Volkszeitung
Tageszeitung für di« werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen,
Adelsheim, Boxberg, Tauberbischossheim und Wertheim.
Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 10.— Ml. Anzeigenpreis«:
Die einspaltige Petitzeile (86 nun breit) 8.— Mk., Reklame-Anzeigen
(88 mm breit) 6.— Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Geheimmittelanzeigen werden nicht ausgenommen.
Geschästsstunden: 8—'/,6 Uhr. Sprechstunden derRedaktion: 11—12 Uhr.
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Heidelberg, Samstag, 18. Februar 1922
Nr. 42 * 4. Jahrgang
Verantwort!.: Für innere u.äußere Politik, Volkswirtschaft «.Feuilleton;
Dr. G. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales;
O.Geibel; für die Anzeigen: H. Horchler, sämtliche in Heidelberg.
Druck u. Verlag der Unterbadischen Verlagsanstalt G.m.b.H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schroderstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2673, Redaktion 2648.
Zur Lage.
Kr. Heidelberg, den 18. Februar.
Von der Presse des Inlandes wie des Auslandes ist die Mitt-
wochabstimmung des Reichstags als historisch er Lag charak-
terisiert worden, was durchaus berechtigt ist. Zum ersten Male
Hai ei» Kanzler der deutschen Republik seine Gegner von rechts
und links zu offener Feldschlacht herausgefordert und in derselben
wider Erwarten aller Beteiligten gesiegt. Gesiegt, weil etwa 46
Prozent der Unabhängigen es nicht über sich brachten, den deutsch-
Uaiisnalen, nationalliberalen und kommunistischen Katastrophen-
volttikern zum Siege zu verhelfen. Aber bei aller Freude darüber,
daß diese ernste Krise überwunden ist und daß die frühere „Min-
derheitsregierung" Wirth heute als Mehrheitsregierung fester
denn je dasteht, dürfen wir Las Beschämende dieser ganzen Kris«
nicht so leicht und so rasch wieder vergessen. „Nur das Miß-
trauensvotum der Deutschnattonalen Volkspartet hat
rein die Staatspolitik im Auge." So schrieb die „Südd.
Zeitung" am Donnerstag, den 16. Februar. Soll man ein«
solche Verblendung überhaupt für möglich halten? Oder ist das
nur verlogene und verschlagene Demagogie? Was hat denn die
reine Negations- und Oppositionspoltttk der Hergt, Helfferich und
Konsorten noch mit Staatspolitik im wahren Sinne des Wortes
zu tun? Staatspolitik treiben heißt doch denjenigen Staat bejahen,
der heute als Resultante aller politischen, ökonomisch-sozialen und
Psychologischen Faktoren möglich ist, der imstande ist, den größt-
möglichen Teil der deutschen Volksgemeinschaft auf seiner Basis
zu vereinigen. Allen diesen Forderungen wird heute nur die
demokratische Republik, der Staat der Weimarer Reichsverfassung
und die Außenpolitik des Kabinetts Wtrth Rathenau gerecht. Wer
diesen Staat bejaht, wer an ihm mitarbeitet und mitbaut, der treibt
Staatspolitik, wer ihn bekämpft, iver ihm das Leben unmöglich
machen will, treibt nur Partei- und einseitige Klassenpolitik, mag
er rechts oder links stehen. Wenn der Artikler als nächstes und
erstes Erfordernis den Einheitsblo« aller »ichtmarxistischert, d. h.
nichtsozialisttfchen Parteien fordert, so muß er wissen, daß das
heute vielleicht noch in dem einen oder anderen „Land" (etwa in
Bayern), nicht aber im deutschen Reiche auf die Dauer möglich ist.
Damit ist nicht gesagt, daß nicht auch heute gelegentlich eine rein
bürgerliche Regierung ohne Sozialdemokratie regieren kamt, das
hängt vom Wahlailsfall und der jeweiligen parlamentarischen Si-
tuation ab. Aber unmöglich ist ein Staat gegen die sozialistische
Arbeiterschaft, ein Staat ohne ihre verantwortliche Mitarbeit.
Es ist falsch »md einfach unhistorisch, wenn die Reaktionäre immer
wieder von der „Staatsseindltchkett" der Sozialdemokratie sprechen
»Md dabei Hinweisen auf die sozialdemokratische OPPosttions- und
Revolmionspolitik gegen den alten wilhelminische« Ovrigkeitsstaat.
Aus echter staatspolitischer Ueberzeugung Her-
aus hat die Sozialdemokratie den Staat Bismarcks bekämpft,
weil sie an Stelle des aus feudalistisch-militaristischer Grundlage
aufgebauten Klassenstaates, der für Millionen von Volksgenossen
politische und soziale Entrechtung bedeutete, den freien Volksstaat,
d. h. die selbstverantworttiche Volksgemeinschaft wollte. Wenn
heute die Sozialdemokratie staatsbejahend ist, wenn sie Koalitions-
Partei ist und unter völliger Wahrung parteipolitischer Prinzipien-
freiheit mit Parteien, die sich auf denselben Verfassungsboden
stellen, eine Arbeitsgemeinschaft betätigt, so hat sie sich durchaus
Nicht gewandelt, sondern nur die Konsequenzen ans der Tatsache
der Demokratie gezogen.
