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Heidelberg, Freitag, 24. März 1922
Nr. 71 » 4. Jahrgang
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Dr.E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales:
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DieBeratungen inBerlin
Die Situation ist ernst aber ruhig. — Am Dienstag große Erklärung
des Reichskanzlers.
Der Reichskanzler und die Reparationsnote.
Krim Regierungskrise.
tu. Berlin, den 24. März.
Der Reichskanzler hatte gestern nachmittag die Partetsübrer zu
einer Besprechung gebeten. Man kam darüber überein, daß die
«rotzepolittsche Aussprache über die Reparationsnote
tm Reichstag erstnächstenDtenStagzu erfolgen habe. Der
Reichskanzler wird tn dieser Woche keine Erklärung lm Plenum
mehr abgebe«. In dieser Besprechung herrschte Einstimmig-
keit darüber, daß erst ab gewartet werden müßte, bis der
amtliche Text des Schreibens der Reparationskommission in der
Uebersetznxg feststehe und die eftrzelnen Punkte sachlich geprüft
worden seien. Der Reichskanzler erklärte, erst dann zur Repa-
ration-Mote Stellung zu nehme,r. Alle Parteiführer schlossen sich
der Auffassung des Reichskanzlers an. Dieser sagte den Partei-
führern zu, ihnen den amtlich übersetzten Text so schnell wie mög-
lich Zngehen zn lassen.
Der Reichskanzler erklärte, das von einer Regierungs-
krise zur Zeit noch keine Rede sein könne. Eine solche käme nur
dann tn Frage, wen« er am Dienstag keine Mehrheit finden
sollte. Der Kanzler hat tm Laufe der weiteren Besprechungen
wiederholt betont, daß auch die Regierung die Bedingungen der
Note als widersinnig ansehe und sie für unerfüllbar
halte. In parlamentarischen Kreisen rechnet man damit, daß auch
von maßgebenden Vertretern der Arbeiterschaft Entscheidungen
getroffen werden können, die die Note verwerfen.
Die Stellungnahme der Parteien.
Wichtige Kabinetts,tzungen.
Verltn, 23. März. (.Vorwärts".) Die Note der Reparations-
kommission wird in parlamentarischen Kreisen mit äußerstem
Ernst aufgefatzt. Manche Abgeordnete äußerten im Laufe des
gestrigen Lagos ein gewisses Befremden darüber, daß der Kanzler
nicht zu Beginn «der Reichstagssitzung eine kurze Erklärung zu der
Note abgegeben hatte. Jedenfalls ist die Zurückhaltung Dr. Wirths
damit begründet, daß die offizielle Note der Reparationskormnisston
erst tm Laufe des späten Nachmittags in den Besitz der
Regierung gelangte. Erft am Samstag will Dr. Wirth, wie der
Sozialdemokratische Parlamentsdienst meldet, eine groß« Rede
über die allgemeine politisch« Lage halten.
Der Auswärtige Ausschuß des Reichstags Mit am
Freitag zusammen.
Die Stimmung in den bürgerlichen Parteien über die politi-
schen Folgen der Note ist noch geteilt. Dicker ist, daß in allen bür-
«erkicken Fraktionen auch tm Zentrum, ein Teil der Abgeordneten
der Auffassung ist, daß die neuen Forderungen unerfüllbar seien
und man es deshalb auf Zwangsmaßnahmen ankommen lassen soll.
Diese Kreise glauben nicht, daß sich eine Regierung finden wird, die
in den von der Reparationskommisston vorgesehenen Fristen die
nenerdings geforderten Steuersummen aufbringen kann.
In der sozialdemokratischen Fraktion beurteilt man die Lags
sehr ernst, vielleicht noch ernster als irgendeine Krise, die wir seit
den. Londoner Ultimatum erleben mußten. Immerhin ist aber von
einer verzweifelten Stimmung keine Rede. Man wird sich kühl und
sachlich bemühen, einen Ausweg zu finden.
Das Wulle-Blatt kündigte bereits gestern eine Regie-
rungskrise und den Rücktritt des Reichskanzlers an. Da
ist natürlich der Wunsch der Vater des Gedankens. Wir wissen,
daß der Kanzler selbst sehr ruüi g an die neuen Probleme, die
die Reparationsnote aufwtrft, yerantritt. Die Sozialdemo-?
kratte wird alles vermeiden, was den deuifchnationalen Ka,a-
strophenpolittkern die Erreichung ihrer volksverderblichen Ziele er-
leichtern könnte.
