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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (4) — 1922 (Januar bis April)

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Nr. 71 - Nr. 80 (24. März - 4. April)
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Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen,
Adelsheim, Boxberg, Tauberbischofsheim und Wertheim.

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Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 13.- Mk., Anzeigenpreise:
Dis Anspaltige Petitzeile (36 mm breit) 2.— Mk., Reklame-Anzeigen
(93 mm breit) 6.— Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Eeheinnmttelanzeigen werden nicht ausgenommen.
Gesch äftsstunden: 3—Uhr. Sprechstunden derRedattion: 11—12 Uhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22 S77. Tsl.-Adr.r Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Dienstag, 28. März 1S22
Nr. 74 * 4. Jahrgang

Verantwort!.: Für innere u. Süßere Politik, Volkswirtschaft «.Feuilleton:
Dr.E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales:
O.Geibel; für die Anzeigen tz. Horchler, sämtliche in Heidelberg.
Druck «.Verlag der Unterbadischen Verlagsanstalt G.m.b. H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schröderstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2643.

IkMMk GsEr-RkllMk".
Eine Antwort a» die „Südd. Zeitung".
In der Mannheimer „Volks stimme" schreibt Gen. Dr.
Kuntzemüller- Tauberbischofsheim:
Unserer lieben Freundin, der „SüddeulschenZeitung",
Wird es bei ihrem Kampf wider die verhakte Republik Heuer nicht
leicht gemacht. Mit ihren Mitteln verfährt sie dabet nicht gar
Wählerisch, und ihre Walze ist schon schrecklich abgeleiert. Nicht etn-
ünal mit dem „ehemaligen Sattlergesellen" ist heute
noch viel zu machen. Trotzdem erscheint er alle paar Wochen in
den Spalten der ehrenwerten „Süddeutschen Zeitung". Sogar die
unlängst veranstaltete Goethewoche zu Frankfurt a. M.
musste ihr Mittel zum Zweck sein, zu dem Zweck nämlich, der
Republik eines anzuhängen. Findet man in der hohen Politik
gerade keinen Anlatz hierzu, so sucht man ihn anderswo. Auch
unter dem Strich wird ja gelegentlich Politik getrieben. Im vor-
liegenden Fall ist sie freilich nicht nur unter dem Strich, sondern
auch unter aller Kritik.
Unsere politischen Tageszeitungen können nicht über Unter-
nehmungen und Veranstaltungen jeder Wtnkelbühne ausführlich
Berichte erstatten, das versteht sich von selbst. Wenn über die
Ende Februar abgehaltene Goethewoche zu Frankfurt aber in der
in- wie ausländischen Presse eingehende Berichte zu lesen waren,
so geschah das gewiß nicht ohne Grund. Denn die Namen, die
dort genannt wurden, und die Männer, deren Worte von dort sich
an die ganze Kulturwelt richteten, haben innen- und außerhalb
der Deutschen Republik einen guten Klang, an dem nicht einmal
die Getstesheroen der „Süddeutschen Zeitung" herumzunörgeln
vermögen. Dichter wie Gerhart Hauptmann, Fritz v. Unruh,
Rudolf Bin ding und Thomas Mann haben zwar nicht alle-
samt eine gute Note bet den Oberzensoren der „Süddeutschen Zei-
tung". Aber „unter den Dichtern, die bei dieser Goethe-Reklame
für Ebert (!!!) mittaten, war einer von Rang: Gerhart Haupt-
>u a «u. Um seiner Geltung bei der ganzen Nation willen ist dies
zu bedauern". O Schmer», laß nach!
Immerhin, Scherz beiseite, man darf es der „Süddeutschen
Zeitung" gewiß nicht Übelnehmen, wenn sie für kulturelle Veran-
staltungen wie die Goethe-Ausführungen im Frankfurter Opern-
«nd Schauspielhaus keinen Platz in ihren Spalten hat. Die