Auch was die Kommunisten und unentwegten Unabhängigen
treibe»», hat mit Staatspolitik nicht das geringste zu tun, denn sie
wissen, daß heute »md in absehbarer Zett auf ihrem Programm eine
politische Volksgemeinschaft nicht aufgebant werden kann. Wenn
sie mit den Deutschnattonalen gegen die Regierung Wirth stimmen,
w »nassen sie sich doch darüber klar sein, daß an Stelle dieses Ka-
binetts keines treten würde, das ihren Idealen mehr entspräche.
Darum müßten sie als Arbeiterpartei, die für die Proletarier etwas
leisten will, diese Regierung mit allen Mitteln gegen ihre Feinde
von rechts stützen. Das Gegenteil haben sie getan und damit
sezetgt, daß sie nicht reif dazu sind, die staatspolittfche Führung
der Arbeiterschaft zu übernehmen.
Es ist unser Unglück und Verhängnis seit drei Jahren, daß
wir unsere Aufmerksamkeit immer dann auf tnnerpolttische Krisen
Achten müssen, wen« Wir unsere ganze Kraft auf außenpolitische
Tragen und Aufgaben konzentrieren müßten. Während der
Eisenbahnerstreik alle innenpolitischen Gegensätze aufs neue auf-
wühlte und das Kabinett Wirth zu stürzen drohte, konzentrierte sich
Psine are mit aller Macht auf die Sabotage der Kon-
ferenz von Genua, auf die gerade wir so viel außenpolitische
Hoffnung gesetzt haben. Eine Entscheidung darüber» ob diese
europäische Wirtschaftskonferenz am 8. März oder erst einige Mo-
uaie später stattstnden wird, ist heute noch nicht gefallen, aber eines
fleht fest und je früher wir uns das eingestehen, umso besser: auch
Ke wird nicht die Reinigung und Befreiung der europäischen Atmo»
whäre bringen, die man noch in den ersten Tagen der Konferenz
von Cannes erwartete. Dafür sorgt Poincare mit geradezu teuf-
lischer Zähigkeit. Kein Buchstabe des Versailler Vertrags soll
VUrch Genua angetastet werden. Ob Poincare sich gegen England
durchsetzen wird? Jedenfalls sucht er sich treue Bundesgenossen
'U der Kleinen Entente und in — Rußland. Dasselbe Frank-
reich, das noch 1926 den polnischen Angriffskrieg gegen Sowjet-
rußland inszenierte, das die Wrangel, Denikin und Judenitsch
Segen Rußland armierte und finanzierte — dasselbe Frankreich ist
heute bereit, Rußland gegen England und Deutschland auszu-
Wielen, »vobet natürlich wieder Deutschland de« Kürzeren ziehen
wrrd. Bereits ist das Gerücht eines russisch-französischen Geheim-
abkommens aufgetaucht, es ist in aller Offizialität vom Pariser
Auswärtigen Amt dementiert worden. Sicher ist aber, daß Ra-
ver während seines letzten Aufenthaltes in Berlin mit hervor-
ragender, Vertretern Frarrkreichs konferierte, u. a. auch »nit dem
Nutzeren französischen Generalkonsul Comte de Chevtlly.
Und noch einen anderen teuflische« Plan seiner Geheimdiplomatie
scheint Poincare zu verwirklichen: Die alliierten Vertreter für
Genua sollen sich in einer Sachverständigen - B o r konferenz über
alle in Frage kommenden Probleme so einigen, daß die Konferenz
selbst keine Ueberraschungen mehr bringen kann. Also auch in
Genua soll die Siegerltga triumphieren. Allerdings scheint Eng-
land nach den gerade heute vorliegenden Meldungen diese fran-
zösischen Absichten, wenn irgend möglich, durchkreuzen zu wollen.
Man sieht: überall düstere Wolken und schwere Aufgaben.
Reichskanzler und Außenminister werden sich jetzt intensiv diesen
Problemen, die Lebensfragen für unsere Zukunft sind, zuwenden
»Nüssen mW es ist zu hoffen, daß ihnen die Ruhe und Kraft dazu
nicht wieder durch neue tnnerpolttische Krisenkomödien genommen
Werden.
Der 15. Februar, ein „historischer" Tag der deutschen Innen-
politik, ist gleichzeitig zu einem historischen Tag der Weltgeschichte
geworden. An diesem Lag ist nämlich im Haag der von den
beiden BSlkerbundsversammlungen in Genf 1920 u. 1921 ins Leben
gerufene erste Ständige Internationale Gerichtshof eröffnet wor-
den. Nicht nur Holland, sondern die ganze Welt haben an diesem
weltgeschichtlichen Ereignis rege» Anteil genommen. Völkerrechts-
lehrer »uw Völkerrechtspolitiker der ganzen zivilisierten Welt,
Namen von bestem Klang Haber, an diesem Tage in einer Fest-
nummer des Haager „Nteuwe Courant" die Bedeutung dieser
Gründung gewürdigt, darunter LSVe, Schücktng und Weh«
berg von Deutschland. Trotz der schmerzlichen Tatsache, daß
Deutschland, da es noch aus dem Völkerbund ausgeschlossen!
ist, nicht Mitglied dieses Gerichtshofes ist, dürfen wir den gewal-
tigen Fortschritt, den damit die internationale Rechtsorganisatio«
der Welt gemacht hat, nicht unterschätzen. Ihre Bedeutung Weitz
nur der zu würdigen, der die Haager Verhandlungen von 1899
und 1907 studiert und alle die Hemmungen und Widerstände kennen-
gelernt hat, die damals die Verwirklichung dieses Internationale«
Gerichtshofes unmöglich gemacht haben. Damals War es in erste?
