Tageszeitung für die Werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen,
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§eschäftsstunden: 8—'/,6 Uhr. Sprechstunden derNedaktion: 11—12 Uhr.
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Heidelberg, Samstag, 21. Januar 1922
Nr. 18 » 4. Jahrgang
Verantwortl.: Für innere «.äußere Politik, Volkswirtschaft u.Feuilleton;
Dr. E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales:
O. Weibel; für die Anzeigen: H. Horchler, sämtliche in Heidelberg.
Druck u. Verlag der Unterbadischen Verlagsanstalt G. m. b.tz., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schröderstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2648.
Zur Lage.
Kr. Heidelberg, den 21. Januar.
Nichts vergess«« und nichts hinzugelernt: Das ist der Eindruck,
sen man von der Programmrede Poincares gewinnt. Auch
den deutlichen Wink, den ihm Lloyd George anläßlich des Aus-
tausches der gewohnten Begrüßungstelegramme beim Regierungs-
antritt gab, scheint Potncare nicht verstanden zu haben oder viel-
mehr nicht verstehen zu wollen, denn dort hat Lloyd George klipp
und klar zum Ausdruck gebracht, daß er nicht gewillt ist, von der
Linie der Politik abzuweichen, die England in seinem Memoran-
dum in Cannes niederlegte. „Jede Wiederholung dieser Ansicht
tväre überflüssig", hat Lloyd George telegraphiert und gleichzeitig
den Wunsch ausgesprochen, „daß der kameradschaftliche Geist aus
der Zeit des Krieges uns auch Wetter beseelen möge bei der viel
höheren Aufgabe, die Völker Europas zum Abschluß eines dauer-
haften Friedens zusammenzuführen". Bon diesem Geist spürt
man in Poincares Rede aber auch nicht das geringste. Von A
bis Z eine Hatz- und Anklagerede gegen Deutschland, ohne auch
nur ein Wort der Erwähnung und Anerkennung für die deutsche
Erfüllungspoltttk. Welcher Abstand zwischen Brtand und Potn-
care, erst jetzt wird eine gewisse Sorte von deutschen Politikern
und Journalisten einsehen, wie unrecht sie tat, wenn sie einfach
Brtand mit Clemenceau und Potncare in einen Topf warft Potn-
care fordert aufs neue die Entwaffnung Deutschlands und die
Bestrafung der Kriegsbeschuldigten, ausgerechnet er, der selbst als
einer der größten Kriegshetzer und Chauvinisten entlarvt ist, und
er hält sich für berechtigt, zu erklären, daß die NSumungsfrtsten für
das besetzte Rheinland noch gar nicht zu laufen begonnen haben.
Potncare behauptet, er verlange lediglich die Erfüllung der etn-
segangenen Verträge. Gleichzeitig macht er es Deutschland zum
Vorwurf, daß die zerstörten Gebiete noch nicht wiederausgebaut
sind. Ja, weiss Potncare den« nicht, daß aus den beklagenswerten
Ruinen längst wieder neues Leven blühen würde, wenn man
Deutschland, überhaupt die Gelegenheit zum Wiederaufbau gegeben
hätte? Seit Monaten und Jahre» haben die deutschen und sran-
löstschen Gewerkschaften, insbesondere die Bauarbeiterverbände, die
Pläne für den gemeinsamen Wiederaufbau ausgearbeitet, hundert-
tausende von deutschen Arbeitern haben sich freiwillig zu diesem
Reparationswerk angeboten, di« übergroße Mehrzahl der zerstörten
Gemeinden hat sich für die Heranziehung der deutschen Mitarbeit
ausgesprochen — aber nichts ist geschehen, weil die französischen
Industriellen um ihren Profit fürchteten und weil Politiker a la
Potncare den Wiederaufbau gar nicht wollten, weil er ihrem
Parteipolitischen Interesse zuwiderläuft. Sie brauchen diese offene
Wunde am Körper Frankreichs für ihre chauvinistische Propaganda.
Potncare hat die Zahlen der deutschen Schetnkonjunktur genannt,
die Dividenden und Kurse der Aktiengesellschaften, die Gewinne
der Banken und Börsen, die deutschen Kapitalsverschiebungen ins
Ausland — unsere deutschen Kapitalisten sollten sich schämen, daß
ihre anti nationalen Schandtaten Poincare als Anklage-
material gegen Deutschland und seine Regierung dienen können! —
aber von den Zahlen der sozialen Verelendung des breiten Volkes
bat er geschwiegen und auch die nüchternen Zahlen, die eben erst
Nathenau in Cannes den Ententedelegterten vorgetragen hat,
scheint Poincare nicht zu kennen. Aber was braucht Poincare
Volks und weltwirtschaftliche Tatsachen zu kennen, die Hauptsache
ist, daß er seinem nationalen Block imponiert und als der starke
Mann erscheint, der im Gegensatz zu Briand Frankreich hilft, den
Vertrag von Versailles nach Geist und Buchstaben bis zum letzten
i-P«nkt durchzuführen. Die Entwicklung -er nächsten Wochen und
Monate allerdings wird das Gegenteil erweisen. Es wird sich
Zeigen, daß Poincare seinen Versuch, das Rad der Geschichte zurück-
lttdrehen, vergebens gemacht hat und die französische Oeffentlich-
keit wird erkennen, welches Unrecht an ihr die Pariser Parlaments-
ahnen und Presseorgane durch Briands Sturz begangen haben. ,
Es ist sehr erfreulich, daß in der deutschen Presse Poincares
Rede mit kühler Ruhe und ohne jede Nervosität besprochen wird.