Leser der „Süddeutschen Zeitung" gehören nicht zu den Kreisen,
in denen man Kultur- und Bildungswerte schätzt. Mau braucht
sich nur eine beliebige Nummer von ihr anzuschauen. Im Feuille-
ton einige geistlose Plaudereien aus Berlin, daß Gott crbann,
lind ein ferchterlich Kutscher Roman „Der Cherusker", bei dem in
jeder Fortsetzung die Schwerter klingen und etliche Verräter ab-
gemurkst werden. Und gar über dem Strich! Die „Süddeutsche
Zeitung" ist neuerdings recht materiell geworden. Ihr Kurs-
tet t e l und Handelsteil Haben etneir Umfang angenommen,
demgegenüber ein „Judeublatt" wie die „Frankfurter Zeitung" noch
der reinste Waisenknabe ist. Die Herrschaften um die „Süddeutsche
Zeitung" müsse« viel Kett und — Geld zum Spekulieren und
Valutaschieben haben; sonst würden sie sich eine derartige geistige
Zahlenkost längst verbeten haben.
Unter diesen Umstünden ist es natürlich begreiflich, daß „man"
für eine Veranstaltung wie die Goethewoche nicht viel Platz übrig
hat. Die Berichterstattung war tatsächlich gleich Null. Konnte
man nicht berichten, so wollte man wenigstens kritisieren;
davon lebt ja bekanntlich die deutschuationale Presse allenthalben.
Unter der geschmackvolle,» Ueberschrtft „Republikanische Goethe-
Reklame" hat man eine Spalte für Herrn H. H. erübrigt, worin
zwar wenig von Goethe und Hauptmann, umsomehr aber von
Ebert und Köster zu lesen ist. Von den kraftvollen Ansprachen der
obenerwähnten vier Dichter, die freilich recht pazifistisch und nichts
weniger als alldeutsch klangen, erfährt der Leser nichts. Von den
einzelnen Goethe-Aufführungen ist nicht die Rede. Nur an einer
Stelle heißt es: „Man gab vor Ebert und Köster Egmont".
. . . Um Egmonts willen steht das natürlich nicht da; aber Ebert
und Köster durfte« auch tn diesem Satz nicht fehlen, obwohl ihr
Name bis dahin bereits einige zwanztgmal genannt worden war.
Ebert hat es diesen Herrschaften ganz besonders angetan.
»Ein Dichter wie Goethe . . . muß warten, bis fast hundert Jahre
nach seinem Tod ein Sattlergeselle Reichspräsident
wird..." Gott sei Dank, der Leser atmet förmlich auf: Der
Sattlergeselle ist wieder dal Die Walze war wieder einmal so weit
abgedreht, daß der Sattlergeselle aus dem Kasten springen konnte.,
O Gott, wie arm im Geiste! In dem Alter, da Ebert das ehrsame
Gewerbe des Sattlers erlernte, war Franklin Buchdrucker, Stephen-
sonson Kuhhirt und Schiller Medizinstudent. Nur Wilhelm, von
Gottes Gnaden, war schon Hauptmann oder Major. Der war eben
auch etwas ganz Besonderes. Franklin ward bekanntlich Staats-
mann und Diplomat, aber niemand nannte ihn einen „ehemaligen
Buchdrucker". Der „ehemalige" Kuhhirt ^Stephenson erfand die
Lokomotive und Schiller wurde unser größter Dramatiker. Nie-
mand fiel es ein, ihnen allen ihre ehemalige Beschäftigung vorzu-
halten, aus deni einfachen Grund» weil es lächerlich gewesen wäre.
Mir der gleichen Logik patzt die Bezeichnung des Sattlergesellen
aus den Reichspräsidenten; aber freilich, Logik war noch nie die
starke Leite der „Süddeutschen Zeitung". Die Hauptsache ist, daß
der Mann verächtlich gemacht wird, sei es nun bei einer politischen
Gelegenheit oder einer so unpolitischen wie der Frankfurter Goethe-
Woche.
Die „Süddeutsche Zeitung" erinnert bei dieser Gelegenheit an
die sogenannten Wiesbadener Wochen, bei denen es „unter
Kaiser Wilhelm einst Aufführungen deutscher Kunst unter höchster
pruukentfaltung-gab". O si tscuisses! O hättest du doch ge-
schwiegen! Wilhelm den Letzten und die deutsche Kunst tneine m
ülenr zu nennen, das ist schon mehr als gewagt. Man müßte denn