Linie die Opposition des Kaiserlichen Deutschland, welche di«
Haager Konferenzen ohne positives Ergebnis auseinandergehen
ließ. Deutschland ist heute ein anderes geworden. Der Abschluß
des deutsch-schweizerischen Schiedsvertrags und die Rede, die
dabei am Donnerstag Außenminister Dr. Rathenau im Reichs-
tag hielt, zeigen die Wandlung: Wenn Deutschland auf diesem
Wege wetterschrettet, wird der Tag kommen, wo auch es Mitglied
dieser internationalen Rechtsorganisatio» wird, die Wand deS
Mißtrauens und Hasses unter den Völkern wird fallen und di«
atavistisch-chauvinistische Machtpolitik wird eine«
immer weitergreifenden interstaatlichen Rechtsorganisatio» Platz
machen »Nüssen und der Geist Kants, den Genosse Dr. Braun
am Donnerstag im Reichstag »nit Recht zitiert hat, wird trium-
phieren über den Geist Bismarcks und — Poincares,
MWMWWWGUWlUkll
Aus Berlin wird uns gedrahtet.'
Während der letzten Tage fanden Verhandlungen zwischen
Vertretern der deutsche« Regierung und den drei Vertretern der
russischen Regierung Krafft«, Radek u. Sklanaonjakoff
statt. Gemäß Absprache zwischen, de« Reglerungsvertretern ver-
handelte« darauf auch Vertreter der deutschen Industrie mit
den drei Russen. Di« Verhandlungen galten «ich« einem gemein-
samen Vorgehen während der Konferenz von Genua, sondern der
künftige»» Erschließung Rußlands. Die Verhandlungen verlieft«,
wie die „Deutsche Allg. Atg." erfährt, zur beiderseitigen Zufrie-
denheit. Ein Nbschlußerge-ntS ist naturgemäß vor» diesen kurzen
erster» Vorbesprechungen nicht zu erwarte«, jedoch Haven beide Par-
teien die Aussicht auf eine Verständigung festgestellt. Die deutsche»
Unterhändler sind der Ueberzeugung, daß ein gutes Stück Wegs
zum Erfolg zurückgelegt ist.
Die Berlimr Reparattonsverhandlnuge».
Berlin, 18. Febr. Die Abordnung der Reparattsnskom-^
Mission, die unter Führung des belgischen Delegierten Bomel-
mans vor einigen Tagen in Berlin eingetroffen ist, steht seitdem
in ständigen Verhandlungen mit der Kriegslastenkommisston. Die
Hauptaufgabe der Abordnung ist eine neuerliche Ueverprüfung der
deutschen Wirtschaftslage, insbesondere mit Rücksicht auf die bevor-
stehende Entscheidung der Reparationskomnrtssion über die Zahlun-
gen und Sachlieferungen im Jahre 1932. Bet den Besprechungen
ist auch die Frage einer Ausdehnung des Wiesbadener Abkommens
auf Belgien zur Sprache gekommen, allerdings nur unverbindlich,
da die Abordnung nicht speziell belgische Interessen vertritt, son-
dern von der gesamten Reparattonskommission entsandt wurde.
Vorbereitungen Deutschlands für Genua.
Berlin, 17. Febr. Ueber die Vorarbeiten zu der Kon-
ferenz vonGenua erfahren wir, daß das Prograrnm für die
Konferenz von Genua seit Wochen Gegenstand eingehender Be-
ratungen der Regierungsstellen ist. Mm» hat mit Wirtfchaftskreisen
und den wichtigsten Spitzenverbiindrn Fühlung genommen. Der
Beratungskrets ist außerordentlich groß. Abgesehen von den prin-
zipiellen Fragen nmfatzte er die Finanzfragen, Regelung des
Geldumlaufes, die Frage der Zentralmisstonsbank, die Wiederaus-
baufrage, Valuta, Kredit, allgemeine Wirtschaft und
Handelsbeziehungen, Schutz des literarischen und künst-
lerischen Eigentums, Regelung des Konsulatswesens, Stellung
der Ausländer, technische Fragen, Transportwesen usw. Ein-
gehende Beratungen zwischen allen Ministerien haben im
auswärtigen Amt stattgefunden. An den Vorarbeiten ist außer
dein Reichswtrtschaftsministerium das Finanz-
ministerium beteiligt. Die Arbeiten sind bereits wesentlich
gefördert, jedoch noch nicht zur» Abschluß gebracht worden und
werden noch einige Zeit andauern. Die Delegierten für die
Konferenz sind noch nicht besttmmt.
Die Erzberger-Mörder in Ungarn.
Wie sie in Budapest praßten!