Man hat ja schließlich von Poincare keine anderen Töne erwartet
und weiß auch die innerpoltttsche Einstellung dieser Kraftsprüche zu
berücksichtigen. Ebenso Weitz man, datz auch Poincare schließlich
Mit Wasser wird kochen müssen und die neuesten Pressestimmen aus
London zeigen, datz man in England nicht gewillt ist, vor Poincare
'Urriükzuweichen, inan spricht es dort offen aus, datz „die Dernogogie
Poincares nicht das letzte Wort Frankreichs sein könne". So be-
dauerlich auch die neue Verschärfung im Politischen Kurs Frank-
reichs im Gesamttnteresse Europas ist, so sehr sie die bereits hosf-
nungsvoll begonnene Arbeit an der Schaffung einer Friedens- und
Berständtgungsatmosphäre lähmen und hemmen wird, für Deutsch-
land gibt es trotz alledem nur einen Weg: die konsequente und ge-
radlinige Fortsetzung der ErfüllungSpolttik, die wir mit dem 10.
Mai 1921 begonnen haben. Sie hat sich als richtig erwiesen, sie
bat trotz oder vielmehr gerade infolge ihrer katastrophalen Wirkun-
gen ans Volks- und Weltwirtschaft zur Aushebung der wirtschaft-
lichen Sanktionen im Rheinland und zum ersten Moratorium sei-
tens der Reparationskommtssion geführt. Durch die Beschlüsse von
^angxg bat Deutschland jetzt die Möglichkeit, seinerseits entscheidend
aus die Gestaltung der Reparation und die Revision des Londoner
-Zahlungsplanes einzuwirken. Ueber die wirtschaftliche Seite dieser
«roßen Ausgaben, vor denen Deutschland jetzt steht und die in den
wachsten acht Tagen zu einer klaren Entscheidung gebracht werden
Müssen, ist an einer anderen Stelle dieses Blattes von sachkundiger
«eite Näheres ausgeführt, hier an dieser Stelle interessiert uns
me politische Sette der Angelegenheit. Es steht jetzt fest, datz seit
culiger Zeit zwischen Zentrum und Sozialdemokratie intensivste
^"Handlungen Uber ein sogen. Steuerkompromttzim Gange
und. Die Sozialdemokratie hielt von Anfang an die vorliegenden
steuervorlagen für unzureichend, insbesondere, konnte sie sich nicht
°az» entschließen, die ungeheuren Neubelastungen, die auf die nur
om Arbeitseinkommen lebenden Volksmasse» gelegt werden sollen,
gutgehettzen, wenn nicht ein Eingriff in den Besitz zur Erfassung der
goldwertigen Sachwerte gemacht Wird. Durch die ganzen Verhand-
lungen hindurch hat die Sozialdemokratie diesen prinzipiellen Ge-
sichtspunkt festgehalten, ja er mutzte sich ihr umsomehr verfestigen»
je mehr die Rechtsparteien in den Steuerausschüssen sich bemühten,
aus den Vorlagen der Regierung möglichst alle Giftzähne für den
Besitz auszuschalten. Auch wette linksstehende Kreise des Zentrums
verschlossen sich der Erkenntnis nicht, daß angesichts unserer wirt-
schaftlichen Lage, unserer außenpolitischen Situation und der For-
derungen der Entente unbedingt ein positiver Schritt zur Sanierung
der Finanzen und zur Aufbringung der Reparation getan werden
mutz. Aus dem Parteitag des Zentrums hat sich sowohl Reichs-
arbeitSmintster Brauns wie der Reichskanzler selbst für diesen
Standpunkt ausgesprochen. Es scheint, daß man jetzt eine gold -
wertige Zwangsanleihe als gangbaren Kompromißweg
gefunden hat, wobei natürlich alles von der Gestaltung der Einzel-
heiten abhängt, insbesondere davon, ob es gelingt, durchzusetzen,
datz eine Kreditvereintgung der Industrie selbst die Anleihe aus-
bringt und verzinst. In dieser Form wäre der Plan zweifellos
ein großer Fortschritt gegenüber der bisherigen Steuerpolitik un-
geeignet, der Entente unseren Ersüllungswtllen zu dokumentieren.
Die kommenden Kämpfe im Reichstag werden sehr schwer sein.
Nicht nur die Rechtsparteien werden geschlossen gegen jede» Zugriff
auf das Kapital anrennen, sondern auch die Demokraten scheinen
keine Lust zu haben, mit der Erfassung der Sachwerte sich zu be-
freunden, trotzdem seit Jahren demokratische Sachverständige sich
dafür ausgesprochen haben. Es ist darum notwendig, daß alle
Sozialisten und Gewerkschaftler in den nächsten Tagen und Woche«
ihre vereinigten Kräfte auf dieses Steuer- und Wirtschaftsproblem
konzentrieren. Vielleicht gelingt es uns dann, mit dem größere«
Teil des Zentrums und einigen Demokraten doch einen wichtigen
und fruchtbaren Schritt nach vorwärts zu tun.
