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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (4) — 1922 (Januar bis April)

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Nr. 41 - Nr. 50 (17. Februar - 28. Februar)
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Tageszeitung für die Werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen,
Adelsheim, Boseberg, Tauberbischofsheim und Wertheim.


Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 10.— Mk. Anzeigenpreise:
Die einspaltige Petitzeile (36 mm breit) 2.— Mk., Reklame-Anzeigen
(W mm breit) 6.— Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
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Eeschäftsstunden:8—'/z6 Uhr. Sprechstunden derRedaktion: 11—12 Uhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22 577. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Montag, 20. Februar 1922
Nr. M * 4. Jahrgang

Verantwort!.: Für innere ».äußere Politik, Volkswirtschaft ».Feuilleton»
Dr.E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales»
O. Geibel; für die Anzeigen: H. Horchler, sämtliche in Heidelberg,
Druck u. Verlag der Unterbadischen Verlagsanstalt G.m. b.H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: SHröderstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2648.

Ludendorff am Pranger.

Ikk WWW SkSSMlk Mtt.
Eine öffentliche Hinrichtung Ludendorffs durch
den freikonserv. Historiker Hans v. Delbrück.
* Heidelberg, den 20. Februar.
Im Verlag für Politik u. Wirtschaft G. »r. b. H., Berlin W. 35,
erscheint in den nächsten Tagen eine Broschüre des Prof. Dr.
Hans Delbrück. Die 72 Seiten starke Schrift trägt den Titel:
«Ludendorffs Selbstporträt". Was hier von einem Manne, der die
Dinge und den Menschen genau kennt, über Ludendorss gesagt
wird, ist geradezu vernichtend für diesen „größten Mann
des Jahrhunderts". Wir sehen vor uns nichts anderes als den
kleinen preußischen Leutnant, der von der Welt nichts Weitz, der
keine Ahnung von Politik hat, der Wohl eine gute Felddienstübung
leiten, aber keinen Krieg führen kann. Wer diese Schrift gelesen
hat, der wird sich ohne Zögern dem Urteil Delbrücks anschließen,
der sagt, daß wir den Krieg anders hätten beenden können, wenn
Ludendorff ein anderer Mann gewesen wäre.
Delbrück beschäftigt sich zunächst mit Ludendorffs strategischen
Fähigkeiten. Er wirft ihm flaches, theoretisch esDenken
vor und sagt, daß es kein Wunder sei, wen» dem General heute
noch nicht der Gegensatz von Ntederwerfungs- und Ermattungs-
strategie klar geworden ist. Delbrück wirft die Frage auf, ob Lu-
dendorff wirklich der große Feldherr war, als der er bei uns und
zum Teil auch bei den Gegnern gilt. Delbrück führt unter Auf-
zählung vieler berühmter Männer der Militärgeschtchte den Nach-
weis, daß auch unter Umständen mit minderen Eigenschaften im
Kriege Erhebliches geleistet werden kann. Aber mit all diesen Män-
nern, die militärische Erfolge weniger ihrem eigenen Können,
als einem Glückszusall Verdanken, kann Ludendorfs nach Delbrücks
Urteil nicht konkurrieren. Das Bedeutendste, was Hindenburg und
Ludendorfs während des Krieges geleistet haben, war der Rückzug
aus Südpolen im Herbst 1914 und die Versetzung der Armee nach
Westpreußen. Dieses wirklich geniale Stratagem ist aber nicht ein-
mal Ludendorfss, sondern nach zuverlässigen Ueberlieserungen
Hindenburgs Werk. Die Hauptsache aber bei der Beurtei-
lung der strategischen Fähigkeiten Ludendorfss bleibt die Offensive
1918. Delbrück fragt:
„Was hat Ludendorff sich dabei gedacht? Was hat er mtt
dieser Offensive gewollt? . . . Hat er ein klares Ziel ins Auge
gefaßt und mtt Konsequenz verfolgt? . . . Was hat nur» dte
O. H.-L. eigentlich gewollt? Den großen entscheidenden Sieg?"
Dte Oberste Heeresleitung und Ludendorss an ihrer Spitze
hat sich offenbar überhaupt nichts bet der ganzen Aktion im März
1918 gedacht. Wenn es anders gewesen wäre, würde ei» Mann
wie Delbrück nicht folgenden Satz niederschreiben: „Ludendorss hat
in der Unklarhelt, die wir schon an ihm kennen, weder wirklich
Olle verfügbaren Truppen an der Westfront gehabt, noch, wenn er
auf bloße Teilerfolge ansging, die Stelle gefunden oder auch nur
wirklich überlegt, wo ein solcher Teilerfolg am allerleichtesten und
Mit der allergrößten Sicherheit zu erfassen war» nämlich in Italien."