Ueber den Aufenthalt der Mörder ErzbergerS in Ungarn mel-
det der Budapester Korrespondent des „Berl. Ta gebt." fol-
gende Einzelheiten:
Der Münchener Kaufmann Heinrich Schulz und der
frühere Oberleutnant Heinrich Ttllessen sind bereits
im Oktober aus München in «udapeft etngetrofftn. Sie verkehrten
dort in den prunkvollste« Veretnslokalen der beiden
irregulären Organisationen des Vereins des „erwachenden
Ungarns", dessen militärischer Letter der bekannte Banden-
führer Oberleutnant Hejas ist und deS Landwehrmachtvereins
„Nove", der unter Führung des Stadthauptmanns Gombös steht.
Im Dezember 1921 wurden Schulz und Billesftn durch einen Zufall
erkannt. Die deutsche Gesandtschaft wandte sich sofort an die
Budapester Polizei.
Etwa vierzehn Tage lang geschah i« der Sache Nichts, obwohl
die deutsche Gesandtschaft wiederholt um Erledigung bat.
Mittlerweile hatte die deutsche Staatsanwaltschaft, die verständigt
worden war, zwei deutsche Detektive nach Budapest gesandt. Di«
Nachforschungen der deutschen Detektive wurden vor» der ungarische«
Polizei stark verzögert. De» beiden Detektiven gelang es, nach
Aufnahme der Nachforschungen die Identität der Mörder Erz-
bergers festzusteklen. Sie stellten fest, daß beide »Nittels Chiffre-
briefen eine lebhafte Korrespondenz führten. ES gelang auch, ihrs
Wohnungen zu ermitteln und die Ausenthaltslokale sestzustellen,
in denen sie sich amüsierter». Anscheinend verfügten sie über groß«
Geldmittel.
Sie kauft », Kleider und Pelze für Hunderttauftnde.
Zuletzt wohnten di« beiden Mörder tm Hvtef Astoria,
dem besten Hotel in Budapest.
Rach dein Besuch einer gewisser» Persönlichkeit verließen sie das
Hotel mit ihrem ganzen umfangreichen Gepäck. Die deutscher«
Detektive verfolgten ihre Spur. Als sie versuchten, sich nach einer
bestimmten Stadt in Westungarn zu begeben, wurden sie von de«
nngarischen Behörden mit der Begründung daran verhindert, di«
Deutschen hätten sich seinerzeit geweigert, den Kommunisten Cserhak
auszultefern, der der Teilnahme an der Ermordung Tiszas be-
schuldigt worden war. Erft nach längeren Bemühungen wurde
das Verbot aufgehoben. Inzwischen waren kostbar«
Tage vergangen und die Deutschen dürsten in dein in Frag«
kommenden Orte zu spät angelangt sein. Sie mußten unverrichteter
Sache wieder abreisen.
Die Anklage, die das „Berl. Tagebl." gegen dis Ungarischs
Polizeibehörde erhebt, ist in gleicher Heftigkeit gegen die deutsch«
Justizmaschine zu richten, auch in Deutschland ist reichlich viel ge-
schehen, um diese und andere deutschnationale Mordtaten zu ver-
dunkeln und die Täter entwischen zu lasser». Man lese einmal das
Buch Gumbels „Zwei Jahre Mord", dann weiß man Bescheid.
Unser ganzer Gerichtsapparat bedarf einer Reform an Haupt und
Gliedern. Fort »nit den antisemttischen Massenrtchtern und fort
mit jenen Staatsanwälte»», die zwar das Geld der Republik ein-,
stecken, aber mit der Partei der Meuchelmörder sympathisiere«
und täglich nur darauf sinnen, wie sie gegen die Republik
arbeiien können!
*
Vom Soz. Parlamentsdienst wird uns »roch gemeldet, daß di«
Mordbuben als Heide« in Ungarn behandelt
werden. Die Mörder sind tm Oktober 1921 aus München in Buda-
pest eingetroffen, wo man sie erwartete und in einer offenbar vor-
bereiteten Weise ausnahm. Als die Lettische Staatsanwaltschaft
zwei Detektive nach Budapest sandte, die zunächst nach Fahndungs-
akten forschten, stellte sich heraus, daß von ungarischer Seite bis-
her noch nichts geschehen, insbesondere noch keine Identitäts-
ermittlungen angestellt waren. Den deutschen Detektiven gelang
in kurzer Zeit wenigstens die Feststellung der Identität. Es wur-
den Korrespondenzen ermittelt, die Schulz »md Ttllessen mit
zwei eigenen Reiseschreibmaschinen
erledigten. Auch wurde festgestellt, daß sie mittels Chiffrebriesen,
die an eine ungarische Zeitung gerichtet waren, eine lebhafte
Korrespondenz führten. Es gelang sogar, ihre Wohnung zu er-
mitteln und die Unterhaltungslokale, in denen sich die Mörder
amüsierten, festzustellen. Die teuersten Lokale sollten sie oft als
ihre Gäste gesehen haben. Angeblich haben Schulz und Ttllessen
tm November 1921 in einem Hotel in einer Vorstadt Budapests
gewohnt, wo eine Hotelpatrouille ihnen geladene Waffen abnahm.
Kurz darauf wurde» die Seiden zur Oberstadthauptmannschast
bestellt.