Berlin, 23. März. Heute vormittag sand in der Reichs-
kanzlei eine Besprechung über die Reparationsnote statt, an der
außer dem Reichskanzler und dem Außenminister auch der Reichs-
sinn nzmtntster, der Retcksarbeitsminister, der Rcichswirtschafts-
Mnister und der Reichsschatzminister teilnahmen. Der Vorsitzende
der deutschen Krtegslastenkommission, Staatskommtssar Fischer,
erstattete Bericht über seine Eindrücke in Paris und über die Note
der Reparalionskommission. Die Ressorts werden nunmehr in eine
eingehende Prüsung der Note an Hand des französischen Textes
eimreten. Da diese Prüsung eine gewisse Zeit tn Anspruch nehmen
wird, wurde die auf heute nachmittag anberaumte Sitzung des
Kabinetts ans morgen vormittag 10 Uhr verlegt. Wahrscheinlich
wird auch der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten morgen
Echt tagen. Am Samstag ist beabsichtigt, daß der Kanzler tm
Nennm eins Erklärung über die Note abgibt.
Die deutsche Delegation für Genua.
Berlin, 23. März. Die enidgüilti-ge Zusammensetzung der
deutschen Delegation für die Konferenz von Genua ist bis letzt
noch nicht vom Reichskabineti beschlossen worden. Wie der „V o r-
wärts" berichtet, werden vorläufig als Hauptdeiegterte der
Reichsaußenminister Dr. Rath en au, dir Reichswirtschaftsmini-
ster Schmidt und der ReichsMurnzminister Hermes tn Aus-
sicht genommen. Der Reichskanzler wird nur dann die Führung
der Delegation übernehmen, wenn auch die Delegationen der
EntentEitder unter-der Leitung ihrer KaMnettschefs sieben. Die
Hauptdelogatisn wird von Sachverständigen aus dem Handel und
der Industrie und den Gewerkschaften gebildet sein. Mit dem not-
wendigen Hilfspersonal WM» die deutsche Delegation ungefähr 66
Personen zählen.
Deutscher Reichstag.
Die Kohlenftener — Verbrauchssteuern.
Berlin, den 23. März.
In der heutigen Steuerveratung wird zunächst die 4vprozentige
Kohlensteuer nach längerer Debatte in der Ausfchutzsassung an-
genommen. Ein dcntschMtionaler Antrag, die Kohlensteuer
auf 30 Prozent zu ermäßigen, sowie ein unabhängig-kommunistischer
Antrag auf Steuerfreiheit für Hausbrandkohle wird abgelchnt.
Zu Art. 3 wird ein Antrag der Demokraten, Sozialdemokraten,
des Zentrums und der Deutschen Bolksparlei, als Termin des
Inkrafttretens des Gesetzes den 1. April 1922 einzusetzen, an--
genonnnen. Ebenso eine deutsch-nationale Entschließung folgenden
Inhalts: »Angesichts der erneuten Bedrohung des ohnehin schwer
notleidenden ost preußisch en Wirtschaftslebens durch
die bevorstehende Erhöhung der Kohlensteuer wird die Reichs-
regierung ersucht, baldigst einen Gesetzentwurf vorzulegen, der
geeignet ist, das ostpreußische Wirtschaftsleben urtter besonderer
Berücksichtigung der Transportverhältntsse zwischen Ostpreußen und
dem Reiche auf das wirksamste zu unterstützen."
Es folgt die Beratung der H
Bervrauchssteuern,
(Leuchtmittel- und Zündwarensieuer, Bier- und Mineralwasser-
steuer, Tabaksteuer). Die Leuchtmittel st euer beträgt mit 15
Volt bet Kohlenfadenlampsn sür das Stück 20 Pf. und steigt bis
auf 2 Mk» bei Metallfadenlampen verdoppelt sich die Steuer. Die
Zündwarensteuer beträgt für die Schachtel mit weniger als 36
Stück 4 Pf., für eine größere Schachtel 6 Pf» Mr Zündkerzen aus
Stearin oder Wachs 20 Pf-
Stürmische Szenen entwickelten sich, als Abg. Ko en en (K.)
behauptete, die Minderheit werde vergewaltigt und er käme nicht
genügend zu Worte, weil nicht über alle Absätze, sondern nur über
de» ganzen Artikel diskutiert werde. Er erklärt, man wolle mit
diesen Stenern alles verdunkeln, man versteuere das Licht, weil
man es fürchte. Nach längerer Geschäftsordnungsaussprache über
Art llnd Abstimmung wird die Leuchtmittelsteuer angenommen.