WkIM M »kl MW MIMlWkM.
Einmütige Zusammenarbeit von Reich und Ländern.
Berlin, 20. Jan. Die Ministerpräsidenten sämtlicher deut
schen Länder sind in Berlin eingetrofsen und haben sich heute vor-
mittag in der Reichskanzlei zu einer Besprechung unter dem V o r-
sitz des Reichskanzlers versammelt. Gegenstand der Be-
ratung ist die gesamte innere und äußere Lage. Zuerst erhielt Dr,
Rath « nau das Wort zu einem Bericht über seine Missionen.
Wie die Telegraphen-Union erfährt, habe» bei der gestrigen
Konferenz der Ministerpräsidenten der Reichskanzler Dr. Wirth
und Dr. Rathenau Mitteilungen über die außenpolitische Lage
gemacht, insbesondere über die Berhandlungen RathenauSmit
der Entente in Paris und Cannes. Die von den Minister-
präsidenten der einzelnen Länder gestellten Frage» wurden vom
Reichskanzler beantwortet. In der Aussprache gaben die Vertre-
ter der Länder, insbesondere auch die süddeutschen, der Ueber-
zeugung Ausdruck, datz die Gefahr unserer außenpoliti-
schen Lag« das einmütige Zusammenarbeiten von Reich und
Ländern erfordere und daß vor dieser Hauptaufgabe weniger wich-
tige Aufgabe» zurüütrete« müßten, datz aber andererseits die
Reichsregierung den Bedürfnissen der Ländern voll Rechnung tra-
gen müsse.
Noch keine Entscheidung über das
Steuerkompromth.
Berlin, 21. Jan. Die Frag« des Steuerkomprommisses hat
im Laufe des gestrigen Vormittags keine klärenden Fortschritte
gemacht. Ma« erwägt innerhalb der Sozialdemokraten und der
ZentrmnSpartei die Aufbringung einer i nneren Gold-
anleihe. Die Streitfrage ist gegenwärtig die,werdieZinsen
für diese Anleihe aufbringen soll, die Industrie oder das
Reich. Heute wird eine interfraktionelle Sitzung
stattfinden, an der voraussichtlich auch Reichskanzler Dr. Wirth
teilnehme« wird.
Der 1. Mai und 9. November.
S.P. Berlin, 2». Jan. (Prtv.-Tel.) Die sozialdemokrati-
sche Reichstagsfraktton wird entsprechend einem Beschlüsse des
Görtttzer Parteitages in« Reichstag einen Antrag einbringcn, den
1. Mat und den 9. Nov. zu gesetzlichen Feiertagen zu
erklären.
Genua.
Die Annahme der Einladung. — Auch das Jittcrnatwnale
Arbeitsamt ist vertreten.
Wie das „Berk. Tagebl." mittetlt, hat die deutsche Regierung
in einem Schreiben an den italienischen Botschafter die Einladung
nach Genua angenommen, mit dem Bemerken, datz sie die Name:'
der deutschen Vertreter sobald wie möglich übermitteln werde.
Gens, 20. Jan. (Prw.-Tel.) Die Konferenz von Genua
wird durch die Teilnahme des internationalen Ar-
beitsamts an Bedeutung und an Wirkungsmöglichkeit gewin-
nen. Der Vevwaltungsvat des Arbeitsamtes hat in seiner heutigen
Sitzung beschlossen, den Direktor des Amtes zu beauftragen, cr
möge sich mit dem Obersten Rat in Verbindung setzen und ihm
Mitteilen, -atz die internationale Arbeiterorganisation bereit ist, die
nach Genua einberufene Konferenz in jeder Weise zu unterstützen.
Das Arbeitsamt erklärte sich bereit, der Konferenz für Arbeiter- und
industrielle Fragen seine Erfahrungen und seine ganze Dokumen-
tation zur Verfügung zu stellen. Zwei Vertreter jeder der drei
Gruppen des Verwaltungsrats, -er Regierungsvertreter, der Ar-
beitervertreter und die Abeitgebervertreter werden sich zur Verfü-
gung der Konferenz ballen, um in jedem Augenblick zur Mitarbeit
bereit zu sein. Der Verwaltungsrat HM, wie er in keiner gestern
angenommenen Resolution sich ausspricht, durch die Einberufung
der Konferenz von Genua tu gewissem Sinne den einstimmigen
Beschluß der dritten internationalen Arbeitskonferenz vom Novbr.
1920 erfüllt, in welcher der Verwaltungsrat beauftragt wurde, eine
internationale Konferenz zur Behebung der Arbeitslosigkeit einzu-
berufen und er hält sich für verpflichtet, seine Mitarbeit auf der
Konferenz von Genua anzuvieten, da ja die Frage der Arbettslostg-.
kett mit der Aufgabe verknüpft ist, die sich die Konferenz von
Genua gestellt hat, nämlich mit dem wirtschaftlkchm Wiederaufbau
Europas.