Ueber das Ergebnis der so unglücklich verlaufenen letzten großen
Kraftentsattung der deutschen Armee sagt Delbrück: „Lloyd Ge-
orge, der Zivilist, hatte die militärischen Erfahrungen der vier
ersten Kriegsjahre Vesser bewertet als General Ludendorff, als er
kaltblütig seststellte, daß, da die Verbündeten die feindliche Linie
nicht hätten durchbrechen können, es den Deutschen ebenso wenig
gelingen werde. Ludendorss aber statt nach dem Fehlschlag nach
Amiens die Hoffnungslosigkeit seines Begrünens einzusehen, ver-
suchte es immer wieder von neuem, bald hier und bald da, und da
Immer von neuem das opfervolle Anstürmen zum Stocken kam, so
wurde dem deutschen Volk in den Heeresberichten verkündet, daß
der wesentliche Erfolg darin liege, datz die Reserven des Feindes
durch unser geschicktes Verfahren aufgezehrt würden." Das wurde
w lange fortgesetzt, bis der vollendete Zusammenbruch da war. In
diesem Stadium trat dann das eilt, was Delbrück den allerdunkel-
sten Punkt in Ludendorfss Laufbahn »rennt, die plötzliche drän-
gende Waffenstillstandsforderung. Ueber den Zusammenbruch sagt
Delbrtick, daß er nicht die Folge der Revolution, sondern die Ursache
des Umsturzes war. In der französischen Armee konnte man noch
1917 der allerschwerften Meuterei Herr werden, weil Hoffnung auf
den Sieg bestand. In Deutschland rissen die Bande des Gehor-
sams und der Treue, als es diese Hoffnung nicht mehr gab, als
der Abfall und Zusammenbruch Bulgariens und Oesterreich-Un-
karns uns isoliert hatte und Ludendorfss plötzliche Waffenstill-
standsforderung aller Welt kundgab, datz der Krieg für uns ver-
loren sei. Ein Held kann lieber sterben als sich ergeben. Ein
Schiffskapttiin kann sich lieber mit seinem Schiff in die Luft
'strengen, als die Flagge streichen. Ein Volk aber kann nicht sterben.
Es kann, wenn es besiegt ist und keine Hoffnung mehr hat aus
^tnen Umschwung, nur noch kämpfen um weniger böse Bedingungen
der Unterwerfung. Wie aber konnte man das deutsche Volk auf-
rusen zu einem solchen Kampf?
Ueber den Politiker Ludendorff macht Delbrück fol-
kende Ausführung: „Ludendorfs war weder „Verzichtler" noch
"Annexionist", noch stand er zwischen beiden Richtungen, sondern
drschwanktehaltloshinundher, wutzte selber nicht, was
er wollte und lieb sich bald von dieser Seite, bald von jener, bald
m diesem Sinne, bald in jenem beeinflussen. Auch seine vielge-
riibmte Willenskraft verfluchtet sich, sie war da, aber sie zeigte sich
etneswegs in Festigkeit, sondern entlud sich in bloßer Gewaltsam-
en. Wenn ein Staatsmann seine politischen Ziele je nach der
Kriegslage verändert, erweitert oder verengt, so ist das nicht un-

begründet. Ludendorffs Schwankungen aber sind Reflexe von
Einflüssen, wie sie sich zufällig bald in dieser, dato ln jener Art Lei
ihm geltend machen. Delbrück schildert sehr eingehend, wie Lützen-
dorfs sich mit seinem Unverstand in die Politik einmischte, wie er
überall seine Hände tm Spiel hatte, wie er heute in Berlin Verein-
barungen mit dem Reichskanzler traf und sie morgen durch ein
Telegramm aus dem Hauptquartier wieder umwarf. Delbrück be-
zeichnet Ludendorfss Darlegung, er habe den Verständigungssrieden
nicht verhindert, als eine leere Ausrede. „Indem er Bethmann-
Hollweg stürzte, hat er die hoffnungsvollste von allen Friedens-
möglichkeiten direkt zerstört . . Delbrück bezeichnet die Fest-
stellung tm Versailler Friedensvertrag, datz Deutschland die Schuld
am Kriege trage, als eine Unwahrheit. Als wahr unterstellt er
aber, datz „Ludendorfs mit seinem Anhang Kriegsverlängerer ge-
wesen sind". Jetzt baut Ludendorfs „Kulisse über Kulisse auf, um
seine Schuld zu verdecken". Aber Delbrück zieht diese Kulissen wieder
aus und zeigt, wie grotz die Schuld Ludendorffs an der Verlänge-
rung des Krieges ist.