Der Poltzeichef gab ihnen nicht rmr die Waffen zurück, sondern
er stellte ihnen Ausweispapiere aus ungarische Namen aus mit
der Berechtigung, sich irr Ungarn dauernd aufzuhakten.
Das ist zweifellos charakteristisch für die ungarischen Verhältnisse
und ein Vorgang, der auf die diplomatischen Beziehungen zwischen
Deutschland und Umarn zurückwirken mutz.
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Heidelberg, Samstag, 18. Februar 1922
Nr. 42 * 4. Jahrgang
Verantwort!.: Für innere u.äußere Politik, Volkswirtschaft «.Feuilleton;
Dr. G. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales;
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Zur Lage.
Kr. Heidelberg, den 18. Februar.
Von der Presse des Inlandes wie des Auslandes ist die Mitt-
wochabstimmung des Reichstags als historisch er Lag charak-
terisiert worden, was durchaus berechtigt ist. Zum ersten Male
Hai ei» Kanzler der deutschen Republik seine Gegner von rechts
und links zu offener Feldschlacht herausgefordert und in derselben
wider Erwarten aller Beteiligten gesiegt. Gesiegt, weil etwa 46
Prozent der Unabhängigen es nicht über sich brachten, den deutsch-
Uaiisnalen, nationalliberalen und kommunistischen Katastrophen-
volttikern zum Siege zu verhelfen. Aber bei aller Freude darüber,
daß diese ernste Krise überwunden ist und daß die frühere „Min-
derheitsregierung" Wirth heute als Mehrheitsregierung fester
denn je dasteht, dürfen wir Las Beschämende dieser ganzen Kris«
nicht so leicht und so rasch wieder vergessen. „Nur das Miß-
trauensvotum der Deutschnattonalen Volkspartet hat
rein die Staatspolitik im Auge." So schrieb die „Südd.
Zeitung" am Donnerstag, den 16. Februar. Soll man ein«
solche Verblendung überhaupt für möglich halten? Oder ist das
nur verlogene und verschlagene Demagogie? Was hat denn die
reine Negations- und Oppositionspoltttk der Hergt, Helfferich und
Konsorten noch mit Staatspolitik im wahren Sinne des Wortes
zu tun? Staatspolitik treiben heißt doch denjenigen Staat bejahen,
der heute als Resultante aller politischen, ökonomisch-sozialen und
Psychologischen Faktoren möglich ist, der imstande ist, den größt-
möglichen Teil der deutschen Volksgemeinschaft auf seiner Basis
zu vereinigen. Allen diesen Forderungen wird heute nur die
demokratische Republik, der Staat der Weimarer Reichsverfassung
und die Außenpolitik des Kabinetts Wtrth Rathenau gerecht. Wer
diesen Staat bejaht, wer an ihm mitarbeitet und mitbaut, der treibt
Staatspolitik, wer ihn bekämpft, iver ihm das Leben unmöglich
machen will, treibt nur Partei- und einseitige Klassenpolitik, mag
er rechts oder links stehen. Wenn der Artikler als nächstes und
erstes Erfordernis den Einheitsblo« aller »ichtmarxistischert, d. h.
nichtsozialisttfchen Parteien fordert, so muß er wissen, daß das
heute vielleicht noch in dem einen oder anderen „Land" (etwa in
Bayern), nicht aber im deutschen Reiche auf die Dauer möglich ist.
Damit ist nicht gesagt, daß nicht auch heute gelegentlich eine rein
bürgerliche Regierung ohne Sozialdemokratie regieren kamt, das
hängt vom Wahlailsfall und der jeweiligen parlamentarischen Si-
tuation ab. Aber unmöglich ist ein Staat gegen die sozialistische
Arbeiterschaft, ein Staat ohne ihre verantwortliche Mitarbeit.
Es ist falsch »md einfach unhistorisch, wenn die Reaktionäre immer
wieder von der „Staatsseindltchkett" der Sozialdemokratie sprechen
»Md dabei Hinweisen auf die sozialdemokratische OPPosttions- und
Revolmionspolitik gegen den alten wilhelminische« Ovrigkeitsstaat.
Aus echter staatspolitischer Ueberzeugung Her-
aus hat die Sozialdemokratie den Staat Bismarcks bekämpft,
weil sie an Stelle des aus feudalistisch-militaristischer Grundlage
aufgebauten Klassenstaates, der für Millionen von Volksgenossen
politische und soziale Entrechtung bedeutete, den freien Volksstaat,
d. h. die selbstverantworttiche Volksgemeinschaft wollte. Wenn
heute die Sozialdemokratie staatsbejahend ist, wenn sie Koalitions-
Partei ist und unter völliger Wahrung parteipolitischer Prinzipien-
freiheit mit Parteien, die sich auf denselben Verfassungsboden
stellen, eine Arbeitsgemeinschaft betätigt, so hat sie sich durchaus
Nicht gewandelt, sondern nur die Konsequenzen ans der Tatsache
der Demokratie gezogen.
Auch was die Kommunisten und unentwegten Unabhängigen
treibe»», hat mit Staatspolitik nicht das geringste zu tun, denn sie
wissen, daß heute »md in absehbarer Zett auf ihrem Programm eine
politische Volksgemeinschaft nicht aufgebant werden kann. Wenn
sie mit den Deutschnattonalen gegen die Regierung Wirth stimmen,
w »nassen sie sich doch darüber klar sein, daß an Stelle dieses Ka-
binetts keines treten würde, das ihren Idealen mehr entspräche.