Deutscher Reichstag.
Das Verfahren gegen die Erzbergermörder. — Die kommunale
Ftnmrznot.
tu. Berlin, 20. Januar.
Auf der Tägesordnung steht zunächst eine große Zahl Kleiner
Anfragen.
Auf eine Anfrage des Abg. Dr. Becker- Hessen (D.VP.) über
die mangelnde Kohlenversorgung der Molkereien wird berichtet, datz
die Molkereien im allgemeinen ausreichend versorgt sind. In Süd-
deutschland, Hessen, Schleswig-Holstein und Teilen der Provinz
Hannover zeige sich allerdings Mangel infolge des WagenmangelS
und infolge des Versagens der Reichswasserstratzen. Die Liefer-
stellen haben bei Kshlennot sofort Weisung erhalten, für die «m«
umgängliche Belieferung der Molkereien Sorge zu tragen. Die
Molkereien gelten als bevorzugt zu beliefernde Betriebe.
Ein Notgesetz zugunsten der unehelichen Kinder, die vor dem
Kriege von ihrem Vater eine einmalige Abfindung erhielten und
wegen der Geldentwertung in schwerer Not sich befinden, wird
vorbereitet.
Abg. von Gallwitz (D.N.) bittet um Auskunft über de««
Stand des Verfahrens zur Ermittlung der Mörder des Abg. Erz-
Se r g e r.
Geheimrat Werner teilt mit, datz wegen Verdachts der Teil-
nahme an der Ermordung des Abg. Erzbergcr von dem badische«
Untersuchungsrichter gegen den Kaufmann Heinrich Schulz und
den Oberleutnant z. S. a. D. Tillefsen eine Voruntersuchung
geführt wird. Beide sind flüchtig. Einige Personen sind indessen
unter der Beschuldigung, schon vor der Tat Beistand für die Zelt
nach der Tat geleistet zu haben, in Haft genommen worden. Unter
diesen Verhafteten befindet sich der Kapitknleutnant a. D. von
Ktllinger. Die Ermittlungen find noch nicht abgeschlossen.
Ueber ihr Ergebnis und die weiter in Aussicht genommenen Maß-
nahmen könne ohne Gefährdung des Untersuchungsganges kettre
Auskunft gegeben werden. Bet den Nachforschungen inMünchen
wurde eine Geheimorganisation entdeckt, die aus ehe-
maligen Offizieren der Marinebrigade Ehrhardt bestand und
die sich au, den größten Teil des Reiches erstreckte und politische
, Ziele hat. Die Oberleitung befand sich in München. Schulz, Ttl-
! lessen und Ktllinger gehörten ihr an. Für den Verdacht, daß auch
die übrigen Mitglieder der Zentrale Mitwisser an der Ermordung
feien, ergaben sich nicht genügende Anhaltspunkte. Dagegen ist
gegen die Mitglieder der Oberleitung, sowie gegen die Leiter des
OrganlsationSnetzes ei« Verfahren wegen Geheimbündelei und
wegen Vergehens gegen die Verordnung über das Verbot militä-
rischer Verbände eingeleitet worden. Ein weiteres Ergebnis des
Verfahrens ist, datz der Plan eines ivciteren Ausbaues der Orga-
nisation verhindert worden ist.
Die Besprechung der demokratischen Interpellation über die
Finanznot der Gemeinde»
wird dann fortgesetzt.
Abg. Henke (U.S.P.) behauptet, daß es der« Gemeinden besser
gehen würde, wenn seine Anträge iir den früheren Jahren ange-
nommen worden wären. Die Gesundung kann nur von unten
kommen.
Abg. Frau Lang-Brumanu (Bayer. Vp.) bedauert, daß
man den Gemeinden das finanzielle Rückgrat gebrochen habe. Erst
mutz den Gemeinden geholfen werden, dann wird auch das Reich
gedeihen.
Reichsfinanzminister Dr. Hermes
bestreitet, datz das Reich die Hauptschuld an der Ftnanznot der
Gemeinden trage. Die deutsche Finanznot ist nur ein Teil der
wirtschaftlichen Nöte aller Länder der Erde. Bet-uns ist die Rot
besonders drückend, weil wir eben den Krieg verloren haben. Der
wirtschaftliche Druck, der auf dem Reiche lastet, setzt sich nach de«
Ländern und Gemeinden hin fort. Die Reichsregierung hat alles
getan, um die Leistungsfähigkeit der Gemeinden zu erhalten. So
bei der Umsatzsteuer und der Einkommensteuer. Wenn den Ge-
meinden der volle Anteil noch nicht zugeflossen ist, so liegt das an
den Länden«. Aus der Umsatzsteuer werden für 1922 24 Milliarden
erwartet. Davon kommen auf die Gemeinden mindestens eine
Milliarde (Hört, hört». Die Stadt Berlin schuldet dem Reich
schon über Milliarde ai« Steuern, die sie für das Reich eingezogen
hat. Die Regierungen der Länder haben ein gesetzliches Aufsichts-
recht über die Finanzgebahmng der Gemeinden. Sie gewähre«
ihnen aber auch Zuschüsse. Dieses System der Zuschüsse ist freilich
Adelsheim, Boxberg, Tauberbischofrheim und Wertheim.