„Solange wir mächtig und stark dastanden, verkündet er, ein
Frieden der Verständigung sei ausgeschloffen, es gäbe nur Sieg
oder Niederlage; der Gedanke des Berständigmrgsfriedens sei
ein Verbrechen. Als die Niederlage da ist, da fordert er Fort-
setzung des Krieges, tun einen ehrenvollen, das heißt, einen
Verständigungsfriede» zu erkämpfen. Als die Feinde noch voller
Ehrfurcht vor unserer Kraft waren, sieht er bei ihnen nichts als
ihren Vernichtungswillen. Als sie uns nur noch den Gnadenstotz
zu geben hatten, vermutet er, datz sie sich mit uns an den Ver-
handlungstisch setzen würden. Während des Krieges waren ihn»
die „Verzichtler" so gut wie Baterlandsverriiter, jetzt will er
selber zu de» „Verzichtler« gehört Haven. . . . Der von ihm so
hoch gevriesenen Monarchie hatte er selbst das Rückgrat gebrochen
und damit der zukünftige» Revolution den Weg bereitet, als er
den Kaiser zwang, sich von dem Reichskanzler zu trennen, dem
er vertraute. Ganz in derselben Weise zwang er ihn auch ein
halbes Jahr später, feinen intimsten Berater, den Chef des
Zivilkavinetts, von Valentin!, zu entfernen. Ganz ebenso stürzte
er Kühlmann. War das nicht schon Militärdiktatur? Sie war
es und war es doch nicht. Dieser Zweifel ist aber mehr als ein
blotzer Wortstreich. Er ist bezeichnend für die Halbheit, Inkonse-
quenz und Unklarheit, die Ludendorfss Wesen ist."
Wenn Delbrück tm Anschluß an diese Feststellungen ohne jeden
Kommentar das Wort eines der Entscheidung der Dinge nahestehen-
den Mannes wiedergibt, dte lautet: „Wir werden von einem wahn-
sinnigen Kadetten riegtert", so zeigt er damit, datz er dieses Urteil
über „den grotzen Feldherr»" mtt der blauen Brille nicht ablehnt.
Bitter für alle Verehrer der „führenden" und „ruhmgekrönten"
Häupter aus der groben Zett ist das Urteil, das Delbrück zusammen-
fassend über Ludendorff und Tirpttz fällt. Er sagt:
„Wie einst zwei große Männer» Bismarck und Moltke, das
deutsche Reich aufgevaut haben, so Haven zwei andere es wieder
zerstört: Tirpttz und Ludendorff. Jener, indem er durch seine
sinnlosen Dreadnought-Bauten und die Verhinderung jedes
Flottenabkommens den Argwohn der Engländer bis zur Raserei
steigerte und uns dadurch den Krieg aus den Hals schob, dieser,
indem er den Verteidigungskrieg in einen Eroberungskrieg ver-
wandelte, den Krieg nicht zu führen verstand und durch seine Auf-
lehnung gegen den Kriegsherrn begann mit der Revolution, die
endlich das deutsche Reich unter sich begrub und verschlang. . . .
Derl Weltkrieg zu verhindern, waren wir außerstande; man hätte
ihn uns aufgezwungen, auch wenn wir im Juli 1914 eine andere
Politik gemacht hätten. Wohl aber hätten wir, wenn Ludendorff
ein anderer Mann gewesen wäre, den Krieg anders beenden
könnelt."
Gründlicher konnte kein Kommunist Ludendorffs Heiligen-
schein und die Lüge von dem Dolchstotz vernichten.
Der Reichslandbrmd fitr freie Landwirtschaft
und gegen die Zwangsanleihe.
