscher Reichstag.
Gegen die Nst der Preße.
Berlin, 7. April.
Der Reichstag hat in feiner heutigen letzten Sitzung vor dcst
Osterferien ein von allen Parteien m it A u s n a h m e d er Ko m-
munisten unterzeichneten Antrag angenommen, der die Reichs-
regierung ermcht, mit möglichster Beschleunigung einen Gesetzent-
wurf vorzulegen, durch den der Rot der Zeitungen auf wirtschaft-
lichem Gebiet gesteuert wird Der Reichstag erwartete diesen Ge-
setzentwurf so rechtzeitig, daß seine Beratung durch den Reichstag
unmittelbar nach dessen Zusammentritt erfolgen kann.
Die Begründung des Antrag hatte
ReichstagLprasident Abg. Löbe (Soz.)
übernommen, der u. a. ausührte:
Gestatten Sie, daß ich Ihre Aufmerksamkeit für ein Paar Mi-
nuten aus eine schlimme Krise lenke, die zwar schon oft hier
im Haus und in anderen deutschen Parlamenten besprochen wor-
den ist, die aber doch nicht den Grad Der Beachtung f-iMet, Den sis
gerade beim Parlament finden müßte. Die Not des Zeitungsge-
werbes wird durch eine kurze Notiz, die in letzter Zeit durch die
Zeitungen ging, schlaglichtartig beleuchtet. Sie lautet: In den
letzten Monaten sind Einhundertsiebzig deutsche Zeitungen und
Zeitschriften eingegangen. (Hört, Hört.) Wenn auch unser Wirt-
schaftsleben immerhin auf einer ungesunden Grundlage
noch floriert, so sind 170 deutsche Zeitungen bereits Mrgegangen.
Wer tst es, der diesen Todesstoß fühlt? Zuerst find es die kleinen
und mittleren Provinzblktter, politische, lokale Organe, dis zumeist
aus eine lauge Vergangenheit zurückblicken. Man erinnert sich
daß dieser Tage das Eingehen des „Laubener Tageblattes" in
seinem 150. Jahrgang gemeldet wurde. In der Großstadt nrögen
diese Zeitungen unbedeutend und dürftig erscheinen.. Für ihren
Bezirk und ihren Leserkreis bilden sie ein Stück des geistigen und
politischen Lebens ihrer Leserschaft. (Sehr richtig.) Die Opfer der
Zeitungen sind gefallen. Während die Preise für Zeitungspapier
von 20 Pfennig vor dem Kriege aus 7,80 im März gestiegen sind,
wird nun dieser Preis gleich wieder eins neue 'Steigerung aus
1' Mk. durchmachen.
Die Zeitungen werde» erliege»! Wenn wir nicht eingreifen,
gibt es kein Mittel dagegen.
Wenn nicht, dann ist es jedoch auch nicht nur die Provinzpresse,
die ihren Untergang findet, der größte Teil des Volkes verliert
dann seinen Zusammenhang mit dem Volksganzen, beschränkt sein
Jmeresse am öffentlichen Leben, versinkt in eine politische Gleich-
gültigkeit. überhaupt geht damit der Resonanzboden, der die Be-
hörden, die Regierung für ihre Maßnahmen brauchen, den jedoch
auch das Parlament für seine Arbeiten notwendig haben mutz,
verloren.
Aber nicht allein die kleine Presse, vielmehr auch die größere
kommt an die Reihe. Wir sind zusammengewesen mit den Ver-
tretern der angesehensten deutschen Zeitungen, die Vertreter de«
Organe großer Parteien haben mit frappierenden Zahle« die Not-
lage der Zeitungen belegt. Gewiß werden sie nicht alle eingehen,
doch werden die einen ihren Charakter verändern und die anderen
werden verkümmern müssen. Die großen deutschen Zeitungen, die
sie ja alle kennen, von Frankfurt und Berlin angesangen, von
Magdeburg, Leipzig und Berlin nach Königsberg und Breslau, sie
alle schrumpfen zusammen, müssen ihren politischen künst-
lerischen und literarischen Teil einschränken, sie müssen den Lesen»
das Wort vollständig entziehen, und eine Reihe von anderen Zei-
tungen, werden als Nebenvetrtebe von trgend einer anderen In-