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Heidelberg, Samstag, 21. Januar 1922
Nr. 18 » 4. Jahrgang
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Zur Lage.
Kr. Heidelberg, den 21. Januar.
Nichts vergess«« und nichts hinzugelernt: Das ist der Eindruck,
sen man von der Programmrede Poincares gewinnt. Auch
den deutlichen Wink, den ihm Lloyd George anläßlich des Aus-
tausches der gewohnten Begrüßungstelegramme beim Regierungs-
antritt gab, scheint Potncare nicht verstanden zu haben oder viel-
mehr nicht verstehen zu wollen, denn dort hat Lloyd George klipp
und klar zum Ausdruck gebracht, daß er nicht gewillt ist, von der
Linie der Politik abzuweichen, die England in seinem Memoran-
dum in Cannes niederlegte. „Jede Wiederholung dieser Ansicht
tväre überflüssig", hat Lloyd George telegraphiert und gleichzeitig
den Wunsch ausgesprochen, „daß der kameradschaftliche Geist aus
der Zeit des Krieges uns auch Wetter beseelen möge bei der viel
höheren Aufgabe, die Völker Europas zum Abschluß eines dauer-
haften Friedens zusammenzuführen". Bon diesem Geist spürt
man in Poincares Rede aber auch nicht das geringste. Von A
bis Z eine Hatz- und Anklagerede gegen Deutschland, ohne auch
nur ein Wort der Erwähnung und Anerkennung für die deutsche
Erfüllungspoltttk. Welcher Abstand zwischen Brtand und Potn-
care, erst jetzt wird eine gewisse Sorte von deutschen Politikern
und Journalisten einsehen, wie unrecht sie tat, wenn sie einfach
Brtand mit Clemenceau und Potncare in einen Topf warft Potn-
care fordert aufs neue die Entwaffnung Deutschlands und die
Bestrafung der Kriegsbeschuldigten, ausgerechnet er, der selbst als
einer der größten Kriegshetzer und Chauvinisten entlarvt ist, und
er hält sich für berechtigt, zu erklären, daß die NSumungsfrtsten für
das besetzte Rheinland noch gar nicht zu laufen begonnen haben.
Potncare behauptet, er verlange lediglich die Erfüllung der etn-
segangenen Verträge. Gleichzeitig macht er es Deutschland zum
Vorwurf, daß die zerstörten Gebiete noch nicht wiederausgebaut
sind. Ja, weiss Potncare den« nicht, daß aus den beklagenswerten
Ruinen längst wieder neues Leven blühen würde, wenn man
Deutschland, überhaupt die Gelegenheit zum Wiederaufbau gegeben
hätte? Seit Monaten und Jahre» haben die deutschen und sran-
löstschen Gewerkschaften, insbesondere die Bauarbeiterverbände, die
Pläne für den gemeinsamen Wiederaufbau ausgearbeitet, hundert-
tausende von deutschen Arbeitern haben sich freiwillig zu diesem
Reparationswerk angeboten, di« übergroße Mehrzahl der zerstörten
Gemeinden hat sich für die Heranziehung der deutschen Mitarbeit
ausgesprochen — aber nichts ist geschehen, weil die französischen
Industriellen um ihren Profit fürchteten und weil Politiker a la
Potncare den Wiederaufbau gar nicht wollten, weil er ihrem
Parteipolitischen Interesse zuwiderläuft. Sie brauchen diese offene
Wunde am Körper Frankreichs für ihre chauvinistische Propaganda.
Potncare hat die Zahlen der deutschen Schetnkonjunktur genannt,
die Dividenden und Kurse der Aktiengesellschaften, die Gewinne
der Banken und Börsen, die deutschen Kapitalsverschiebungen ins
Ausland — unsere deutschen Kapitalisten sollten sich schämen, daß
ihre anti nationalen Schandtaten Poincare als Anklage-
material gegen Deutschland und seine Regierung dienen können! —
aber von den Zahlen der sozialen Verelendung des breiten Volkes
bat er geschwiegen und auch die nüchternen Zahlen, die eben erst
Nathenau in Cannes den Ententedelegterten vorgetragen hat,
scheint Poincare nicht zu kennen. Aber was braucht Poincare
Volks und weltwirtschaftliche Tatsachen zu kennen, die Hauptsache
ist, daß er seinem nationalen Block imponiert und als der starke
Mann erscheint, der im Gegensatz zu Briand Frankreich hilft, den
Vertrag von Versailles nach Geist und Buchstaben bis zum letzten
i-P«nkt durchzuführen. Die Entwicklung -er nächsten Wochen und
Monate allerdings wird das Gegenteil erweisen. Es wird sich
Zeigen, daß Poincare seinen Versuch, das Rad der Geschichte zurück-
lttdrehen, vergebens gemacht hat und die französische Oeffentlich-
keit wird erkennen, welches Unrecht an ihr die Pariser Parlaments-
ahnen und Presseorgane durch Briands Sturz begangen haben. ,
Es ist sehr erfreulich, daß in der deutschen Presse Poincares
Rede mit kühler Ruhe und ohne jede Nervosität besprochen wird.