Darum müßten sie als Arbeiterpartei, die für die Proletarier etwas
leisten will, diese Regierung mit allen Mitteln gegen ihre Feinde
von rechts stützen. Das Gegenteil haben sie getan und damit
sezetgt, daß sie nicht reif dazu sind, die staatspolittfche Führung
der Arbeiterschaft zu übernehmen.
Es ist unser Unglück und Verhängnis seit drei Jahren, daß
wir unsere Aufmerksamkeit immer dann auf tnnerpolttische Krisen
Achten müssen, wen« Wir unsere ganze Kraft auf außenpolitische
Tragen und Aufgaben konzentrieren müßten. Während der
Eisenbahnerstreik alle innenpolitischen Gegensätze aufs neue auf-
wühlte und das Kabinett Wirth zu stürzen drohte, konzentrierte sich
Psine are mit aller Macht auf die Sabotage der Kon-
ferenz von Genua, auf die gerade wir so viel außenpolitische
Hoffnung gesetzt haben. Eine Entscheidung darüber» ob diese
europäische Wirtschaftskonferenz am 8. März oder erst einige Mo-
uaie später stattstnden wird, ist heute noch nicht gefallen, aber eines
fleht fest und je früher wir uns das eingestehen, umso besser: auch
Ke wird nicht die Reinigung und Befreiung der europäischen Atmo»
whäre bringen, die man noch in den ersten Tagen der Konferenz
von Cannes erwartete. Dafür sorgt Poincare mit geradezu teuf-
lischer Zähigkeit. Kein Buchstabe des Versailler Vertrags soll
VUrch Genua angetastet werden. Ob Poincare sich gegen England
durchsetzen wird? Jedenfalls sucht er sich treue Bundesgenossen
'U der Kleinen Entente und in — Rußland. Dasselbe Frank-
reich, das noch 1926 den polnischen Angriffskrieg gegen Sowjet-
rußland inszenierte, das die Wrangel, Denikin und Judenitsch
Segen Rußland armierte und finanzierte — dasselbe Frankreich ist
heute bereit, Rußland gegen England und Deutschland auszu-
Wielen, »vobet natürlich wieder Deutschland de« Kürzeren ziehen
wrrd. Bereits ist das Gerücht eines russisch-französischen Geheim-
abkommens aufgetaucht, es ist in aller Offizialität vom Pariser
Auswärtigen Amt dementiert worden. Sicher ist aber, daß Ra-
ver während seines letzten Aufenthaltes in Berlin mit hervor-
ragender, Vertretern Frarrkreichs konferierte, u. a. auch »nit dem
Nutzeren französischen Generalkonsul Comte de Chevtlly.
Und noch einen anderen teuflische« Plan seiner Geheimdiplomatie
scheint Poincare zu verwirklichen: Die alliierten Vertreter für
Genua sollen sich in einer Sachverständigen - B o r konferenz über
alle in Frage kommenden Probleme so einigen, daß die Konferenz
selbst keine Ueberraschungen mehr bringen kann. Also auch in
Genua soll die Siegerltga triumphieren. Allerdings scheint Eng-
land nach den gerade heute vorliegenden Meldungen diese fran-
zösischen Absichten, wenn irgend möglich, durchkreuzen zu wollen.
Man sieht: überall düstere Wolken und schwere Aufgaben.
Reichskanzler und Außenminister werden sich jetzt intensiv diesen
Problemen, die Lebensfragen für unsere Zukunft sind, zuwenden
»Nüssen mW es ist zu hoffen, daß ihnen die Ruhe und Kraft dazu
nicht wieder durch neue tnnerpolttische Krisenkomödien genommen
Werden.
Der 15. Februar, ein „historischer" Tag der deutschen Innen-
politik, ist gleichzeitig zu einem historischen Tag der Weltgeschichte
geworden. An diesem Lag ist nämlich im Haag der von den
beiden BSlkerbundsversammlungen in Genf 1920 u. 1921 ins Leben
gerufene erste Ständige Internationale Gerichtshof eröffnet wor-
den. Nicht nur Holland, sondern die ganze Welt haben an diesem
weltgeschichtlichen Ereignis rege» Anteil genommen. Völkerrechts-
lehrer »uw Völkerrechtspolitiker der ganzen zivilisierten Welt,
Namen von bestem Klang Haber, an diesem Tage in einer Fest-
nummer des Haager „Nteuwe Courant" die Bedeutung dieser
Gründung gewürdigt, darunter LSVe, Schücktng und Weh«
berg von Deutschland. Trotz der schmerzlichen Tatsache, daß
Deutschland, da es noch aus dem Völkerbund ausgeschlossen!
ist, nicht Mitglied dieses Gerichtshofes ist, dürfen wir den gewal-
tigen Fortschritt, den damit die internationale Rechtsorganisatio«
der Welt gemacht hat, nicht unterschätzen. Ihre Bedeutung Weitz
nur der zu würdigen, der die Haager Verhandlungen von 1899
und 1907 studiert und alle die Hemmungen und Widerstände kennen-
gelernt hat, die damals die Verwirklichung dieses Internationale«
Gerichtshofes unmöglich gemacht haben. Damals War es in erste?