Hannover, 18. Fevr. Im Kuppelsaal der hiesigen Stadt-
halle versammelten sich die Landwirte aus dem ganzen Deut-
schen Reich zur Abhaltung des zweiten Reichslandbund-
lag e s. Der Vorsitzende des Reichslandbundes, Abg. Nepp, be-
grüßte dte Anwesenden und gab seiner besonderen Freude über
dieTeilnahmederdeutsch-österreichtschenBrüder
an dem Landbundtag Ausdruck. Er erklärte, nur der nationale
Machtgedanke könne das Volk auS der Not herausführen. General-
seldmarschall Hindenburg, der zu den Gästen gehörte, wurde
bet seinem Erscheinen stürmisch begrübt und gebeten, die Ehren-
mitgliedschaft anzunehmen. Darauf führte der Vorsitzende
des Bundes der Landwirte, Roes icke, aus, nur die Selbst-
hilfe könne un» retten. Dte Urproduktion müsse gefördert, dte
Selbsternkhrung de» Volkes erreicht werden und dte Landwirtschaft
könne dies leisten. Man müsse zur Frtedensproduktion
und womöglich zu einem Mehrertrag von 25 Prozent kommen.
Dazu müßte dte Landwirtschaft die Mittel in der Planwirtschaft
ln völliger Selbstverwaltung aufbringen. In der einstimmig air-
genommenen Resolution heißt es denn auch, datz der Reichs-
laudbund dte Durchführung der freie» Landwirtschaft im neuen
Erntejahr fordere. Bestände die Regierung aber auf der Fort-
setzung der RetchSgetreide-Aktiengesellschaft, so sei
dte Landwirtschaft fest entschlossen, ihr jede Lieferung zu versagen.
Eine andere einstimmig angenommene Resolution wendet sich
gegen dte Zwangs« »leihe von einer Milliarde Mark und
verlangt unbedingt gerechte Besteuerung.

Die Reichsgewerkschaft beim Reichskanzler.
Maffendifziplinierungen.
Berlin, 19. Febr. Ueber dte beiden Besprechungen, die
gestern in der Reichskanzlei mtt Vertretern der Reichsgewerkschaft
deutscher Eisenbahnbeamten und -Arbeiter abgehalten worden sind,
wird jetzt auch eine Darstellung von amtlicher Seite gegeben.
Daraus geht zunächst hervor, daß die Besprechung von dem
deutschvolks parteilichen Ab geordneten Setboldt
(der bekanntlich Lokomotivführer ist) vermittelt wurde. Vom Vor-
stand der Reichsgewerkschaft erschienen nachmittags zwei Herren,
außerdem drei Vertreter der Ortsgruppen von Essen, Berlin und
Münster. Sie wurden, da der Reichskanzler verhindert war, von
Geheimrat Hemmer empfangen. Die Reichsgewerkschaftsvertreter
führten Beschwerde darüber, daß entgegen den ausgesprochenen
Richtlinien Massendisziplinierungen vorgenommen wurden. Ueber«
Haupt lege man bei den einzelnen Direktionen die „Richtlinien'*
geradezu e x z essiv aus und fasse den Begriff „Urheber" überaus
weitgehend. Die Vertreter der Reichsgewerkschaft verlangten eine
authentische Auslegung dieses Begriffs und legten eine Liste von
etwa 7909 Fällen vor, in denen Disziplinierungen und Entlastungen
vorgenommen worden seien, mit der Angabe, diese Liste sei noch
nicht einmal vollständig. Sie verlangten entschieden, daß Diszi-
plinierungen nur in schweren Sabotagefällen vorgenommen werden
dürften. Jedenfalls entspreche eine Massendisziplinierung keines-
wegs den Versicherungen der Regierung. Die Aussprache dauerte
von 4 Uhr nachmittags bis gegen 8 Uhr abends.
In den Abendstunden wurden die Vertreter der Reichsgewerk-
schaft vom Reichskanzler selbst empfangen. Als Ergebnis
dieser Verhandlungen kam — den amtlichen Mitteilungen zusolg«
— zum Ausdruck, datz die Einhaltung der Richtlinien vom Reichs-
kanzler im Ange behalten werden würde. Jedem einzelnen Fall
nachzugehen und ihn zu untersuchen, erklärte sich der Reichskanzler
schort technisch autzerstande; auch sei das nicht seines Amtes. Wenn
aber die Organisationen Fälle besonderer Art vorzubringen hätten,
in denen angeblich nicht nach den Richtlinien verfahre« werde, so
sei er bereit, sich dieser Fälle anzunehmen und den Reichsverkehrs-
mintster um Aufklärung darüber zu ersuchen. Der Kanzler forderte
die Vertreter auf, ihm Material für ihre Behauptungen beizu-
bringen. Er werde sich dann mtt dem Reichsverkehrsmintster ins
Einvernehmen setzen. Ueber den Begriff des „Urhebers'*
werde eventuell das Kabinett noch beraten.