Man hat ja schließlich von Poincare keine anderen Töne erwartet
und weiß auch die innerpoltttsche Einstellung dieser Kraftsprüche zu
berücksichtigen. Ebenso Weitz man, datz auch Poincare schließlich
Mit Wasser wird kochen müssen und die neuesten Pressestimmen aus
London zeigen, datz man in England nicht gewillt ist, vor Poincare
'Urriükzuweichen, inan spricht es dort offen aus, datz „die Dernogogie
Poincares nicht das letzte Wort Frankreichs sein könne". So be-
dauerlich auch die neue Verschärfung im Politischen Kurs Frank-
reichs im Gesamttnteresse Europas ist, so sehr sie die bereits hosf-
nungsvoll begonnene Arbeit an der Schaffung einer Friedens- und
Berständtgungsatmosphäre lähmen und hemmen wird, für Deutsch-
land gibt es trotz alledem nur einen Weg: die konsequente und ge-
radlinige Fortsetzung der ErfüllungSpolttik, die wir mit dem 10.
Mai 1921 begonnen haben. Sie hat sich als richtig erwiesen, sie
bat trotz oder vielmehr gerade infolge ihrer katastrophalen Wirkun-
gen ans Volks- und Weltwirtschaft zur Aushebung der wirtschaft-
lichen Sanktionen im Rheinland und zum ersten Moratorium sei-
tens der Reparationskommtssion geführt. Durch die Beschlüsse von
^angxg bat Deutschland jetzt die Möglichkeit, seinerseits entscheidend
aus die Gestaltung der Reparation und die Revision des Londoner
-Zahlungsplanes einzuwirken. Ueber die wirtschaftliche Seite dieser
«roßen Ausgaben, vor denen Deutschland jetzt steht und die in den
wachsten acht Tagen zu einer klaren Entscheidung gebracht werden
Müssen, ist an einer anderen Stelle dieses Blattes von sachkundiger
«eite Näheres ausgeführt, hier an dieser Stelle interessiert uns
me politische Sette der Angelegenheit. Es steht jetzt fest, datz seit
culiger Zeit zwischen Zentrum und Sozialdemokratie intensivste
^"Handlungen Uber ein sogen. Steuerkompromttzim Gange
und. Die Sozialdemokratie hielt von Anfang an die vorliegenden
steuervorlagen für unzureichend, insbesondere, konnte sie sich nicht
°az» entschließen, die ungeheuren Neubelastungen, die auf die nur
om Arbeitseinkommen lebenden Volksmasse» gelegt werden sollen,
gutgehettzen, wenn nicht ein Eingriff in den Besitz zur Erfassung der
goldwertigen Sachwerte gemacht Wird. Durch die ganzen Verhand-
lungen hindurch hat die Sozialdemokratie diesen prinzipiellen Ge-
sichtspunkt festgehalten, ja er mutzte sich ihr umsomehr verfestigen»
je mehr die Rechtsparteien in den Steuerausschüssen sich bemühten,
aus den Vorlagen der Regierung möglichst alle Giftzähne für den
Besitz auszuschalten. Auch wette linksstehende Kreise des Zentrums
verschlossen sich der Erkenntnis nicht, daß angesichts unserer wirt-
schaftlichen Lage, unserer außenpolitischen Situation und der For-
derungen der Entente unbedingt ein positiver Schritt zur Sanierung
der Finanzen und zur Aufbringung der Reparation getan werden
mutz. Aus dem Parteitag des Zentrums hat sich sowohl Reichs-
arbeitSmintster Brauns wie der Reichskanzler selbst für diesen
Standpunkt ausgesprochen. Es scheint, daß man jetzt eine gold -
wertige Zwangsanleihe als gangbaren Kompromißweg
gefunden hat, wobei natürlich alles von der Gestaltung der Einzel-
heiten abhängt, insbesondere davon, ob es gelingt, durchzusetzen,
datz eine Kreditvereintgung der Industrie selbst die Anleihe aus-
bringt und verzinst. In dieser Form wäre der Plan zweifellos
ein großer Fortschritt gegenüber der bisherigen Steuerpolitik un-
geeignet, der Entente unseren Ersüllungswtllen zu dokumentieren.
Die kommenden Kämpfe im Reichstag werden sehr schwer sein.
Nicht nur die Rechtsparteien werden geschlossen gegen jede» Zugriff
auf das Kapital anrennen, sondern auch die Demokraten scheinen
keine Lust zu haben, mit der Erfassung der Sachwerte sich zu be-
freunden, trotzdem seit Jahren demokratische Sachverständige sich
dafür ausgesprochen haben. Es ist darum notwendig, daß alle
Sozialisten und Gewerkschaftler in den nächsten Tagen und Woche«
ihre vereinigten Kräfte auf dieses Steuer- und Wirtschaftsproblem
konzentrieren. Vielleicht gelingt es uns dann, mit dem größere«
Teil des Zentrums und einigen Demokraten doch einen wichtigen
und fruchtbaren Schritt nach vorwärts zu tun.
