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Zeitschrift für christliche Kunst — 1.1888

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Keppler, Paul Wilhelm von: Die Stiftskirche zu St. Amandus in Urach
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https://doi.org/10.11588/diglit.3545#0015

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1888. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.

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späten Formen gekleidet erscheint; ihm
dankt die Amanduskirche einen entschie-
denen Vorrang vor der Stiftskirche in
Stuttgart, die zwar mehr bildnerischen
Schmuck besitzt, deren Langhaus aber mit
seiner Hallenanlage, mit seinen drei fast
gleich hohen und breiten Schiffen, wenig
günstig wirkt, schon weil die grofsen Di-
mensionen fehlen, deren eine Hallenanlage
bedarf, um bedeutend zu erscheinen.

Die Westfacade beherrscht der Thurm,
im Untergeschofs in hohem Bogen geöffnet;
seine drei quadratischen Geschofse haben
den Schmuck des gothischen Lilienfrieses;
im vierten vollzieht sich der Uebergang
ins Achteck mit Schrägen, von welchen
geschweifte Zierbogen mit blumiger Krö-
nung auslaufen und die Mauerwand be-
leben ; die beiden Achteckgeschosse haben
theils kleine Rosetten, theils Mafswerk-
öffnungen und schliefsen mit einer durch-
brochenen Gallerie, die aber bereits in die
Zeit des Stilverderbnisses hineinragt; so
ward denn auch der Steinhelm durch einen
unschönen modernen Aufsatz ersetzt. Als
eigentliche Schauseite war, der Linie der
Strafse entsprechend, die Südseite aus-
gebildet. Nebst dem mit gewölbter Vor-
halle überdachten Portal und den statt-
lichen Mafswerkfenstern, welchen als Ober-
lichter tiefgekehlte, rundbogig geschlossene
Fenster entsprechen, bildeten namentlich
die Streben ihre besondere Zierde. Sie
schlössen mit Tabernakeln für Heiligen-
statuen; nochsind die Konsolen mitFratzen-
köpfen und die zierlichen Füfschen der
Säulen zu sehen. Statuen und Tabernakel
aber wurden demolirt, wie denn überhaupt
am und im ganzen Bau nicht ein einziges
Bildwerk sich erhalten hat, aufser den
zum Glück unerreichbaren Skulpturen der
Schlufssteine. Die geköpften Streben er-
hielten dann ein Nothdach primitivster Art,
aus plumpen Balkenstücken gezimmert und
mit Ziegeln gedeckt. Es soll eine Restau-
ration der Kirche in Aussicht genommen
sein; für Wiederherstellung der Skulpturen
werden Mittel nicht zu beschaffen sein,

daher wird man wohl am besten thun, den
einfachen Giebelabschlufs der Streben an
der Nordseite auch an dieser Seite nach-
zubilden. Am Chor mit seinen besonders
reichen Fenstern endigen die Streben in
hohen Fialenthürmchen. In der Südecke
zwischen Chor und Schiff ist das polygone
Taufkapellchen von schlanken Verhältnissen
später umgebaut worden; seine zarten Stre-
ben und dünnen Fenstermafswerke zeigen
die Zierlichkeit, aber auch schon die alternde
Kraftlosigkeit des spätgothischen Stils.

Betritt man das Innere, so mufs man
sich Mühe geben, das über alle Beschrei-
bung häfsliche Stuhl- und Emporenwerk
nicht zu sehen, mit welchem hoffentlich
eine baldige Restauration gründlich auf-
räumen wird. Auch der plumpe und harte
Anstrich der Gewölbe und die Tünchung
der Wände bringt viel Mifsklang in die
Verhältnisse des Innenraums. Folgt aber
das Auge den Linien des Baues selbst,
schweift es durch die netzgewölbten Schiffe,
gleitet es über die stattliche Reihe
von Schlufssteinen mit ihren schönen
Brustbildern hin, dann wieder über die
Gewölbeträger der Seitenschiffe, Konsolen
mit ebenso schönen Skulpturen, dringt es
durch die tiefgekehlten Arkadenbögen, an
den achteckigen, mit Halbsäulchen besetzten

in die ebenfalls
kleineren Räume der Seiten-
kapellen und der zierlichen Taufkapelle, ver-
liert es sich endlich in der lichtverklärten
himmelanstrebenden, von zartem Rippen-
netz überwobenen Chorhalle, — so fühlt
es in hohem Grade sich befriedigt und es
gibt sich gerne der Zauberkraft hin, welche
einem wahrhaft grofsen Kunstwerk inne-
wohnt. Die Mannigfaltigkeit des Innen-
bildes hat einigen Eintrag gelitten durch
den Abbruch des zwischen den Chorbogen
und die östlichsten Pfeiler eingespannten
Lettners, dessen sehr starke Rippenanfänge
noch zu sehen sind, sammt dem vermauer-
ten Pförtchen, das den Zugang bildete.
Unserm Auge mag der Lettner zunächst
als Störung erscheinen; aber abgesehen

kräftigen Pfeilern vorbei
gewölbten
 
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