den „Sang an Aegir" oder den Dichter-Major Josef Lauft als
Zeugen der „deutschen Kunst" gelten lassen. Aber diese Sorte
„Kunst" war königlich preußisch und nicht deutsch. „Höchste Prunk-
entfaltung", das stimmt, aber das hat mtt Kunst noch verzweifelt
wenig zu tun.
Soll man die „Süddeutsche Zeitung" noch besonders daran er-
innern, daß gerade die letzten Hohenzollern keine blaffe Ahnung
von deutscher Kunst hatten, ihr geradezu feindselig gegenüberstan-
den und von ihr überhaupt nichts wissen wollten? Am 10. Novem-
ber 1859 wurde zu Berlin der Grundstein zu dem Denkmal Fried-
rich Schillers gelegt. Der damalige Prinzregent — den badi-
schen Freischärlern von anno 1849 als Kartätschenprinz besonders
lieb und wert —, spätere König und Kaiser Wilhelm I. wohnte
der Feier nicht bet, nachdem er dem Prediger Sydow sogar ver-
boten hatte, die Grundsteinlegung im Talar vorzunehmen, „weil
er (der Prinzregent) sie für keine kirchliche haltet! könne". Erst
als Sydow darauf aufmerksam gemacht hatte, „der Talar sei keine
Uniform, und der Prinz würde doch keinem Offizier eine Handlung
zu vollziehen gestatten, zu der er genötigt sei, feines Königs Rock
vorher auszuziehen", und alS er weiter anführte, er habe zur Teil-
nahme an der königlichen Tafel jedesmal den Talar anlegen
müssen, was doch sicher auch keine kirchliche Handlung gewesen sei,
ward der Talar genehmigt. Der Prinzregent aber hielt sich von
der Feier fern, obwohl vorher seine Teilnahme auf dem Festplatz
vorgesehen gewesen war. Die gleiche Komödie wiederholte sich bet
der Einweihung des Schillerdenkmals zwölf Jahre später; die
militärische Ueberlieferung verbot dem Herrscher, ein — und selbst
das höchste — bürgerliches Verdienst zu ehren. Was konnte aber
schließlich Schiller dafür, Daß er nicht Leutnant d. R. gewesen
war? . . .
Mtt Goethe war die Sache um kein Haar breit anders; für
hohenzollernsche Herrschaften war und blieb er ein ganz gewöhn-
licher Zivilist, selbst wenn er es einst bis zum grotzherzoglich wet-
lnarischen Staatsminister gebracht hatte. Als im Jahre 1880 das
Goethe-Denkmal im Berliner Tiergarten eingeweiht wurde, wohnte
ihm der Kaiser gar in adseutia bei, gewissermatzen als Zaungast
von einem Gerüst im Garten des nahen Hausministeriums. Das
höfische Zeremoniell verbot die amtliche Teilnahme des Kaisers