WkIM M »kl MW MIMlWkM.
Einmütige Zusammenarbeit von Reich und Ländern.
Berlin, 20. Jan. Die Ministerpräsidenten sämtlicher deut
schen Länder sind in Berlin eingetrofsen und haben sich heute vor-
mittag in der Reichskanzlei zu einer Besprechung unter dem V o r-
sitz des Reichskanzlers versammelt. Gegenstand der Be-
ratung ist die gesamte innere und äußere Lage. Zuerst erhielt Dr,
Rath « nau das Wort zu einem Bericht über seine Missionen.
Wie die Telegraphen-Union erfährt, habe» bei der gestrigen
Konferenz der Ministerpräsidenten der Reichskanzler Dr. Wirth
und Dr. Rathenau Mitteilungen über die außenpolitische Lage
gemacht, insbesondere über die Berhandlungen RathenauSmit
der Entente in Paris und Cannes. Die von den Minister-
präsidenten der einzelnen Länder gestellten Frage» wurden vom
Reichskanzler beantwortet. In der Aussprache gaben die Vertre-
ter der Länder, insbesondere auch die süddeutschen, der Ueber-
zeugung Ausdruck, datz die Gefahr unserer außenpoliti-
schen Lag« das einmütige Zusammenarbeiten von Reich und
Ländern erfordere und daß vor dieser Hauptaufgabe weniger wich-
tige Aufgabe» zurüütrete« müßten, datz aber andererseits die
Reichsregierung den Bedürfnissen der Ländern voll Rechnung tra-
gen müsse.
Noch keine Entscheidung über das
Steuerkompromth.
Berlin, 21. Jan. Die Frag« des Steuerkomprommisses hat
im Laufe des gestrigen Vormittags keine klärenden Fortschritte
gemacht. Ma« erwägt innerhalb der Sozialdemokraten und der
ZentrmnSpartei die Aufbringung einer i nneren Gold-
anleihe. Die Streitfrage ist gegenwärtig die,werdieZinsen
für diese Anleihe aufbringen soll, die Industrie oder das
Reich. Heute wird eine interfraktionelle Sitzung
stattfinden, an der voraussichtlich auch Reichskanzler Dr. Wirth
teilnehme« wird.
Der 1. Mai und 9. November.
S.P. Berlin, 2». Jan. (Prtv.-Tel.) Die sozialdemokrati-
sche Reichstagsfraktton wird entsprechend einem Beschlüsse des
Görtttzer Parteitages in« Reichstag einen Antrag einbringcn, den
1. Mat und den 9. Nov. zu gesetzlichen Feiertagen zu
erklären.
Genua.
Die Annahme der Einladung. — Auch das Jittcrnatwnale
Arbeitsamt ist vertreten.
Wie das „Berk. Tagebl." mittetlt, hat die deutsche Regierung
in einem Schreiben an den italienischen Botschafter die Einladung
nach Genua angenommen, mit dem Bemerken, datz sie die Name:'
der deutschen Vertreter sobald wie möglich übermitteln werde.
Gens, 20. Jan. (Prw.-Tel.) Die Konferenz von Genua
wird durch die Teilnahme des internationalen Ar-
beitsamts an Bedeutung und an Wirkungsmöglichkeit gewin-
nen. Der Vevwaltungsvat des Arbeitsamtes hat in seiner heutigen
Sitzung beschlossen, den Direktor des Amtes zu beauftragen, cr
möge sich mit dem Obersten Rat in Verbindung setzen und ihm
Mitteilen, -atz die internationale Arbeiterorganisation bereit ist, die
nach Genua einberufene Konferenz in jeder Weise zu unterstützen.
Das Arbeitsamt erklärte sich bereit, der Konferenz für Arbeiter- und
industrielle Fragen seine Erfahrungen und seine ganze Dokumen-
tation zur Verfügung zu stellen. Zwei Vertreter jeder der drei
Gruppen des Verwaltungsrats, -er Regierungsvertreter, der Ar-
beitervertreter und die Abeitgebervertreter werden sich zur Verfü-
gung der Konferenz ballen, um in jedem Augenblick zur Mitarbeit
bereit zu sein. Der Verwaltungsrat HM, wie er in keiner gestern
angenommenen Resolution sich ausspricht, durch die Einberufung
der Konferenz von Genua tu gewissem Sinne den einstimmigen
Beschluß der dritten internationalen Arbeitskonferenz vom Novbr.
1920 erfüllt, in welcher der Verwaltungsrat beauftragt wurde, eine
internationale Konferenz zur Behebung der Arbeitslosigkeit einzu-
berufen und er hält sich für verpflichtet, seine Mitarbeit auf der
Konferenz von Genua anzuvieten, da ja die Frage der Arbettslostg-.
kett mit der Aufgabe verknüpft ist, die sich die Konferenz von
Genua gestellt hat, nämlich mit dem wirtschaftlkchm Wiederaufbau
Europas.
Deutscher Reichstag.