Die allgemeine Stimmung bei der EtsenbahnSeamtenschaft
wurde in beiden Besprechungen von den Vertreten: der Reichs-
gewerkschaft als ziemlich bedrohlich hingestellt. Sie erklär-
ten, datz sie die Masse durchaus hinter sich hätten und wenn kein«
Beruhigung eintreten sollte, sei es durch Erklärung der Reichs-
regierung, sei es durch Abänderung der Richtlinien, so könnten sie
eine Gewähr für dte Fortsetzung der Arbeit nicht übernehmen; denn»
die Erregung sei überaus stark.
Wo steht die Reichsgewerkschaft ?
Schon bei den Debatten im Reichstag hat der unabhängige
Abg. Dittman» sestgestellt, daß die Reichsgewerkschaft, die den
Eisenbahnerstreik provoziert hat, zum größten Teil bürgerlich und
antisozialistisch orientiert sei. Das nachfolgende Schreiben, das
vom gelben „Nationalvervand deutscher Bemssverbände", der un-
ter der Führung des deutschlmtionalen Abgeordnete!: GeiSler steht,
an die bürgerliche Presse gerichtet wurde, ist ein wichtiger Beitrag
zur Beurteilung der Reichsgewerkschaft und des Streiks. Es hat
nach der Mitteilung der „Freiheit" folgenden Wortlaut:
Berlin, den 15. Februar 1922.
Sehr gechrte HauptschriftleitungI
Wir bitten dringend, vom Donnerstag morgen ab jegliche
Betrachtung über den Beamtenstrrik mehr gegen die drei Spitzen-
gewerkschaften als gegen die eine reine, vorwiegend bürger-
liche Beamtenorganisation darstellende Reichsgewerkschaft
Deutscher Eifenbahnbeamten und -anwärter umzustellen.
Wie der anliegende in der „täglichen Rundschau" erschie-
nene Aufsatz unseres Vorsitzenden, des Reichstagsabgeorduelen
Geisler, zeigt, sind die Mitglieder der Reichsgewerkschaft
Deutscher Eisenbahnbcamten und -anwärter überwiegend bür-
gerlich gesinnt uird das Opfer einer zwangsläufigen Entwick-
lung, welche Dte Regierung und ihre drei GewerkschaftAspitzen-
verbände verschuldet haben, geworden. Um die Beamten vor
dem Abmarsch in das linkspolitische Lager zu bewahre», und sie
von ihrer derzeitigen radikalen Leitung befreien zu können, muß
u. E. die nationale Presse die Beamten von jetzt ab schonend be-
handeln. (Sonst bleibt die Faust der Linken an der Gurgel des
Staates.)
Unser Bestrebe» wird es sein, dte Reichseifenbahnbeamlen
für den Verzicht auf das Streikrecht und für das Festhalten an
den Rechtsparteien zu gewinnen.
Wir bitten Die verehr'liche Hauptschriftleitung, uns in diesem
Bestreben durch freundliche Beachtung vorstehender Winke gii-
tigs zu unterstützen.
Mit vorzüglichster Hochachtung
Nationalverband Deutscher Berufsvervittwe.
Die „Freiheit" schreibt Lazu:
„Das Schreiben kennzeichnet nicht nur Die Absichten der Gel-
ben, sondern es ist zugleich ein wichtiges Merkmal zur Beurteilung
des Wesens Der im Deutschen Beamtenbunid organisierten Beaim-
tenbew«gUW. Es ist richtig, wenn es in dem Schreiben heißt, datz
die Mitglieder der Reichsgewerkschaft deutscher Eisenbahnbeamtm
überwiegend bürgerlicher Gesinmmg sind. Anders waren auch Die
Hoffnungen der Gelben nicht zu erklären. Die von uns «Mhrfach
bemängelte JsMerung Der Reichsgewerkschaft von Den Spitzen-
verbänden beim Ausbruch des Streiks ist — das ist schon vorn Ge-
nosteu Aushäuser nur auf mangelhafte gewerkschaftliche Schu-
lung zurüüzuführen, solchem auch auf einen Widerwille» gegen
ei» gemeinsames Vorgehen mit den Arbettergewerkschaften, daS
 
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