bei der Feier für Deutschlands größten Sohn, obwohl der Kaiser
ihn noch persönlich gekannt hatte; die Rolle als Zaungast ward
eines Hohenzollern aber für würdig besunderr. Auch eine Goethe-
Ehrung!
Und wie der Großvater, also auch der Enkel. Am S. Mat 1905,
, dem 100. Todestag Friedrich Schillers, beging die Universität
Straßburg die Schillerfeier durch eine gedankenreiche und
formvollendete Rede von Theobald Ziegler. Aber nur Damen
und Studenten waren bei dieser erhebenden Veranstaltung zahlreich
anwesend; es fehlten die üblichen Ehrengäste: der Statthalter, der
Staatssekretär und die hohe Generalität. Waren sie alle krank,
dienstbehindert, verreist? O nein! Sie waren alle zurParade
kommandiert! Keine 300 Schritt vom Universttätsgebäude
entfernt hielt Wilhelm der Fahnenflüchtige zur selben Stunde eine
große Parade ab. Sie war dem letzten deutschen Kaiser wichtiger
als die Schillerfeier des deutschen Volkes im Elsaß . . .
So ehrten die Hohenzollern deutsche Denker und Dichter. Ei»
schmetterndes Hurra auf die „erlauchten Ahnen" von Otto dem
Faulen bis zum wortbrüchigen Friedrich Wilhelm war ihnen alles;
große Männer des Geistes galten nichts. Wenn heute der Reichs-
präsident inmitten einer festlichen Versammlung der Goethe-Ehrung
, beiwohnt und Gerhart Hauptmann ihm dies in schlichten Worten
dankt, so klingt das freilich wesentlich anders. Es ist „neu-
deutsche" Art, die ja die „Süddeutsche Zeitung" wöchentlich
siebenmal verspottet und verhöhnt. Vielleicht stünde es heute um
Deutschland' besser, wenn diese „ueudeutsche Art", große Männer zu
ehren, die preußisch-deutsche Unkultur Potsdams schon früher als
im November 1918 abgelöst hätte.
Denn „immer wird der Geist den Degen besie-
gen"; so schrieb aus St. Helena einst Napoleon seinem Sohn.
„Woher kam Napoleon solches Wort? — Er hatte in. Goethes
Augen gesehen."
Ehret eure deutschen Meister,
Dann bannt ihr gute Geister.
Seydlttz, Ziethen und Blücher sind keine deutschen Meister,
aber Schiller und Goethe. Wohl uns, wenn wir dies — der „Süd-
; deutschen Zeitung" zum Trotz — endlich einzusehen beginnen!

M WW Kl NWWWMWM.

Uebereinstimmung zwischen Reich und Län-
dern. — Die Besprechung mit den Parteien. —
Zur Verständigung bereit.
k.L Berlin, den 28. März.
An der Besprechung der Ministerpräsidenten der
Länder mtt Dem Reichskanzler, die gestern nachmittag in
der Reichskanzlei stattfand, nahmen die StaatSchefs aller deutschen
Länder teil, die zu diesem Zweck nach Berlin gekommen waren.
Im Verlaus der Besprechung legte der Kanzler die G es amt-
lage dar, wie sie sich aus der Antwort der Reparationskommisston
ergeben hat, und teilte den Inhalt der Ausführungen mit, mit
Denen die Reichsregterung heute auf die Rote der Reparations-
kommission zunächst im Reichstag antworte« wird. An die Aus-
führungen des Kanzlers schloß sich eine längere Aus-
sprache, in der die Uebereinstimmung der-anwesenden
Ministerpräsidenten mtt der Auffassung und der Politik der Reichs-
regterung festgestellt wurde.
Rach der Besprechung mtt den Ministerpräsidenten empfing
der Reichskanzler zunächst die Vertreter der fünf Kompromitzpar-
teten des Reichstags, späterhin Vertreter der Unabhängigen So-
zialdemokraten und der Deutschnattonalen. In der Konferenz
machte der Reichskanzler nähere Mitteilungen über den Inhalt der
Erklärung, die er heute abgeben wird. Zu einer sachlichen Be-
sprechung kam es hierbei nicht, da die Parteiführer erst heute ihren
Fraktionen über die gestrigen Mitteilungen des Reichskanzlers
Bericht erstatten werden und deren Stellungnahme nicht vorgreifen
wollen. Der Tenor der Erklärung des Reichskanzlers ist in der
Hauptsache bekannt:
Bet aller Anerkennung des Nachlasses, den die Herabsetzung
der Reparationsleistungen für sich ja darstellt, ist die angekündigte
Finanzkontrolle für Deutschland, weil tm Friedensvertrag
nicht begründet, ntchtannehmVar, ebenso wie die Aufbringung
neuer Steuern mit 60 Milliarden Ertrag innerhalb der g e -
stellten Frist nicht mSglich ist. Selbstverständlich ist, daß
trotz dieser starken Vorbehalte von deutscher Seite jeder Weg
beschritten werden wird, der durch die unmittelbaren Verhandlungen
mit der Gegenseite eine Werst S n dtg « ng erwarten läßt.
Unmittelbar an die EMiruug des Reichskanzlers wird sich
heute die Aussprache anschließen. Der Minister des Auswär-
tige» Dr. Rathenau wir- im Gegensatz zu der Nachricht eines
hiesigen Blattes morgen nicht sprechen. Ob es nach der Aussprache
zu einem Vertrauensvotum fürdteRegierung kommt,
wird davon abhängen, ob sich im Laufe der Aussprache dafür ge-
nügend Uebereinstimmung unter den Komprormßparteien ergibt.
Was jetzt noch keineswegs festsieht.