Das Verfahren gegen die Erzbergermörder. — Die kommunale
Ftnmrznot.
tu. Berlin, 20. Januar.
Auf der Tägesordnung steht zunächst eine große Zahl Kleiner
Anfragen.
Auf eine Anfrage des Abg. Dr. Becker- Hessen (D.VP.) über
die mangelnde Kohlenversorgung der Molkereien wird berichtet, datz
die Molkereien im allgemeinen ausreichend versorgt sind. In Süd-
deutschland, Hessen, Schleswig-Holstein und Teilen der Provinz
Hannover zeige sich allerdings Mangel infolge des WagenmangelS
und infolge des Versagens der Reichswasserstratzen. Die Liefer-
stellen haben bei Kshlennot sofort Weisung erhalten, für die «m«
umgängliche Belieferung der Molkereien Sorge zu tragen. Die
Molkereien gelten als bevorzugt zu beliefernde Betriebe.
Ein Notgesetz zugunsten der unehelichen Kinder, die vor dem
Kriege von ihrem Vater eine einmalige Abfindung erhielten und
wegen der Geldentwertung in schwerer Not sich befinden, wird
vorbereitet.
Abg. von Gallwitz (D.N.) bittet um Auskunft über de««
Stand des Verfahrens zur Ermittlung der Mörder des Abg. Erz-
Se r g e r.
Geheimrat Werner teilt mit, datz wegen Verdachts der Teil-
nahme an der Ermordung des Abg. Erzbergcr von dem badische«
Untersuchungsrichter gegen den Kaufmann Heinrich Schulz und
den Oberleutnant z. S. a. D. Tillefsen eine Voruntersuchung
geführt wird. Beide sind flüchtig. Einige Personen sind indessen
unter der Beschuldigung, schon vor der Tat Beistand für die Zelt
nach der Tat geleistet zu haben, in Haft genommen worden. Unter
diesen Verhafteten befindet sich der Kapitknleutnant a. D. von
Ktllinger. Die Ermittlungen find noch nicht abgeschlossen.
Ueber ihr Ergebnis und die weiter in Aussicht genommenen Maß-
nahmen könne ohne Gefährdung des Untersuchungsganges kettre
Auskunft gegeben werden. Bet den Nachforschungen inMünchen
wurde eine Geheimorganisation entdeckt, die aus ehe-
maligen Offizieren der Marinebrigade Ehrhardt bestand und
die sich au, den größten Teil des Reiches erstreckte und politische
, Ziele hat. Die Oberleitung befand sich in München. Schulz, Ttl-
! lessen und Ktllinger gehörten ihr an. Für den Verdacht, daß auch
die übrigen Mitglieder der Zentrale Mitwisser an der Ermordung
feien, ergaben sich nicht genügende Anhaltspunkte. Dagegen ist
gegen die Mitglieder der Oberleitung, sowie gegen die Leiter des
OrganlsationSnetzes ei« Verfahren wegen Geheimbündelei und
wegen Vergehens gegen die Verordnung über das Verbot militä-
rischer Verbände eingeleitet worden. Ein weiteres Ergebnis des
Verfahrens ist, datz der Plan eines ivciteren Ausbaues der Orga-
nisation verhindert worden ist.
Die Besprechung der demokratischen Interpellation über die
Finanznot der Gemeinde»
wird dann fortgesetzt.
Abg. Henke (U.S.P.) behauptet, daß es der« Gemeinden besser
gehen würde, wenn seine Anträge iir den früheren Jahren ange-
nommen worden wären. Die Gesundung kann nur von unten
kommen.
Abg. Frau Lang-Brumanu (Bayer. Vp.) bedauert, daß
man den Gemeinden das finanzielle Rückgrat gebrochen habe. Erst
mutz den Gemeinden geholfen werden, dann wird auch das Reich
gedeihen.
Reichsfinanzminister Dr. Hermes
bestreitet, datz das Reich die Hauptschuld an der Ftnanznot der
Gemeinden trage. Die deutsche Finanznot ist nur ein Teil der
wirtschaftlichen Nöte aller Länder der Erde. Bet-uns ist die Rot
besonders drückend, weil wir eben den Krieg verloren haben. Der
wirtschaftliche Druck, der auf dem Reiche lastet, setzt sich nach de«
Ländern und Gemeinden hin fort. Die Reichsregierung hat alles
getan, um die Leistungsfähigkeit der Gemeinden zu erhalten. So
bei der Umsatzsteuer und der Einkommensteuer. Wenn den Ge-
meinden der volle Anteil noch nicht zugeflossen ist, so liegt das an
den Länden«. Aus der Umsatzsteuer werden für 1922 24 Milliarden
erwartet. Davon kommen auf die Gemeinden mindestens eine
Milliarde (Hört, hört». Die Stadt Berlin schuldet dem Reich
schon über Milliarde ai« Steuern, die sie für das Reich eingezogen
hat. Die Regierungen der Länder haben ein gesetzliches Aufsichts-
recht über die Finanzgebahmng der Gemeinden. Sie gewähre«
ihnen aber auch Zuschüsse. Dieses System der Zuschüsse ist freilich