Linie die Opposition des Kaiserlichen Deutschland, welche di«
Haager Konferenzen ohne positives Ergebnis auseinandergehen
ließ. Deutschland ist heute ein anderes geworden. Der Abschluß
des deutsch-schweizerischen Schiedsvertrags und die Rede, die
dabei am Donnerstag Außenminister Dr. Rathenau im Reichs-
tag hielt, zeigen die Wandlung: Wenn Deutschland auf diesem
Wege wetterschrettet, wird der Tag kommen, wo auch es Mitglied
dieser internationalen Rechtsorganisatio» wird, die Wand deS
Mißtrauens und Hasses unter den Völkern wird fallen und di«
atavistisch-chauvinistische Machtpolitik wird eine«
immer weitergreifenden interstaatlichen Rechtsorganisatio» Platz
machen »Nüssen und der Geist Kants, den Genosse Dr. Braun
am Donnerstag im Reichstag »nit Recht zitiert hat, wird trium-
phieren über den Geist Bismarcks und — Poincares,
MWMWWWGUWlUkll
Aus Berlin wird uns gedrahtet.'
Während der letzten Tage fanden Verhandlungen zwischen
Vertretern der deutsche« Regierung und den drei Vertretern der
russischen Regierung Krafft«, Radek u. Sklanaonjakoff
statt. Gemäß Absprache zwischen, de« Reglerungsvertretern ver-
handelte« darauf auch Vertreter der deutschen Industrie mit
den drei Russen. Di« Verhandlungen galten «ich« einem gemein-
samen Vorgehen während der Konferenz von Genua, sondern der
künftige»» Erschließung Rußlands. Die Verhandlungen verlieft«,
wie die „Deutsche Allg. Atg." erfährt, zur beiderseitigen Zufrie-
denheit. Ein Nbschlußerge-ntS ist naturgemäß vor» diesen kurzen
erster» Vorbesprechungen nicht zu erwarte«, jedoch Haven beide Par-
teien die Aussicht auf eine Verständigung festgestellt. Die deutsche»
Unterhändler sind der Ueberzeugung, daß ein gutes Stück Wegs
zum Erfolg zurückgelegt ist.
Die Berlimr Reparattonsverhandlnuge».
Berlin, 18. Febr. Die Abordnung der Reparattsnskom-^
Mission, die unter Führung des belgischen Delegierten Bomel-
mans vor einigen Tagen in Berlin eingetroffen ist, steht seitdem
in ständigen Verhandlungen mit der Kriegslastenkommisston. Die
Hauptaufgabe der Abordnung ist eine neuerliche Ueverprüfung der
deutschen Wirtschaftslage, insbesondere mit Rücksicht auf die bevor-
stehende Entscheidung der Reparationskomnrtssion über die Zahlun-
gen und Sachlieferungen im Jahre 1932. Bet den Besprechungen
ist auch die Frage einer Ausdehnung des Wiesbadener Abkommens
auf Belgien zur Sprache gekommen, allerdings nur unverbindlich,
da die Abordnung nicht speziell belgische Interessen vertritt, son-
dern von der gesamten Reparattonskommission entsandt wurde.
Vorbereitungen Deutschlands für Genua.
Berlin, 17. Febr. Ueber die Vorarbeiten zu der Kon-
ferenz vonGenua erfahren wir, daß das Prograrnm für die
Konferenz von Genua seit Wochen Gegenstand eingehender Be-
ratungen der Regierungsstellen ist. Mm» hat mit Wirtfchaftskreisen
und den wichtigsten Spitzenverbiindrn Fühlung genommen. Der
Beratungskrets ist außerordentlich groß. Abgesehen von den prin-
zipiellen Fragen nmfatzte er die Finanzfragen, Regelung des
Geldumlaufes, die Frage der Zentralmisstonsbank, die Wiederaus-
baufrage, Valuta, Kredit, allgemeine Wirtschaft und
Handelsbeziehungen, Schutz des literarischen und künst-
lerischen Eigentums, Regelung des Konsulatswesens, Stellung
der Ausländer, technische Fragen, Transportwesen usw. Ein-
gehende Beratungen zwischen allen Ministerien haben im
auswärtigen Amt stattgefunden. An den Vorarbeiten ist außer
dein Reichswtrtschaftsministerium das Finanz-
ministerium beteiligt. Die Arbeiten sind bereits wesentlich
gefördert, jedoch noch nicht zur» Abschluß gebracht worden und
werden noch einige Zeit andauern. Die Delegierten für die
Konferenz sind noch nicht besttmmt.
Die Erzberger-Mörder in Ungarn.
Wie sie in Budapest praßten!
Ueber den Aufenthalt der Mörder ErzbergerS in Ungarn mel-
det der Budapester Korrespondent des „Berl. Ta gebt." fol-
gende Einzelheiten:
Der Münchener Kaufmann Heinrich Schulz und der
frühere Oberleutnant Heinrich Ttllessen sind bereits
im Oktober aus München in «udapeft etngetrofftn. Sie verkehrten
dort in den prunkvollste« Veretnslokalen der beiden
irregulären Organisationen des Vereins des „erwachenden
Ungarns", dessen militärischer Letter der bekannte Banden-
führer Oberleutnant Hejas ist und deS Landwehrmachtvereins
„Nove", der unter Führung des Stadthauptmanns Gombös steht.