Eine weitere Londoner Stimme.
Der Londoner Korrespondent der „Franks. Ztg." drahtet
einen Bericht über die Beurteilung der tatsächlichen Lage
durch maßgebliche Londoner Stellen. Diese englischen
Stellen sind der Auffassung, daß infolge gewisser Unklarheiten in
der Reparationsnote in Deutschland schwerwiegende Mißver-
ständnisse besonders bezüglich der Steuerlast und der Kontrolle
entstanden sind. In dieser Hinsicht wird in London folgendes als
Sinn der Reparattonsguote betrachtet:
Zwar wird jedenfalls im Reparakkonsbudget ein
Fehlbetrag bestehen bleiben, der durch tnnere oder äußere An-
leihen gedeckt werden muß (wobei zu bemerken ist, daß einKredtt
zur Zahlung für 1922, wie bereits berichtet, nicht als aussichtslos
gilt), aber die Reparationskommisston glaubt, daß dieser Fehl-
betrag im Reparationsbudget durch Vermehrung des or-
dentlichen Steuerertrags wesentlich verkleinert werden
könne. Die Reparationskommisston verlangt deshalb 60 Milliar-
den, bzw. bis zum Jahresende einen um 40 Milliarde« höheren
Steuerertrag tm ordentlichen Budget. Dies bedeutet jedoch,
wie mir aus das Bestimmteste versichert wird, keineswegs, daß auf
die Gesamtlast des Steuerkompromisses einschließlich der Zwangs-
anleihe neue 60 Milliarden getürmt werden sollen. Die Londoner
Interpretation ändert zwar wenig an der Befürchtung, daß Die
Alliierten unsere Leistungsfähigkeit weit überschätzen, aber ein
wesentlicher Unterschied gegenüber der bisherigen Auslegung ist
es offensichtlich.
Noch wichtiger ist ein zweiter Punkt. Lorwon steht es
als e «tscheidend an, daß die von den französischen Extremisten
geforderte sofortige Einmischung tn die deutsche Berwal-
tuns gerade nicht stattfinden werde, vielmehr solle Deutschland
in den zwei kommenden Monaten, in welche übrigens die Genua-
Konferenz fällt, ohne derartige Einmischuüg selbst überlegen und
Vorschlägen, wie es weiterhin Refonnen ausbauen wolle. Dann
erst würde die Reparationskommission prüfen und den alliierten
Regierungen berichte»« Bis dahin komme lediglich eine Kenntnis-
nahme des Materials, des Verfahrens und der Mitberatmrg in
Betracht, was auch tn deutschem Interesse liege.
Uebrigeus ist ein bedingter Aufschub bewilligt und
Deutschland wird nicht ultimativ vor die Frage: Ablehnen oder
Annehmen gestellt, sondern ausgefordert, in bestimmtem Sinne zu
überlegen und zu handeln, wofür ein Zeitraum bis Ende Mai zur
Verfügung steht.
Schiffer bei Wirth.
Berlin, 27. März. Der deutsche Bevollmächtigte in der
deutsch-polnischen Verhandlungen, Minister a. D. Schiffer, ist
aus Gens hier eingetrofsen und hat sich bereits mtt dem Reichs-
kanzler und dem Minister des Auswärtigen tn Verbindung gesetzt.
Aus deutscher Seite steht man keinen Anlaß, weitere Schritte zu
tun. Das bringt ja auch die Abreise des Ministers Schisser deutlich
zum Ausdruck. Sollten die Polen aus ihren Erklärungen ver-
harren, so wird ein Schiedsspruch Calonders unvenneid-
lich sein. Eine neue Entscheidung dürfte aber wahrscheinlich auch
die Reichsregterung vor die Notwendigkeit stellen, entsprechen-
de Entschlüsse zu fassen.
 
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