Abg. HS klein (K.) bezweifelt erneut die Beschlußfähigkeit
des Hauses. Der Präsident stellt aber fest, daß das Haus beschluß-
fähig ist. Es wurde beschlossen, daß nur noch über ganze Artikel
diskutiert werden soll. (Großer Lärm bet den Kommunisten. Zu-
rufe: Schamlose Gesellen! Vergewaltigung! Lumpenpack! Großer
andauernder Lärm.) Die Zündwarensteuer wird angenommen.
Es folgt die Btersteuer. Sie beträgt von den ersten 2000
Hektoliter 41 Mk. und steigt bis aus 50 Mk. Die Steuersätze er-
mäßigen sich für einfaches Bier um die Hälfte und für Schankbier
um ei» Viertel. Sie erhöhen sich Mr Stärkster um die Hälfte.
Steuerfrei bleibt der Haustrank.
Ausland.
Griechisch-türkischer Waffenstillstand?
Ein Angebot der Pariser Ortentkonferenz.
Parts, 23. März. Die drei Außenminister der En-
tente (Frankreich, England und Italien) haben der türkischen
Regierung in Konstantinopel und tn Angora und der griechischen
Regierung in Athen folgendes Telegramm geschickt:
„Die drei Außenminister der drei Großmächte sind im Interesse
der Wiederherstellung des Friedens tm nahen Orient und um
Vorschläge für die Räumung Kleinasiens zu machen, ohne daß
neue Verluste an Leben und Gut eintreten, der Ansicht, daß es
lvre erste Pflicht sei, sofort die schleunige Einstellung der Feind-
seligkeiten zu empfehlen. Die Bedingungen dieses Waffenstillstan-
des sind folgender
1. Die Feindseligkeiten werden um Mitternacht des soundso-
vielten Tages des Monats soundso eingestellt.
2. Die kriegführenden Mächte müssen auf die allgemeinen.
Linien, die sie gegenwärtig auf ihre» Fronten inne haben, ihre
vorgeschobenen Truppen zurückztehen, um jede direkte Fühlung zu
vermeiden und einen Zwischenraum von mindestens 10 Kilometer
zwischen den beiden Fronten zu schaffen gemäß Entscheidungen,
die von den lokalen Kommissionen getroffen werden, welche aus
Vertretern der griechischen und türkischen Kommandsstcwe und
Ententeofftzieren zusammengesetzt sind.
3. Während der Dauer des Waffenstillstandes darf weder die
Truppenstärke noch das Material der beiderseitigen Armeen ver-
stärkt werden. Es darf also keine der gebildeten Truppenei,weilen
zurückgenommen werden.
4. Die Ententekommifsionen werden unter gemeinsamer Leitung
der Verbündeten bet den kriegführenden Armeen attachiert werden.
Diese Kommissionen werden in jeder der beiden Armeen das Recht
Haben, die Durchführung der Waffenstillstandsbestimmungen zu kon-
trollieren und über die Zwischenfälle entscheiden, die sich bet dieser
Gelegenheit ereignen können. Die Kommissionen werden ebenfalls
das Recht haben, bet den zuständigen Behörden zu intervenieren,
um den Schutz von Land und Leuten in den besetzten Gebieten zu
gewährleisten.
5. Das griechische und das türkische Oberkommando verpflich-
ten sich, das Schiedsgericht der Ententekommissionen loyal
zu akzeptieren und durchzuführen.
6. Die Feindseligkeiten werden während einer Dauer von Drei
Monaten unterbrochen fein. Diese drei Monate sind automatisch
erweitert, bis die beiden kriegführenden Mächte die Bestimmungen
des Präliminarfriedens angenommen haben. Wenn eine der beiden
kriegführenden Mächte die gegenwärtige Waffenstillstandskonven-
tton nicht erneuern will, so muß sie der anderen Macht und de»
Vertretern Englands, Frankreichs und Italiens mindestens 15 Tage
vor dem Ablauf der Wässenstillstandsfrist davon Mitteilung
machen."
Dieser Ententevorschlag eines Waffenstillstandes zwischen Grie-
chenland und der Türket ist unterzeichnet von Lord Curzon,
Schanzer und von Poincars, den Außenministern der drei
Hauptmächte. Es bestätigt sich also, daß die Pariser Ortentkonfe-
renz in erster Linie ein Wasfenstillstandsangebot an Griechenland
und die Türkei gemacht hat.
