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Zeitschrift für christliche Kunst — 1.1888

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Schnütgen, Alexander: Reliquienbehälter aus der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.3545#0050

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69

1888. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST - Nr. 2.

Reliquienbehälter aus der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts

in der Sammlung des Freiherrn A. v. Oppenheim zu Köln.

Mit Lichtdrucktafel V.

er vorliegende reizende Reliquien-
behälter ist vor Kurzem aus altem
westfälischen Besitz auf den Kunst-
markt und schnell in die reiche Sammlung
des Freiherrn Albert von Oppenheim ge-
langt. Das den Deckel bekrönende Krystall-
knäufchen ausgenommen ist er ganz in Silber
ausgeführt und vergoldet. Er hat eine Höhe
von 41 cm und besteht aus dem oblongen
ganz geschlossenen mit Zeltdach bedeckten
Kästchen, aus dem dieses tragenden Fufs
nebst Schaft und aus den beiden von diesem
abzweigenden Trägern für die mit gefaltenen
Händen das Kästchen flankirenden Engel.
Die ganz eigenartige Verbindung dieser drei
Theile zu einem so einheitlichen und reiz-
vollen Ganzen, sowie dessen anmuthige und
reiche Verzierungsart verleihen dem aufserge-
wöhnlich gut erhaltenen Gegenstande eine be-
sondere Bedeutung.

Dafs er zu einem Reliqtiiar bestimmt
war, kann keinem Zweifel unterliegen, obwohl
die betende Haltung der beiden Engel und
die Vergoldung auch im Innern des Schrein-
chens den Gedanken an ein Ciborium nahe
legen könnten. Weil diesem aber, als dem
Grabe des Herrn, von Anfang an durchweg und
in späterm Mittelalter ausnahmslos die runde
bezw. polygone Form zu Grunde gelegt wurde,
so wird hier ein solches nicht angenommen und
den beiden Engeln nur die Bedeutung der
Verehrung, nicht die der Anbetung beigelegt
werden dürfen. Ihre Verehrung aber kann
sich nur auf in dem Schreine zu bergende Reli-
quien beziehen.

Für die Aufbewahrung von Reliquien bildet
ja der sarkophagartige mit Sattel oder Zeltdach
geschlossene Schrein die geeignetste Form.
Sie fand deswegen schon früh Eingang für
grosse Gebeine (vollständige Körper) wie für
kleinere Partikel. In der spätgothischen Periode
waren neben den die Gebeine zeigenden Osten-
sorien die sie verhüllenden Schreinchen ganz
besonders beliebt und wurden in Holz und
Stoff, besonders aber in Metall, zahlreich her-
gestellt. Die Art ihres Schmuckes ergab sich
bei dem Vorwiegen der architektonischen For-

men von selbst, und es konnte sich nur darum
handeln, ob die Ausstattung eine einfachere
oder reichere, eine nur ornamentale oder auch
figurale sein, ob die Wände geschlossen oder
durchbrochen, das Schreinchen flach aufstehen
oder von einem Fufse getragen werden .sollte.
Lange und niedrige schreinartige Behälter mit
Mafswerkdurchbrechungen auf hohem und schlan-
kem Fufse begegnen öfters im XIV. Jahrhundert,
solche in Sarkophagform und ohne Untersatz
vielfach im XV. und XVI. Jahrhundert, und es
mufs als eine grofse Ausnahme bezeichnet wer-
den, dafs ein derartiges Schreinchen, wie im
vorliegenden Falle, auf einen Fufs gestellt wurde.

Dafs dieser viertheilige Fufs eine Breitenent-
wickelung erhielt, wie sie bei der Monstranz die
Regel bildet, war durch die oblonge Gestalt des
Schreinchens erfordert, welches aber ihm gegen-
über sich nicht hinreichend behauptet haben
würde, wenn die beiden flankirenden Engel nicht'
dazu gekommen wären. Sie stehen auf arm-
leuchterartigen Konsolen, die über dem Knauf von
dem sechseckigen Ständer in ganz aufsergewöhn-
licher Weise herauswachsen. Solche auskragende
Figuren tragende Arme sind unter der Darstel-
lung des Gekreuzigten eine gewöhnliche Er-
scheinung im XIII. Jahrhundert und es läfst
sich nicht verkennen, dafs sie in der mehr
flachen Behandlung, die sie mit dem Kreuz-
balken theilen, angebrachter erscheinen, als hier.
Diese Empfindung dürfte auch, dem Künstler
nicht gefehlt und ihn bestimmt haben, in der
starken Betonung der Flügel eine Ausgleichung
des Gegensatzes zu erstreben. Die Gefährdung,
die sich hieraus wiederum für die Wirkung des
Deckels ergab, wurde durch den schlanken
überaus fein gegliederten Aufsatz so elegant wie
leicht überwunden.

Das Ganze macht überhaupt den Eindruck,
dafs es in seiner Ausgestaltung nicht so sehr
auf ursprünglicher Ueberlegung, als vielmehr
auf Veränderungen, richtiger auf Zusätzen be-
ruht, die sich während der Arbeit ergaben.
Darin liegt ein gewisser Mangel, insoweit es
sich um die strenge organische Durchbildung
handelt, ein grofser Vorzug, insoweit darin die
Selbständigkeit und Eigenart des Goldschmiedes
 
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