Im Dezember 1921 wurden Schulz und Billesftn durch einen Zufall
erkannt. Die deutsche Gesandtschaft wandte sich sofort an die
Budapester Polizei.
Etwa vierzehn Tage lang geschah i« der Sache Nichts, obwohl
die deutsche Gesandtschaft wiederholt um Erledigung bat.
Mittlerweile hatte die deutsche Staatsanwaltschaft, die verständigt
worden war, zwei deutsche Detektive nach Budapest gesandt. Di«
Nachforschungen der deutschen Detektive wurden vor» der ungarische«
Polizei stark verzögert. De» beiden Detektiven gelang es, nach
Aufnahme der Nachforschungen die Identität der Mörder Erz-
bergers festzusteklen. Sie stellten fest, daß beide »Nittels Chiffre-
briefen eine lebhafte Korrespondenz führten. ES gelang auch, ihrs
Wohnungen zu ermitteln und die Ausenthaltslokale sestzustellen,
in denen sie sich amüsierter». Anscheinend verfügten sie über groß«
Geldmittel.
Sie kauft », Kleider und Pelze für Hunderttauftnde.
Zuletzt wohnten di« beiden Mörder tm Hvtef Astoria,
dem besten Hotel in Budapest.
Rach dein Besuch einer gewisser» Persönlichkeit verließen sie das
Hotel mit ihrem ganzen umfangreichen Gepäck. Die deutscher«
Detektive verfolgten ihre Spur. Als sie versuchten, sich nach einer
bestimmten Stadt in Westungarn zu begeben, wurden sie von de«
nngarischen Behörden mit der Begründung daran verhindert, di«
Deutschen hätten sich seinerzeit geweigert, den Kommunisten Cserhak
auszultefern, der der Teilnahme an der Ermordung Tiszas be-
schuldigt worden war. Erft nach längeren Bemühungen wurde
das Verbot aufgehoben. Inzwischen waren kostbar«
Tage vergangen und die Deutschen dürsten in dein in Frag«
kommenden Orte zu spät angelangt sein. Sie mußten unverrichteter
Sache wieder abreisen.
Die Anklage, die das „Berl. Tagebl." gegen dis Ungarischs
Polizeibehörde erhebt, ist in gleicher Heftigkeit gegen die deutsch«
Justizmaschine zu richten, auch in Deutschland ist reichlich viel ge-
schehen, um diese und andere deutschnationale Mordtaten zu ver-
dunkeln und die Täter entwischen zu lasser». Man lese einmal das
Buch Gumbels „Zwei Jahre Mord", dann weiß man Bescheid.
Unser ganzer Gerichtsapparat bedarf einer Reform an Haupt und
Gliedern. Fort »nit den antisemttischen Massenrtchtern und fort
mit jenen Staatsanwälte»», die zwar das Geld der Republik ein-,
stecken, aber mit der Partei der Meuchelmörder sympathisiere«
und täglich nur darauf sinnen, wie sie gegen die Republik
arbeiien können!
*
Vom Soz. Parlamentsdienst wird uns »roch gemeldet, daß di«
Mordbuben als Heide« in Ungarn behandelt
werden. Die Mörder sind tm Oktober 1921 aus München in Buda-
pest eingetroffen, wo man sie erwartete und in einer offenbar vor-
bereiteten Weise ausnahm. Als die Lettische Staatsanwaltschaft
zwei Detektive nach Budapest sandte, die zunächst nach Fahndungs-
akten forschten, stellte sich heraus, daß von ungarischer Seite bis-
her noch nichts geschehen, insbesondere noch keine Identitäts-
ermittlungen angestellt waren. Den deutschen Detektiven gelang
in kurzer Zeit wenigstens die Feststellung der Identität. Es wur-
den Korrespondenzen ermittelt, die Schulz »md Ttllessen mit
zwei eigenen Reiseschreibmaschinen
erledigten. Auch wurde festgestellt, daß sie mittels Chiffrebriesen,
die an eine ungarische Zeitung gerichtet waren, eine lebhafte
Korrespondenz führten. Es gelang sogar, ihre Wohnung zu er-
mitteln und die Unterhaltungslokale, in denen sich die Mörder
amüsierten, festzustellen. Die teuersten Lokale sollten sie oft als
ihre Gäste gesehen haben. Angeblich haben Schulz und Ttllessen
tm November 1921 in einem Hotel in einer Vorstadt Budapests
gewohnt, wo eine Hotelpatrouille ihnen geladene Waffen abnahm.
Kurz darauf wurde» die Seiden zur Oberstadthauptmannschast
bestellt.
Der Poltzeichef gab ihnen nicht rmr die Waffen zurück, sondern
er stellte ihnen Ausweispapiere aus ungarische Namen aus mit
der Berechtigung, sich irr Ungarn dauernd aufzuhakten.
Das ist zweifellos charakteristisch für die ungarischen Verhältnisse
und ein Vorgang, der auf die diplomatischen Beziehungen zwischen
Deutschland und Umarn zurückwirken mutz.