Badischer Landtag.
Landwirtfchaftsdevatte. — Der Minister des Innern gegen di«
freie Wirtschaft und die Wucherpreispoltttk der Bauern.
Karlsruhe, den 23. März.
In der heutigen Sitzung wurde in die Debatte »wer Landwirt-
schaft und Ernährung eingetnten. i Den Bericht des HauShaltS-
misschnsses gab Abg. Weiß ha« Pt (Ztr.). Es folgte die Be-
grMOitng einer Neide von Anträge» U. a. begründet Abg.
Schmidt-Bretten (D.R.) seine förmliche Anfrage beziWiich völlige
Freiheit des bäuerlichen und gewerblichen Betriebs von allen Be-
schränkungen durch die Zwangswirtschaft, da Freiheit und Unab-
hängigkeit die höchsten Güter eines Volkes sind. (Zwischenrufe
links: Die Erkenntnis kommt Ihnen sehr spät.) Jede Art Zwangs-
wirtschaft mutz beseitigt werden.
Abg. Hertle (Ldbd.) begründet seinen Antrag, die Rasterung
wolle bet der Reichsrogienmg dafür eAttreten, daß mit Beginn des
Wirtschaftsjahres 1922/23
die noch bestehende teilweise Zwangswirtschaft restlos beseitigt
wird. Die Bewirtschaftung durch die ReichKgetrewestelle MM
verteuernd. Der erhöhte Brotprets liegt Mich in den VAlutadeOSli«
Nissen.
Abg. Kurz (Soz.):
Meine Fraktion hat folgende« Antrag clngereicht:
Wir beantrage«, der Landtag wolle beschließen: Die Regie-
rung Mrd ersucht, Set der ReichSregirrung dafür einzutreten,
daß 1.
die Brotgetreidemense,
welche durch das Umlageverfahre« noch abzirli-efecn ist, derart
erhöht Mrd, daß dadurch die Brotversorgung für die minderbe-
mittelten BolMeile zu
erschwinglichen Preisen
gesichert Mrd, 2. daß Mr
Kartoffeln, Fleisch und Holz
die öffentliche Bewirtschaftung soweit wieder Angeführt Mrd, als
das für die Versorgung der minderbemittelten Volkswkle erforder-
lich ist.
Minister Remmele:
Die Ans rage bezüglich der Aufhebung der Zivangsivirtschaft
in allen bäuerlichen und gewerVttchen Bewiesen ist dahin zu be-
antworten, daß eine solche Mr die Landwirte nicht mehr besteht.
Es besteht nur das Umlageverfahren für Brotgetreide, das die
FrMeit nicht bMndert. Und bet Milch ist der Landwirt tn seinem
EigsWevbrauch nicht behindert. Beim Gewerbe kommen Kohle«
und Benzol als bewirtschaftet in Frage. Zur
Biehausfuhr
in die Schweiz und ins Elsaß ist zu sagen, daß im letzten Herbst
Baden beim Reich zur Abdeckung von Galutaschulden für die Aus-
fuhr von 200 Stück I, mach Wh einlrat. Ms dann das Fleisch knap-
per wurde, wurde die Genehmigung inhibiert; es wurden dann
nur 50 Stück ausgeführt. Mehr wurden nicht genehmigt. Wen«
uns Versuche zur Ausfuhr bekmmt werden, so werden wir dies
verfolgen. Die Ausfuhr von Mcch ist tunlichst erschwert. Im üb-
rigen fehlt uns nach Aufhebung der ZwangsMrtschaft die recht-
liche Handhabe, die Ausfuhr von ordriungsgemätz verkauftem
Vtsh KU verbieten. Eine Preissenkung kann nur eine bessere Va-
luta bringen. Meine Stellung als Minister Mr Ernährung und
Chef der Polizei bringt mich manchmal in einen Gegensatz zur
LaMMrtschaft. Die LanNvirtfchaft bleibt das Erdgeschoß dekj
Vdlkswirtscl-ast, ohne die sie nicht zur BMte kommen kann. Drin-
gend zu wünschen wäre ein
Einblick der ländlichen Bevölkerung
in dis Verhältnisse der städtischen BsvMerrmg. Hier ist gegE
fettiges Verständnis notwsndig.' Die vemniworMch tätigen Män-
ner Missen deshalb Mr Ausgleich aller Bolksteile tätt-g sein. Die